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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 08.07.2008
Aktenzeichen: 7 W 21/08
Rechtsgebiete: ARB


Vorschriften:

ARB § 1
ARB § 4
ARB § 18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Auf die zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers war der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts aufzuheben, da die beabsichtigte Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO). Die Prüfung der Bedürftigkeit des Antragstellers war dem Landgericht gemäß § 572 III ZPO zu übertragen.

Dem Antragsteller steht gegenüber der Antragsgegnerin ein Anspruch auf Deckungsschutz für weitere sieben verwaltungsgerichtliche Verfahren - sog. Kapazitätsklageverfahren - zwecks Zulassung zum Studium der Humanmedizin im Wintersemester 2007/2008 gemäß §§ 1, 2 g) bb), 4 (1) c) ARB 2000 (Stand Oktober 2004) zu. Gemäß § 1 ARB sorgt der Versicherer - nach Eintritt des Versicherungsfalls (§ 4 ARB) - dafür, dass der Versicherungsnehmer seine rechtlichen Interessen wahrnehmen kann, und trägt die für die Interessenwahrnehmung erforderlichen Kosten. Nach § 2 g bb) ARB umfasst der Versicherungsrechtsschutz außerhalb der verkehrsrechtlichen Angelegenheiten auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor deutschen Verwaltungsgerichten im Bereich des Hochschulrechts.

Die Interessenwahrnehmung im Rahmen der einstweiligen Anordnungsverfahren gegen die Universitäten A, B, C, D, E, F und G bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Wie das OLG Celle (VersR 2007, 1218) in seinem Urteil vom 18.4.2007 ausgeführt hat, kann aufgrund der Besonderheiten einer Kapazitätsklage nicht darauf abgestellt werden, wie hoch letztlich die Chance des Antragstellers ist, dass er tatsächlich im Rahmen des Losverfahrens einen Studienplatz erhält. Hinsichtlich der Erfolgsaussicht ist vielmehr darauf abzustellen, ob eine hinreichende Aussicht dafür besteht, dass die festgesetzte Zulassungszahl das Studienplatzpotential der Hochschule nicht erschöpft.

Hinsichtlich der Universitäten A, B, G und D hat der Antragsteller im einzelnen dargelegt, welche Zulassungszahlen für Humanmedizin an den Universitäten für das Wintersemester 2007/2008 im Vergleich zum Vorjahr bestanden und welche zusätzlichen Studienplätze durch gerichtlichen Beschluss erzielt werden konnten. Hinsichtlich der übrigen Universitäten hat er darauf hingewiesen, dass bei gleichbleibender bzw. geringfügig herabgesetzter Zulassungszahl in Hinblick auf die geringe Anzahl von Klägern gute Zulassungschancen bestünden. Ob letzteres zutrifft, mag dahingestellt bleiben. Die Antragsgegnerin hat - nachdem der Antragsteller bereits mit Schreiben vom 30.8.2007 Deckungsschutz für Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen gegen 10 Universitäten beantragt, sein Anliegen nochmals mit Schreiben vom 12.9.2007 klargestellt und mit Schreiben vom 26.9.2007 die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen in zehn Verfahren übersandt hatte - erstmals mit Schreiben vom 16.11.2007 inhaltlich hierzu Stellung genommen und eine Deckungszusage lediglich für eine Klage gegen die Universität H erteilt. Im übrigen hat sie ihre Einstandspflicht "in Hinblick auf das Problem des Versicherungsfalles und der Mutwilligkeit" abgelehnt, was sie mit Schreiben vom 5.12.2007 dahingehend abänderte, dass nachträglich für insgesamt drei Verfahren Deckungsschutz zugesagt wurde. Durch dieses Verhalten hat die Antragsgegnerin gegen ihre Pflicht zur unverzüglichen Prüfung der Erfolgsaussichten gemäß § 18 (1) ARB verstoßen. Nach vollständiger Unterrichtung des Versicherers über den Streitstand - die vorliegend spätestens mit Übersendung der Anträge auf Erlass der einstweiligen Anordnungen gegeben gewesen sein dürfte, zumal die Antragsgegnerin auch keinerlei weiteren Informationen begehrte - muss der Versicherer binnen zwei bis drei Wochen eine Stellungnahme zur Erfolgsaussicht abgeben; unterbleibt eine solche Stellungnahme in der dem Versicherer verbleibenden Zeit, so kann er sich nicht mehr auf fehlende Erfolgsaussicht berufen (vgl. OLG Köln RuS 1991, 420). Im übrigen hätte die Antragsgegnerin den Antragsteller soweit sie schließlich die Erfolgsaussicht mangels Vorliegens eines Versicherungsfalles bzw. wegen Mutwilligkeit verneinte darauf hinweisen müssen, dass er diesem Einwand durch Einholung eines Stichentscheids (§ 18 ARB) begegnen könne (vgl. hierzu OLG Köln RuS 2006, 374). Im übrigen kann entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht davon ausgegangen werden, dass der begehrte Deckungsschutz für insgesamt zehn Verfahren mutwillig ist. Angesichts der Bedeutung des Zugangs zu einem Studienplatz für den Betroffenen und unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Kapazitätsklageverfahren hat das OLG Celle (a.a.O.) es als sachgerecht erachtet, eine größere Anzahl von Universitäten in Anspruch zu nehmen und die Grenze zur Mutwilligkeit bei der Inanspruchnahme von bis zu zehn Universitäten nicht als überschritten angesehen. Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass der jeweilige Antragsteller selbst für den Fall einer fehlerhaften Kapazitätsberechnung lediglich die Chance erwirbt, an der Verlosung der zusätzlichen Studienplätze teilzunehmen, nachvollziehbar.

Des weiteren ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch der Versicherungsfall eingetreten. Gemäß § 4 (1) c) ARB besteht Anspruch auf Rechtsschutz von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten begangen hat oder begangen haben soll. Der Verstoß muss nicht wirklich gegeben sein, vielmehr genügt die Behauptung eines Pflichtverstoßes, wobei streitig ist, ob und in welchem Umfang eine Schlüssigkeitsprüfung stattfindet (Prölss/Martin, VVG-Komm., 27.Aufl., § 14 ARB 75 Rz. 9). Da Studienplatzbewerber keinen Zugang zu den Kapazitätsberechnungen für die jeweiligen Universitäten haben und deren Richtigkeit erst im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens überprüft werden kann, ist ein konkreter Vortrag, in welcher Hinsicht eine Fehlberechnung vorliege, bei Einleitung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht möglich. Nach Auffassung des OLG Celle (a.a.O.) genügt es daher zur Begründung des Versicherungsfalles, dass eine Fehlberechnung behauptet wird und hinsichtlich des behaupteten Verstoßes eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besteht. Hiervon ist vorliegend auszugehen.

Auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung gemäß § 17(5) c) aa), bb), cc) ARB kann die Antragsgegnerin sich nicht berufen.

Auch wenn dem Antragsteller das Handeln bzw. Unterlassen seines Rechtsanwaltes zuzurechnen sein dürfte, kann nach der Lebenserfahrung für den Regelfall eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung seitens des Rechtsanwalts nicht angenommen werden (vgl. hierzu Harbauer § 15 ARB 75 Rz. 29, 31), so dass entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin überhaupt nur eine grob fahrlässige Verletzung von Obliegenheiten in Betracht käme.

Nach § 17 (5) c) aa) ARB hat der Versicherungsnehmer - soweit seine Interessen nicht unbillig beeinträchtigt werden - vor Erhebung von Klagen und Einlegung von Rechtsmitteln zwar die Zustimmung des Versicherers einzuholen. Nachdem die Antragsgegnerin zu Unrecht und zudem nicht unverzüglich die Erfolgsaussicht verneint bzw. Mutwilligkeit der beabsichtigten Verfahren bejaht hatte, bestand kein Raum mehr für die Erfüllung der Abstimmungsobliegenheit (vgl. hierzu Prölss/Martin a.a.O., § 17 ARB 94 Rz.9). Im übrigen hätte die Antragsgegnerin bei pflichtgemäßer Entscheidung dem Antragsteller die Zustimmung zur Einleitung jener Verwaltungsstreitverfahren erteilen müssen, so dass ein etwaiger - grob fahrlässiger - Verstoß jedenfalls folgenlos geblieben wäre (§ 17 (6) ARB).

Des weiteren war es dem Antragsteller auch nicht gemäß § 17 (5) c) bb) ARB zumutbar, zunächst vor der Einleitung weiterer Verfahren die Rechtskraft der einstweiligen Anordnungsverfahren gegen die Universitäten H, I und J abzuwarten. Wie bereits ausgeführt, war es aufgrund der Besonderheiten der sog. Kapazitätsklageverfahren gerade notwendig, eine größere Anzahl von Verfahren gleichzeitig zu betreiben, um eine realistische Loschance zu erhalten. Die Einleitung von insgesamt zehn Verfahren führte daher auch nicht zu einer unnötigen Erhöhung der Kosten gemäß § 17 (5) c) cc) ARB.

Dass der Antragsteller letztlich erfolgreich war und inzwischen einen Studienplatz erhalten hat, berührt das vorliegende Verfahren nicht. Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Deckung der zur Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten zu.

Ende der Entscheidung

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