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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 16.03.2005
Aktenzeichen: 7 U 31/04
Rechtsgebiete: BPflV


Vorschriften:

BPflV § 11
Verstirbt ein Patient vor dem für die Fallpauschale definierten Ende des Behandlungsfalles, ist nach der Bundespflegesatzverordnung nicht nach der Fallpauschale, sondern nach Sonderentgelt nebst tagesgleichen Pflegesätzen anzurechnen.
Gründe:

I)

Die Parteien streiten um die Abrechnung von Krankenhauskosten für die Behandlung von Herrn A, der bei der Beklagten krankenversichert war.

Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 19.10.2000 die Übernahme der Kosten einer stationären Behandlung ihres Versicherungsnehmers bei der Klägerin für die Dauer von drei Wochen bzw. bei Abrechnung mit einer Fallpauschale bis zum Ablauf der Grenzverweildauer.

Herr A befand sich in der Zeit vom 16.10. bis 20.10.2000 in stationärer Behandlung bei der Klägerin. Er verstarb nach einer am 16.10. durchgeführten Herzoperation.

An Stelle der von der Klägerin abgerechneten Fallpauschale 09.071 erstattete die Beklagte eine Vergütung nur in Höhe des Sonderentgelts 09.22 nebst Tagespflegesätzen und zwar mit der Begründung, dass der Patient vor dem für die Fallpauschale definierten Ende des Behandlungsfalles - nämlich dem Abschluss der Wundheilung - verstorben sei. Der Differenzbetrag aus der Rechnung vom 16.2.2001 in Höhe von 5.081,01 Euro ist Gegenstand der vorliegenden Klage.

Durch Urteil vom 19.12.2003 - auf dessen Inhalt (Bl. 71 ff d.A.) wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird - hat das Landgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, im Umkehrschluss ergebe sich aus § 14 IV Nr. 2 BPflV, dass die Pauschale zum Tragen komme, wenn die Hauptleistung erbracht sei. Als Hauptleistung sei die Herzoperation anzusehen. Eine Aufspaltung einzelner Behandlungsleistungen - hier der Operation und der nachfolgenden Pflegeleistung - wegen vorzeitiger Beendigung der Behandlung werde dem Sinn und Zweck der Fallpauschale nicht gerecht.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung.

Sie wiederholt ihren Einwand, dass die Klage bereits unzulässig sei, da die Klägerin nicht entsprechend der Satzung zunächst das Beschwerdeverfahren durchgeführt habe.

In der Sache habe das Landgericht verkannt, dass mit der vorliegenden Fallpauschale nicht nur die Operationsleistung, sondern auch die sich anschließende intensive Pflegeleistung vergütet werden solle. Der Behandlungsfall sei die Operation nebst Pflege. Die Abrechnung nach einer solchen mehrgliedrigen Fallpauschale komme daher nur in Betracht, wenn alle Glieder erbracht seien; ansonsten müsse auf die Sonderentgelte zurückgegriffen werden.

Zwar liege der Fallpauschale eine Mischkalkulation zugrunde, dies bedeute jedoch nicht, dass auch bei den Patienten, bei denen eine Wundheilung gar nicht eintrete, nach der Fallpauschale abgerechnet werden könne. Ebenso treffe es zwar zu, dass mit der Fallpauschale eine leistungsgenaue Abrechnung vermieden werden solle, eine Vergütung nach der Fallpauschale sei jedoch dann nicht zu erbringen, wenn große Teile der Leistung gar nicht erbracht seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Unter Hauptleistung sei die wesentliche Leistung, hier also die Operation zu verstehen. Das Kriterium "Abschluss der Wundheilung" diene nur zur Abgrenzung der Akut- zur Weiterbehandlungspauschale. Sonderentgelte seien nur bei einer eigenständigen Therapie- oder Diagnostikleistung während eines stationären Aufenthaltes in Ansatz zu bringen.

II)

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein weiterer Vergütungsanspruch aus der Rechnung vom 16.2.2001 zu.

Zwar bestehen an der Zulässigkeit der Klage keine Bedenken, da die Kostenübernahmeerklärung mangels deutlich erkennbarem Entlassungswillen hinsichtlich des ursprünglichen Gläubigers nicht als Schuldübernahme, sondern lediglich als Schuldbeitritt seitens der Beklagten zu verstehen ist (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg VR 1990, 32). Insofern ist die Klägerin auch nicht in die satzungsmäßigen Rechte des Mitglieds der Beklagten eingetreten. Im übrigen schreibt die Satzung der Beklagten (§ 32) nicht zwingend die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens vor Klageerhebung vor.

Die Klägerin war jedoch nicht zur Abrechnung der Fallpauschale 09.071 berechtigt. Vielmehr war ihre Leistung mit dem Sonderentgelt 09.22 nebst tagesgleichen Pflegesätzen zu vergüten, so dass die seitens der Beklagten auf dieser Grundlage vorgenommene Rechnungskürzung zu recht erfolgte. Eine solche Handhabung entspricht Sinn und Zweck der Fallpauschalenregelung in der Bundespflegesatzverordnung, in welcher eine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass der Patient nach durchgeführter Operation und begonnener Intensivbehandlung verstirbt, fehlt.

Zwar ergibt sich aus der Bundespflegesatzverordnung, dass die Abrechnung von Fallpauschalen - sofern nicht nur eine isolierte Operationsleistung erbracht wird - grundsätzlich Vorrang vor der Abrechnung von Sonderentgelten hat. Gemäß § 11 (1) BPflV werden mit Fallpauschalen die allgemeinen Krankenhausleistungen für einen in Anlage 1 bestimmten Behandlungsfall vergütet, wohingegen Sonderentgelte sich nur auf eine Krankenhausleistung für einen vereinbarten Leistungskomplex eines Behandlungsfalles beziehen (§ 11 (2) BPflV).

Vorliegend wird der Behandlungsfall in der Fallpauschale 09071 definiert als "Herzoperation unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine ... Versorgung bis Abschluss Wundheilung, mindestens jedoch bis Abschluss indikationsspezifischer Komplikationen". Die Operation nebst anschließender intensivmedizinischer Versorgung bis zur Herstellung der Rehabilitationsfähigkeit bilden insofern eine Einheit. Zwar kann man hieraus - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht herleiten, dass der erfolgreiche Abschluss der Wundheilung bzw. der indikationsspezifischen Komplikationen Voraussetzung für die Abrechnung der Fallpauschale ist. Vielmehr dient das Kriterium "Abschluss der Wundheilung / indikationsspezifischer Komplikationen" im Zusammenspiel mit der vereinbarten Grenzverweildauer der Festlegung, ab welchem Zeitpunkt die Abrechnung weiterer Leistungen zulässig ist. Der Abschluss der Wundheilung benennt insoweit den frühestens Zeitpunkt, der Ablauf der Grenzverweildauer den spätestens Zeitpunkt, ab dem weitere Leistungen abgerechnet werden dürfen.

Sinn und Zweck einer solchen Regelung besteht darin sicherzustellen, dass im Schnitt die der Kalkulation der Fallpauschale zugrunde gelegte Verweildauer von 12,82 Tagen zum Tragen kommt.

Folgerichtig darf eine Fallpauschale gemäß § 14 (5) Nr. 1 BPflV nicht abgerechnet werden, wenn der Patient vor Abschluss des Behandlungsfalles verlegt wird, es sei denn, die Abrechnung nach Pflegesätzen ergibt einen höheren Gesamtbetrag oder aber es liegt ein Fall der Zusammenarbeit der Krankenhäuser vor, was zu einer Aufteilung der Fallpauschale führt.

Ebenso verbietet § 14 (5) Nr. 2 BPflV die Abrechnung einer Fallpauschale, wenn die Behandlung vor Erbringung der Hauptleistung beendet wird.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts stellt die Herzoperation jedoch nicht die Hauptleistung der streitgegenständlichen Fallpauschale dar. Die in der 5. Änderungsverordnung zur Bundespflegesatzverordnung neu definierte Fallpauschale umfasst gerade die Versorgungsleistung bis zum Abschluss der äußeren Wundbehandlung. Operation und nachfolgende Versorgung bilden insofern eine Einheit. Der Begriff der Hauptleistung muss daher auf den dergestalt definierten Behandlungsfall bezogen werden. Nur auf diese Weise kann Sinn und Zweck der Fallpauschalenregelung, nämlich eine leistungsgerechte, am definierten Behandlungsfall orientierte Vergütung der Krankenhausbehandlung herbeizuführen, sichergestellt werden. In diese Richtung weist auch der - selbstverständlich für den Senat nicht bindende - Entwurf der X vom 9.3.1998, in welchem für den Fall, dass der Patient nach Abschluss der OP-Leistung, jedoch vor Ende der aufgerundeten Hälfte der Normverweildauer verstirbt, eine Abrechnung nach tagesgleichen Pflegesätzen und Sonderentgelten, ansonsten nach Fallpauschale, vorgesehen ist.

Der Hinweis des Landgerichts, dass bei einer solchen Betrachtungsweise im vorliegenden Fall konsequent jeglicher Vergütungsanspruch versagt werden müsste, weil die von der Beklagten herangezogene Abrechnung nicht einschlägig sei, trifft nicht zu. Wie die Regelung in § 14 (5) Nr. 1 BPflV zeigt, sieht die Bundespflegesatzverordnung - sofern keine der benannten Ausnahmen vorliegt - bei nicht vollständiger Erbringung der Fallpauschale gerade eine Abrechnung nach Sonderentgelten nebst tagesgleichen Pflegesätzen vor. Die Bedeutung der Operation wird hierbei angemessen durch das in Ansatz zu bringende Sonderentgelt, das ca. 60 % der Fallpauschale beträgt, berücksichtigt.

Einer abschließenden Definition, wann die Hauptleistung der streitgegenständlichen Fallpauschale im Falle der Versterbens des Patienten innerhalb der Normverweildauer erbracht ist, bedurfte es vorliegend nicht.

Mit den Grundsätzen einer leistungsgerechten Vergütung ist es jedenfalls nicht zu vereinbaren, die Fallpauschale auch dann in Ansatz zu bringen, wenn der Patient nach durchgeführter Operation noch innerhalb des für die Intensivpflege als Bewertungsrelation zugrunde gelegten Zeitraumes von 4,35 Tagen verstirbt. Angesichts einer kalkulierten Normverweildauer von 12,82 Tagen ist in diesem Fall die Hauptleistung keinesfalls erbracht.

Danach war in Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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