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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 27.02.2002
Aktenzeichen: 7 U 105/01
Rechtsgebiete: ZPO, StVG, PflVG


Vorschriften:

ZPO a.F. § 543 I
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
StVG § 7 I
StVG § 17 I
StVG § 7 II
PflVG § 3
Bei einem Kettenauffahrunfall spricht der Beweis des ersten Anscheins nur hinsichtlich des Letztauffahrenden dafür, dass er den Unfall durch Unaufmerksamkeit, unangepasste Geschwindigkeit oder zu geringer Sicherheitsabstand verursacht hat. Hinsichtlich der übrigen Unfallbeteiligten fehlt es an einem typischen Geschehensablauf, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass das Fahrzeug durch den hinten Auffahrenden auf den Vordermann aufgeschoben wurde.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - 7. Zivilsenat - auf die Berufung der Klägerin gegen das am 25.4.2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Gießen durch die Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.2.2002

für Recht erkannt :

Tenor:

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 I ZPO a.F. abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der Klägerin steht - über den bereits seitens des Landgerichts zuerkannten Betrag in Höhe von 3.238,86 DM hinaus- kein weiterer Schadensersatzanspruch aufgrund des streitgegenständlichen Unfalles gemäß §§ 7 I, 17 I StVG, 3 PflVG gegenüber den Beklagten zu.

Gegen den Beklagten zu 1) spricht nicht der Beweis des ersten Anscheins, dass er als Auffahrender entweder infolge unzureichenden Sicherheitsabstandes oder Unaufmerksamkeit den Unfall verursacht hat. Bei einem Kettenunfall ist der Anscheinsbeweis bereits dadurch entkräftet, dass ein weiteres Fahrzeug von hinten aufgefahren ist und somit - wie von den Beklagten eingewendet - die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) aufgeschoben worden ist (vgl. OLG Nürnberg DAR 1982,329).

Den ihr insoweit obliegenden Nachweis eines schuldhaften Verhaltens des Beklagten zu 1) - dass dieser nämlich auf ihr Fahrzeug aufgefahren und es auf das Fahrzeug des Zeugen Dr. M. aufgeschoben hat - hat die Klägerin jedoch nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme nicht erbracht. Vielmehr steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Verschulden des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs fest. Der Beklagte zu 1) vermochte sich jedoch seinerseits nicht nach § 7 II StVG zu entlasten, so dass er aus Betriebsgefahr haftet.

Zwar hat der Zeuge Dr. M. in Übereinstimmung mit dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs - dem Zeugen T. - bekundet, das klägerische Fahrzeug sei hinter seinem Fahrzeug zum Stehen gekommen und sodann aufgeschoben worden. Im Gegensatz zu dem Zeugen T. vermochte er sich allerdings nur an einen - und nicht an zwei - Anstöße erinnern, was ein Auffahren des Beklagten zu 1) in Frage stellen und für ein Aufschieben durch das Fahrzeug des Zeugen F. sprechen würde.

Soweit der Zeuge T. demgegenüber zwar zwei Anstöße wahrgenommen haben will, vermochte er nicht anzugeben, durch welchen der Anstöße das von ihm geführte Fahrzeuge auf das Fahrzeug des Zeugen Dr. M. aufgeschoben worden sein soll, so dass die Verursachung des Frontschadens unklar bliebe.

Des weiteren hat die Zeugin G. bekundet, ihr Ehemann - der Beklagte zu 1) - habe sein Fahrzeug hinter dem klägerischen Fahrzeug zum Stehen gebracht, wobei sie zugleich noch bekundet hat, ihr Ehemann habe noch auf der Bremse gestanden, was angesichts dessen, dass er angeblich bereits einige Sekunden vor dem Aufschieben durch das Fahrzeug des Zeugen F. gestanden haben soll, wenig plausibel erscheint.

Insofern liegen drei sich widersprechende Zeugenaussagen vor. Anhaltspunkte dafür, warum einem der Zeugen mehr als den anderen Glauben zu schenken wäre, sind nicht ersichtlich.

Entscheidend ist jedoch, dass der Sachverständige aufgrund des Schadensbildes festgestellt hat, dass das klägerische Fahrzeug im gebremsten Zustand - nämlich mit vorne eingetauchter Front - aufgetroffen ist. Wie er weiter ausgeführt hat, kann zwar auch bei einem Anstoß oberhalb des Fahrzeugschwerpunktes das Heck gehoben und die Front gesenkt werden. Diese Ursache für das Eintauchen der Front konnte er jedoch vorliegend ausschließen, da der Anstoß im wesentlichen im Stoßstangenniveau erfolgte.

Feststellungen dazu, ob das Beklagten-Fahrzeug aufgefahren oder lediglich aufgeschoben worden ist, vermochte der Sachverständige hingegen nicht zu treffen. Nach den Schadensbildern sind beide Varianten möglich.

In Hinblick auf die nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ist davon auszugehen, dass sich die Zeugen Dr. M. und T. hinsichtlich ihrer Angabe, das klägerische Fahrzeug sei zunächst zum Stehen gekommen, geirrt haben, was bei einem schnell ablaufenden Kettenunfall nicht verwundert.

Danach steht fest, dass den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs ein Verschulden am Unfall trifft, da er auf das Fahrzeug des Zeugen Dr. M. aufgefahren ist und hierdurch der Bremsweg des Beklagten zu 1) verkürzt wurde. Demgegenüber hat der Beklagte zu 1) seinerseits lediglich nicht den Nachweis, dass sein Fahrzeug zum Stehen gekommen war und erst durch das nachfolgende Fahrzeug auf das der Klägerin aufgeschoben worden ist - der Unfall mithin unabwendbar war -, erbracht. Zu Lasten der Klägerin steht daher ein Verschulden ihres Fahrers fest, wohingegen der Beklagte zu 1) nur aus Betriebgefahr haftet.

Angesichts dessen ist die seitens des Landgerichts bei Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsanteile der beteiligten Fahrzeuge gemäß § 17 I StVG gebildete Quote von 75 % zu 25 % zu Lasten der Klägerin in keiner Weise zu beanstanden. Eine Quote von 50 % wäre nur bei völlig ungeklärtem Verlauf - also wenn auch die Frage, ob das klägerische Fahrzeug aufgefahren ist, offen geblieben wäre - in Betracht gekommen (vgl. OLG Nürnberg DAR 1982,126).

Ebenso konnte dahingestellt bleiben, ob der seitens des Zeugen F. verursachte Zusatzschaden nach den Grundsätzen der sog. Zurechnungseinheit (vgl. hierzu Greger NVZ 1989,58) herauszurechnen gewesen wäre. Die Beklagten haben den Zusatzschaden nicht dargetan und die zugesprochene Quote von 25 % des Gesamtschadens akzeptiert.

Da das Rechtsmittel der Klägerin keinen Erfolg hat, waren ihr die Kosten der Berufung aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.



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