Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.08.2008
Aktenzeichen: 5 W 23/08
Rechtsgebiete: EUZustellVO, ZPO


Vorschriften:

EUZustellVO § 8
EUZustellVO § 10
ZPO § 1070
Die Annahmeverweigerung nach Art. 8 Abs. 1 EUZustell-VO kann auch gegenüber der Übermittlungsstelle erklärt werden.
Gründe:

Der Kläger nimmt die Beklagte, eine juristische Person italienischen Rechts, ohne Angabe eines gesetzlichen Vertreters auf Feststellung und mittels Stufenklage auf Auskunft und noch unbestimmte Provisionszahlung in Anspruch. Nach seiner Mitteilung, "die Beklagte sei der deutschen Sprache mächtig" und nach Ablehnung einer Zustellung der Klage gegen internationalen Rückschein ist ein italienisches Gericht, das Tribunale di Milano, unter Verwendung des Formblatts gemäß Anhang I zur EG-Verordnung Nr. 1348/2000 (künftig: EUZustellVO) um die Zustellung einer unübersetzten Abschrift der Klageschrift, der Aufforderung zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft im schriftlichen Vorverfahren und eines Beschlusses zur Angabe eines inländischen Zustellbevollmächtigten ersucht worden. Die zuzustellenden Schriftstücke sind am 1.4.2008 einer vertretungsberechtigten Mitarbeiterin der Beklagten, Frau ..., übergeben worden. Ein Zustellzeugnis wurde nicht unter Verwendung des Anhangs I zur EUZustellVO ausgestellt, sondern durch handschriftlich ergänzten Stempelaufdruck in italienischer Sprache die Aushändigung bestätigt. Mit gleichlautenden Schreiben vom 22.4.2008 an den Klägervertreter und das Landgericht, dort am 9.5.2008 eingehend, hat die Beklagte durch einen hier nicht zugelassenen Bevollmächtigten mitteilen lassen, dass die Empfängerin ... des Deutschen nicht mächtig sei, über ein Annahmeverweigerungsrecht nicht belehrt worden sei und dass inzwischen dem italienischen Gericht gegenüber die Annahme der Zustellunterlagen verweigert worden sei.

Das Landgericht hat am 30.7.2008, zugestellt am 1.8.2008, nach Anhörung des Klägers den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren zurückgewiesen, weil die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Die Zustellung einer nicht übersetzten Klageschrift genüge nicht.

Mit der am 8.8.2008 beim Landgericht eingegangenen sofortige Beschwerde wird geltend gemacht, die Zustellung sei wirksam, weil die Beklagte die deutsche Sprache beherrsche, wie sich aus der vorprozessualen Korrespondenz ergebe. Die Verweigerung sei nicht erklärt, schon gar nicht in der Notfrist des § 1070 ZPO von zwei Wochen ab Zustellung. Das Landgericht hat am 11.8.2008 beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen und hat diese dem Beschwerdegericht vorgelegt.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 336 Abs.1 Satz 1 ZPO statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist (§ 569 Abs.1 ZPO) eingelegt worden. Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg, weil nach § 335 Abs.1 Nr.3 und Nr.4 ZPO der in der Klageschrift gestellte Antrag auf Versäumnisentscheidung zurückzuweisen ist. Auf § 335 ZPO kommt es an, weil die Mitteilung des italienischen Bevollmächtigten der Beklagten weder inhaltlich eine Verteidigungsanzeige ist noch wirksam erfolgt wäre. Dieses hätte nur durch einen bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt geschehen können (§ 78 Abs.1 ZPO, auch Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 276 Rz. 10).

a) Der Beklagten sind weder die Klage noch die Fristbestimmung zur Verteidigungsanzeige wirksam zugestellt worden. Die Übergabe vom 1.4.2008 an Frau ..., deren grundsätzliche Empfangsbefugnis für die Beklagte nach der Bestätigung des Zustellbeamten des Gerichts in Mailand und der Stellungnahme der Beklagten selbst nicht in Frage steht, war nicht wirksam. Denn die Bestätigung der Empfangsstelle ist keine Zustellungsurkunde iSd. Art.10 Abs.1 EuZustellVO iVm. Anhang I. Die Zustellung nach Italien war, wovon auch der Kläger zutreffend ausgeht, auf der Grundlage der EUZustellVO zu bewirken, die nach Art. 249 Abs.2 Satz 2 EGV unmittelbar geltendes Recht ist. Nach Art.10 Abs.1 Satz 1 der VO ist die Verwendung der Zustellbescheinigung in der textlichen Gestaltung des Anhangs I zwingend vorgeschrieben. Die Zustellbescheinigung enthält neben den Angaben, die auch der italienischsprachige Stempeldruck aufweist, aber unter 12.3 die Versicherung der verantwortlichen Person der Empfangsstelle, dass der Empfänger über sein Recht zu Annahmeverweigerung einer sprachlich nicht verstandenen Sendung informiert wurde.

Die Wirksamkeit einer inländischen Zustellung hängt nach deutschem Verständnis freilich nicht von der Ordnungsmäßigkeit der Zustellungsurkunde ab, die nur Beweiskraft hat (vgl. Zöller/Stöber, wie oben, § 182 Rz.19). Das gilt für eine Auslandszustellung nicht gleichermaßen. Denn in § 183 Abs.2 Satz 2 ZPO ist für die Auslandszustellung vorgeschrieben, dass sie durch ein Zeugnis der ersuchten Behörde nachgewiesen wird. Der BGH hat in der Entscheidung vom 13.11.2001 (VI ZB 9/01, NJW 2002, 52; auch Zöller/Geimer, wie oben, § 183 Rz.2 Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl. 2004, § 183 Rz.10) ausgeführt, auf das schriftliche Zeugnis könne nicht verzichtet werden. Dabei ist erforderlich, dass der Nachweis in Form und Inhalt dem geltenden Recht entspricht (Thomas/Putzo, wie vor).

b) Ob eine Heilung von Zustellfehlern grundsätzlich bei einer Auslandszustellung möglich ist, kann hier dahin stehen (verneinend: BGH vom 24.2.1972, II ZR 7/71 - NJW 1972, 1004; gegen Zöller/Geimer, wie oben, § 183 Rz. 29; auch Geimer, IZPR, 5. Aufl. 2005, Rz, 2102; OLG Hamm FamRZ 2000, 898). Eine Heilung ist nämlich im Anwendungsbereich der EUZustellVO durch Art.19 Abs.1 b jedenfalls in der durch den EUGH gefundenen Ausprägung (EUGH NJW 2006, 491) dem jeweiligen nationalen Recht am Ort des Verfahrens unterstellt, sodass in Deutschland insoweit § 189 ZPO heranzuziehen ist (vgl. Rauscher/Heiderhoff, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2006, Art.19 EG-ZustellVO Rz. 15). Danach genügt es für eine Klageschrift, wenn festgestellt ist, dass das Schriftstück tatsächlich dem Beklagten persönlich ausgehändigt worden ist. Solches steht nach der Mitteilung der Beklagten vom 22.4.2008 und der - nur - formwidrigen Bescheinigung der Empfangstelle ausreichend fest. Für die Heilung kommt es nicht darauf an, ob die zuzustellenden Schriftstücke in verständlicher Sprache gehalten waren, weil es auch für die Zustellung selbst darauf nicht ankam. Aus § 1070 S.2 ZPO folgt, dass wegen Unverständlichkeit der Zustellsendung nur ein Recht begründet wird, die Annahme zu verweigern. Die später mögliche Ausübung des Rechts setzt nach § 1070 S.2 ZPO die erfolgte Zustellung gerade voraus, denn die Zustellung soll die Notfrist von zwei Wochen zur Annahmeverweigerung in Lauf setzen.

Die berechtigte Annahmeverweigerung macht die erfolgte Zustellung dann nachträglich mangelhaft (vgl. auch MüKo/Rauscher, 3. Aufl. 2008, § 1070 Rz.4). Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLGR 2005, 551 - hier Rz. 23 bei jurisweb) übersieht bei seiner gegenteiligen Ansicht, eine Heilung komme nicht in Betracht, wenn die fehlende Übersetzung Grund für den Zustellmangel ist, dass die Zustellung selbst von der Ausübung des Verweigerungsrechts zu trennen ist. Die Entscheidung wird der - damals allerdings noch nicht bekannten - Ansicht des EUGH nicht gerecht (NJW 2006, 491- Antwort zur ersten Frage, Erwägung Nr.5).

c) Die Annahmeverweigerung ist gegenüber dem Landgericht mit dem Schreiben der Beklagten vom 22.4.2008 erklärt worden. Sie ist eine zugangsbedürftige Willenserklärung, die auch gegenüber der Übermittlungsstelle, also hier dem Landgericht, abgegeben werden kann (vgl. MüKo/Rauscher, wie oben, § 1070 Rz. 14). Denn bei ordnungsgemäßer Zustellung müsste der Adressat neben dem Hinweis zur Annahmeverweigerung gemäß Art.8 Abs.1 EUZustellVO durch die Empfangsstelle auch durch die deutsche Übermittlungsstelle zusätzlich nach § 1070 S.3 ZPO einen Hinweis auf die Verweigerungsfrist erhalten. Die Erklärung ist wirksam abgegeben, sie unterlag keinem Anwaltszwang. Sie geht der Entstehung eines Prozessrechtsverhältnisses, in dem § 78 Abs.1 ZPO zur Anwendung kommen könnte, noch voraus.

d) Die Annahmeverweigerung erfolgte aber gegenüber dem Landgericht verspätet, nämlich nach Ablauf der Notfrist von zwei Wochen (§ 1070 S.2 ZPO). Dass die Verweigerungsfrist, endend am 15.4.2008, etwa ansonsten durch eine rechtzeitige Erklärung gegenüber der Empfangsstelle gewahrt worden wäre, ist nicht festzustellen.

e) Der Beklagten ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Annahmeverweigerung zu gewähren (§ 233 ZPO, vgl. auch MüKo/Rauscher, wie oben, Rz.20). Ohne Antrag ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn die rechtfertigenden Gründe aktenkundig sind (vgl. Zöller/Greger, wie oben, § 236 Rz. 3). Die Beklagte war aktenkundig unverschuldet gehindert, rechtzeitig die Notfrist von zwei Wochen zur Zurückweisung einzuhalten. Denn das Landgericht hatte die nach § 1070 S.3 ZPO nötige Rechtsanwalt ist auch eine Unkenntnis des § 1070 ZPO mit Wirkung gegenüber der Beklagten nicht vorzuwerfen.

f) Die damit als rechtzeitig geltende Annahmeverweigerung gegenüber dem Landgericht war berechtigt, denn die Voraussetzungen des Art.8 Abs.1 b EUZustellVO lagen nicht vor. Es ist zum Nachteil des Klägers bei der gebotenen Amtsprüfung der Sachurteilsvoraussetzungen nicht festzustellen, dass die Belehrung über die nach deutschem Recht bestehende Notfrist nicht erteilt (vgl. Muster ZRH 6 zu § 31 i ZRHO). Dieser Mangel ist bis zum Eingang der Verweigerungserklärung am 9.5.2008 bei dem Landgericht nicht behoben gewesen, sodass auch eine Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs.1 ZPO nicht in Lauf gesetzt worden ist. Dass die Beklagte durch ihren italienischen Bevollmächtigten auf die Notwendigkeit einer Belehrung über die Annahmeverweigerung nach Art.8 Abs.1 EUZustellVO am 22.4.2008 hingewiesen hatte, steht einer Kenntnis von der Frist des § 1070 S.2 ZPO nicht gleich. Dem italienischen Beklagte die deutsche Sprache verstand. Auf eine Unkenntnis der deutschen Sprache könnte sich die Beklagte allerdings nicht berufen, wenn sie diese als Vertragssprache vereinbart hätte (vgl. EUGH NJW 2008, 1721). Das ist hier jedoch nicht gegeben, der Handelsvertretervertrag ist nur zweisprachig abgefasst. Dass er den deutschen Vertragstext als verbindlich erklärt, stellt keine Vereinbarung hinsichtlich der künftigen Sprachregelung dar. Eine Vermutung für Sprachkenntnisse kann aus der Vertragslage ebenfalls nicht hergeleitet werden.

Welche Anforderungen an das Sprachverständnis allgemein und bei einer juristischen Person bezogen auf welche Personen konkret zu stellen sind, lässt die EUZustellVO offen und ist in der Fachliteratur nur in Kernbereichen geklärt. Dass es insoweit nicht auf die Sprachkenntnisse des von der Zustellung betroffenen Organs ankommen kann, weil dies zu eher zufälligen Ergebnissen führt, scheint heute vorherrschende Auffassung (vgl. Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl. 2008, Anh.1 EuZustellVO Art.8 Rz. 1; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2003, Art.8 EuZVO Rz.2; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2004, Fn.18 zu A.3 Art.8). Ob es damit auf die Sprachkenntnisse jener Personen innerhalb der betrieblichen Organisation ankommen wird, die nach der organisatorischen Ausgestaltung mit der Bearbeitung einer solchen gerichtlichen Zustellung betraut sind, kann hier dahin stehen. Denn weder sind diese bekannt gemacht worden noch ist zu deren Sprachkenntnissen Vortrag gehalten. Aus dem Schriftwechsel in der Anlage zur Klageschrift kann schon deshalb nichts geschlossen werden, weil dieser mit einer Niederlassung der Beklagten in ... geführt wurde, während sich die Klageschrift an den Hauptsitz in ... bei Mailand richtete.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO. Weil eine Festgebühr nach dem GKG anfällt, war eine Wertfestsetzung entbehrlich. Von der Möglichkeit, die Gebühr nicht zu erheben, macht der Senat keinen Gebrauch. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück