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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 07.10.2004
Aktenzeichen: 6 U 81/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 355
ZPO § 375
ZPO § 538 II Nr. 1
Zur Notwendigkeit der Wiederholung der Beweisaufnahme bei einem Verfahrensfehler bei der Vernehmung von Zeugen im Wege der Rechtshilfe
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 U 81/04

Verkündet am 7. Oktober 2004

In dem Rechtsstreit

...

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07.10.2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 02.04.2004 verkündete Urteil der 11. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen irreführender Alleinstellungsbehauptungen auf Unterlassung in Anspruch. Zwischen den Parteien ist streitig, ob ein für die Beklagte bzw. einen ihrer Vertriebspartner tätiger Werber am 07.04.2003 gegenüber dem Zeugen Z 1 tatsächlich die in dem Unterlassungsantrag der Klägerin wiedergegebenen Behauptungen aufgestellt hat.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Z 1 und Z 2 im Wege der Rechtshilfe. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle des Amtsgerichts München vom 17.11.2003 (Bl. 120 ff. d.A.) und des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 16.02.2004 (Bl. 125 f. d.A.) verwiesen.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 02.04.2004, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,-- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern der persönlich haftenden Gesellschafterin, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Rahmen der Akquise von Pre-Selection-Kunden zu behaupten und / oder behaupten zu lassen,

a) X sei die Nummer 1 unter den Telefonanbietern und / oder b) X sei der beste Telefonanbieter und / oder c) in Deutschland gäbe es keinen besseren Telefonanbieter als X.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, daß die Angaben des Zeugen Z 1 glaubhaft seien und durch die Aussage des Zeugen Z 2 nicht erschüttert würden. Eine Vernehmung im Wege der Rechtshilfe sei - entgegen den Einwänden der Beklagten - zulässig und für die Überzeugungsbildung ausreichend gewesen. Es sei von vornherein anzunehmen gewesen, daß die Kammer das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß werde würdigen können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit der Berufung rügt die Beklagte die Verletzung von Verfahrensrecht, insbesondere einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, und eine fehlerhafte Beweiswürdigung.

Die Beklagte beantragt,

1. das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Berufungsvorbringen im einzelnen entgegen. Die Klägerin meint, das Prozeßgericht habe sich keinen persönlichen Eindruck von der Beweisaufnahme verschaffen müssen, zumal die von der Glaubhaftigkeit der Aussage begrifflich zu unterscheidende Glaubwürdigkeit des Zeugen Z 1 auch von der Beklagten nicht angezweifelt worden sei. Außerdem sei ein Rügeverzicht gemäß § 295 ZPO eingetreten.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Das dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Denn das Landgericht hat, indem es die Beweisaufnahme ersuchten Gerichten übertragen und sich mit dem auf diese Weise erzielten Beweisergebnis begnügt hat, das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt (§§ 355, 375, 398 Abs.1 ZPO).

Gemäß § 375 Abs. 1 ZPO setzt eine Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe (unter anderem) voraus, daß von vornherein anzunehmen ist, das Prozeßgericht werde das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß würdigen können. Erweist sich eine solche Annahme im Nachhinein als nicht gerechtfertigt, so ist die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht zu wiederholen (vgl. Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 375 Rdnr. 1).

Im vorliegenden Fall stand jedenfalls nach dem Ergebnis der Rechtshilfevernehmung fest, daß die streitentscheidende Kammer keine Beweiswürdigung vornehmen durfte, ohne einen persönlichen Eindruck von den Zeugen gewonnen zu haben. Der von der Klägerin benannte Zeuge Z 1 und der von der Beklagten benannte Zeuge Z 2 haben einander widersprechende, inhaltlich unvereinbare Aussagen gemacht. Der Zeuge Z 1 hat die Beweisbehauptung der Klägerin bestätigt, der Zeuge Z 2 hat demgegenüber bekundet, daß er keinesfalls die behaupteten Äußerungen getan habe. Damit besteht zwischen den Aussagen der beiden Zeugen ein objektiver, nicht auflösbarer Widerspruch. In einem solchen Fall geht es um die Glaubwürdigkeit der Zeugen; eine verfahrensfehlerfreie Beurteilung der Glaubwürdigkeit setzt eine Vernehmung der betreffenden Zeugen durch das Prozeßgericht voraus (vgl. BGH, NJW- RR 1997, 152; OLG Köln, NJW-RR 1998, 1143; Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 375 Rdnr. 1). Der Frage, ob von diesem Grundsatz eine Ausnahme zu machen ist, wenn die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht mit ganz besonderen Erschwernissen verbunden ist, ist im vorliegenden Fall, der die Vernehmung von zwei ohne weiteres reisefähigen Zeugen aus dem Raum München betrifft, nicht weiter nachzugehen.

Der dargestellte Verfahrensfehler ist nicht durch einen konkludenten Rügeverzicht bzw. durch eine rügelose mündliche Verhandlung geheilt (§ 295 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat bereits nach Erlaß des Beweisbeschlusses erklärt, daß sie mit einer Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe nicht einverstanden sei, weil darin ein Verstoß gegen den Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit liege. Von dieser Einschätzung ist sie bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in erster Instanz ersichtlich nicht abgerückt. Vielmehr hat sie nach der Beweisaufnahme ausdrücklich die erneute Vernehmung der Zeugen beantragt, sofern das Landgericht die Klage nicht ohnehin schon für abweisungsreif halte. Dementsprechend hat das Landgericht die Verfahrensrüge der Beklagten in den Tatbestand des angefochtenen Urteils aufgenommen.

Neben dem Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels sind auch die weiteren Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 ZPO erfüllt.

Die Beklagte hat die Zurückverweisung beantragt. Daß sie diesen Antrag als Hilfsantrag formuliert hat, ist unschädlich (vgl. Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 538 Rdnr. 4). Schließlich ist die erneut vorzunehmende Beweisaufnahme auch umfangreich im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Denn es ist damit zu rechnen, daß die Parteien bemüht sein werden, die Darstellung des jeweils von der Gegenseite benannten Zeugen unter Inkaufnahme eines nicht unerheblichen prozessualen Aufwandes zu hinterfragen und anzuzweifeln.

Der Senat hat von der danach gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestehenden Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch gemacht. Es erscheint sachgerecht, die noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen in der ersten Instanz vorzunehmen, da das objektiv zu bewertende Interesse der Parteien an einer schnelleren Erledigung der Sache im vorliegenden Fall die mit dem Verlust einer Tatsacheninstanz verbundenen Nachteile nicht überwiegt.

Über die Kosten des Berufungsverfahrens hat das Landgericht bei seiner erneuten Entscheidung zu befinden. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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