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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 12.01.2006
Aktenzeichen: 6 U 241/04
Rechtsgebiete: DiätV, UWG


Vorschriften:

DiätV § 1 IV a
DiätV § 14 b III
UWG § 3
UWG § 4 Nr. 11
1. Allein aus der besonderen medizinischen Zweckbestimmung eines als bilanzierte Diät angebotenen Erzeugnisses kann eine Arzneimitteleigenschaft nicht hergeleitet werden.

2. Eine zu medizinischen Therapiezwecken formulierte ergänzende bilanzierte Diät muss keine Makronährstoffe enthalten.

3. Die DiätV verlangt für eine bilanzierte Diät zwar den Nachweis, dass sie im Ergebnis wirksam ist, nicht aber die vollständige Erklärung des diätetischen Wirkungszusammenhangs.

4. Die Wirksamkeit einer bilanzierten Diät muss nicht allgemein anerkannt und unumstritten sein. Es reicht ein Nachweis durch Vorlage von nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellten Studien.

5. § 14b III DiätV ist eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 4 Nr.11 UWG


Gründe:

I.

Der Kläger, ein Wettbewerbsverband, dem unter anderem eine Vielzahl von Unternehmen aus der Arzneimittelbranche angehören, wendet sich mit seiner Unterlassungsklage dagegen, dass die Beklagte das Mittel "P Kapseln" als (ergänzende) bilanzierte Diät in den Verkehr bringt und entsprechend bewirbt. Im Rahmen eines vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahrens hatte sich die Beklagte bereits strafbewehrt dazu verpflichtet, die beanstandeten Handlungen nicht mehr ohne den Hinweis bzw. Werbebezug "zur diätetischen Behandlung von androgenetisch bedingten (bzw. hormonell anlagebedingten) Haarwuchsstörungen und Haarausfall bei Frauen" vorzunehmen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (Bl 342 ff. d.A.) wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht hat unter Abweisung des weitergehenden Klageantrags die Beklagte verurteilt, es bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr das Mittel "P Kapseln"

1. als "diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät)" mit dem Hinweis "zur diätetischen Behandlung von androgenetisch bedingten (bzw. hormonell anlagebedingten) Haarwuchsstörungen und Haarausfall bei Frauen" in den Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben;

2. zu bewerben:

2.1. "Wieder gesundes und kräftiges Haar",

2.2. "Wird Ihr Haar zunehmend dünner und kraftloser? Zeigt Ihr Haar Anzeichen von Haarwachstumsstörungen oder Haarausfall? Helfen Sie Ihrem Haar von Grund auf, an der Haarwurzel.

Nur eine gesunde Haarwurzel kann gesundes und kräftiges Haar produzieren. P versorgt die Haarwurzel von innen mit wichtigen Nährstoffen, wie z.B. Hirseextrakt und Weizenkeimöl. P verbessert das Haarwachstum und wirkt gegen Haarausfall.",

2.3. "Mit P können Sie die gestörte Funktionsfähigkeit der Haarwurzel wieder herstellen und aktiv zu gesundem Haarwachstum beitragen.",

2.4. "P für die gezielte Versorgung der Haarwurzel, zur diätetischen Behandlung von Haarwachstumsstörungen und Haarausfall.",

2.5. "Wieder gesundes Haar - von Grund auf",

2.6. "Zur diätetischen Behandlung von

- Haarwachstumsstörungen verschiedener Ausprägung, wie z.B. dünner werdendes Haar

- Haarwachstumsstörungen oder Haarausfall infolge von Erkrankungen",

sofern die Aussagen 2.1. - 2.6. mit Bezug auf die diätetische Behandlung von androgenetisch bedingten Haarwuchsstörungen und Haarausfall bei Frauen verwendet werden.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Klageantrag zu Ziff. 1. sei, soweit die Wiederholungsgefahr nicht teilweise durch die Unterwerfungserklärung der Beklagten entfallen sei, gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG (bzw. § 1 UWG a.F.) i.V.m. §?14b Abs. 3 DiätV begründet, weil das Mittel "P" den gesetzlichen Anforderungen, die die Diätverordnung für bilanzierte Diäten festlege, nicht entspreche. Dabei könne offenbleiben, ob die einschlägigen Voraussetzungen der Diätverordnung (§ 1 Abs. 4a DiätV) schon deswegen nicht erfüllt seien, weil dem Mittel "P" Arzneimitteleigenschaft zukomme. Dahinstehen könne auch, ob "P Kapseln" diätetisch wirksam seien und ob ein etwaiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf nicht auch durch eine Modifizierung der normalen Ernährung, ggf. unter Einbeziehung von Nahrungsergänzungsmitteln, gedeckt werden könne. Denn jedenfalls dürfe das streitgegenständliche Produkt deshalb nicht als bilanzierte Diät in den Verkehr gebracht werden, weil sein Gehalt an Pantothensäure mit 50 mg bezogen auf 100 kJ des verzehrfertigen Erzeugnisses die nach der Anlage 6 zu § 14b DiätV zulässige Höchstmenge von 0,35 mg um nahezu das 143-fache überschreite. Die Grenzwerte gemäß der Anlage 6 besäßen auch für ergänzende bilanzierte Diäten uneingeschränkt Geltung. Die damit zugleich getroffene Entscheidung des Gesetzgebers für eine notwendige Einbeziehung von Makronährstoffen in ergänzende bilanzierte Diäten dürfe auch nicht durch eine zu großzügige Anwendung der in § 14b Abs. 5 DiätV normierten Ausnahmeregelung unterlaufen werden. Bei einer nach dieser Vorschrift in Fällen notwendiger Bedarfsanpassung grundsätzlich möglichen Abweichung von den nach Anlage 6 einzuhaltenden Höchst- und Mindestmengen sei der nach § 14b Abs. 5 Satz 2 DiätV zu gebende Hinweis ausreichend zu begründen. Der auf der Umverpackung des Produkts "P" aufgedruckte Hinweis "Aufgrund der besonderen Ernährungserfordernisse im speziellen Anwendungsbereich ist der Gehalt an Pantothensäure erhöht" genüge dieser Anforderung nicht. Außerdem habe die Beklagte nicht den ihr obliegenden wissenschaftlichen Nachweis dafür erbracht, dass für besondere Ernährungserfordernisse von Frauen mit androgenetisch bedingten Haarwachstumsstörungen und Haarausfall eine Bedarfsanpassung der in "P Kapseln" enthaltenen Nährstoffe notwendig sei. Die von X und Y erstellte Studie (Anlage BK 7 / Bl. 163 ff. d.A.) genüge insoweit nicht, weil die dort nach einem sechsmonatigen Behandlungszeitraum festgestellte Differenz der Anagenhaarquoten zwischen 87,6 % beim Verum-Kollektiv und 83% beim Placebo-Kollektiv angesichts der Rahmenbedingungen in ihrer Aussagekraft zweifelhaft sei und die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden könne, dass die erzielten Behandlungserfolge auf einem Placeboeffekt beruhten.

Des weiteren seien auch die Klageanträge zu Ziff. 2.1. bis 2.6. begründet, weil mit den angegriffenen Werbeaussagen dem Mittel "P Kapseln" Wirkungen beigelegt würden, die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert seien, und da außerdem für eine diätetische Behandlung geworben werde, obwohl die Voraussetzungen einer bilanzierten Diät nicht erfüllt seien.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie rügt, bei dem Urteil handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Das Landgericht habe in der mündlichen Verhandlung weder zu erkennen gegeben, dass der Verkehrsfähigkeit der "P Kapseln" eine Höchstmengenüberschreitung nach § 14b Abs. 3 i.V.m. Anlage 6 DiätV entgegenstehen könne, noch habe das Landgericht darauf hingewiesen, dass es die Studie X / Y für nicht ausreichend halte. Tatsächlich entspreche die vorgelegte Studie dem sog. "Goldstandard", genüge höchsten Anforderungen und sei in ihren Ergebnissen statistisch signifikant. Zur Frage, bei welchem prozentualen Wert der Normbereich der Anagenhaarquote beginnt, beruft sich die Beklagte auf eine im Eilverfahren bereits vorgelegte ergänzende Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. X vom 05.01.2004 (Schriftsatz vom 21.12.2005, Seite 22 / Bl. 556 d.A.) und legt Auszüge aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen vor (Anlagen BK 32 bis 36 / Bl. 590 ff. d.A.). Zu der weiteren Frage möglicher jahreszeitlicher Einflüsse auf die Ergebnisse der Studie legt die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. X vom 10.02.2005 (Anlage BK 22 / Bl. 495 d.A.) und eine E-Mail-Nachricht des inzwischen emeritierten Herrn Prof. Dr. Y (Bl. 666 d.A.) vor. Des weiteren trägt die Beklagte vor, der durch die Studie X / Y geführte Wirksamkeitsnachweis werde durch die Bewertung des Ökotrophologen Prof. Dr. A vom 15.03.2003 (Anlage BK 6 / Bl. 133 d.A.), die gutachterliche Stellungnahme des Diplomchemikers F vom 17.07.2004 zum Ernährungsnutzen von "P" (Anlage BK 15 / Bl. 286 ff. d.A.), das biometrische Gutachten (statistische Bewertung der Studie X / Y) des Herrn Dr. B vom 25.06.2004 (Anlage BK 16 / Bl. 299 ff. d.A.) sowie das biostatistische Gutachten (Anwendungsbeobachtung und Verwenderbefragung zur Wirksamkeit von "P") der C GmbH (Dr. D) vom 26.06.2004 (Anlage BK 17 / Bl. 303 ff. d.A.) ergänzend gestützt. Zur weiteren Bestätigung der Wirksamkeit präsentiert die Beklagte ein Gutachten des Dermatologen Prof. Dr. E vom 14.02.2005 (Anlage BK 23 / Bl. 496 ff. d.A.), das sich auf der Grundlage von In-vitro-Untersuchungen mit der Sinnhaftigkeit der hier verwendeten Wirkstoffkombination zur diätetischen Behandlung von androgenetisch bedingten Haarwachstumsstörungen bei Frauen befasst.

Weiter ist die Beklagte der Auffassung, dass kein Verstoß gegen § 14b Abs. 3 i.V.m. Anlage 6 DiätV vorliege. Denn die in der Anlage 6 genannten Höchstmengen müssten richtigerweise nach dem durchschnittlichen täglichen Energiebedarf eines Erwachsenen berechnet werden. Auf das verzehrfertige Erzeugnis könne nur bei vollständigen bilanzierten Diäten abgestellt werden. Werde aber dennoch eine Höchstmengenüberschreitung angenommen, so sei diese wegen des hier erhöhten Bedarfs an Pantothensäure, der wissenschaftlich bewiesen sei, gemäß § 14b Abs. 5 DiätV zulässig. Es genüge insoweit der durch die Studie X / Y geführte Nachweis der Wirksamkeit der bilanzierten Kombination von Hirseextrakt, Calciumpantothenat und L-Cystin; der genaue Wirkmechanismus müsse nicht bekannt sein. Durch den auf der Packung angebrachten Hinweis habe die Beklagte die Höchstmengenüberschreitung auch ausreichend begründet; ausführliche wissenschaftliche Erklärungen könnten insoweit nicht gefordert werden.

Schließlich meint die Beklagte, bei § 14b Abs. 3 DiätV handele es sich um eine reine Marktzutrittsregelung. Schon deshalb liege der vom Landgericht angenommene Unlauterkeitstatbestand des § 4 Nr. 11 UWG nicht vor.

Im Verhandlungstermin vor dem Senat hat die Beklagte ihre zunächst auf vollständige Klageabweisung gerichtete Berufung teilweise zurückgenommen, soweit es die Verurteilung im angefochtenen Urteil gemäß Ziff. 2.6., zweiter Spiegelstrich, betrifft.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise, mit Ausnahme der Verurteilung zu Ziff. 2.6., zweiter Spiegelstrich, abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen. Der Kläger meint, bei einem im wesentliches aus Mikronährstoffen bestehendes Mittel, das deshalb nicht in den durch die Anlage 6 zur DiätV gezogenen Rahmen passe, bestehe für eine Qualifizierung als ergänzende bilanzierte Diät keine Rechtfertigung und im Hinblick auf den möglichen Vertrieb als Nahrungsergänzungsmittel auch kein praktisches Bedürfnis. Die Ausnahmevorschrift des § 14b Abs. 5 DiätV komme schon deswegen nicht zur Anwendung, weil auf der Verpackung kein hinreichend aussagekräftiger Hinweis auf die Höchstmengenüberschreitung gegeben werde, zumindest aber fehle es an der außerdem notwendigen Begründung.

Weiter wendet der Kläger ein, das beworbene Mittel "P" diene nicht dem behaupteten diätetischen Zweck, weil seine angebliche Wirksamkeit nicht auf Fälle von Unterernährung oder krasser Fehlernährung bezogen sei und offensichtlich überhaupt nicht mit Ernährung zusammenhänge, sondern allenfalls pharmakologisch zu erklären sei. Bereits aus diesem Grund erfülle das Mittel nicht die Voraussetzungen einer bilanzierten Diät.

Des weiteren hält der Kläger daran fest, dass die Beklagte den Wirksamkeitsnachweis nicht geführt habe. Das Gutachten X / Y sei unzureichend. Die in der Placebo-Gruppe festgestellte Verbesserung der Anagenhaarquote von 74,5% auf 83% habe nicht schlüssig erklärt werden können. Zudem sei das Placebo im Ergebnis ebenso wirksam gewesen wie das Verum, da der Normbereich der Anagenhaarquote bei 80%, nicht erst bei 85%, beginne. Das nun vorgelegte Schreiben des Herrn Prof. Dr. X vom 10.02.2005 schmälere sogar noch den Aussagewert der Studie, da es teilweise in Widerspruch zu den dortigen Ausführungen stehe.

Das in zweiter Instanz vorgelegte Gutachten des Prof. Dr. E sei irrelevant, weil die dort angestellten Versuche für die Bedingungen "in vivo" nicht aussagekräftig seien, zumal das Mittel "P" gerade nicht für solche Haarwuchsstörungen bestimmt sei, die auf Ernährungsmängeln beruhten. Außerdem sei dieses Gutachten als neues Verteidigungsmittel gemäß § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren nicht mehr zuzulassen. Auch die weiteren Gutachten, die die Beklagte vorgelegt habe, könnten die Wirksamkeit des Mittels "P" nicht belegen, zumal sie ersichtlich zu dem Zweck verfasst worden seien, den Standpunkt der Beklagten zu bestätigen. Gerade der Gutachter F sei dafür bekannt, dass er Gefälligkeitsgutachten zu erstatten pflege.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat, soweit die Beklagte ihr Rechtsmittel weiterverfolgt, auch in der Sache Erfolg.

Der Unterlassungsantrag zu Ziff. 1 ist nicht begründet. Allerdings handelt es sich bei § 14b Abs. 3 DiätV um eine Marktverhaltensregelung, so wie dies auch für andere Vermarktungsverbote und -beschränkungen, die dem Gesundheitsschutz dienen, anzunehmen ist (vgl. dazu Hefermehl / Köhler / Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Auflage, § 4 UWG, Rdnr. 11.146 ff.). Ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG ist aber deshalb zu verneinen, weil durch den Vertrieb des Mittels "P" als ergänzende bilanzierte Diät die einschlägigen Bestimmungen der Diätverordnung nicht verletzt werden. Da das Inverkehrbringen des Mittels als ergänzende bilanzierte Diät zulässig ist, verstößt die Bezeichnung als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke auch nicht gegen das Irreführungsverbot (§§ 3, 5 UWG bzw. §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 11 Abs. 1 LFGB [bis September 2005: § 17 I Nr. 5 LMBG]).

Zu verneinen ist zunächst die vom Landgericht offengelassene Frage, ob es sich bei "P" um ein (nicht zugelassenes) Arzneimittel handele und ein Vertrieb als diätetisches Lebensmittel schon deshalb unzulässig sei.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist für die Einordnung eines Produkts als Arznei- oder Lebensmittel seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung entscheidend, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt (vgl. BGH, WRP 2000, 510, 512 - L-Carnitin; WRP 2002, 1141, 1144 f. - Muskelaufbaupräparate; WRP 2004, 1277, 1278 - Honigwein; vgl. auch EuGH, WRP 2005, 863, 869 - HLH Warenvertrieb). Die Verkehrsauffassung knüpft regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihre Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Die Vorstellung der Verbraucher von der Zweckbestimmung des Produkts kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie durch die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt. Ein verständiger Durchschnittsverbraucher wird im allgemeinen nicht annehmen, dass ein Präparat, das als Nahrungsergänzungsmittel angeboten wird, tatsächlich ein Arzneimittel sei, wenn es in der empfohlenen Dosierung keine pharmakologischen Wirkungen hat (vgl. BGH, WRP 2002, 1141, 1145 - Muskelaufbaupräparate; WRP 2003, 883, 884 - L-Glutamin; WRP 2004, 1277, 1278 - Honigwein). Den pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses im Zusammenhang mit seinen Wirkungsmöglichkeiten kommt auch nach der Rechtsprechung des EuGH eine maßgebende Bedeutung für die Unterscheidung zwischen Arzneimittel und Lebensmittel zu (vgl. EuGH, WRP 2005, 863, 869, 871 - HLH Warenvertrieb; vgl. auch (Art.1 Nr.1 b) i.V.m. Art. 2 Abs. 2 der Änderungs-Richtlinie 2004/27/EG).

Im vorliegenden Fall wäre das Mittel "P" nur dann als Arzneimittel zu qualifizieren, wenn es pharmakologische Wirkungen (bzw. Eigenschaften) hätte.

Denn weder hat der Kläger, der die konkrete Aufmachung auch nicht in seinen Antrag einbezieht, die Voraussetzungen für eine Einordnung als Präsentationsarzneimittel dargetan, noch hat er Umstände aufgezeigt, die dazu führen könnten, das Mittel unabhängig von seinen pharmakologischen Eigenschaften als Funktionsarzneimittel anzusehen. Vielmehr rückt der Kläger das Mittel "P" nur insofern in das Arzneimittelumfeld, als er ihm in Abgrenzung von den nach seiner Ansicht auf jeden Fall fehlenden diätetischen Wirkungen eine (allenfalls) pharmakologische Wirksamkeit zuschreibt, wobei der Kläger allerdings selbst die Ansicht vertritt, dass es sich bei der androgenetischen Alopezie bei Frauen nicht um eine Krankheit handele.

Des weiteren ist der von der Beklagten angeführten Entscheidung des OLG Hamburg vom 27.01.2005 - 3 U 28/03 - insofern zuzustimmen, als die Arzneimitteleigenschaft eines als bilanzierte Diät angebotenen Erzeugnisses unbeschadet der aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 5 AMG ersichtlichen Begriffsbestimmungen nicht allein aus der besonderen medizinischen Zwecksetzung, nämlich der Bestimmung zur diätetischen Behandlung von Patienten i.S.v. § 1 Abs. 4a Satz 1 DiätV, hergeleitet werden kann (vgl. OLG Hamburg, MD 2005, 389, 393), da die Vorschriften der Diätverordnung über bilanzierte Diäten, die definitionsgemäß besonderen medizinischen Zwecken zu dienen haben, andernfalls leerliefen. Zu weitgehend erscheint demgegenüber die Schlussfolgerung des OLG Hamburg, aus systematischen Gründen könne bei der Abgrenzung zwischen bilanzierten Diäten und Arzneimitteln nicht auf das Kriterium der pharmakologischen Wirkung abgestellt werden (OLG Hamburg, a.a.O., S. 394; vgl. auch Zipfel / Rathke, Lebensmittelrecht, C 140 [DiätV], § 1, Rdnr. 82, 85 f.). Eine die Arzneimitteleigenschaft begründende pharmakologische Wirkung kann aber jedenfalls nicht schon aus dem Bestehen einer besonderen medizinischen Zweckbestimmung i.S.v. § 1 Abs. 4a Satz 1 DiätV hergeleitet werden.

Eine pharmakologische Wirkung des Mittels "P" ist nicht feststellbar.

Die Beklagte hat die Wirkungsweise ihres Präparats folgendermaßen erläutert (Bl. 85 ff., 540 d.A.): Es handele sich bei der androgenetischen Alopezie bei Frauen um eine Veranlagung zur Überempfindlichkeit der Haarwurzeln gegenüber dem männlichen Hormon Dihydrotestosteron (DHT), das bei allen Frauen in geringen Mengen vorhanden sei. Diese Überempfindlichkeit der Haarwurzeln gegenüber dem Hormon DHT führe zu einer Schrumpfung der Haarfollikel und zu einer Zurückbildung der für das Haarwachstum notwendigen Blutgefäße. Durch die schlechte Blutversorgung komme es zu einer Unterversorgung der Haarfollikel mit Nährstoffen mit nachteiligen Folgen für das Haarwachstum. Eine Behebung der erblich bedingten Überempfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber DHT sei nicht möglich. Eine medikamentös mögliche Senkung des DHT-Spiegels sei wegen der hierbei drohenden Nebenwirkungen problematisch. Bei dieser Ausgangslage bewirke "P" eine gezielte Zufuhr von Nährstoffen, die für das Haarwachstum relevant seien, und kompensiere so die Unterversorgung der Haarwurzeln. Somit diene "P" einer symptomatischen diätetischen Behandlung. Wegen des weiteren Vortrags der Beklagten zur Bedeutung der in "P" enthaltenen Inhaltsstoffe - Hirseextrakt, Weizenkeimöl, L-Cystin und Calciumpantothenat bzw. Pantothensäure - wird auf das als Anlage BK 23 vorgelegte Gutachten des Prof. Dr. E vom 14.02.2005 verwiesen.

Ob "P", wie von der Beklagten beschrieben, durch eine gezielte Zufuhr von Nährstoffen tatsächlich Wirkungen entfaltet, kann an dieser Stelle offenbleiben. Denn ein anderer, nicht nutritiver, Wirksamkeitszusammenhang ist jedenfalls nicht dargelegt. Davon ausgehend kommt allenfalls der Bestandteil Pantothensäure aufgrund seiner relativ hohen Dosierung für eine (auch) pharmakologische Wirksamkeit in Betracht. Pantothensäure zählt zu den B-Vitaminen (Vitamin B5). Bei Vitaminen hat die empfohlene Dosierung wesentliche Bedeutung für die Abgrenzung zum Arzneimittel (vgl. BGHSt 46, 380, 384 f. - 3-fache Tagesdosis), wobei allerdings allein die Feststellung, dass die sich aus der Verzehrempfehlung des Herstellers ergebende tägliche Aufnahmemenge eines Vitamins den von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen normalen Tagesbedarf um mehr als das dreifache übersteigt, für die Annahme einer die Arzneimitteleigenschaft eines Erzeugnisses begründenden Verbrauchererwartung nicht ausreicht (BGH, a.a.O.).

Die Einnahme des Mittels "P" in der bei Haarausfall empfohlenen Dosierung führt zu einer Aufnahme von 27 mg Pantothensäure (3 Kapseln x 9 mg) pro Tag. Der normale Tagesbedarf eines Erwachsenen beträgt 5-7 mg (Gutachten E, Seite 7) bzw. 6 mg gemäß dem im Eilverfahren vorgetragenen Referenzwert der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Die empfohlene Dosierung führt somit zu einer Aufnahmemenge, die etwa das 41/2-fache des gewöhnlichen Tagesbedarfs ausmacht. Zu berücksichtigen ist indessen, dass es sich um ein Vitamin handelt, das in einem breiten Spektrum von Nahrungsmitteln enthalten ist und bei dem eine Überdosierung mit möglicherweise schädlichen (Neben-) Wirkungen erst ab einer sehr viel höheren Tagesmenge in Betracht kommt. Vor allem aber sind die aus der DiätV selbst ablesbaren Parameter in die Beurteilung einzubeziehen. Gemäß der Anlage 6 zur DiätV beträgt der Höchstwert für Pantothensäure 1,5 mg bei 100 kcal. Dementsprechend beliefe sich der Höchstwert bei einer vollständig bilanzierten Diät mit einer Energiezufuhr von beispielsweise 2000 kcal am Tag auf 30 mg, ohne dass es einer Bedarfsanpassung gemäß § 14b Abs. 5 DiätV bedürfte. Bewegt sich somit die hier in Rede stehende Aufnahmemenge noch in dem durch die Anlage 6 zur DiätV für den Tagesbedarf gesetzten Rahmen, so lassen sich allein aus der Überschreitung des Referenzwertes keine pharmakologischen Wirkungen ableiten, die eine von der Anwendbarkeit der DiätV wegführende Einstufung als Arzneimittel zur Folge haben könnten.

Nach allem kann nicht von einer pharmakologischen Wirkung des Mittels "P" ausgegangen werden. Mithin lässt sich "P" nicht als (Funktions-)Arzneimittel einstufen.

Bei dem Mittel "P" handelt es sich um ein diätetisches Lebensmittel nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 b) DiätV, das als ergänzende bilanzierte Diät gemäß § 1 Abs. 4a Satz 3 Nr. 2 b) DiätV der teilweisen Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf dient (§ 1 Abs. 4a Satz 2, 2.Alt. DiätV).

Das Mittel "P" dient der Ernährung, da es (Mikro-)Nährstoffe enthält.

Der für ein diätetisches Lebensmittel notwendige Ernährungszweck wird entgegen der Ansicht des Klägers nicht schon deshalb verfehlt, weil die in "P" enthaltenen Nährstoffe speziell zur Versorgung der Haarwurzeln bestimmt sind. Nährstoffe, die gerade für bestimmte Organe oder bestimmte Körperfunktionen nutzbringend sind, können nicht durch das Postulat einer ganzkörperlichen Wirkung aus dem Ernährungsbegriff ausgeschlossen werden.

Aus dem gesetzlich vorgegebenen Ernährungszweck kann auch nicht abgeleitet werden, dass ergänzende bilanzierte Diäten Makronährstoffe enthalten müssten, also nicht nur aus Mikronährstoffen bestehen dürften (ebenso OLG Karlsruhe, MD 2004, 1248, 1251 f.).

Das Ernährungserfordernis ergibt sich aus § 1 Abs. 1 DiätV, besteht also gleichermaßen für diätetische Lebensmittel im allgemeinen und für bilanzierte Diäten im besonderen. Durch den Begriff des "Lebensmittels" werden nur aus Mikronährstoffen bestehende Erzeugnisse nicht zwingend ausgegrenzt, denn als Lebensmittel bezeichnet der Gesetzgeber auch Nahrungsergänzungsmittel (§ 1 Abs. 1 NemV). Zulässig sind auch diätetische Nahrungsergänzungsmittel (vgl. BGH, WRP 2002, 1141, 1145 - Muskelaufbaupräparate; WRP 2003, 883, 885 - L-Glutamin). Genügt somit grundsätzlich die Zufuhr von Nährstoffen, auch Mikronährstoffen, um die Tatbestandsmerkmale "Lebensmittel" und "Ernährung" zu erfüllen, so könnte der Einwand des Klägers, dem Mittel "P" fehle ein "echter", ohne Makronährstoffe nicht erreichbarer, Ernährungszweck, nur dann erheblich sein, wenn für (ergänzende) bilanzierte Diäten hinsichtlich des Ernährungszwecks strengere Anforderungen gelten würden als für diätetische Lebensmittel im allgemeinen. Eine dahingehende Differenzierung lässt sich der Diätverordnung indessen nicht entnehmen. Allein der Umstand, dass die Anlage 6 zu § 14b DiätV produktbezogene Mengenangaben vorgibt, genügt für eine so weitreichende Schlussfolgerung nicht, zumal für ergänzende bilanzierte Diäten nur die Höchstmengen, nicht aber die Mindestmengen, gelten und eine Bedarfsanpassung nach § 14b Abs. 5 DiätV ohnehin möglich bleibt.

Es kommt hinzu, dass gerade für (ergänzende) bilanzierte Diäten angesichts ihres Anwendungsbereichs für einen (sonstigen) medizinisch bedingten Nährstoffbedarf die Möglichkeit einer "Diättherapie" (in Abgrenzung zur Ernährung bei Krankheiten) naheliegt (vgl. auch § 21 Abs. 2 Nr. 1 DiätV). Hiervon ausgehend lässt es sich nach der Einschätzung des Senats nicht rechtfertigen, dass eine zu medizinischen Therapiezwecken formulierte ergänzende bilanzierte Diät (auch) Makronährstoffe enthalten müsse.

In Abgrenzung zu diätetischen Lebensmitteln im allgemeinen, die lediglich den besonderen Ernährungserfordernissen bestimmter Gruppen zu entsprechen haben, müssen bilanzierte Diäten besonderen medizinischen Zwecken dienen. In der von der Beklagten hier in Anspruch genommenen Alternative des § 1 Abs. 4a DiätV muss das Präparat der teilweisen Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf dienen. Es muss somit ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf vorliegen, der auf ein definiertes Beschwerdebild ausgerichtet ist. Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

Das Mittel "P" dient der Behandlung von androgenetisch bedingten Haarwuchsstörungen und Haarausfall bei Frauen. Damit liegt ein definiertes Beschwerdebild vor. Ob der androgenetischen Alopezie bei Frauen Krankheitswert beizumessen ist oder nicht, kann in diesem Zusammenhang offenbleiben. Denn ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf i.S.v. § 1 Abs. 4a DiätV muss nicht notwendigerweise auf einer Krankheit beruhen; er kann seine Ursache auch in einer Störung oder in bestimmten Beschwerden haben, wie sich aus § 1 Abs. 4a Nr. 2 b) und § 21 Abs. 2 Nr. 1 DiätV ableiten lässt (OLG Karlsruhe, MD 2004, 1248, 1252; a.A. Zipfel / Rathke, Lebensmittelrecht, C 140 [DiätV], § 1, Rdnr. 89). Die androgenetische Alopezie bei Frauen stellt zumindest einen Störungs- oder Beschwerdezustand in diesem Sinne dar.

Das Erzeugnis "P" ist auf besondere Weise formuliert, indem es eine auf das genannte Beschwerdebild bezogene besondere Nährstoffzusammensetzung aufweist. Damit soll das Erzeugnis einen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf decken, der nach der Darstellung der Beklagten aus der auf eine Überempfindlichkeit der Haarwurzeln gegen das Hormon DHT zurückzuführenden Unterversorgung der Haarfollikel mit Nährstoffen resultiert. Die grundsätzliche Eignung der in "P" enthaltenen Inhaltsstoffe zur Erfüllung dieser Aufgabe hat die Beklagte dargetan und insbesondere durch die Vorlage der Gutachten der Professoren Dr. A und Dr. E ergänzend belegt.

Der Kläger hält dem entgegen, eine kausale diätetische Verknüpfung, die von einer möglichen pharmakologischen Wirkung zu trennen sei, sei schon deshalb nicht plausibel, weil die Wirksamkeit von "P" nicht für Fälle der Unterernährung oder krasser Fehlernährung beansprucht werde. Ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf im Sinne der Diätverordnung muss indessen nicht auf eine Unterernährung oder Fehlernährung zurückzuführen sein. Vielmehr kann er sich auch und gerade aus Störungen der normalen physiologischen Abläufe ergeben. Einen solchen Zusammenhang hat die Beklagte hier dargetan.

Allerdings ist der genaue Wirkmechanismus der für "P" verwendeten Nährstoffformulierung nicht bekannt, wie auch in der Studie X / Y eingeräumt wird. Im Ergebnis ist dies jedoch unschädlich, da ein ins Einzelne gehender Nachweis des diätetischen Wirkungszusammenhangs nicht erforderlich ist. Notwendig und geboten ist der Nachweis, dass die bilanzierte Diät als solche, d.h. im Ergebnis, wirksam ist (§ 14b Abs. 1 Satz 2 DiätV). Dieser Nachweis ist im vorliegenden Fall, wie im Folgenden noch darzulegen sein wird, geführt, wobei es für eine nicht diätetische, wie etwa eine pharmakologische, Wirksamkeit angesichts der in "P" enthaltenen Inhaltsstoffe keinen Anhaltspunkt gibt. Außerdem muss gemäß § 14b Abs. 1 Satz 1 DiätV die Herstellung einer bilanzierten Diät, ihrer Zweckbestimmung entsprechend, auf vernünftigen medizinischen und diätetischen Grundsätzen beruhen. Auch diese Voraussetzung ist nach dem oben Gesagten erfüllt. Eine über die nach § 14b Abs. 1 Satz 2 DiätV hinausgehende, auf die Details der diätetischen Wirkung bezogene, Nachweispflicht, lässt sich aus den Vorschriften der DiätV nicht ableiten.

Gemäß § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV genügt ein sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf als Voraussetzung für die Formulierung einer bilanzierten Diät nur dann, wenn eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beidem für die diätetische Behandlung der Patienten nicht ausreichen. Diese Subsidiaritätsbestimmung greift im vorliegenden Fall nicht.

Die in der Subsidiaritätsbestimmung genannten Alternativen schließen eine bilanzierte Diät nur dann aus, wenn eine Zufuhr der betreffenden Nährstoffe in der für die diätetische Behandlung gebotenen Menge auch durch eine Modifizierung der normalen Ernährung bzw. durch andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung erreicht werden kann, die für den Betroffenen zumutbar und praktikabel ist (vgl. OLG Hamburg, MD 2005, 389, 394 f. m.w.N.; OLG Karlsruhe, MD 2004, 1248, 1252). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Mittel "P" lässt sich durch eine Modifizierung der Ernährung unter Verwendung herkömmlicher Nahrungsmittel nicht adäquat ersetzen. Dies betrifft insbesondere den Bestandteil Pantothensäure. Zwar ist Pantothensäure in vielen Nahrungsmitteln enthalten. Der Kläger hat aber nicht aufgezeigt, dass sich auch eine Tagesmenge von 27 mg im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung erreichen lasse. Außerdem hat der Betroffene keine zumutbare Möglichkeit, die Menge der mit gebräuchlichen Nahrungsmitteln jeweils aufgenommenen Pantothensäure durchgängig zuverlässig zu kontrollieren, und seinen Konsum dementsprechend einzurichten. Ob in die Subsidiaritätsprüfung auch Nahrungsergänzungsmittel einzubeziehen sind (bejahend OLG München, OLGR 2003, 184; zweifelnd OLG Hamburg MD 2005, 389, 395), kann hier offenbleiben. Denn der Kläger hat nicht dargelegt, dass eine Substituierung auf diesem Wege in zumutbarer Weise möglich sei, was insbesondere voraussetzen würde, dass Pantothensäure (als solche, nicht nur in Kombination mit anderen Stoffen) als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich wäre.

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Landgerichts, der Verkehrsfähigkeit des Mittels "P" stehe eine Überschreitung der durch die Anlage 6 zur DiätV vorgeschriebenen Höchstmenge an Pantothensäure entgegen (§ 14b Abs. 3 DiätV). Nach dem Wortlaut des § 14b Abs. 3 DiätV und der Anlage 6, in der das verzehrfertige Erzeugnis als Bezugsgröße genannt wird, erscheint die Annahme einer Höchstmengenüberschreitung allerdings naheliegend. Andererseits kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die Vorgabe von Mindest- und Höchstmengen nur dann einen nachvollziehbaren Sinn ergibt, wenn sie in Beziehung zu der pro Tag insgesamt aufgenommenen Nährstoffmenge steht, mag auch das "verzehrfertige Erzeugnis" als Berechnungsgröße zwischengeschaltet sein. Daher mag es fraglich erscheinen, ob die Änderung der früheren Fassung der Diätverordnung vom 25.08.1988, die in der Anlage 6 noch die Mindest- und Höchstmengen pro Tag festgelegt hatte, neben einer durch die Anknüpfung an die Kalorienzufuhr flexibleren Bedarfsbemessung auch eine Einschränkung der Verkehrsfähigkeit ergänzender bilanzierter Diäten bewirken sollte. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass die der Neufassung der Diätverordnung zugrunde liegende Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom 25.03.1999 in der entsprechenden Tabelle die Erläuterung "bezogen auf das verzehrfertige Erzeugnis" nicht enthält. Danach liegt es im Hinblick auf den Regelungszusammenhang und den erkennbaren Zweck der Regelung nahe, die bei ergänzenden bilanzierten Diäten einzuhaltenden Höchstmengen auf die Energiezufuhr des betreffenden Patienten zu beziehen und nicht auf den Energiegehalt der ergänzenden bilanzierten Diät, die im Unterschied zur vollständigen bilanzierten Diät nicht darauf ausgerichtet ist, den gesamten Energiebedarf zu decken. Wird auf die Energiezufuhr des Patienten abgestellt, so ist im vorliegenden Fall keine Höchstmengengenüberschreitung festzustellen. Denn der Gehalt an Pantothensäure liegt mit 27 mg täglich (3 Kapseln à 9 mg) nicht über dem Höchstwert, der sich nach der Tabelle beispielsweise bei einem täglichen Energiebedarf von 2000 kcal auf 30 mg beläuft.

Im Ergebnis bedarf die Frage nach der maßgeblichen Bezugsgröße bei Anwendung der Tabelle 6 auf ergänzende bilanzierte Diäten hier jedoch keiner Entscheidung. Denn bei Annahme einer Höchstmengenüberschreitung sind jedenfalls die Voraussetzungen des in § 14b Abs. 5 DiätV geregelten Ausnahmetatbestandes erfüllt, an dessen Verwirklichung bei ergänzenden bilanzierten Diäten, die keine Makronährstoffe enthalten, keine hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl. OLG Karlsruhe, MD 2004, 1248, 1252). Von der nach der Anlage 6 an sich einzuhaltenden Höchstmenge kann hier abgewichen werden, weil eine Bedarfsanpassung für besondere Ernährungserfordernisse notwendig ist. Ein wesentlicher Zweck des zur Deckung des bei androgenetischer Alopezie bestehenden besonderen Nährstoffbedarfs formulierten Mittels "P" besteht gerade in der Verabreichung einer medizinisch relevanten Menge von Pantothensäure, die bei Einhaltung der (erzeugnisbezogenen) Höchstgrenze nach der Anlage 6 zur DiätV nicht annähernd zu erreichen wäre.

Die weitere Frage, ob sich auf der Umverpackung von "P" ein nach § 14b Abs. 5 Satz 2 DiätV ausreichender Hinweis mit Begründung befindet, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits, weil weder die Packungsgestaltung im allgemeinen noch die Formulierung des Hinweises auf die Bedarfsanpassung im besonderen vom Klageantrag erfasst werden. Unbeschadet dessen reicht der auf den Verpackungen gegebene Hinweis nach der Auffassung des Senats aber auch aus. Die hier gegebene formelhafte Begründung genügt, da es für die Verwender des Mittels ohnehin offensichtlich ist, dass in einem auf Mikronährstoffe beschränkten Präparat der Gehalt an spezifischen Wirkstoffen dann nicht den Vorgaben entsprechen kann, die in Relation zur Energiezufuhr festgelegt wurden, wenn der Energiegehalt des Erzeugnisses als Bezugsgröße gewählt wird.

Das Mittel "P" ist auch wirksam in dem Sinne, dass es den besonderen Ernährungserfordernissen der Personen, für die es bestimmt ist, entspricht (§ 14b Abs. 1 Satz 2 DiätV).

Der Wirksamkeitsnachweis ist von dem Hersteller bzw. dem Vertreiber der bilanzierten Diät zu erbringen, ohne dass der Kläger zuvor substantiiert darzulegen hätte, dass der Wirkungsbehauptung eine wissenschaftliche Grundlage fehlt (vgl. OLG München, MD 2006, 99, 103 m.w.N.). Diese Beweislastverteilung folgt aus der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 14b Abs. 1 Satz 2 DiätV. Die Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom 25.03.1999 bestimmt in Art. 3, dass die Wirksamkeit einer bilanzierten Diät durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen ist. Andererseits kann aus dem Text der Richtlinie nicht noch weitergehend geschlossen werden, dass die Wirksamkeit als solche in der Fachwelt allgemein anerkannt und unumstritten sein müsse. Der Nachweis kann auch durch die Vorlage von Studien erbracht werden, die nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurden. Damit gelten für den hier zu führenden Wirksamkeitsnachweis im Ergebnis die gleichen Anforderungen, die auch sonst zu erfüllen sind, wenn die wissenschaftliche Absicherung einer gesundheitsbezogenen Wirkungsbehauptung zu beweisen ist.

Grundsätzlich erfordert ein wissenschaftlich fundierter Wirksamkeitsnachweis die Vorlage einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen wurde. Diesen Anforderungen hat die Beklagte durch die Vorlage der Studie X / Y entsprochen. Die in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Studie bezog sich auf eine placebokontrollierte, randomisierte, doppelblinde Untersuchung von Frauen mit einer eindeutig pathologischen Anagenhaarquote, die unter Beachtung bestimmter, in der Studie im einzelnen aufgeführter, Ausschlusskriterien ausgewählt wurden. In der Verum-Gruppe befanden sich 21, in der Placebo-Gruppe 19 Frauen. Die durch Anwendung des Phototrichogramms bestimmte Anagenhaarquote (die Quote der im Wachstum befindlichen Haare) betrug im Verum-Kollektiv bei Behandlungsbeginn 75,45%, nach drei Monaten 87,01% und nach sechs Monaten 87,58%. Im Placebo-Kollektiv betrug die Anagenhaarquote bei Behandlungsbeginn 74,55%, nach drei Monaten 82,85% und nach sechs Monaten 82,96%.

Damit wird eine mäßige, aber doch signifikante Wirksamkeit des Mittels "P" belegt. Zur statistischen Signifikanz der erhobenen Daten verhalten sich die Studie selbst und ferner auch das biometrische Gutachten des Dr. B. Der Kläger ist dem nicht fundiert entgegengetreten, insbesondere hat er keine wissenschaftlich untermauerten Bedenken aufgezeigt. Der im Verhandlungstermin erhobene Einwand des Klägers, die Zahl der Probandinnen in den beiden Gruppen sei sehr klein gewesen, ist im Ansatz durchaus zutreffend. Es ist aber gleichwohl nicht ersichtlich, dass die Anzahl der Teilnehmerinnen für die hier vorzunehmende Untersuchung zu gering gewesen sei. Die relative Konstanz der festgestellten Werte nach drei Monaten einerseits und sechs Monaten andererseits deutet darauf hin, dass Fremdeinflüsse mit Ausnahme des Placeboeffekts keine nennenswerten Auswirkungen auf die Ergebnisse hatten. Für das Vorhandensein von "Ausreißern" in einer der beiden Gruppen, die die Aussagekraft der Studie in Frage stellen könnten, gibt es keinen Anhaltspunkt.

Soweit das Landgericht im angefochtenen Urteil beanstandet hat, dass die Studie X / Y keine schlüssige Erklärung für das Ausmaß des dort ausgewiesenen Placeboeffekts gegeben habe, vermag dies den Beweiswert der Studie letztlich nicht in Frage zu stellen. Wesentlich ist die gesonderte Erfassung des Placeboeffekts durch die Einrichtung einer Kontrollgruppe. Diesem Erfordernis hat die vorgelegte Studie entsprochen. Eine überzeugende Erklärung zu der aus den Untersuchungsergebnissen ersichtlichen prozentualen Relevanz des Placeboeffekts oder auch zu der Frage, worauf die unter diesem Begriff erfassten Veränderungen konkret zurückzuführen sind, ist grundsätzlich nicht erforderlich.

Allerdings haben die Verfasser der Studie gleichwohl entsprechende Überlegungen angestellt und die Vermutung geäußert, die Verbesserung in der Placebo-Gruppe beruhe auf jahreszeitlichen Schwankungen. In diesem Zusammenhang ist die Rede davon gewesen, dass ein Teil der Probandinnen auch in den Sommer hinein behandelt habe. Diese Formulierung ist insofern irritierend, als sie die Frage aufwirft, ob der Untersuchungszeitraum für alle Teilnehmerinnen identisch war. Andererseits wurde in der Studie in den Angaben zum Versuchsablauf festgehalten, dass die Untersuchungen im Spätherbst begonnen und im Sommer geendet hätten. Im Einklang hiermit haben Prof. Dr. X in seinem Schreiben vom 10.02.2005 und auch Prof. Dr. Y in seinem Telefax vom 12.01.2006 erklärt, beide Kollektive seien im gleichen Zeitraum untersucht worden. Die oben erwähnte, auf einen Teil der Probandinnen bezogene Formulierung in der Studie wird dadurch zwar nicht verständlich; sie genügt aber letztendlich auch nicht, um die Angaben zum Versuchsablauf nachhaltig in Zweifel zu ziehen. Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass ein Behandeln "in den Sommer hinein" die Endphase des Untersuchungszeitraums betroffen hätte; die Veränderungen in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums waren aber ohnehin nur geringfügig.

Das eben erwähnte Schreiben des Herrn Prof. Dr. X vom 10.02.2005 widerspricht, wie der Kläger zutreffend dargelegt hat, der in der Studie im Hinblick auf den Placeboeffekt geäußerten Vermutung, da es nun heißt, jahreszeitliche Einflüsse auf die Anagenhaarquote seien unwahrscheinlich. Dieser Widerspruch ist aber im Ergebnis unschädlich, da er lediglich einen Nebenpunkt betrifft, der die hier maßgebliche Frage der Wirksamkeit des Mittels "P" nicht berührt. Entscheidend ist, wie bereits ausgeführt, nicht die genaue Ursache des Placeboeffekts, sondern dessen gesonderte Erfassung durch die Einrichtung einer Kontrollgruppe. Daher sind die auf die Veränderungen in der Placebo-Gruppe bezogenen Vermutungen der Verfasser für den wissenschaftlichen Aussagewert der Studie ebenso ohne Belang wie die in diesem Punkt nunmehr geänderte Einschätzung der Verfasser.

Im übrigen wird der mit der Studie X / Y geführte Wirksamkeitsnachweis durch die in dem Gutachten E vom 14.02.2005 dargestellten In-vitro- Untersuchungen begleitend unterstützt, da hierdurch die Eignung der in "P" enthaltenen Inhaltsstoffe zur Erzielung der durch die Studie festgestellten Wirkung belegt wird. Das Gutachten E, das erst im Berufungsverfahren vorgelegt wurde, war als neues Verteidigungsmittel zuzulassen, da der Beklagten insoweit keine Nachlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Die Beklagte konnte, da das Landgericht ihr keinen gegenteiligen Hinweis gegeben hatte, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug der Meinung sein, dass die bis dahin vorgelegten Dokumente, insbesondere die Studie X / Y, genügten, um den Wirksamkeitsnachweis zu führen. Sie war daher nicht gehalten, unter Aufwendung weiterer Kosten weitere Privatgutachten einzuholen.

Die Wirksamkeit des Mittels "P" kann schließlich auch nicht mit dem Argument in Abrede gestellt werden, die durch die Studie belegte Wirkung sei irrelevant, weil der Normbereich der Anagenhaarquote schon bei 80% beginne und somit auch in der Placebo-Gruppe erreicht worden sei. Die Beklagte hat durch die Vorlage einschlägiger Auszüge aus der wissenschaftlichen Literatur dargetan, dass in der Fachwelt der Normalwert der Anagenhaarquote in Übereinstimmung mit der Studie X / Y überwiegend bei etwa 85% angesetzt wird. Dem steht die vom Kläger angeführte Fundstelle bei Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, nicht beweiskräftig entgegen, zumal dort der Normalbefund bei mindestens 80% Anagenhaaren angenommen wird. Wie auch in der Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. X vom 05.01.2004 ausgeführt wird, lässt sich der Normbereich offensichtlich nicht auf einen starren allgemeingültigen Wert festlegen, so dass ein Durchschnittswert von gut 87% gegenüber einem Durchschnittswert von knapp 83% jedenfalls einen relevant besseren Zustand des Haarwachstums ausweist.

Die Unterlassungsanträge zu Ziff. 2 sind - soweit jetzt noch über sie zu entscheiden ist - ebenfalls unbegründet. Die einzelnen Werbeaussagen sind nicht irreführend, da die Beklagte "P" zulässigerweise als ergänzende bilanzierte Diät bewerben darf und die Wirksamkeit des Mittels nachgewiesen hat.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da er im wesentlichen unterlegen ist ( §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, weil die hier entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung der Diätverordnung grundsätzliche Bedeutung haben (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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