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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 06.02.2007
Aktenzeichen: 4 W 93/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 42
ZPO § 139
Zur Frage, ob es die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen kann, wenn ein Richter den anwaltlich vertretenen Kläger darauf hinweist, dass die zweifelhafte Frage, ob er aktivlegitimiert sei, durch Abtretung gelöst werden könne.
Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Telefondienstvertrag auf Schadensersatz in Anspruch, weil die Beklagte ohne Absprache die Nummer ihres Telefaxanschlusses ausgetauscht habe und unter anderen ihrem Ehemann, einem Arzt, drei Wochenenddienste in einer Notdienstzentrale entgangen seien.

Das Landgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung nach Erörterung der Sach- und Rechtslage aber noch im Rahmen der Güteverhandlung der Klägerin "aufgegeben", Unterlagen über die letzten drei Notdienstwochenenden etwa in Form von Überweisungsbelegen vorzulegen. In der nach der Verhandlung erfolgten schriftlichen Bestimmung des Haupttermins hat der als Einzelrichter tätige Vorsitzende Richter am Landgericht folgenden Hinweis gegeben: "Das Problem der Aktivlegitimation kann auch durch eine Abtretung gelöst werden."

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 23.10.2006 die Ablehnung des Richters wegen Befangenheit "erklärt" und dies unter anderem damit begründet, dass der Hinweis auf die Möglichkeit der Abtretung seine Befugnisse nach § 139 ZPO überschritten habe und es ihm deshalb an der gebotenen Neutralität und damit der erforderlichen Unvoreingenommenheit fehle.

Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss das Ablehnungsgesuch mit der Begründung zurückgewiesen, der Hinweis auf die Möglichkeit einer Abtretung unterfalle der durch die neu gefassten §§ 139, 273, 278 Abs. 2 ZPO gebotenen richterlichen Aufklärungspflicht und könne deshalb die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde ist nach § 46 Abs. 2 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig.

Die Beschwerde ist in der Sache jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht für nicht begründet erklärt.

Die Besorgnis der Befangenheit ist nach § 42 Abs. 2 ZPO dann gegeben, wenn Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Misstrauen in die unparteiliche Amtsausübung des Richters rechtfertigen können nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger und besonnener Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber; rein subjektive Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden genügen nicht. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. etwa BGH MDR 2003, 592 m.w.N.).

1. Ein solcher Umstand ist im vorliegenden Fall nicht darin zu sehen, dass der abgelehnte Richter in der Terminsverfügung vom 6.10.2006 die Parteivertreter darauf hingewiesen hat, dass das Problem der Aktivlegitimation durch eine Abtretung "gelöst" werden könne.

a) Es kann dahin gestellt bleiben, ob dieser Hinweis des Vorsitzenden Richters schon deshalb keine Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen vermag, weil er durch die richterliche Hinweis- und Hinwirkungspflicht nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO geboten war. Diesbezüglich ist nämlich streitig, ob es nach dieser Bestimmung nicht nur geboten ist, die Parteien darauf hinzuweisen, warum Zweifel an der Aktivlegitimation bestehen, sondern ob der Richter auch berechtigt und verpflichtet ist, die klagende Partei, insbesondere die anwaltlich vertretene Partei, darüber zu unterrichten, dass sie dieses Hindernis durch eine nachträgliche Abtretung vom Berechtigten im laufenden Prozess beheben kann (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 66. Aufl., § 42 Rz. 26 mwN; Musielak/Stadler, ZPO, 5. Aufl., § 139 Rz. 9 mwN).

Selbst wenn nämlich der Hinweis des Vorsitzenden nicht durch die richterliche Hinweispflicht nach § 139 ZPO gedeckt wäre, muss dies nicht zwangsläufig dazu führen, dass die Beklagte aufgrund dessen die Unvoreingenommenheit des Richters befürchten muss. Selbst ein Verfahrensverstoß bei der Prozessleitung rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme der Befangenheit des Richters. Dies ist nur dann der Fall, wenn es sich um einen groben Verfahrensfehler handelt, der nach seinem Inhalt (etwa bei einem Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte) oder nach den Gesamtumständen als Ausdruck der Voreingenommenheit gegenüber der betroffenen Partei aufgefasst werden muss (vgl. etwa Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 42 Rz. 24 und 28 mwN).

b) Nach den Gesamtumständen konnte hier indes der Hinweis des abgelehnten Richters nicht die ernstliche Befürchtung der Beklagten wecken, der abgelehnte Richter sei ihr gegenüber voreingenommen. Für diese Annahme ist es nämlich nicht ausreichend, dass der Hinweis bei der Beklagten den Eindruck erwecken konnte, der Richter wolle der Klägerin eine Klageabweisung allein wegen fehlender Aktivlegitimation ersparen. Jeder Hinweis an eine der Parteien im Zivilprozess soll dem Adressaten prozessuale Nachteile ersparen. Eine Voreingenommenheit gegenüber der anderen Seite kann daraus nur dann abgeleitet werden, wenn ein solcher Hinweis durch den Prozessverlauf, den Vortrag der Parteien oder die materielle Rechtslage in keiner Weise veranlasst war. Jedenfalls letzteres war hier aber der Fall. Es bestand eine besondere Schwierigkeit der materiellen Rechtslage, die den Hinweis des abgelehnten Richters selbst gegenüber einer anwaltlich vertretenen Partei verständlich erscheinen ließ und die deshalb bei sachgerechter Würdigung durch die Beklagte keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters aufkommen lassen konnte.

Zwischen den Parteien war nämlich unstreitig, dass der Beklagten im Rahmen eines zwischen ihr und der Klägerin bestehenden Vertrages eine Pflichtverletzung unterlaufen war, ein möglicher Schaden aber allenfalls dem am Vertragsverhältnis nicht beteiligten Ehemann der Klägerin entstanden sein konnte. Bei solchen Gestaltungen des Auseinanderfallens von Anspruch und Schaden ist dem Gesetz nicht ohne weiteres zu entnehmen, ob und wer den Anspruch geltend machen kann. Bei der von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte, steht ein Anspruch dem Dritten zu, der nicht Vertragspartner ist. Demgegenüber kann im Fall einer so genannten Drittschadensliquidation der Vertragspartner selbst den Schaden des Dritten geltend machen. Die Abgrenzung zwischen beiden richterrechtlichen Instituten kann im Einzelfall schwierig sein. Wäre im vorliegenden Fall ein Vertrag mit Schutzwirkung anzunehmen, so wäre zwar die Klage abzuweisen gewesen, es hätte dann aber der Ehemann der Klägerin aus eigenem Recht klagen können. Zu berücksichtigen ist für diese Alternative, dass der Schwerpunkt des Streits der Parteien nicht die Frage der Aktivlegitimation bildete. Die Beklagte hat sich in der Klageerwiderung mit der nach ihrer Auffassung fehlenden Aktivlegitimation nur knapp unter Hinweis auf das Vorliegen eines Drittschadens verteidigt, die Klageabweisung aber ganz überwiegend mit dem Bestreiten der Entstehung eines kausalen Schadens beim Ehemann der Klägerin begründet. Aufgrund des Hinweises an die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung war zuvor deutlich, dass der Richter sich über die sachliche Berechtigung des Anspruchs, unabhängig von der Frage, wer Anspruchsinhaber sei, noch kein abschließendes Urteil gebildet hatte, sondern weitere Nachweise zum Schaden für nötig hielt.

Angesichts dieser Umstände durfte die Beklagte den Hinweis an die Klägerseite auf die Möglichkeit einer Abtretung nicht als einseitiges Eintreten des abgelehnten Richters für die Klägerseite und als Voreingenommenheit ihr gegenüber werten. Sie konnte und musste den Hinweis so verstehen, dass der Richter einer allein aufgrund falscher rechtlicher Einordnung notwendig werdenden Führung zweier Prozesse vorbeugen wollte, die beide Parteien getroffen hätte.

2. Ein Umstand, der die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters rechtfertigt, ergibt sich auch nicht daraus, dass der abgelehnte Richter in der mündlichen Verhandlung der Klägerseite "aufgegeben" hat, Unterlagen über die letzten drei Notdienste des Ehemannes der Klägerin vorzulegen. Diese Anordnung an die Klägerseite war trotz der Wortwahl "aufgeben" ohne weiteres dahin zu verstehen, dass der abgelehnte Richter die Klägerin darauf hinwies, welche weiteren Tatsachen nach seiner Auffassung als Grundlage für die nach § 287 Abs. 1 ZPO zulässige Schätzung der Entstehung und des Umfanges des Schadens vorzutragen seien. Dabei handelt es sich um eine von § 139 Abs. 1 und 2 ZPO und § 278 Abs. 2 S. 2 ZPO gebotene Maßnahme sachgerechter Verfahrensleitung, die keine Besorgnis der Befangenheit gegenüber der anderen Partei zu rechtfertigen vermag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war nicht nach § 574 Abs. 3 S. 1 ZPO zuzulassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).

Der festgesetzte Streitwert entspricht dem Wert der Hauptsache. Der Senat schließt sich der in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach für das Ablehnungsverfahren der Wert der Hauptsache zugrunde zu legen ist (BGH NJW 1968, 796; OLG Frankfurt MDR 2006, 1079; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 3 Rn. 16 "Ablehnung").

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