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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 14.02.2001
Aktenzeichen: 7 U 182/96
Rechtsgebiete: ZPO, AOB 88, BGB


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
AOB 88 § 7 Abs. 1 Ziffer 1
AOB 88 § 1 Abs. 3
AOB 88 § 6 Abs. 3
AOB 88 § 9 Abs. 2
AOB 88 § 10
AOB 88 § 7 I Abs. 2 a
AOB 88 § 11 Abs. 4
BGB § 284
BGB § 286
Es stellt keinen zur Leistungsfreiheit führende Obliegenheitsverletzung dar, wenn der Versicherungsnehmer in der Unfallschadensanzeige einen vor 36 Jahren im Kindesalter erlittenen und folgenlos ausgeheilten Knochenbruch nicht angegeben hat
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 U 182/96

2/18 O 91/96 LG Frankfurt am Main

Verkündet am 14.2.2001

In dem Rechtsstreit ...

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 09. Juni 1996 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main ­ Aktenzeichen 2- 18 O 91/96 ­ abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 26.250 DM nebst 4 v. H. Zinsen seit dem 14. März 1996 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen. Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin 56 v. H. und die Beklagte 44 v. H. zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer beträgt für die Klägerin 33.750 DM und für die Beklagte 26.250 DM. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist an sich statthaft und zulässig. Sie hat auch in der Sache selbst zum Teil Erfolg. Die Klägerin kann aus dem unstreitig zwischen den Parteien abgeschlossenen Unfallversicherungsvertrag Leistungen in der zugesprochenen Höhe beanspruchen, ohne daß ihr die Beklagte Obliegenheitsverletzungen entgegen zu halten vermag.

Die Beklagte ist der Klägerin nach § 7 Abs. 1 Ziffer 1 AOB 88 zur Erbringung einer Invaliditätsleistung verpflichtet, weil das unstreitige Unfallereignis vom 10. August 1994 bei der Klägerin zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit geführt hat, da Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist und die Beklagte sich nicht auf eine verspätete ärztliche Feststellung der Invalidität berufen kann.

Die Klägerin hat unstreitig während der Versicherungszeit durch den Verkehrsunfall vom 10. August 1994, also durch ein plötzliches von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis, unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung, einen Armbruch erlitten, so dass ein bedingungsmäßiger Unfall im Sinne von § 1 Abs. 3 AOB 88 vorliegt. Aufgrund der eingeholten Gutachten des Unfallchirurgen Prof. Dr. F. und des Neurologen Dr. G. steht fest, daß diese Verletzung zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit der Klägerin geführt hat. Der Sachverständige Prof. Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 12. Februar 1999 ausgeführt, daß bei der Klägerin eine Schmerzsymptomatik besteht, daß am linken Unterarm eine mäßige Sensibilitätsstö- rung besteht, daß die Beweglichkeit des linken Handgelenkes bei Beugung sowie bei Drehbewegung eingeschränkt ist, der Umfang des linken Unterarmes sich mit einer daraus ergebenden Kraftminderung um 50 v. H. gemindert hat, daß Narben und Knochenveränderungen zurückgeblieben sind. Der Sachverständige hat diese Symptome allein auf das Unfallereignis vom 10. August 1994 zurückgeführt. Die Vorerkrankung, der Sturz aus dem Kinderbett etwa im Jahre 1957, stehe zu diesen Beschwerden in keiner Beziehung. So habe die Klägerin gegenüber der sie behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Frau Dr. K. bis zum Unfall im Jahre 1994 nie Beschwerden hinsichtlich Folgen aus dem früheren Unfall von 1957 vorgetragen. Die in der radiologischen Klinik der Universität F. am 16. November 1998 aufgenommenen Röntgenbilder des linken Ellenbogengelenkes wiesen keine Zeichen gehabter knöcherner Verletzungen im Bereich der Ellenbogengelenke auf. Die damalige Verletzung sei mithin folgenlos verheilt. Mit einer Besserung der Unfallfolgen sei nicht zu rechnen. Der Senat hat keine Bedenken diesen in sich stimmigen, nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen zu folgen, zumal auch die Beklagtenseite hiergegen keine Einwendungen erhebt. Aus dem Gutachten des Neurologen Dr. G. vom 10. Juni 1999 folgt allein, daß neurologischerseits eine zusätzliche Minderung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch den Unfall vom 10. August 1994 nicht festzustellen ist.

Angesichts der Art der erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigung und des Krankheitsverlaufes sind keine Zweifel angezeigt, daß die damit vorliegende Invalidität so wie § 7 I Abs. 1 Satz 2 fordert innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist. Die weitere Voraussetzung der vorgenannten Bestimmungen, daß die eingetretene Invalidität innerhalb einer weiteren Frist von 3 Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht worden ist, ist zwar nur hinsichtlich der Anmeldung des Anspruches bei der Beklagten erfüllt. Die rechtzeitige ärztliche Invaliditätsfeststellung ist zwar eine echte Anspruchsvoraussetzung (BGH NJW 95, 2855). Auch kann sich der Versicherer grundsätzlich auf die nicht rechtzeitige ärztliche Feststellung berufen, ohne damit gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verstoßen (BGH VerR 78, 1036; OLG Köln r + s 92, 105). Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Versicherer durch sein Verhalten oder durch seine oder ihm zurechenbare Erklärungen Vertrauenstatbestände schafft, aufgrund deren der Versicherte den Eindruck gewinnen muß, der Versicherer werde den Fristablauf nicht geltend machen (vgl. Grimm AOB, 3. Auflage, Rn 12 zu § 7 AOB). Dies ist etwa für den Fall bejaht worden, daß der Versicherer nach Erhalt unzureichender ärztlicher Atteste sich bereit erklärte, zum Ablauf des 3. Unfalljahres einen weiteren Arztbericht anzufordern, um die Höhe des Invaliditätsgrades zu überprüfen, da der weitere Verlauf nicht abschätzbar sei (vgl. OLG Hamm r + s 2000, 216). Entsprechend liegt es hier. Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 30. August 1995 der Klägerin erklärt, sie entnehme den ihr vorliegenden ärztlichen Berichten des Krankenhauses, daß dort empfohlen werde, die entgültige Feststellung einer eventuellen Invalidität zwei Jahre nach dem Unfall, also zum 10. August 1996 und damit nach Ablauf der ärztlichen Feststellungsfrist vornehmen zu lassen. Mit dieser Mitteilung wird zum einen der Eindruck erweckt, als sei die Invalidität als solche bereits festgestellt und es handele sich bereits noch um deren entgültige Bemessung, zum anderen vermittelt die Beklagte die Vorstellung, sich auch in fernerer Zukunft noch auf eine sachliche Prüfung einlassen zu wollen. Damit aber ist es ihr nachdem auch das Versicherungsverhältnis prägenden Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, nunmehr noch den Fristablauf geltend zu machen.

Ebenso wenig vermag die Beklagte sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung gemäß §§ 6 Abs. 3, 9 Abs. 2, 10 AOB 88 zu berufen. Hieran ist sie entsprechend der sogenannten Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH VerR 82, 182) gehindert, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben, die Obliegenheitsverletzung nicht generell geeignet ist, die Interessen des Versicherers zu gefährden oder wenn nur ein geringes Verschulden vorliegt. Hinsichtlich der objektiv unzutreffenden Antwort der Klägerin zu Vorerkrankungen ist entgegen der Auffassung der Beklagten ein vorsätzliches Verhalten zu verneinen. Zwar spricht für ein bewußtes und gewolltes Vorgehen, daß die Vorerkrankung nach Art und betroffenem Körperteil der mit dem Versicherungsanspruch geltend gemachten Verletzung entsprochen hat, so daß die Frage nach Vorschäden hätte hinreichenden Anlaß bieten können, sich an das frühere Ereignis zu erinnern. Gleichwohl kann den entgegengesetzten Angaben der Klägerin Glauben geschenkt werden. Maßgebend hier ist insbesondere der enorme zeitliche Abstand von 36 Jahren zwischen den beiden Unfallereignissen. Kindheitserlebnisse können zudem häufig im späteren Erwachsenenalter verblassen. Auslöser des damaligen Sturzes war zudem, daß die Klägerin aus dem Bett gefallen war, ein Vorfall, der gemeinhin nicht zwangsläufig mit dem Begriff "Unfall" verbunden wird, nach dem die Beklagte hier gefragt hatte. Hinzu kommt, daß die Beklagte beispielsweise in ihrem Schreiben vom 17. Oktober 1994 allein ein Interesse an Unfällen bekundet hatte, die zu einer Erwerbsminderung oder einer auch nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit führten. Da der hier in Rede stehende Unfall sich bereits im Kindesalter ereignet hatte, hatte er jedoch keinerlei Auswirkungen auf eine Erwerbstätigkeit der Klägerin. Hinzu kommt, daß, wie das eingeholte Gutachten bestätigt, der frühere Bruch folgenlos ausgeheilt ist und die Klägerin deswegen nie Beschwerde bei Ärzten führen mußte. Ein Anlaß, eine folgenlose, Jahrzehnte zurückliegende Erkrankung zu verschweigen, ist für die Klägerin damit nicht zu erkennen. Aufgrund der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ist daher ein vorsätzliches Handeln zu verneinen. Hinsichtlich des Verschweigens weiterer Unfallversicherungen ist zunächst schon fraglich, ob diese objektiv falsche Antwort generell geeignet war, die Interessen der Beklagtenversicherung zu gefährden. Dies könnte sich daraus herleiten, daß beim Bestehen mehrerer Unfallversicherungen eine höhere Gefahr besteht, daß ein Unfall vorgetäuscht wird. Damit könnte es an der Relevanz des Obliegenheitsverstoßes bereits dann fehlen, wenn wie hier unzweifelhaft feststeht, daß der Versicherte einen unter den Versicherungsschutz fallenden Unfall erlitten hat (vgl. OLG Saarbrücken VersR 90, 1143; OLG Hamm r + s 86, 267). Jedenfalls handelte es sich bei nicht angegebenen Versicherung um eine groben Unfallversicherung, die nicht die Klägerin selbst, sondern die ihr Ehemann abgeschlossen hatte und bei der die Klägerin auch lediglich mitversichert war. Dieser Umständen legt es nahe, daß die Klägerin tatsächlich entsprechend ihren Angaben diese weitere Versicherung nicht gegenwärtig war, als sie ihre Unfallschadensanzeige ausgefüllt hat.

Für die Höhe des danach der Klägerin zustehenden Versicherungsanspruches ist von der sogenannten Gliedertaxe des § 7 I Abs. 2 a AOB 88 auszugehen. Nach § 11 Abs. 4 AOB 88 kann der Grad der Invalidität längstens bis zu 3 Jahren nach Eintritt des Unfalls erneut ärztlich bemessen werden. Wird wie hier durch den gerichtlichen Sachverständigen die Untersuchung erst nach Ablauf der Frist durchgeführt, so darf die Invalidität nicht aufgrund von Tatsachen beurteilt werden, die später als 3 Jahre nach dem Unfall er- kennbar wurden (BGH Versicherungsrecht 88, 798). Die aktuelle Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit hat der Sachverständige Prof. Dr. F. auf 1/8 Armwert, entsprechend 8,75 % angesetzt. Der Senat hat keine Bedenken, der Beurteilung des erfahrenen Sachverständigen zu folgen, zumal die Parteien diese auch nicht beanstandet haben. Weiter hat der Sachverständige ermittelt, daß es unter Berücksichtigung des Toleranzbereiches wegen subjektiver Meßfehler gegenüber einer 3 Monate vor seiner Untersuchung durch Prof. Dr. W. durchgeführten Untersuchung keine Befundveränderungen hinsichtlich der Umfangmaße und Bewegungsausmaße gegeben hat. Der Sachverständige vermochte hieraus unter Berücksichtigung des Krankheitsverlaufes abzuleiten, daß auch bereits im August 1997, also 3 Jahre nach dem Unfall, das gleiche Beschwerdebild bestanden hat. Mithin ist von einer Minderung der Leistungsfähigkeit um 8,75 v. H. auszugehen, so daß sich bei der für den Invaliditätsfall vereinbarten Versicherungssumme von 300.000 DM ein Zahlungsanspruch in Höhe von 26.250 DM errechnet.

Den zugesprochenen Betrag hat die Beklagte gemäß §§ 284, 286 BGB aus dem Gesichtspunkte des Verzuges mit dem gesetzlichen Zinsfuß zu verzinsen. Für einen weitergehenden Verzugsschaden ist nichts vorgetragen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, Abs. 1, 281 Abs. 3 Satz 2, 708 Nummer 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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