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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 30.11.2005
Aktenzeichen: 7 U 178/04
Rechtsgebiete: AUB 88


Vorschriften:

AUB 88 § 7
AUB 88 § 11 Abs. 4
Anders als die Anpassung einer Prothese, die am Verlust des Beines nichts ändert, dient die erfolgreiche Implantation eines künstlichen Hüftgelenks der dauerhaften Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit des vorhandenen Beines und ist daher bei der Bemessung des Invaliditätsgrades zu berücksichtigen, sofern sie innerhalb des Prognosezeitraumes eingeleitet worden ist.
Gründe:

Der Kläger hat die Verurteilung der Beklagten auf Erbringung von Leistungen aus einer Kfz-Unfallversicherung für seinen versicherten Sohn verfolgt. Der Kläger hatte am ....2000 als Fahrer eines bei der Beklagten insassenunfallversicherten Pkw einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem sein Sohn schwer verletzt wurde. Wegen der Einzelheiten der Behandlung des Sohnes des Klägers und des Inhalts der vorgelegten Gutachten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung der Invaliditätsentschädigung auf der Grundlage vollständigen Verlustes oder Funktionsunfähigkeit eines Beines in Höhe von 70 % der Invaliditätshöchstentschädigung in Anspruch genommen. Dabei hat er die von der Beklagten per Scheck zugewandten, von dem Kläger allerdings nicht eingelösten Beträge unberücksichtigt gelassen. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass seinem Sohn die Implantation einer Hüftgelenksprothese bevorstehe, eine derartige Prothese nach 10 bis 15 Jahren gewechselt werden müsse und ein Wechsel nur zwei- bis dreimal möglich sei.

Die Beklagte hat die Klage in Höhe der übersandten Schecks von 3.758,00 € für unzulässig gehalten, da der Kläger ohne weiteres die entsprechenden Schecks habe einlösen können. Sie hat weiterhin gemeint, dass es die unfallbedingte Absprengung eines knöchernen Fragments aus dem Hüftknopf nicht gegeben habe und die Einwände des Klägers gegen die Gutachten nicht nachvollziehbar seien. Da eine fristgerechte Invaliditätsfeststellung nicht erfolgt sei, auch nicht erkennbar sei, weshalb sie für einen nicht vorliegenden Verlust oder eine nicht vorliegende Funktionsunfähigkeit eines Beines Entschädigung zu leisten habe, seien die von ihr angewiesenen Scheckbeträge die zutreffende Entschädigung.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 07.09.2004, wegen dessen Einzelheiten auf Blatt 101-107 d.A. verwiesen wird, die Klage in Höhe eines Teilbetrages von 3.778,00 € als unzulässig, im übrigen als unbegründet abgewiesen. Gegen dieses, dem Kläger am 10.09.2004 zugestellte Urteil richtet sich seine am 04.10.2004 eingelegte und am 19.10.2004 begründete Berufung. Mit ihr verfolgt der Kläger die Abänderung der angefochtenen Entscheidung und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des in erster Instanz geforderten Entschädigungsbetrages.

Der Kläger meint, dass das Landgericht zu Unrecht die Klage in Höhe eines Betrages von 3.758,00 € abgewiesen habe. Der Kläger habe die ihm übersandten Schecks gerade nicht einlösen können, ohne hiervon Rechtsnachteile zu befürchten. Es habe die Gefahr bestanden, dass sich die Beklagte auf ein Anerkenntnis der von ihr vorgelegten Abrechnung berufen werde. Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, dass sie sich bei Einlösung der Schecks nicht auf die erfolgte Abrechnung berufen werde, dass hiermit gerade keine Abgeltung aller Ansprüche des Klägers verbunden sei. Zum jetzigen Zeitpunkt sei ein Einlösen der Schecks nicht mehr möglich, falls diese überhaupt noch vorhanden sein sollten. Hinsichtlich des übersteigenden Teils der Klage hat der Kläger die Klage für begründet gehalten, da das Landgericht fehlerhaft davon ausgegangen sei, dass künftige Hüftimplantationen nicht mit dem Verlust eines Beines gleichzusetzen seien. Die drohende Funktionsbeeinträchtigung des Beines des Sohns des Klägers müsse mit der Invalidität, die dem Verlust der Funktionsfähigkeit eines Beines entspräche, gleichgesetzt und damit mit 70 % bewertet werden. Bei dem Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenks handele es sich um einen operativen Eingriff, der nach Implantierung einer Hüftgelenksprothese nicht dazu führe, dass sich der Invaliditätsgrad vermindere. Das Landgericht habe nicht begründet, weshalb es bei der Bemessung des Invaliditätsgrades den Zustand berücksichtigt habe, der nach seiner Ansicht nach erfolgreicher Durchführung einer Hüftimplantation gegeben sein solle.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 07.09.2004 verkündeten Urteils der 26. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10.737,13 € nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das Landgericht habe in Höhe der Scheckbeträge die Klage mit Recht als unzulässig abgewiesen. In den Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 09.12.2003 und vom 13.01.2004 sei eine Anerkenntniswirkung mit Ausschluss von Nachforderungen nicht aufgeführt worden. Überdies habe der Kläger selbst in einem Schriftsatz vom 15.07.2004 erwogen, die Schecks einzulösen, und hierbei selbst erklärt, dies erwäge er deshalb, weil die Beklagte nunmehr ausdrücklich erklärt habe, sie werde sich nicht auf ein Anerkenntnis des Klägers hinsichtlich der Abrechnung der Beklagten nach Einlösung der Schecks berufen. Soweit der Kläger angeführt habe, er kenne den Verbleib nicht, sei dies nicht nachvollziehbar. Das Landgericht sei auf der Grundlage der eingeholten Privatgutachten zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass die unfallbedingte Invalidität des Sohnes des Klägers mit 7/20 Beinwert einzuschätzen sei. Verfehlt sei die Ansicht des Klägers, die Funktionsbeeinträchtigung des Beines des Sohnes des Klägers entspreche dem Verlust bzw. der vollständigen Funktionsunfähigkeit und sei damit entsprechend der Gliedertaxe mit 70 % anzusetzen. Bei der Invaliditätsbemessung sei der Invaliditätsgrad unter Außerachtlassung des Hüftgelenksimplantats zugrunde zu legen, wie er bei Ablauf der Drei-Jahres-Frist prognostizierbar sei. Da ein künstliches Gelenk einer Gebrauchshilfe gleichzusetzen sei, sei der beeinträchtigte Körperteil nach dessen Einsetzung uneingeschränkt gebrauchsfähig und führe zu einer dauerhaften Besserung, so dass der verbleibende Grad der Beeinträchtigung für die Bestimmung des Invaliditätsgrades entscheidend sei. Überdies müsse die versicherte Person im Rahmen der Schadensminderungspflicht Operationen durchführen lassen, wenn sich ein vernünftiger Mensch unter Abwägung aller Umstände zur Vornahme des Eingriffs entschließen werde, die Operation nicht besonders risikoreich sei und eine Besserung des Gesundheitszustandes erwarten lasse. Die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks stelle heute einen Routineeingriff dar, sei nicht risikoreich und lasse mit Sicherheit erwarten, dass eine grundsätzliche Besserung des Gesundheitszustandes eintreten werde. Bei der Bemessung des Invaliditätsgrades sei damit entgegen der Ansicht des Klägers nicht von einem Zustand ohne Implantation eines künstlichen Hüftgelenks auszugehen. Überdies entspräche der maßgebliche, am Ende des dritten Unfalljahres zu prognostizierende Zustand ohne Operation keinem vollständigen Verlust bzw. keiner vollständigen Funktionsunfähigkeit des rechten Beines. Die Feststellung der Privatgutachter sei als qualifizierter, nicht bestrittener Parteivortrag zu werten, und mache eine eigene Beweisaufnahme des Gerichts entbehrlich.

Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil weist zum Nachteil des Klägers weder Rechtsverletzungen auf, noch führen neue, nach §§ 529 ff. ZPO zu berücksichtigende Tatsachen zu einer dem Kläger gegenüber dem angefochtenen Urteil günstigeren Entscheidung.

Das Landgericht hat zunächst zutreffend die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen, als der Kläger den Anspruch auf Zahlung der Invaliditätsentschädigung in der Höhe verfolgt, der sich aus den Scheckbeträgen ergibt. Insoweit fehlt der Klage das Rechtsschutzbedürfnis, da für die Durchsetzung des in dieser Höhe begründeten Anspruchs des Klägers eine einfachere Möglichkeit als die klageweise Geltendmachung besteht. Vielmehr ist es dem Kläger zuzumuten, diesen Betrag durch Vorlage der Schecks zu erhalten. In der Übersendung der Schecks lag nach beiden Begleitschreiben nicht das Angebot eines Erlasses bezüglich der restlichen geltend gemachten Summe, so dass der Kläger nicht Gefahr lief, bei Präsentierung der Schecks in die von ihm befürchtete Erlassfalle zu geraten (vgl. hierzu BGH NJW 2001, 2324). Der Kläger hat auch nicht dargetan, die Schecks jemals präsentiert zu haben, wobei ihre Einlösung verweigert worden sei. Vielmehr hat er angedeutet, er wisse nicht mehr, wo sich die Schecks, die in seinen Besitz gelangt waren, derzeit befänden. Sollte der Kläger die Schecks verlegt oder verloren haben, würde dies sein Verschulden begründen, ginge jedenfalls nicht zu Lasten der Beklagten, die mit der Übersendung der Schecks den insoweit begründeten Entschädigungsanspruch des Klägers erfüllt hat. Eine Ablehnung der Einlösung der Schecks ließe sich auch nicht auf § 266 BGB stützen, wonach der Schuldner zu Teilleistungen nicht berechtigt sei. Wie sich aus den unten dargestellten Gründen ergibt, lag eine Teilleistung nicht vor. Selbst dann, wenn dem Kläger ein weitergehender Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung zugestanden hätte, wäre die Berufung auf § 266 BGB, die er nicht angeführt hat, nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Teilleistungen darf der Gläubiger nicht ablehnen, wenn ihm die Annahme der Leistung bei verständiger Würdigung der Lage des Schuldners und seiner eigenen schutzwürdigen Lage zuzumuten ist (vgl. BGH VersR 1940, 298; BGH LM § 266 BGB Nr. 2; Baumgärtl VersR 1970, 971). Die Beklagte durfte in vertretbarer Würdigung der Umstände des Anspruchs der Auffassung sein, sie leiste alles was sie schulde, so dass sie zur Erfüllung in dieser Höhe berechtigt war (vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1965, 1763; OLG Hamm VersR 1967, 383).

Der weitergehende Anspruch, den der Kläger geltend macht, setzt voraus, dass über den festgestellten Beinwert von 7/20 unter Berücksichtigung der unfallbedingten Beeinträchtigung des Sohnes des Klägers von einer Invalidität von 70 % auszugehen ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Landgericht mit Recht verneint. Entgegen der Ansicht des Klägers ist über den festgestellten Beinwert von 7/20 hinaus bei der Bemessung des Invaliditätsgrades nicht zu berücksichtigen, dass möglicherweise wegen der durch die Unfallverletzungen beschleunigten Arthrose Hüftgelenksimplantationen vorgenommen werden müssen, die mit einem Funktionsverlust hinsichtlich des Beines gleichzustellen wären. Der Senat geht davon aus, dass bei der gerichtlichen Entscheidung über den Invaliditätsgrad nur Tatsachen zu berücksichtigen sind, die innerhalb von drei Jahren vom Unfalltag abgerechnet erkennbar gewesen sind (§ 11 Abs. 4 AUB 88). Nachträgliche Verbesserungen oder Verschlechterungen sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BGH VersR 1988, 798; BGH VersR 1990, 478; BGH VersR 1991, 57; BGH, Urteil vom 20.04.2005 - IV ZR 237/03). Da eine Heilbehandlung des Sohnes des Klägers durch Vornahme einer Hüftgelenksimplantation im danach maßgeblichen Zeitraum von drei Jahren ab dem Unfallereignis nicht eingeleitet worden ist, ist für die Bemessung des Invaliditätsgrades allein auf den drei Jahre nach Unfall vorliegenden und prognostizierbaren Dauerzustand abzustellen, während nachträgliche Veränderungen, mögen sie positiv oder negativ sein, nicht zu berücksichtigen sind (vgl. auch BGH VersR 1981, 1151). Nach dem in den Gutachten prognostizierten Dauerzustand war eine signifikante Verschlimmerung der Arthrosegefahr und die eines Tages mit Sicherheit vorzunehmende Hüftgelenksimplantation einbezogen worden. Entgegen der Ansicht des Klägers führten diese mit Sicherheit festgestellten Umstände nicht dazu, dass innerhalb des maßgeblichen Drei-Jahreszeitraums ein Verlust der Funktionsfähigkeit des Beines vorlag. Der Senat folgt der Auffassung des Bundesgerichtshofs, wonach die Einsetzung eines künstlichen Hüftgelenks mit Erfolg zu einer dauerhaften Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit des vorhandenen Beines führt. Anders als bei der Implantation eines Fremdgliedes anstelle etwa eines verlorenen Beines geht es bei der Implantation eines Hüftgelenks um die Frage der dauerhaften Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit (vgl. auch BGH r+s 1991, 68; Wl 1984, 74). Da die Gutachter die verbleibende Funktionsbeeinträchtigungen des Beines, die durch Einsetzung eines Hüftgelenks behoben werden kann, mit 7/20 Beinwert berücksichtigt haben, lag ein Bemessungsfehler bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades nicht vor. Von einer dem Totalverlust gleichstehenden Funktionsunfähigkeit des Beines kann damit nicht ausgegangen werden.

Die Sachverständigen haben nicht bei ihrer Prognose für den Zeitraum von drei Jahren ab dem Unfallereignis eine signifikante Verschlechterung der Funktionsfähigkeit des Beines des Sohnes des Klägers übersehen, so dass der festgesetzte Beinwert von 7/20 nicht zu beanstanden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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