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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 25.08.2008
Aktenzeichen: 5 UF 155/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1671
BGB § 1687
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die gemäß §§ 629a I, 621e ZPO eingelegte Berufungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß eingelegt und begründet.

In der Sache hat das Rechtsmittel den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

Der Senat ist entgegen der Auffassung des Familiengerichts aufgrund der weiteren Ermittlungen davon überzeugt, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf die Antragstellerin dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1671 I, II Nr. 2 BGB).

Das nach Art. 6 II S. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht setzt angesichts der schweren Belastungen und Herausforderungen, denen Kinder durch den Umstand der Ehescheidung und dem damit entstehenden Leben zwischen zwei elterlichen Welten verbunden mit auseinander strebenden Werte- und Anschauungssystemen ausgesetzt sind, für eine gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen, die sich am Kindeswohl auszurichten hat. Für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Sorge fehlen, bedarf das Elternrecht der gesetzlichen Ausgestaltung (vgl. BVerfGE 92, 158, BVerfG FamRZ 2003, 285). Dem dient § 1671 I in Verbindung mit II Nr. 2 BGB, der bestimmt, dass einem Elternteil auf Antrag die elterliche Sorge oder ein Teil der elterlichen Sorge allein zu übertragen ist, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohle des Kindes am besten entspricht.

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung bedeutet die gesetzliche Regelung nicht, dass dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge ein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt wird. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist. Für die allgemein gehaltene Aussage, dass eine gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern dem Kindeswohl prinzipiell förderlicher sei als die Alleinsorge eines Elternteils, besteht in der kinderpsychologischen und familiensoziologischen Forschung auch weiterhin keine empirisch gesicherte Grundlage (vgl. Staudinger/Coester, BGB, 2004, § 1671, Rdnr 112 m.w.N. zum Forschungsstand; BGH FamRZ 2008, 592). Einer solchen Regelung stünde bereits entgegen, dass sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lässt (vgl. BGH MDR 2005, 1112; 2000, 31, FamRZ 1999, 1646 f). Für das Wohl des bereits durch die Scheidung belasteten Kindes ist die Kooperationsbereitschaft der Eltern in Bezug auf seine Person von wesentlicher Bedeutung (BGH FamRZ 2008, 251, 254 m.w.N.).

Wenn sich die Eltern bei Fortbestehen der gemeinsamen elterlichen Sorge fortwährend beschimpfen und verunglimpfen und über die das Kind betreffenden Angelegenheiten keine Gemeinsamkeiten herbeiführen und keine angemessenen Gespräche ohne Anschreien führen können, sondern sich in wiederholte auch gerichtliche Streitigkeiten verwickeln, kann dies zu Belastungen führen, die mit dem Wohle des Kindes nicht vereinbar sind. In solchen Fällen, in denen die gemeinsame Sorge praktisch nicht "funktioniert" und es den Eltern nicht gelingt, zu Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, kann die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl zuwiderlaufen und seine Beziehungsfähigkeit und Entwicklung beeinträchtigen. Ist das Gericht davon überzeugt, dass die Eltern auch in absehbarer Zukunft keine gemeinsame Kommunikationsbasis für das Kind betreffende Fragen finden können, darf es davon ausgehen, dass eine Beibehaltung der gemeinsamen Sorge mehr Nachteile als Vorteile für das Kind mit sich bringen würde. Hierbei steht bereits das Risiko, dass das Kind durch die gemeinsame Sorge verstärkt dem fortdauernden Konflikt der Eltern ausgesetzt wird, regelmäßig der Feststellung einer Kindeswohldienlichkeit der gemeinsamen Sorge entgegen. In solchen Fällen ist der Alleinsorge gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge der Vorzug zu geben (BGH a.a.O.).

Auf die Frage, wer diese für den Senat anlässlich der Anhörung sichtbar gewordene Belastungssituation des Kindes verursacht, respektive verschuldet haben könnte, kommt es entgegen der Ansicht des Antragsgegners aus der Sicht des Kindeswohles nicht maßgeblich an. Die Entscheidung für die Alleinsorge eines Elternteils hat weder Bestrafungs- noch Belohnungsfunktion für die Eltern. Für das Wohl des Kindes kommt es nämlich nicht entscheidend darauf an, welcher Elternteil in der Vergangenheit in der einen oder anderen Weise handelte, um den aktuellen Lebenszustand herbeizuführen. Für das Kind ist vielmehr entscheidend, dass für seine weitere Entwicklung in der Zukunft sichergestellt wird, dass die aus der Trennung der Eltern und der nicht funktionierenden gemeinsamen Sorge entstehenden nachteiligen Folgen und insbesondere der dauernde Streit der Eltern ein Ende finden. Die bloße Pflicht zur Konsensfindung vermag eine tatsächlich nicht bestehende Verständigungsmöglichkeit nicht zu ersetzen. Denn nicht schon das Bestehen der Pflicht allein ist dem Kindeswohl dienlich, sondern erst die tatsächliche Pflichterfüllung, die sich in der Realität eben nicht verordnen lässt (BGH FamRZ 2008, 592, 593 m.w.N.).

Die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge voraus und verlangt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern. Zu diesen wesentlichen Bereichen gehört auch das Umgangsrecht des nicht betreuenden Elternteils, das zu den Angelegenheiten mit erheblicher Bedeutung i.S.v. § 1687 I S. 1 BGB zählt. Ein gegen die Kooperationspflicht verstoßendes pflichtwidriges Verhalten eines Elternteils kann aber nicht mit aufgezwungener gemeinsamer elterlicher Sorge sanktioniert werden. Die am Kindeswohl auszurichtende Organisationsform der Elternsorge ist dafür kein geeignetes Instrument. Dem steht schon die verfassungsrechtliche Wertung entgegen, dass sich die Elterninteressen in jedem Falle dem Kindeswohl unterzuordnen haben. Steht zu erwarten, dass auch zukünftig keine Kooperation erfolgt, ist die erzwungene Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl nicht zuträglich, denn die fortgesetzte destruktive Haltung der Eltern führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen und zwar unabhängig davon, welcher Elternteil die Verantwortung für die fehlende Verständigungsmöglichkeit trägt. Erst bei der Frage, wem dann die elterliche Sorge übertragen werden soll, sind die in dem unkooperativen Verhalten liegenden Indizien gegen eine Erziehungseignung zu gewichten (BGH FamRZ 2008, 592 m.w.N.).

Der Senat ist aufgrund der konkreten tatrichterlichen Feststellungen des Amtsgerichts und den weiteren Ermittlungen des Senats, insbesondere der Anhörung der Beteiligten und des Kindes sowie dem Inhalt des Sachverständigengutachtens der Dipl.-Psych. SV1 vom 25.3.2008 davon überzeugt, dass für eine Fortsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge keine Basis vorhanden ist.

Seit der im Jahre 2002 erfolgten Trennung der Eltern haben sich die damaligen unüberbrückbaren Differenzen - wie in der mündlichen Anhörung nachdrücklich deutlich wurde - nicht abgebaut. Es findet zwischen ihnen keine Form einer konstruktiven Kommunikation statt, so dass es ihnen nicht möglich ist, ihre jeweiligen Ressourcen und Kompetenzen für eine einvernehmliche Lösung der sorgerechtlichen Konflikte zu aktivieren. Der Antragsgegner, der sich bereits seit dem Jahre 2002 in Deutschland aufhält, ist bislang der deutschen Sprache nicht mächtig und hat demgemäß keine Möglichkeit, ohne fremde Hilfe Zugang zum Lebensbereich seines Kindes zu finden. Notwendige Hilfen, wie sie die Sachverständige zur Stärkung der Erziehungskompetenzen empfohlen hat, werden von beiden Elternteilen nicht mit Nachdruck und innerer Überzeugung in Anspruch genommen.

Bei der nach § 1671 II Nr. 2 BGB gebotenen familiengerichtlichen Auswahl zwischen den beiden in Betracht kommenden Elternteilen spricht für eine dem Antrag der Antragstellerin entsprechende Regelung, dass sich das Kind seit seiner Geburt und seit dem Wechsel nach Deutschland im Jahre 2002 ununterbrochen in der Obhut der Antragstellerin befindet. Der Antragsgegner, der seinerseits nicht die Alleinsorge für das Kind begehrt, räumt ein, dass der Lebensmittelpunkt des Kindes auch zukünftig bei der Mutter sein soll. Das Kind hat gegenüber der Sachverständigen und in seiner richterlichen Anhörung nachdrücklich deutlich gemacht, dass es bei seiner Mutter leben will und den Kontakt zum Antragsgegner ablehnt.

Die Antragstellerin zeigt nach den Feststellungen der Sachverständigen Erziehungskompetenz und Kontinuität in allen gesundheitlichen, organisatorischen und pragmatischen Angelegenheiten, die für das Kind geregelt werden müssen. Sie vereinbart unter großen Anstrengungen und mit Hilfe ihrer Mutter Berufstätigkeit und Kindeserziehung, ist der deutschen Sprache mächtig und geht auf die Lebenswelt des Kindes ein, so dass sich das Kind in schulischen und sozialen Belangen positiv entwickeln konnte. Im Bereich der insbesondere für das Umgangsrecht bedeutsamen Nähe-Distanz-Regulierung und der Grenzsetzung gegenüber der Tochter lässt sie allerdings deutlichen Unterstützungsbedarf erkennen.

Demgegenüber zeigt der Antragsgegner nach den sachverständigen Ausführungen bislang keine erkennbaren Erziehungskompetenzen. Seine durchgehend passive und unreflektierte Haltung, seine fehlenden Sprachkenntnisse und seine Unkenntnis über die Rolle als Vater korrespondieren mit seiner Unfähigkeit, sich in die kindliche Erlebniswelt und die Bedürfnisse seines Kindes einzufühlen.

Auch wenn es der Senat kritisch zur Kenntnis nimmt, dass die Antragstellerin die von der Sachverständigen ausgesprochenen Empfehlungen zur Stärkung ihrer Erziehungskompetenzen aus einer von ihr beschriebenen aber unbegründeten Angst, dies könne sich nachteilig auf die Beurteilung ihrer Person auswirken, nicht wahrgenommen hat und demgemäß vor allem Defizite im Bereich der Realisierung des väterlichen Umgangsrechts zeigt, bietet der Antragsgegner doch keine Alternative zu einer Sorgerechtsübertragung auf die Kindesmutter.

Da eine tragfähige Beziehung zwischen den Eltern nicht feststellbar ist, sieht der Senat auch keine dauerhaft realistische Chance für ein kooperatives Verhalten in bestimmten Teilbereichen des Sorgerechts. Soweit es dem Antragsgegner um einen persönlichen Kontakt zu seinem Kind geht, wird es ihm obliegen, diesbezüglich einfühlsame Aktivitäten zu entfalten, um sein Verhältnis zu seinem in Ablehnung verharrenden Kind positiv zu entwickeln. Hierbei erwartet der Senat von der Antragstellerin, dass sie an ihren diesbezüglich bestehenden Defiziten mit fachkundiger Unterstützung arbeitet, um solche Kontakte in die Tat umsetzen zu können. Die Frage, wie dies im Einzelnen gewährleistet werden kann, war im Rahmen der Entscheidung über die Berufungsbeschwerde der Antragstellerin gegen die in dem Urteil abgelehnte Sorgerechtsregelung nicht abschließend zu beantworten. Das in dem Urteil detailliert geregelte Umgangsrecht des Antragsgegners ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

Ende der Entscheidung

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