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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 20.02.2007
Aktenzeichen: 5 U 24/05
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 343
ZPO § 240
Die Eröffnung eines Verfahrens nach Chapter 11 des US-Bankruptcy Code führt zur Unterbrechung des Rechtsstreits.
Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen des Abhandenkommens von Transportgut in Anspruch, mit Senatsurteil vom 6. Juni 2006 ist das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach festgestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2006 (Bl. 369 bis 378 d. A.) hat die Beklagte dargelegt, dass über ihr Vermögen bereits am 15. September 2005 ein Verfahren nach Chapter 11 des US-Bankruptcy Code (im folgenden: Chapter 11 B.C.) eröffnet worden ist und im Hinblick hierauf beantragt, das Ruhen des Verfahrens auszusprechen.

Die Klägerin ist dem Antrag entgegengetreten, das Verfahren nach Chapter 11 B.C sei kein Insolvenzverfahren im Sinne von § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO.

II.

Da zwischen den Parteien in der Sache streitig ist, ob das Verfahren unterbrochen ist, ist dies, weil der Senat die Unterbrechung bejaht, durch Zwischenurteil ( § 303 ZPO) auszusprechen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1981 - II ZR 129/80, BGHZ 82, 209, Juris-Rz. 21; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., vor § 239, Rz. 3).

Die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens, das nach dem ihm zugrundeliegenden Recht - dem Konkursstatut - eine individuelle Rechtsverfolgung in bezug auf das in Deutschland belegene Vermögen des Schuldners untersagt, hat nach Inkrafttreten der Vorschrift des § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO am 20. März 2003, die ohne Übergangsregelung mit dem Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts vom 14. März 2003 (BGBl. I 345) eingefügt worden ist, zur Folge, dass ein anhängiger inländischer Rechtsstreit unterbrochen wird, der die Insolvenzmasse betrifft.

Diese Voraussetzung ist im Hinblick darauf erfüllt, dass am 15. September 2005 ein Verfahren nach Chapter 11 B.C. gegen die Beklagte eröffnet worden ist, das gemäß § 362 B.C. universale Geltung hat (vgl. Taupitz, ZZP 105 (1992), 218 (225)).

Das zur Beurteilung heranzuziehende us-amerikanische Recht konnte der Senat auf der Grundlage vorliegender Veröffentlichungen (2003 Collier Pamphlet Edition Part 1 Bankruptcy Code - Text And Legislative History Of Bankruptcy Reform Act Of 1978, As Amended Through November 2002, And Related Statutory Provisions, LexisNexis, Matthew Bender) gemäß § 293 ZPO feststellen, ohne dass es der Einholung sachverständigen Rates bedurft hätte, weil die Parteien die getroffenen Feststellungen des fremden Rechts nicht in Frage gestellt und auch keine abweichende Rechtspraxis geltend gemacht, vielmehr im Rechtsstreit auf der Grundlage der Regelungen des Chapter 11 B.C. argumentiert haben.

Dieses Verfahren ist als ausländisches Insolvenzverfahren anerkennungsfähig (§ 343 Abs. 1 Satz 1 InsO).

Das Verfahren, das freiwillig oder unfreiwillig eingeleitet werden kann, führt mit Antragstellung zum Ausschluss anderer Verfahren der Gläubiger gegen das Vermögen des Schuldners ("automatic stay"), der Schuldner behält Besitz und Kontrolle über sein Vermögen und erfüllt selbst alle Aufgaben und Pflichten eines trustee (vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rz. 625; Smid/Rattunde, Der Insolvenzplan, 2. Aufl. 2005, Rz. 2.37; Jander, RIW/AWD 1981, 744 (750).

Das Gericht ernennt ein Gläubigerkomitee; der Schuldner muss einen Vorschlag zur Reorganisierung oder Liquidation einbringen und dessen Annahme binnen 180 Tagen nach Antragstellung zu erreichen suchen, anderenfalls ein solcher Plan von jeder betroffenen Partei erstellt werden kann; ein Reorganisationsplan teilt die Gläubiger in Gruppen ein und legt die Rechte einer jeden fest; Gruppen, die sich benachteiligt fühlen, können über den Plan abstimmen, wobei besondere Abstimmungsregeln gelten; stimmen nicht alle Gläubigergruppen zu, trifft das Gericht eine eigene Entscheidung auf der Grundlage dessen, was es für recht und billig hält, kann aber auch nicht zustimmende Parteien durch Beschluss an den Schuldnerplan binden (Hay, a. a. O.; vgl. auch Jander, a. a. O., S. 750, 751; vgl. zum Ablauf des Sanierungsverfahrens auch Riesenfeld, KTS 1983, S. 85ff).

Ob dieses Verfahren nach deutschen Rechtsgrundsätzen als Insolvenz[Konkurs]verfahren zu qualifizieren ist, wird nicht einheitlich beantwortet.

In einer älteren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof dies unterstellen können (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1990, IX ZR 27/89, NJW 1990, 990, Juris-Rz. 15), später hat er die Frage, ob der Antrag auf Einleitung eines Verfahrens nach Chapter 11 B.C. einem Konkursantrag gemäß § 30 KO gleichsteht, offen gelassen (vgl. Urteil vom 11. Juli 1991, - IX ZR 230/90, ZIP 1991, 1014, Juris-Rz. 20 ff.). Das OLG Hamburg (IPRax 1992, 170) hat die Frage verneint, weil die nach deutschem Recht notwendigen Voraussetzungen einer Konkurseröffnung, nämlich Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, nicht stets vorliegen müssten und auch die Organe der Gesellschaft regelmäßig verfügungsberechtigt blieben.

Im Schrifttum ist die Anerkennungsfähigkeit des amerikanischen Reorganisationsverfahrens vereinzelt für den Fall, dass Konkurs-, nach heutigem Recht Insolvenzgründe nicht vorliegen, verneint worden (vgl. Balz, EWiR 1990, 257, 258).

Demgegenüber wird mehrheitlich die Anerkennungsfähigkeit befürwortet.

Zum Teil wird dies damit begründet, dass nach amerikanischer Auffassung auch die Reorganisation, nicht anders als die Liquidation, Gläubigerbefriedigung in einer äquivalenten Form bezweckt und während des Verfahrens jederzeit die Möglichkeit besteht, es bei Aussichtlosigkeit einer Reorganisation in die Liquidation (vgl. zur Relevanz dieses Kriteriums BGH, Urteil vom 11. Juli 1991, a. a. O., Juris-Rz. 21 m. w. N.) überzuleiten (vgl. Flessner/Schulz, IPRax 1991, 163; Jander, a. a. O., S. 745; Riesenfeld, a. a. O., S. 98).

In der Vergangenheit ist darauf hingewiesen worden, dass auch das deutsche Recht die Bereinigung der Insolvenzsituation durch das liquidierende Konkursverfahren und das die Liquidation abwendende Vergleichsverfahren kennt und die anerkannte entsprechende Anwendung des internationalen Konkursrechts auf das internationale Vergleichsrecht auch bei der Qualifikation von Vergleichsverfahren berücksichtigt werden müsse (vgl. Reinhart, Sanierungsverfahren im internationalen Insolvenzrecht, 1995, S. 151 ff; Mohrbutter/Wenner, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 7. Aufl. 1996, Anm. XXIII.108), ferner darauf, dass das Insolvenzplanverfahren sein Vorbild im Ch. 11 B.C.-Verfahren gefunden hat (vgl. Wittig, ZInsO 1999, 373; Smid/Rattunde, a. a. O., Rz. 2.35).

Hervorgehoben wird in jüngerer Zeit, dass das Verfahren nach Chapter 11 B.C. als Reorganisations- oder Sanierungsverfahren nicht als reines Entschuldungs-verfahren qualifiziert werden kann, der geordneten Lösung des finanziellen Zusammenbruchs des Schuldners dient, also der Einwand, die Insolvenzgründe müssten nicht stets vorliegen, in funktionaler Betrachtung zu eng gegriffen ist (vgl. Graf, Die Anerkennung ausländischer Innsolvenzentscheidungen, Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 113 (2003), S. 279, 280) und den erweiterten Zielsetzungen moderner Insolvenzgesetze nicht gerecht wird, die, wie im inländischen Planverfahren nach §§ 217 InsO zum Ausdruck kommt, auch die Aufrechterhaltung und Sanierung des Schuldners ohne Zerschlagung und Versilberung von Vermögenseinheiten zum Ziele haben (vgl. Uhlenbruck/Lüer, InsO, 12. Aufl. 2002, Art. 102, Rz. 126, 127; Mohrbutter/Wenner, a. a. O., Anm. XXIII.107)). Selbst reine Entschuldungsverfahren, die sog. "Null-Pläne", sind nach deutschem Insolvenzrecht zulässig (vgl. Graf, a. a. O., S. 280), jedenfalls in der Verbraucherinsolvenz anerkannt (vgl. OLG Köln, ZIP 1999, 1929, Juris-Rz. 13), weil eine bestimmte Mindestquote als Ergebnis einer konkursmäßigen Befriedigung nach deutschem Recht nicht vorausgesetzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2001 - IX ZB 51/00, NJW 2002, 960, Juris-Rz. 16).

Es ist weder zu fordern, dass das ausländische Verfahren in seiner Ausgestaltung einem inländischen Insolvenzverfahren spiegelbildlich entspricht (vgl. Mohrbutter/Wenner, a. a. O:, Anm. XXIII.106; Taupitz, a. a. O., S. 226), noch ist im Rahmen der Qualifikation zu prüfen, ob die Rechtsstellung der Gläubiger der nach der InsO entspricht (vgl. MünchKommInsO-Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rz. 21).

Die Grenze der Anwendung ausländischen Sanierungsrechts ist erst der ordre public, die nicht allein deshalb überschritten wird, weil das US-amerikanische Sanierungsverfahren bei Schuldnerantrag ohne den Nachweis der hiesigen Insolvenzgründe eröffnet werden kann (vgl. Wenner, KTS 1990, 429 (432)), zumal das Verfahren sich auf Insolvenz gründet, die unwiderleglich zu vermuten ist, wenn sich der Schuldner damit einverstanden erklärt, weil er die damit verbundenen Risiken und Nachteile als solventer Schuldner kaum auf sich laden wird (vgl. Flessner, IPRax 1992, 151 (152), ihm folgend Reinhart, Sanierungsverfahren im internationalen Insolvenzrecht, 1995, S. 168).

Der Senat hält die für die Qualifikation des Chapter 11 B.C.-Verfahrens als Insolvenzverfahren angeführten Gründe in ihrer Gesamtheit für überzeugend und schließt sich dieser Auffassung an. Entscheidender Gesichtspunkt für die Qualifikation ist, ob das ausländische Verfahren die Regelung eines insolvenzrechtlichen Tatbestandes, der Insuffizienz des Schuldnervermögens, bezweckt (vgl. Stephan in HK-InsO, 4. Aufl. 2006, § 343, Rz. 6). Diese Voraussetzung erfüllt das Verfahren nach Chapter 11 B.C.. Die Tatsache, dass dem Schuldner zu Verfahrensbeginn großzügig Schutz vor den Gläubigern gewährt wird, nachdem diese - jedenfalls in der Anfangszeit - nicht den Übergang des Verfahrens in die Liquidation beantragen können, hat als rechtspolitischer Gesichtspunkt der Verfahrensausgestaltung bei der grundsätzlichen Qualifikation des Verfahrens als (us-amerikanischem) Insolvenzverfahren, in dem eine Reorganisation des Schuldners nur mit Zustimmung der Gläubiger erzielt werden kann, außer Betracht zu bleiben (vgl. Reinhart, a. a. O., S. 176).

Der Unterbrechung des Verfahrens steht nicht entgegen, dass der Entscheidung zugrunde zu legen ist, dass die Beklagte nach dem Konkursstatut die Verfügungsbefugnis über das insolvenzbefangene Vermögen nicht verloren hat und damit weiter prozessführungsbefugt ist.

Vor Inkrafttreten des § 352 InsO war im Anwendungsbereich von § 240 ZPO, der die Unterbrechung des Verfahrens, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, durch Insolvenzeröffnung regelt, anerkannt, dass die Norm dem infolge der Insolvenzeröffnung eintretenden Wechsel der Prozessführungsbefugnis Rechnung tragen und sowohl dem Konkursverwalter als auch den Parteien Gelegenheit geben soll, sich auf die durch die Verfahrenseröffnung veränderte rechtliche und wirtschaftliche Lage einzustellen, und dass dieser Gesetzeszweck auf die Eröffnung eines Konkurses im Ausland in gleicher Weise zutreffe, sofern u. a. das ausländische Konkursrecht die ausschließliche Prozessführungsbefugnis des Verwalters über das Massevermögen vorsehe (vgl. die noch unter Geltung der KO ergangene Entscheidung des BGH, Beschluss vom 13. Mai 1997 - IX ZR 309/96, NJW 1997, 2525, Juris-Rz. 9, 10).

Der Wechsel der Prozessführungsbefugnis nach der lex fori concursus wird in der Kommentarliteratur teilweise als Voraussetzung des Eintritts der Unterbrechung gemäß § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO gefordert (vgl. Geimer, Inernationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2005, Rz. 3529; Andres/Leithaus/Dahl, InsO 2006, § 352, Rz. 3; Mohrbutter/Wenner, a. a. O., Anm. XXIII.159).

Die Gegenmeinung, die die Unterbrechenswirkung unabhängig vom Verlust der Prozessführungsbefugnis eintreten lässt (vgl. Stephan a. a. O, § 352, Rz. 5; Frankfurter Kommentar zur InsO /Wimmer, 4. Aufl. 2006, § 352, Rz. 4), stellt hingegen zu Recht darauf ab, dass das Bedürfnis nach einer Unterbrechung unabhängig von der Prozessführungsbefugnis besteht, da sie auch dazu dient, einen störungsfreien Ablauf des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen und den Verfahrensbeteiligten eine Prüfungs- und Überlegungsfrist einräumen will (vgl. Stephan a. a. O, § 352, Rz. 5). Überdies sieht § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO die automatische Unterbrechung vor. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (vgl. BT-Drucksache 12/2443 zu § 391) heißt es ausdrücklich, dass in dem Ausnahmefall, in dem die ausländische Rechtsordnung dem Schuldner die Befugnis zur Fortführung eines anhängigen Prozesses belässt, so im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ohne Insolvenzverwalter, nach Satz 1 zunächst eine Unterbrechung des inländischen Verfahrens eintritt, der Schuldner jedoch nach Satz 2 selbst zur Aufnahme berechtigt ist (so auch Frankfurter Kommentar zur InsO /Wimmer, 4. Aufl. 2006, § 352, Rz. 4, MünchKommInsO-Reinhart, a. a. O., Rz. 352; Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 132, Rz. 49, 50). Allein dieses Ergebnis steht damit in Einklang, dass im Anwendungsbereich des § 240 ZPO eine Unterbrechung des Verfahrens ebenfalls eintritt, wenn mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Inland Eigenverwaltung (§ 270 InsO) des Schuldners angeordnet wird (vgl. MünchKommInsO-Reinhart, a. a. O., Rz. 352, Zöller/Greger, ZPO, 26. Auflage 2007, § 240, Rz. 5; OLG München MDR 2003, 412 (413)).

Nebenentscheidungen im Zwischenurteil waren nicht veranlasst.

Die Revision war zuzulassen.

Das Zwischenurteil ist vorliegend entsprechend §§ 280 Abs.2, 304 Abs. 2 ZPO wie ein Endurteil anfechtbar, weil es die Klägerin durch den Ausspruch, das Verfahren sei unterbrochen, jedenfalls unbestimmte Zeit daran hindert, ihre Ansprüche im Rechtsstreit weiter zu verfolgen, obwohl sie der Ansicht ist, die gesetzlichen Voraussetzungen der Unterbrechung lägen nicht vor, was mit der Justizgewährungspflicht des Staates nicht vereinbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21.10.2004 - IX ZB 205/03, NJW 2005, 290). Die Zulassung der Revision ist wegen der Grundsatzbedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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