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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 20.06.2007
Aktenzeichen: 7 U 21/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 307 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 287
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
ZPO §§ 355 ff
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I)

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einer Unfallversicherung geltend.

Der Kläger erlitt am 26.11.2002 bei einem beruflichen Auslandsaufenthalt in Südkorea einen Unfall. Der Kläger stand auf einer Leiter und wollte Wagen und Motor auf die Laufkatze einer Kranlaufbahn heben. Hierbei brach die Leiter zusammen und der 50 kg schwere Motor fiel auf seinen Bauch. Es kam zu einer Blutung im Bauchraum mit der Folge einer Colonperforation. Der Kläger wurde noch am gleichen Tag operiert, wobei ein Teil des Dickdarmes entfernt wurde. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland musste er sich im Dezember 2002 einer weiteren Operation wegen eines sog. Platzbauches unterziehen. Es folgten weitere stationäre Behandlungen vom 4.2. bis 10.3.2003 und vom 28.4. bis 1.5.2003. Aufgrund einer großen Narbenhernie wurde der Kläger im September 2003 erneut operiert.

Mit Schreiben vom 22.5.2003 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche aus der Unfallversicherung geltend unter Vorlage der ärztlichen Bescheinigung des Klinikums der Stadt ... vom 31.3.2003.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Internisten Dr. A ein, der in Hinblick auf eine funktionelle Darmstörung und Schmerzsymptome eine Beeinträchtigung der allgemeinen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit zu insgesamt 40 % bejahte. Auf dieser Grundlage nahm die Beklagte eine Regulierung vor; weitergehende Ansprüche lehnte sie mit Schreiben vom 21.1.2005 ab.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 80 % die Zahlung weiterer 64.000,- Euro sowie Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten, soweit diese nicht auf die Verfahrensgebühr angerechnet werden.

Der Kläger hat behauptet, seit dem Unfall leide er fast ständig unter Bauchschmerzen, so dass er kraftlos und kaum noch belastbar sei.

Täglich würden ca. 15 bis 20 Durchfälle auftreten. Er müsse permanent eine Bauchbinde tragen. Bei längerem Stehen oder Sitzen habe er große Schmerzen in Höhe der Brustwirbelsäule.

Seit dem Unfall zeigten sich zunehmend Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Er leide unter Alpträumen, sei wesensgeändert und depressiv.

Seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sei unfallbedingt mindestens zu 80 % beeinträchtigt (Beweis : Sachverständigengutachten / Arztbericht Dr. B vom 16.2.2005).

Die Beklagte hat die Unfallbedingtheit der Beschwerden des Klägers bestritten. Etwaige Beschwerden an der Wirbelsäule beruhten allein auf degenerativen Vorschäden. Psychische Störungen seien vom Versicherungsschutz ausgeschlossen gemäß Ziffer 5.2.6 der Bedingungen.

Darüber hinaus fehle es an der fristgerechten ärztlichen Feststellung der Invalidität.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 29.12.2006 - auf dessen Inhalt (Bl. 51 ff d.A.) wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird - die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Regulierung der Beklagten auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. A nicht zu beanstanden sei. Auch ein Privatgutachten könne zur Beurteilung der Höhe des Invaliditätsgrades ausreichen. Das Gutachten von Dr. A sei als zur Überzeugungsbildung ausreichend begründet anzusehen. Der Einholung eines gerichtlichen Gutachtens bedürfe es daher nicht. Hinsichtlich der Depression greife der Leistungsausschluss gemäß Ziffer 5.2.6. der Bedingungen ein.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Das Landgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Ein Hinweis seitens des Landgerichts, dass es das Gutachten Dr. A verwerten wolle, sei nicht ergangen. Darüber hinaus sei eine Verwertung ggf. nur im Wege des Urkundsbeweises zulässig und mache die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht entbehrlich.

Des weiteren wiederholt er seine Auffassung, dass der Leistungsausschluss für Störungen infolge psychischer Reaktionen gemäß § 307 II Nr. 2 BGB unwirksam sei und im übrigen auch nicht eingreife.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 29.12.2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 64.000,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.1.2005 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 500,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

hilfsweise,

das Urteil aufzuheben und die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Eine weitere Beweiserhebung habe das Landgericht zu recht nicht für erforderlich erachtet.

Im übrigen stütze der Kläger seinen Vortrag im wesentlichen auf psychische Störungen, die wirksam vom Versicherungsschutz ausgeschlossen seien.

II)

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angefochtene Urteil und das ihm zugrunde liegende Verfahren leiden an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 538 II Nr. 1 ZPO. Das Landgericht hat eine notwendige Beweiserhebung unterlassen, so dass das erstinstanzliche Verfahren keine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung abgibt (vgl. BGH MDR 2003, 108). Das Landgericht durfte nicht ohne Hinzuziehung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen die Feststellung treffen, dass ein Invaliditätsgrad von nur 40 % vorliege. Eine eigene Sachentscheidung des Senates kam nicht in Betracht, da die nachzuholende medizinische Begutachtung aufwendig ist.

Gemäß Ziffer 2.1.1 AUB 2000 besteht ein Anspruch auf Invaliditätsleistung, wenn die versicherte Person durch einen Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Des weiteren muss die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und vom Versicherungsnehmer geltend gemacht worden sein.

Vorliegend ist zwar das Unfallereignis vom 26.11.2002 als solches unstreitig. Die Beklagte hat jedoch die Unfallbedingtheit sämtlicher Beschwerden bestritten, so dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurft hätte. Allein auf das Privatgutachten von Dr. A durfte das Landgericht seine Entscheidung nicht stützen, da ein Privatgutachten kein Beweismittel im Sinne der § 355 ff ZPO darstellt. Es handelt sich lediglich um (qualifizierten) Parteivortrag. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Parteien der Verwertung des Gutachtens als Sachverständigengutachten ausdrücklich zustimmen (vgl. BGH VersR 1993, 899; VersR 1981, 576 ). Die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens wird durch ein Privatgutachten allenfalls dann entbehrlich gemacht, wenn der Tatrichter allein schon aufgrund dieses substantiierten Parteivortrages zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage gelangen kann (vgl. BGH VersR 1989, 587). Letzteres ist vorliegend zu verneinen, da es besonderer medizinischer Sachkunde bedarf, um die Beweisfragen zu beantworten.

Darüber hinaus enthält das Gutachten von Dr. A, das vor Ablauf der Dreijahresfrist erstellt wurde, Unklarheiten hinsichtlich der konkret berücksichtigten Beschwerden und deren Bewertung, die sich auch im Urteil niederschlagen.

Das Landgericht wird daher die erforderliche Beweiserhebung nachzuholen haben.

Soweit der Kläger sich auf Beschwerden infolge der erlittenen Darmverletzung sowie auf unfallbedingte Beschwerden im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule - mit Ausnahme der Depression - stützt, liegen auch die weiteren Voraussetzungen des geltend gemachten Invaliditätsanspruchs vor.

Zwar fehlt es an einer fristgerechten schriftlichen Feststellung der Invalidität. Aus den innerhalb der 15-Monatsfrist erstellten Arztberichten ergibt sich keine Feststellung einer dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigung, die Stellungnahmen von Dr. B vom 12.3.2004 und 16.2.2005 liegen - ebenso wie das Gutachten von Dr. A - außerhalb der am 26.2.2004 ablaufenden Frist. In der Bescheinigung des Klinikums der Stadt ... vom 31.3.2004 zur Vorlage bei der Unfallversicherung wird hinsichtlich der Frage, ob eine dauernde Gesundheitsbeeinträchtigung zurückbleiben werde, gerade ausgeführt, dass dies noch nicht abzusehen sei.

Weiter heißt es, dass der Kläger momentan unter chronischen Rückenbeschwerden, Bauchwandhernie und chronischer Diarrhöe leide.

Auf das Versäumen der Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität kann die Beklagte sich insoweit jedoch nach Treu und Glauben nicht berufen.

Ob von einer Treuwidrigkeit bereits allein deshalb auszugehen ist, weil die Beklagte nach Ablauf der Frist in eine sachliche Prüfung eingetreten, das Gutachten von Dr. A eingeholt und Zahlung geleistet hat, mag dahingestellt bleiben. Vorliegend hat der Kläger in seinem Schreiben vom 22.5.2003, mit welchem er der Beklagten die Bescheinigung des Klinikums der Stadt ... übersandt hat, ausdrücklich um einen entsprechenden Hinweis gebeten, sofern diese nicht zum Nachweis der Invalidität ausreichen sollte. Da kein entsprechender Hinweis erfolgte, durfte der Kläger darauf vertrauen, alles Erforderliche getan zu haben. Des weiteren ergab sich aus der übersandten Bescheinigung vom 31.3.2003 jedenfalls, dass der Eintritt der Invalidität möglich erschien bzw. nicht fernlag, so dass die Beklagte den Kläger auch von sich aus auf die Notwendigkeit der ärztlichen Feststellung hätte hinweisen müssen (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 2 AUB 99 Rz. 12).

Der Kläger hat einen Invaliditätsanspruch wegen der Folgen der Darmverletzung sowie der Rückenbeschwerden auch rechtzeitig geltend gemacht. Der Kläger hat unter Vorlage jener Bescheinigung vom 31.3.2003, die er als ausreichend erachtete, mit Schreiben vom 22.5.2003 die Abgabe eines Leistungsanerkenntnisses gefordert. Aus der Bescheinigung ergab sich, aufgrund welcher unfallbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen er eine Invaliditätsentschädigung begehrte.

Soweit der Kläger darüber hinaus seinen Invaliditätsanspruch auch auf das Vorliegen einer Depression stützt, fehlt es demgegenüber an den Anspruchsvoraussetzungen der fristgerechten ärztlichen Feststellung eines Dauerschadens sowie an der rechtzeitigen Geltendmachung gemäß Ziffer 2.1.1 AUB 2000.

Die depressive Erkrankung des Klägers stellt einen selbständigen weiteren Gesundheitsschaden dar, so dass insoweit die Fristen gemäß Ziffer 2.1.1 AUB 2000 zu beachten waren (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall (BGH, Urteil vom 7.3.2007 - IV ZR 137/06, EBE /BGH 2007,BGH-Ls 424/07 ). In der Bescheinigung des Klinikums der Stadt ... vom 31.3.2003 wurde eine psychische Erkrankung des Klägers nicht einmal erwähnt, so dass das Berufen der Beklagten auf die Versäumung der Frist zur ärztlichen Feststellung insoweit auch nicht treuwidrig ist.

Des weiteren hat der Kläger sich in seinem Schreiben vom 22.5.2003, mit welchem er Invaliditätsansprüche geltend machte, lediglich auf jene Bescheinigung des Klinikums der Stadt ... vom 31.3.2003 gestützt.

Angesichts dessen kann es dahingestellt bleiben, ob die - nach dem Vortrag des Klägers - als Reaktion auf die unfallbedingte Darmverletzung und deren Folgen aufgetretene Depression vom Ausschlusstatbestand gemäß Ziffer 5.2.6 AUB 2000 umfasst wird.

Danach kommt hinsichtlich der eingangs genannten Beschwerden grundsätzlich ein weiterer Invaliditätsanspruch des Klägers in Betracht, sofern ihm der Nachweis gelingt, dass die Invalidität innerhalb des ersten Unfalljahres eingetreten und die von ihm behaupteten Beschwerden unfallbedingt sind, wobei dem Kläger dafür, ob der unfallbedingte Gesundheitsschaden für die bewiesene Invalidität ursächlich war, die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute kommt (vgl. BGH VersR 2001, 1547). Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass der Kläger im Wesentlichen psychische Beeinträchtigungen geltend mache - da etwa eine körperliche Ursache der geklagten Schmerzen nicht feststellbar sei - ist darauf hinzuweisen, dass für das Eingreifen der Psychoklausel grundsätzlich der Versicherer beweisen muss, dass und vor allem in welchem Umfang psychische Reaktionen den krankhaften Zustand hervorgerufen haben. Nicht zu klärende Unklarheiten über Beitrag und Gewicht etwaiger psychischer Reaktionen gehen zu Lasten des Versicherers (vgl. EBE/BGH 2007,BGH-Ls 424/07).

Des weiteren ist darauf hinzuweisen, dass dem Kläger zwar der Nachweis obliegt, dass die von ihm behaupteten Beschwerden unfallbedingt aufgetreten sind. Sofern ihm dies gelingt, obliegt es jedoch der Beklagten, die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen - wie etwa eines Reizdarmsyndroms oder degenerativer Wirbelsäuleschäden -, deren Anteil mindestens 25 % betragen muss, gemäß Ziffer 3 AUB 2000 nachzuweisen. Hinsichtlich etwaiger degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule obläge es der Beklagten zudem, den Nachweis zu führen, dass diese das alterstypische Maß überschreiten. Altersbedingte Veränderungen des Körpers - auch in Form von normalen Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen - stellen keinen Kürzungsgrund gemäß Ziffer 3 AUB 2000 dar (vgl. hierzu Grimm, a.a.O., § 3 AUB 99, Rz. 3).

Danach war die Sache unter Aufhebung des Urteils und des zugrundeliegenden Verfahrens gemäß § 538 II Nr.1 ZPO zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung war dem Landgericht vorzubehalten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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