Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 03.08.2005
Aktenzeichen: 7 U 84/04
Rechtsgebiete: BGB, VVG


Vorschriften:

BGB § 242
VVG § 39
In der privaten Krankenversicherung berechtigt ein verhältnismäßig geringer Beitragsrückstand den Versicherer nach Treu und Glauben jedenfalls dann nicht zur Kündigung, wenn von einer anderweitigen Verrechnungsmöglichkeit (Leistungsabrechnung) Gebrauch gemacht werden kann, da hierdurch das Prämieninteresse gesichert ist.
Gründe:

I)

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages der Klägerin.

Mit Schreiben vom 26.11.2002 teilte die Beklagte der Klägerin eine Beitragsänderung mit, wonach der monatliche Krankenversicherungsbeitrag mit Wirkung vom 1.1.2003 um 23,47 Euro auf 652,73 Euro erhöht wurde. Die Klägerin, welche der Beitragserhöhung widersprochen und um Erläuterungen gebeten hatte, zahlte für die Monate Januar bis April 2003 weiterhin den bisherigen Beitrag. Mit Schreiben vom 8.4.2003 forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung der offenen Restbeiträge in Höhe von insgesamt 93,88 Euro auf, setzte der Klägerin eine Zahlungsfrist und erklärte für den Fall, dass die Klägerin bei Fristablauf noch mit der Zahlung in Verzug sein sollte, die Kündigung des Versicherungsvertrages. Die Klägerin widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 17.4.2003 und rechnete mit einem Teilbetrag in Höhe von 68,38 Euro wegen im Rahmen der Euro-Umstellung vermeintlich unberechtigter Anhebung des Selbstbehaltes auf und zahlte den weiteren Differenzbetrag von 25,50 Euro. Die Folgebeiträge zahlte die Klägerin in voller Höhe.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung des Fortbestehens ihres Krankenversicherungsvertrages bei der Beklagten.

Durch Urteil vom 10.3.2004 - auf dessen Inhalt (Bl. 124 ff d.A.) wegen des weiteren Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird - hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte den Krankenversicherungsvertrag wirksam gemäß § 39 VVG gekündigt habe. Die seitens der Klägerin erklärte Aufrechnung scheitere bereits am Aufrechnungsverbot gemäß §§ 26 VAG, 12 MB/KK. Da die Klägerin bewusst und gewollt die Prämienforderung nicht vollständig erfüllt habe, sei für Billigkeitserwägungen kein Raum. Die Klägerin könne die Beklagte auch nicht darauf verweisen, dass sie die Rückstände mit Gegenforderungen aus Leistungsabrechnungen habe verrechnen können. Zwar könne im Einzelfall die Entziehung des Versicherungsschutzes unwirksam sein, wenn dem Versicherungsnehmer weitaus höhere Gegenforderungen zustünden, da dann seine Zahlungsbereitschaft nicht in Frage stehe. Die Klägerin habe die Beitragszahlung jedoch gerade deshalb verweigert, weil sie die Auffassung vertreten habe, die Erhöhung sei unwirksam; eine Bereitschaft zur Beitragszahlung habe danach nicht bestanden. Im übrigen sei davon auszugehen, dass die Leistungsansprüche der Klägerin erst nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist angemeldet worden seien.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.

Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Die Beitragsanpassungsklausel in § 8 b MB/KK sei intransparent und verstoße gegen § 9 AGBG. Selbst wenn sie wirksam wäre, verstoße die vorliegende Anpassung gegen Treu und Glauben, da die Beklagte nicht hinreichend dargelegt habe, dass die Erhöhung der Billigkeit entsprochen habe. Sie verweist insoweit insbesondere auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 16.6.2004 (VersR 2004, 991).

Im übrigen wiederholt sie ihre Auffassung, dass angesichts des geringen Beitragsrückstandes von 68,38 Euro das Berufen der Beklagten auf § 39 VVG rechtsmissbräuchlich sei und diese auch die Möglichkeit gehabt habe, die Beiträge mit Gegenforderungen zu verrechnen. Die Beklagte habe zu Unrecht eine Verrechnung der per Dauerauftrag gezahlten Beiträge mit Schreiben vom 8.4.2003 abgelehnt. Des weiteren sei eine Verrechnung der mit Schreiben vom 28.3. und 15.5.2003 abgerechneten Leistungen (Bl. 105 ff d.A.) ohne weiteres möglich gewesen, da die Ansprüche lange vor Ablauf der bis zum 28.4.2003 gesetzten Zahlungsfrist angemeldet gewesen seien.

In der Vergangenheit habe die Beklagte sehr wohl derartige Verrechnungen vorgenommen (Beweis: Schreiben vom 14.4.2004 /Bl. 193 d.A.).

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt / M. vom 10.3.2004 festzustellen, dass der zwischen den Parteien zu Versicherungsschein Nr. ... seit dem 1.7.1978 abgeschlossene Krankenversicherungsvertrag fortbesteht und nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 8.4.2004 geendet hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Sie verweist darauf, dass die Klägerin in erster Instanz die Wirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel nicht beanstandet, vielmehr nur die fehlende Nachvollziehbarkeit der Anpassung gerügt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei eine derartige Anpassungsklausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen jedoch nicht zu beanstanden, da Krankenversicherungsverträge in der Regel auf lange Dauer geschlossen würden und deshalb ein anzuerkennendes Bedürfnis des Versicherers bestehe, die Prämien der nicht voraussehbaren Entwicklung der Kosten im Gesundheitswesen anzupassen. Vorliegend seien die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Prämienanpassung gemäß § 178 g II VVG i.V.m. §§ 12, 12 c VAG gegeben (Beweis : Zustimmungserklärung des Treuhänders Kaschel vom 17.9.2002 / Bl. 181 d.A.).

Im übrigen verweist sie darauf, dass der Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung und der ihr gesetzten Zahlungsfrist keine Gegenansprüche zugestanden hätten. Die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts habe die Klägerin nicht substantiiert angegriffen.

II)

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des Fortbestehens ihres privaten Krankenversicherungsvertrages bei der Beklagten. Die insoweit erhobene Feststellungsklage hat auch in der Sache Erfolg. Der Krankenversicherungsvertrag der Klägerin ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 8.4.2003 beendet worden. Die Kündigung war unwirksam.

Eine Kündigung gemäß § 39 VVG setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, der Versicherer diesen qualifiziert gemahnt und der Versicherungsnehmer weder innerhalb der eingeräumten Zahlungsfrist noch der anschließenden Monatsfrist den Rückstand ausgeglichen hat.

Vorliegend dürfte es bereits als streitig anzusehen sein, ob die Klägerin sich tatsächlich im Hinblick auf die Zahlung der bisherigen Beiträge für die Monate Januar bis April 2003 im Beitragsrückstand befand. Die Klägerin hat der erfolgten Beitragserhöhung widersprochen und ausweislich der Klageschrift die ihr insoweit erteilten Erläuterungen als ungenügend bezeichnet, da unklar geblieben sei, inwiefern die gebildete Altersrückstellung bei der Erhöhung der Beiträge berücksichtigt worden sei. Insoweit hat sie auch Einwendungen gegen die Grundlagen des Treuhänderverfahrens - gegen dessen Zulässigkeit allerdings entgegen der Auffassung der Klägerin keine Bedenken bestehen (vgl. BGH VersR 1992, 1211) - erhoben. Letztlich mag dies jedoch ebenso wie die weitere Frage, ob die einseitige Erhöhung des Selbstbehaltes im Rahmen der Euro-Umstellung seitens der Beklagten wirksam erfolgt und bereits deshalb die seitens der Klägerin mit Schreiben vom 17.4.2003 erklärte Aufrechnung in Höhe von 68,38 Euro ins Leere gegangen ist, dahingestellt bleiben.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin sich bei Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist mit 68,38 Euro in Verzug befand, rechtfertigt ein solcher Rückstand unter Berücksichtigung der Gesamtumstände (§ 242 BGB) nicht zur Kündigung des Krankenversicherungsvertrages.

Zwar hat das Landgericht zu recht ausgeführt, dass das Berufen der Beklagten auf die Kündigung nicht allein deshalb, weil es sich um einen relativ geringfügigen Beitragsrückstand handelt, als treuewidrig angesehen werden kann. Wie der Bundesgerichtshof (VersR 1988, 484) ausgeführt hat, wird von einem Versicherer verlangt, dass er angemahnte Prämien einzeln und ohne - auch nur geringfügige Abweichungen - ausweist. Dem entspricht umgekehrt das Erfordernis, dass der Versicherungsnehmer seinerseits die geschuldeten, angemahnten Prämien unverkürzt begleicht, um sich den Versicherungsschutz zu erhalten. Erfüllt der Versicherungsnehmer bewusst und gewollt eine Prämienanforderung nicht, bleibt für die Billigkeitserwägung, der nicht beglichene Rest sei verhältnismäßig geringfügig, kein Raum. Dennoch ist - worauf Römer (VVG-Komm. 2. Aufl., § 39 Rz. 19) zu recht hinweist - im Einzelfall bei geringfügigen Rückständen die Anwendung des § 242 BGB nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Ob derartige, besondere Umstände vorliegend darin zu sehen sein könnten, dass der Beitragsrückstand vor dem Hintergrund seitens der Beklagten - wie die Klägerin meint - unzureichend erteilter Auskünfte entstanden ist, mag dahingestellt bleiben.

Das Berufen der Beklagten auf die Kündigung ist jedenfalls deshalb als treuewidrig anzusehen, weil die Beklagte von anderweit bestehenden Verrechnungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht hat. Wenn das Prämieninteresse des Versicherers hinreichend gesichert ist, verstößt es - wie der Bundesgerichtshof (VersR 1985, 877) im Rahmen der Kaskoversicherung entschieden hat - gegen Treu und Glauben, wenn er von Verrechnungsmöglichkeiten keinen Gebrauch macht. Diese Grundsätze sind auch auf die private Krankenversicherung übertragbar. Das Aufrechnungsverbot des § 12 MBKK richtet sich nur an den Versicherungsnehmer, nicht aber den Versicherer. Vorliegend war das Prämieninteresse der Beklagten hinreichend aufgrund anderweitiger Verrechnungsmöglichkeiten in Hinblick auf die Leistungsabrechnungen gemäß Schreiben vom 28.3. und 15.5.2003 gesichert.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 28.3.2003 - also kurz vor Erstellung der qualifizierten Mahnung - der Klägerin mitgeteilt, dass sie aus der Leistungsabrechnung betreffend den Behandlungs- bzw. Abrechnungszeitraum vom 15.1. bis 19.3.2003 einen Betrag von 1.209,17 Euro überweisen werde. Insofern hätte sie jedenfalls hinsichtlich der Rückstände Januar bis März eine Verrechnung vornehmen können. Des weiteren bestand innerhalb der - nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist - sodann noch laufenden Monatsfrist eine weitere Verrechnungsmöglichkeit zugunsten der Beklagten. Gemäß Schreiben vom 15.5.2003 stand der Klägerin aus der Leistungsabrechnung ein Erstattungsanspruch in Höhe von 260 Euro zu. Auch von dieser Verrechnungsmöglichkeit, die geeignet gewesen wäre, die Verzugsfolgen abzuwenden, hat die Beklagte entgegen Treu und Glauben keinen Gebrauch gemacht. Entgegen der Auffassung der Beklagten war ihr eine Verrechnung auch nicht deshalb unzumutbar, weil sie davon habe ausgehen können, dass die Klägerin einer Verrechnung widersprechen werde und sich das Problem des Beitragsrückstandes nur verlagert hätte. Allein der Umstand, dass sich das Vertragsverhältnis mit der Klägerin in der Vergangenheit nicht unproblematisch gestaltet und die Klägerin die streitgegenständliche Erhöhung der Beiträge hinterfragt hat, berechtigt eine solche Annahme nicht. Des weiteren hat die Klägerin gemäß Schreiben vom 17.4.2003 den nach Aufrechnung mit dem erhöhten Selbstbehalt verbleibenden Rückstand in Höhe von 25,50 Euro überwiesen und ab Mai 2003 die erhöhten Beiträge gezahlt, um ihren Versicherungsschutz nicht weiter zu gefährden, was belegt, dass die Klägerin bereit war, zumindest bis zu einer weiteren Klärung ihrer Beitragsverpflichtung in voller Höhe nachzukommen.

Angesichts des nur geringfügigen Beitragsrückstandes und der bestehenden Verrechnungsmöglichkeiten war das Prämieninteresse der Beklagten daher hinreichend gesichert, so dass ihr Berufen auf die Kündigung treuewidrig ist.

Der Einräumung einer Schriftsatzfrist für die Beklagte bedurfte es nicht, da - wie bereits im Senatstermin ausgeführt - der Rechtsstreit auch ohne Klärung der weiteren noch der Substantiierung bedürftigen Punkte - betreffend die Voraussetzungen des Treuhänderverfahrens sowie die Berechtigung zur Erhöhung des Selbstbehaltes - entscheidungsreif ist.

Ebenso bestand in Hinblick auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 8.7.2005 kein Anlass erneut in die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO einzutreten, da dieser zur Frage der Treuewidrigkeit des Berufens der Beklagten auf die Kündigung keinen neuen entscheidungserheblichen Vortrag enthält.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO, die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück