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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 29.06.2007
Aktenzeichen: 4 U 244/06
Rechtsgebiete: HaftPflG, BGB, ZPO, StVO
Vorschriften:
HaftPflG § 1 | |
HaftPflG § 1 Abs. 1 | |
HaftPflG § 13 Abs. 3 | |
HaftPflG § 13 Abs. 3 Satz 1 | |
HaftPflG § 13 Abs. 3 Satz 2 | |
HaftPflG § 13 Abs. 4 | |
BGB § 823 | |
BGB § 823 Abs. 1 | |
ZPO § 286 | |
StVO § 2 Abs. 3 | |
StVO § 9 Abs. 1 Satz 3 | |
StVO § 9 Abs. 1 Satz 4 |
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen eines Schadens, der an seinem Kraftfahrzeug bei einem Zusammenstoß mit einer Straßenbahn am ....2006 in O1 entstanden ist, in Höhe von 10.914,21 Euro. Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin und Betreiberin der Straßenbahn, bei der vormaligen Beklagten zu 2) ist die Beklagte zu 1) wegen der Straßenbahn haftpflichtversichert und der Beklagte zu 3) hat die Straßenbahn zum Umfallzeitpunkt gefahren.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin Z1 abgewiesen. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Kläger nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet habe, weil ihm bewusst gewesen sei, dass die Straßenbahn sich in seiner Nähe aufgehalten habe und geradeaus fahren müsse. Die Aussage der Zeugin Z1 zum Umfallgeschehen sei nicht glaubhaft. Unter anderem, so die nähere Begründung, sei die Aussage der Zeugin, dass sie die Straßenbahn habe von Hinten kommen sehen, nicht nachvollziehbar, weil das Fahrzeug keine Rundumverglasung habe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte zu 3) in 15 Meter Entfernung gelacht haben solle.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen erstinstanzlichen Klageantrag weiter verfolgt.
Er ist der Auffassung, dass die Annahme des Landgerichts, die Straßenbahn sei gleichzeitig mit dem Kläger an der Ampel losgefahren und der Kläger habe sie beim Versuch nach links abzubiegen geschnitten, in der Akte und den Zeugenaussagen keinerlei Anhaltspunkte finde. Die Zeugenaussage habe allein die Darstellung des Klägers bestätigt.
Die Würdigung der Aussage der Zeugin Z1 durch das Landgericht sei fehlerhaft. Die Bezugnahme darauf, dass nach der Darstellung des Klägers sich der Fahrer strafbar gemacht habe, stelle eine reine Mutmaßung dar. Im Protokoll gebe es auch keine Stütze dazu, dass die Zeugin zur Wahrheit ermahnt worden sei. Dies sei auch nicht der Fall gewesen. Entgegen der Annahme des Landgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung sei das Fahrzeug des Klägers rundum verglast. Dies ergebe sich aus den Lichtbildern in der Akte. Der Kläger habe nie vorgetragen, dass er gleichzeitig mit der Straßenbahn losgefahren sei.
Der Vortrag des Klägers sei auch nicht dahin zu verstehen gewesen, dass er eine vorsätzliche Beschädigung durch den Fahrer habe vortragen wollen, sondern nur dass der Fahrer der Straßenbahn - der Beklagte zu 3) - ihn habe schocken wollen und sich dann bei der Bremswirkung verschätzt habe.
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Sie weisen erneut darauf hin, dass die Beklagte zu 2) nicht passiv legitimiert sei.
Die Beklagten vertreten die Auffassung, die Darstellung des Klägers widerspreche seinem Sachvortrag im Bußgeldverfahren. Unzutreffend sei insbesondere, dass die Straßenbahn bei der Stellung der Autoampel auf grün für einen Fahrgastwechsel noch stehengeblieben sei. Hinsichtlich der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugin Z1 tragen die Beklagten vor, der Richter am Landgericht habe sie an ihre Wahrheitspflicht erinnert und sogar nach Medikamenteneinnahme gefragt.
Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch erneute Vernehmung der Zeugin Z1. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 25.05.2007 (Bl. 193 ff. d. A.) verwiesen. Das Gericht hat ferner den Kläger und den Beklagten zu 3) persönlich zum Unfallhergang angehört. Auch insoweit wird auf das vorgenannte Protokoll verwiesen.
Der Kläger hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung die Klage soweit sie gegen die Beklagte zu 2) gerichtet ist zurückgenommen. Die Beklagte zu 2) hat dem zugestimmt.
II.
Die zulässige und insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist in der Sache nicht erfolgreich.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 1) weder aus § 1 HaftPflG noch aus § 823 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Das Fahrzeug des Klägers ist zwar beim Betrieb einer Schienenbahn beschädigt worden, dem Anspruch auf Schadensersatz aus § 1 Abs. 1 HaftPflG steht jedoch entgegen, dass der Unfall durch das ganz überwiegende Verschulden des Klägers verursacht worden ist und deshalb für die Beklagte zu 1) sich als ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 und 2 HaftPflG darstellt.
a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der gesamten mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Unfall so abgespielt hat wie ihn die Beklagten schildern. Der Kläger ist mit seinem Fahrzeug an der Ampel zugleich mit der vom Beklagten zu 3) gesteuerten Straßenbahn losgefahren, ist zunächst schneller gefahren als diese und hat sich, ohne sich ausreichend nach hinten zu versichern, kurz vor der Straßenbahn zum Abbiegen nach links auf den Gleiskörper gestellt.
Der Kläger konnte nicht durch seine eigene Darstellung bei der Anhörung und durch die Vernehmung der von ihm benannten Zeugin Z1 dem Gericht die Überzeugung vermitteln, dass umgekehrt er mit seinem Fahrzeug schon längere Zeit auf dem Gleiskörper gestanden hat, der Beklagte zu 3) ihn zumindest übersehen hat und bei gehöriger Sorgfalt noch hätte rechtzeitig bremsen können. Der Kläger selbst konnte bei seiner Anhörung schon nicht sicher sagen, ob er überhaupt die Straßenbahn beim Halten an der vorangehenden Ampel bemerkt hatte. Seine Darstellung ist vor allem aber, ebenso wie der Zeugin Z1, nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht von ihnen in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, nicht als glaubhaft anzusehen. Die Zeugin und der Kläger mögen zwar ihren subjektiven Eindruck der Situation in dem Augenblick kurz vor dem Zusammenstoß wieder gegeben haben, das Gericht kann aber nicht die Überzeugung gewinnen, dass dieser Eindruck auch tatsächlich der objektiven Situation entsprach. Beide Zeugen haben bei ihrer Schilderung einen starren aber gleichwohl unsichern, weil in der Schilderung stockenden Eindruck gemacht. Dem Gericht hat sich der Eindruck aufgedrängt, das beide nur Tatsachen wahrnehmen wollen und deshalb auch nur schildern können, die ihrer eigenen Version von dem Unfall, die sie selbst unmittelbar danach gewonnen haben stützen. Sie wirkten äußerlich "zerfahren". Auch der Inhalt ihrer Angaben war nicht so konsistent, dass man davon überzeugt sein konnte. Dies betrifft zum einen die von ihnen angegebene Zeit zwischen dem Zeitpunkt als sie bereits auf der Schiene stehend die Straßenbahn gesehen haben wollen und dem Zusammenprall. Sie haben diesen Zeitraum mit etwa einer halben Minute angegeben. Gleichzeitig vermochten sie jedoch nicht sicher zu sagen, wie sie zu diesem Zeitraum gekommen sind. Es ist auch nach der Lebenserfahrung schwer vorstellbar, dass auf einer so frei erkennbaren Strecke ein Straßenbahnfahrer eine halbe Minute lang auf einen Pkw zufährt und ihn nicht bemerken können sollen oder seine Bremswirkung falsch einschätzt. Dieser Zeitraum ist auch deshalb kaum vorstellbar, weil der Kläger dann ausreichend Zeit gehabt hätte, in irgendeiner Weise mit seinem Fahrzeug zu reagieren. Selbst wenn die Fahrbahnen nach vorne oder hinten befahren waren hätte er zumindest in Richtung des Gleises aus der Gegenrichtung versuchen können davon zu ziehen. Die Zeugin Z1 hat sich zudem auch in Widersprüche verwickelt. Sie hat zunächst geschildert, dass sie schon an der Haltestelle bemerkt habe, wie eine Frau in die Straßenbahn habe einsteigen wollte. Der Beklagte zu 3) sie habe aber nicht mehr einsteigen lassen. Diese Schilderung nun würde, wenn sie zutreffen würde, gegen die eigene Darstellung des Klägers sprechen. Wenn nämlich der Beklagte zu 3) schon zu diesem Zeitpunkt keinen weiteren Fahrgast mehr einsteigen lassen wollte, spricht das für seine Darstellung, dass der Fahrgastwechsel bereits durchgeführt war und er mit dem Fahrzeug des Klägers zugleich losfuhr. Die Zeugin Z1 hat dann aber später bekundet, sie habe die Frau, die in die Straßenbahn einsteigen wollte, bemerkt als sie mit dem Fahrzeug bereits unten auf den Gleisen gestanden hätten. Auf Nachfrage des Gerichts über diesen Widerspruch hat sie lediglich angegeben, sie habe die Frage "falsch verstanden". Dies ist nicht überzeugend. Der Richter erinnert sich, die Frage beim ersten Mal klar und deutlich gestellt zu haben, und dass die Zeugin auch beim erstenmal unmissverständlich und klar geantwortet hat. Umstände für ein Missverständnis sind nicht erkennbar. Darüber hinaus erscheint es auch nicht überzeugend, dass die Zeugin geschildert hat, die von dem Beklagten zu 3) gesteuerte Straßenbahn habe bereits als sie noch oben an der Haltestelle gestanden habe (und das Fahrzeug des Klägers bereits unten am Ort des späteren Zusammenstoßes) geklingelt. Bei diesem Abstand bestand für den Beklagten zu 3) überhaupt noch keine Veranlassung zu klingeln.
Das Gericht folgt in seiner Überzeugung vielmehr der Darstellung des Beklagten zu 3), die er bei seiner Anhörung als Partei gegeben hat, und die das Gericht bei seiner Überzeugungsbildung im Rahmen des § 286 ZPO auch gleichwertig neben einer Zeugenaussage berücksichtigen kann. Der Zeuge hat in ruhiger und besonnener Weise geschildert, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug vor ihm gestanden habe und etwa gleichzeitig mit ihm losgefahren sei. Der Kläger habe dann zunächst etwas stärker beschleunigt als er. Die Straßenbahn sei seitlich versetzt kurz hinter dem klägerischen Fahrzeug geblieben. Dieses habe dann nach links geblinkt und sei, ohne dass der Fahrer ihn gesehen habe, in so kurzem Abstand vor ihm nach links auf die Schienen gezogen, dass die sofort eingeleitete Vollbremsung nicht mehr zu einem rechtzeitigen Stehen der Straßenbahn geführt habe. Der Zeuge mag zwar ein gewisses Eigeninteresse daran haben, bei seiner Schilderung nicht eigene Fehler einzugestehen. Dies hat nach dem Eindruck des Gerichts von ihm den Inhalt seiner Aussage jedoch nicht beeinflusst. Er hat ruhig, und im Gegensatz zum Kläger und zur Zeugin Z1 nicht zerfahren sondern im Ablauf nachvollziehbar, das Ereignis geschildert. Seine Darstellung ist auch am ehesten mit der Verkehrssituation an der Unfallkreuzung in Übereinstimmung zu bringen, während die Darstellung des Klägers nach der Lebenserfahrung eher fern liegt, wenn sie auch nicht ausgeschlossen sein mag. Die Schilderung des Beklagten zu 3) steht auch in Übereinstimmung mit der Darstellung des Klägers bei seiner Anhörung, wonach er an der Ampel "zügig" losgefahren sei, um noch nach links in die ... Landstraße einbiegen zu können.
b) Dieses als bewiesen angesehene Tatsachengeschehen ist dahin zu bewerten, dass den Kläger das alleinige Verschulden am Zustandekommen des Unfalles trifft und der Beklagte zu 3) den Zusammenstoß auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden konnte. Die Bewertung der alleinigen Verantwortlichkeit des Klägers findet ihre Grundlage in § 9 Abs. 1 Satz 3 und 4 StVO. Danach muss ein Autofahrer bei der Fahrt auf ein links von ihm verlaufendes Schienengleis besondere Vorsicht walten lassen, insbesondere sich zuvor nach hinten versichern. Zwar darf eine Straßenbahn sich nicht auf ihr Vorfahrtsrecht aus § 2 Abs. 3 StVO berufen, wenn ein Kraftfahrzeug schon länger auf den Schienen steht. Ist es jedoch so, dass das Auto unvermittelt vor der Straßenbahn auf die Schienen einfährt, so trifft den Fahrer des Autos die alleinige Haftung (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 9 StVO Rz. 36). Der aus Gefährdungshaftung nach § 1 HaftPflG bestehende Anspruch gegen die Beklagte zu 1) ist deshalb nach § 13 Abs. 3, 4 HaftPflG ausgeschlossen.
2. Gegen den Beklagten zu 3) ist ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz nach dem Beweisergebnis zu 1. schon deshalb nicht gegeben, weil ein Schadensersatzanspruch gegen diesen nur unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB besteht und der Kläger ein Verschulden durch einen Verkehrsverstoß durch den Beklagten zu 3) nicht beweisen konnte. Ein Anspruch aus Gefährdungshaftung oder vermuteten Verschulden gegen den Fahrer einer Straßenbahn besteht nach dem HaftPflG - im Gegensatz zum StVG - nicht.
3. Über die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage war nach der wirksam vorgenommen Klagerücknahme in der Berufungsinstanz nicht mehr zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und einschließlich der Beklagten zu 3) auf § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbar beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Ende der Entscheidung
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