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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 13.07.2005
Aktenzeichen: 7 U 197/01
Rechtsgebiete: AUB 88, BAB


Vorschriften:

AUB 88 § 9
AUB 88 § 10
BAB § 254
In der Unfallversicherung muss sich der Versicherungsnehmer nur solchen Operationen unterziehen, zu denen sich ein vernünftiger Mensch unter Abwägung aller Umstände entschließen würde. Auch im Rahmen der allgemeinen Schadensgeringhaltungspflicht ist der Geschädigte lediglich gehalten, sich auf einfache, gefahrlose und sicheren Erfolg versprechende Operationen einzulassen, nicht aber auf solche, die der Sachverständige als lediglich vertretbar, nicht aber als nur gering eingestuft hat.
Gründe:

I.

Der Kläger begehrt bedingungsgemäße Invaliditätsentschädigung aus einer bei der Beklagten unter Einbeziehung der AUB 88 genommenen Unfallversicherung mit der Behauptung, aufgrund einer unstreitigen Kompressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers, die neben einem folgenlos verheilten Bruch des linken Handgelenks Folge eines Sturzes aus sechs Metern Höhe am 21.06.1997 war, bestehe ein Invaliditätsgrad von 30 %. Die Invaliditätssumme beträgt 100.000 DM für den 25% nicht übersteigenden Invaliditätsgrad und 200.000 DM für den 25%, aber nicht 50% übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades. Ausgehend von der behaupteten 30%igen Invalidität hatte der Kläger seinen Anspruch zunächst mit 60.000 DM beziffert (30% von 200.000), später mit 35.000 DM (25% von 100.000 DM zuzüglich 5% von 200.000 DM).

Der Kläger litt an Morbus Scheuermann. Der von der Beklagten im Rahmen der Leistungsprüfung beauftragte Sachverständige Dr. A hat in einem wie sich während der ersten Instanz ergeben hat, unvollständig ausgedruckten Gutachten vom 22.01.1999 (Bl. 20-33 d.A.) deshalb eine Vorinvalidität von 15% angenommen und sich zu dem nach dem Sturz vorliegenden Invaliditätsgrad nicht geäußert. Die Beklagte hat Leistungen zunächst abgelehnt. In der vollständigen Fassung des Gutachtens von Dr. A (Bl. 164-177 d.A.) wird eine Invalidität von 30% nach dem Unfall und eine Vorinvalidität von 15% angenommen. Die Beklagte hat nach Anrechnung der Vorinvalidität gemäß § 7 I 3 AUB 15.000 DM an den Kläger gezahlt. In Höhe dieser Zahlung haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt; darüber hinaus hat der Kläger die ursprüngliche Klage mit Zustimmung der Beklagten in Höhe von 25.000 DM teilweise zurückgenommen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 35.000 DM nebst 4% Zinsen ab dem 20.07.1999 abzüglich des am 22.02.2000 gezahlten Betrages von 15.000 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat zu dem vom Kläger behaupteten unfallbedingten Invaliditätsgrad ein Gutachten bei dem Leiter der unfallchirurgischen Abteilung der Y eingeholt. Das von Prof. Dr. B und den Dres. C und D erstattete Gutachten vom 22.01.2001 (Bl. 244-250 d.A.) verneint eine Mitwirkung des Morbus Scheuermann sowie eine Vorinvalidität und nimmt eine MdE von 20% auf Dauer an. In einem von den Dres. C und D unterzeichneten Ergänzungsgutachten vom 12.06.2001 (Bl. 265a d.A.) wird die unfallbedingte Invalidität mit 30% angegeben.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils.

Mit diesem Urteil hat das Landgericht dem Kläger den nach Teilrücknahme der Klage und übereinstimmend erklärter Teilerledigung noch geltend gemachten Betrag zugesprochen und zur Begründung ausgeführt, dass den Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen zufolge die Leistungsfähigkeit des Klägers zu 30% eingeschränkt sei und eine Mitwirkung des Morbus Scheuermann nicht erwiesen sei. Wegen der Erwägungen des Landgerichts im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

II.

Gegen dieses ihr am 15.10.2001 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 30.10.2001 eingelegten Berufung, die sie am 27.11.2001 begründet hat und mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt.

Die Beklagte macht geltend, dass das Ergänzungsgutachten vom 12.06.2001 unschlüssig sei, weil der Invaliditätsgrad nach den AUB nicht höher sein könne als die MdE. Laut einem von ihr eingeholten Privatgutachten von Dr. E vom 19.07.2001 (Bl. 281-283 d.A.) bestehe eine Gesamtinvalidität nach dem Unfall von 20% bei einer Vorinvalidität von 5%, so dass die unfallbedingte Invalidität 15% betrage.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 30.08.2001, Az.: 2 O 150/99, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung des Bestreitens einer Vorinvalidität und macht geltend, dass das Privatgutachten von Dr. E nur im Ergebnis, nicht aber in dessen Herleitung mit dem Privatgutachten von Dr. A übereinstimme, auf dessen Grundlage die Beklagte abgerechnet und das sie sich mithin zu eigen gemacht habe. Bei der Abrechnung sei die Beklagte für die Zeit nach dem Unfall von einem Invaliditätsgrad von 30% ausgegangen, unter Berufung auf das Gutachten von Dr. E behaupte sie nun eine Vorinvalidität von nur noch 5%. Konsequenterweise müsse die Beklagte daher zumindest eine unfallbedingte Invalidität von 25% zugrunde legen und mithin jedenfalls weitere 10.000 DM zahlen.

Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 08.05.2002 (Bl. 335 f. d.A.) ein Gutachten bei Herrn PD Dr. F, damals Klinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums ... der Universität O1, eingeholt. Das Gutachten vom 11.12.2002 (Bl. 343-351 d.A.) gibt als erhebliche Unfallfolgen eine Defektheilung des 1. Lendenwirbelkörpers mit einer Impression der Deckplatte und einer Instabilität des Segments BWK12/LWK 1 mit schwerer Osteochondrose und Gibbus-Bildung (Knickbildung), eine Chondrose im Bewegungssegment LWK 1/2 sowie belastungsabhängige Lumbalgien als Ausdruck einer schweren posttraumatischen Wirbelsäulenschädigung an. Es spricht die Möglichkeit an, durch eine operative Fusion des BWK 12 mit dem LWK 1 eine Stabilisierung zu erreichen. Unfallunabhängig sei eine Spondylose im Segment LWK 2/3, die eine gewisse Potenz zur Ausbildung von Lumbalgien habe. Aktuell bestehe ein Invaliditätsgrad von 30%.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf ein weiteres Privatgutachten von Dr. E vom 04.04.2003 (Bl. 362-364 d.A.) hiergegen eingewandt, dass die festgestellte Spondylose im Segment LWK 2/3 nach § 7 I 3 AUB als Vorinvalidität berücksichtigt werden müsse. Auch sei der Kläger nach § 9 I AUB verpflichtet, sich der von dem Sachverständigen empfohlenen Korrekturoperation unterziehen. Schließlich sei nicht gesichert, dass der von Herrn Dr. F festgestellte Zustand bereits zum Ende des dritten Jahres nach dem Unfall bestanden habe. Die Beklagte hat die Beziehung älterer Röntgenaufnahmen aus der Zeit vor Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall angeregt.

Hierauf hat der Senat gemäß Beweisbeschluss vom 20.08.2003 (Bl. 367 f. d.A.) ein Ergänzungsgutachten bei Herrn Dr. F, nunmehr Chefarzt der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Chirurgischen Klinik des Klinikums O2, eingeholt. Für sein Ergänzungsgutachten vom 16.08.2004 (Bl. 409-412 d.A.) hat der Sachverständige Röntgen- bzw. Kernspinbilder vom 05.08.2000 und 07.02.2002 mit ausgewertet, nicht aber die von Dr. A im Januar 1999 gefertigten Röntgenbilder Das Ergänzungsgutachten verneint eine Vorinvalidität wegen des Morbus Scheuermann mit der Begründung, dass nach den angesichts der Befunde glaubhaften Angaben des Klägers vor dem Unfall keine Wirbelsäulenbeschwerden bestanden hätten. Es fänden sich SchmorlŽsche Knötchen als Anzeichen eines abgelaufenen Morbus Scheuermann sowie Abstützreaktionen der Wirbelkörper LWK 2/3 (Spondylose) bei nur geringer Bandscheibenverschmälerung, jedoch keine Anzeichen für hochgradige degenerative Veränderungen. Aus diesen Abnutzungserscheinungen habe keine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Klägers oder der Gebrauchsfähigkeit seines Achsorgans resultiert. Nach Angaben des Klägers hätten sich die Beschwerden bis Dezember 1997 zunächst zurückgebildet, doch seien bei einem anschließenden und dann abgebrochenen Arbeitsversuch nicht tolerable Beschwerden aufgetreten, die nach der Entfernung des fixateur interne bis zu der ersten Untersuchung durch den gerichtlichen Sachverständigen am 21.10.2002 fortbestanden hätten. Die festgestellten unfallbedingten Beeinträchtigungen hätten demnach bereits vor Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall bestanden. Die empfohlene sekundäre Fusionsoperation sei wegen der Schmerzsymptomatik indiziert. Ihre Risiken seien vertretbar. Sie werde in Bauchlage durchgeführt und würde einen stationären Aufenthalt von sieben bis zehn Tagen erforderlich machen.

Der Kläger hat in seiner Stellungnahme zu diesem Ergänzungsgutachten die Auffassung vertreten, dass ihn keine Obliegenheit treffe, sich einem von dem Sachverständigen lediglich für vertretbar gehaltenen Risiko auszusetzen. Die Beklagte hat, gestützt auf ein weiteres Privatgutachten von Dr. E vom 20.09.2004 (Bl. 394-398 d.A.), eine erneute Gutachtenergänzung unter Beziehung der von Dr. A gefertigten Röntgenbilder beantragt. Sie hat eingewandt, dass das Ergänzungsgutachten sich weitgehend nur auf subjektive Schilderungen des Klägers stütze und dass die von Dr. F angenommene Instabilität im Wirbelsäulenbereich nicht objektivierbar sei. Der Bruch der Lendenwirbelsäule sei knöchern fest ausgeheilt.

Der Senat hat den Sachverständigen Dr. F um eine weitere ergänzende Stellungnahme zu den Einwänden der Beklagten unter Beziehung der Röntgenbilder von Dr. A gebeten. Die Stellungnahme vom 15.12.2004 (Kopie Bl. 405-408 d.A.., Original in der Aktenhülle) führt aus, dass das bloße Vorhandensein struktureller Veränderungen nach überstandenem Morbus Scheuermann nicht zwingend den Schluss erlaube, dass damit Funktionsbeeinträchtigungen einher gegangen seien. Da dem Sachverständigen keine Untersuchungsbefunde aus der Zeit vor dem Unfall vorgelegen hätten, welche Funktionsbeeinträchtigungen oder Beschwerden dokumentierten, müsse von der Richtigkeit der anamnestischen Angaben des Klägers ausgegangen werden, wonach bis zum Unfall keine Funktionsbeeinträchtigung vorgelegen habe. Die von Dr. A gefertigten Röntgenbilder zeigten eine knöchern verheilte Fraktur des 1. LWK mit muldenförmigem Einbruch der Wirbelkörperdeckplatte und Zerstörung des Bandscheibenfaches zwischen BWK 12 und LWK 1, wobei durch den Zusammenbruch des 1. LWK eine Knickbildung nach vorn von ca. 15 Grad im Bewegungssegment BWK 12/LWK 1 bestehe. Auch Dr. E beschreibe in seinem Privatgutachten diesen Befund, insbesondere die Zerstörung der Bandscheibenplatte und die Höhenverminderung der Wirbelkörpervorderkante. Die beschriebene Fehlstellung habe eine erhebliche Veränderung der Wirbelsäulenstatik bewirkt mit einer Zunahme der Druckbelastung in den vorderen Wirbelkörperabschnitten. Diese Entwicklung könne im günstigsten Falle mit einer spontanen knöchernen Fusion der Wirbelkörper enden, welche im Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers noch nicht eingetreten gewesen sei. Da die genannten Veränderungen bereits eineinhalb nach dem Unfall dokumentiert seien, stehe außer Frage, dass es innerhalb des Drei-Jahres-Zeitraums zur Ausbildung des Beschwerdebildes gekommen sei.

In ihrem letzten Schriftsatz wendet die Beklagte - unter Bezugnahme auf eine weitere Stellungnahme von Dr. E vom 10.05.2005 (Bl. 420-423 d.A.) - hiergegen ein, dass unfallfremde Veränderungen entweder als Mitwirkungsfaktoren i.S. von § 8 AUB oder aber als Vorinvalidität i.S. von § 7 I 3 AUB berücksichtigt werden müssten. Herr Dr. F habe übergangen, dass die SchmorlŽschen Knötchen und die Spondylose die Beweglichkeit und Belastbarkeit der Wirbelsäule des Klägers schon vor dem Umfall herabgesetzt hätten. Falls dem Kläger vor dem Unfall eine normale Beweglichkeit nicht abverlangt worden sei, könne es sein, dass die unfallfremden Veränderungen damals noch keine Beschwerden verursacht hätten. Dies reiche jedoch zum Ausschluss einer Vorinvalidität nicht aus. Vielmehr sei eine mit 5% zu bemessende Vorinvalidität bildtechnisch gesichert. Darüber hinaus beantragt die Beklagte, die von Herrn Dr. F ausgewerteten Röntgen- und Kernspinaufnahmen durch einen Radiologen (vorzugsweise aus dem Institut von Dr. E) nachbefunden zu lassen um zu klären, ob sie Hinweise auf eine unfallbedingte Instabilität am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule zum Ende des dritten Unfalljahres oder im weiteren Verlauf ergäben.

Wegen des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird im Übrigen Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 23.11.2001 sowie die Schriftsätze der Beklagten vom 25.03.2002, 17.04.2003, 01.10.2004 und 03.06.2005, auf die Berufungserwiderung vom 18.03.2002 sowie die klägerischen Schriftsätze vom 28.04.2003, 24.05.2004 und 02.09.2004, auf die Anlagen zu den genannten Schriftsätzen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 03.04.2002 und vom 22.06.2005.

III.

Die an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten hat im Ergebnis keinen Erfolg.

Aufgrund der in sich schlüssigen und gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. F steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei dem Kläger vor Ablauf von drei Jahren nach dem Unfalltag unfallbedingt eine dauernde Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule eingetreten ist, die mit einem Invaliditätsgrad von 30% zu bemessen ist. Hingegen vermag der Senat das Bestehen einer Vorinvalidität nicht festzustellen.

Der Sachverständige Dr. F hat seine Beurteilung, dass bereits vor Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall eine Invalidität von 30% bestanden habe, auf eine aus den Röntgenaufnahmen ersichtliche Instabilität am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule gestützt. Seine Erläuterungen insbesondere im zweiten Ergänzungsgutachten sind sehr einleuchtend. Er entnimmt den zu unterschiedlichen Zeitpunkten gefertigten Röntgenaufnahmen, dass bereits im Jahr 1999 und noch im Jahr 2002 das Bandscheibenfach zwischen LWK 1 und BWK 12 zerstört war, die Wirbelkörperdeckplatte des LWK 1 muldenförmig eingebrochen war, der BWK 12 sich in das ehemalige Deckplattenniveau des LWK 1 hinein gedrückt hatte und sich im Bewegungssegment BWK 12/LWK 1 ein Knick von 15 Grad nach vorne gebildet hatte. Es leuchtet unmittelbar ein, dass dies die Wirbelsäulenstatik im Sinne einer Instabilität nachteilig verändert hat und dass diese nachteiligen Folgen solange nicht voll zutage treten konnten, als der fixateur interne noch eingebracht war.

Durch die auf Stellungnahmen von Dr. E gestützten Einwände der Beklagten wird dies nicht ernstlich in Zweifel gestellt. Vielmehr trägt die Beklagte insoweit widersprüchlich vor. Herr Dr. E hat in seiner Stellungnahme vom 19.07.2001 (Bl. 281-283 d.A.), welche die Beklagte sich in erster Instanz mit Schriftsatz vom 25.07.2001 (Bl. 279 f. d.A.) zu eigen gemacht hatte und die sie mit der Berufungsbegründung in Bezug genommen hat (Bl. 312 d.A.), ausgeführt, dass beim Kläger unfallbedingt eine leichte keilförmige Deformation des 1. LWK und eine Verschmelzung des Zwischenwirbelraums BWK 12/LWK 1 verblieben sei, mit einer dadurch herabgesetzten statischen und dynamischen Belastbarkeit des Übergangs von der Brust- zur Lendenwirbelsäule und einer weitgehend aufgehobenen segmentalen Belastbarkeit. Eine herabgesetzte statische und dynamische Belastbarkeit bedeutet indessen Instabilität. Darüber hinaus hat sich die Beklagte die Stellungnahme von Dr. E vom 20.09.2004 (Bl. 394-398 d.A.) zu eigen gemacht, in der eine Höhenverminderung der Vorderkante des BWK 12 im Vergleich zum LWK 1, mit anderen Worten ein Knick in der Wirbelsäule, konstatiert wird. Wenn die Beklagte zuletzt eine unfallbedingte Instabilität der Wirbelsäule des Klägers in Zweifel zieht, trägt sie mithin widersprüchlich vor.

Für die Richtigkeit des von Dr. F für die Zeit nach dem Unfall festgestellten Invaliditätsgrades spricht im Übrigen auch das Gutachten von Dr. A, das auf den auch von Dr. F mit ausgewerteten Röntgenbildern vom 22.01.1999 aufbaut und ebenfalls eine Invalidität von 30% nach dem Unfall annimmt.

Für die Einholung eines weiteren Gutachtens besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 412 ZPO nicht vorliegen. Mit ihrem Antrag auf Nachbefundung durch einen Röntgenologen hat die Beklagte Zweifel an der Sachkunde eines Unfall- und Wiederherstellungschirurgen für die Beurteilung des vor Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall bestehenden Invaliditätsgrades angedeutet. Der Senat teilt diese Zweifel nicht. Es ist gerichtsbekannt, dass Unfallchirurgen, ebenso wie etwa Orthopäden, ihre medizinischen Erkenntnisse wesentlich auch aus der Auswertung bildgebender Verfahren gewinnen und mithin über eine entsprechende Sachkunde verfügen. Auch die Beklagte hat sich in medizinischer Hinsicht auf die Privatgutachten der Orthopäden Dr. A und Dr. E gestützt. Dass speziell der Sachverständige Dr. F nicht über eine ausreichende Sachkunde bei der Auswertung bildgebender Verfahren verfügen würde, ist weder von der Beklagten hinreichend dargetan noch sonst ersichtlich.

Die Beklagte ist für eine nach § 7 I 3 AUB 88 zu berücksichtigende Vorinvalidität darlegungs- und beweisbelastet (vgl. OLG Düsseldorf VersR 2005, 109 f.; OLG Koblenz ZfS 2001, 178 f. [zu § 8 AUB 88]). Der Nachweis einer Vorinvalidität der Wirbelsäule des Klägers ist ihr nicht gelungen. Soweit die Beklagte meint, dass eine röntgenologisch nachgewiesene Veränderung nach überstandenem Morbus Scheuermann zwingend entweder als Vorinvalidität nach § 7 I 3 AUB oder aber als mitwirkende Beeinträchtigung nach § 8 AUB berücksichtigt werden müsse, folgt der Senat dem nicht. Die der Auffassung der Beklagten zugrunde liegende Auslegung der AUB orientiert sich entgegen dem einhelligen Verständnis des § 7 AUB nicht an dem Kriterium der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers. Sie dürfte im Übrigen in anderem Zusammenhang nicht den Intentionen der Beklagten als der Verwenderin der AUB entsprechen. Denn nach dieser Auslegung müsste die Beklagte selbst im Falle völliger Beschwerdefreiheit ihres Versicherungsnehmers bei jeder röntgenologisch feststellbaren Veränderung der Wirbelsäule eine Invaliditätsentschädigung zahlen. Der Sachverständige Dr. F hat zutreffend darauf abgestellt, dass Untersuchungsbefunde aus der Zeit vor dem Unfall nicht vorliegen und dass daher die anamnestischen Angaben des Klägers, wonach dieser bis zum Unfall in Bezug auf die Wirbelsäule beschwerdefrei gewesen sei, nicht zu widerlegen seien. Soweit der Sachverständige hieran anknüpfend ausführt, dass unter der Prämisse der Beschwerdefreiheit eine Funktionsbeeinträchtigung im Zeitraum vor dem Unfall nicht positiv nachgewiesen werden könne, hält der Senat dies für nachvollziehbar und überzeugend. Die Behauptung der Beklagten, dass die SchmorlŽschen Knötchen und die Spondylose als unfallfremde Veränderungen die Beweglichkeit und Belastbarkeit der Wirbelsäule des Klägers schon vor dem Unfall herabgesetzt hätten, ist unsubstantiiert. Denn sie basiert auf der bloßen Mutmaßung, dass dem Kläger vor dem Unfall eine normale Beweglichkeit nicht abverlangt worden sei und sich deshalb keine Beschwerden gezeigt hätten, für die jedoch nichts dargetan ist. Der Kläger ist gelernter Karosseriefacharbeiter und war zur Zeit des Unfalls als Schlosser und Schweißer tätig. Anhaltspunkte für eine andauernd unterdurchschnittliche Belastung seiner Wirbelsäule ergeben sich daraus keinesfalls.

Schließlich kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf Leistungsfreiheit nach §§ 9 I, 10 AUB berufen. Es fehlt bereits objektiv an einer Obliegenheitsverletzung. Der Versicherungsnehmer muss sich nur solchen Operationen unterziehen, zu denen sich ein vernünftiger Mensch unter Abwägung aller Umstände entschließen würde (Prölss/Kampmann, VVG, 27. Aufl., § 9 AUB 94 Rn 6 m.w.Nachw.). Auch im Rahmen der allgemeinen Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB ist der Geschädigte lediglich gehalten, sich auf einfache, gefahrlose und sicheren Erfolg versprechende Operationen einzulassen (BGH VersR 1987, 559). Die von Dr. F empfohlene operative Fusion verspricht zwar den Ausführungen des Sachverständigen zufolge sicheren Erfolg; das mit ihr verbundene Risiko bezeichnet der Sachverständige jedoch lediglich als vertretbar und nicht als gering oder gar minimal. Die Weigerung des Klägers, ein von einem Arzt bloß als vertretbar eingeschätztes Risiko einzugehen, erscheint dem Senat nicht unvernünftig.

Nach allem schuldet die Beklagte dem Kläger noch den vom Landgericht zugesprochenen Entschädigungsbetrag.

Da ihre Berufung keinen Erfolg hat, muss die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens tragen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO und 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Revisionsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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