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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 22.12.2006
Aktenzeichen: 7 W 77/06
Rechtsgebiete: GVG, ZPO
Vorschriften:
GVG § 193 | |
ZPO § 42 | |
ZPO § 299 |
Gründe:
I.
Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter bilden eine Rechtsanwaltssozietät in O1. Der Kläger verfolgt auf Grund einer Abtretungserklärung vom 18. Mai 2006 (Bl. 35 d. A.) eine vordem der Sozietät oder Rechtsanwalt A zustehende anwaltliche Honorarforderung im Umfang von € 6.308,80 gegen die Beklagte. Hierzu hat der Kläger behauptet, die Geschäftsführerin der Beklagten habe Rechtsanwalt A damit beauftragt, Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit notleidend gewordenen Darlehen zu prüfen. Die Beklagte hat zuletzt behauptet, Rechtsanwalt A lediglich mit der Erstellung eines Pauschalhonorarangebots betraut zu haben.
Zum ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. August 2006 hatte der Einzelrichter das persönliche Erscheinen der Geschäftsführerin der Beklagten angeordnet und daran trotz wiederholter Anträge auf Aufhebung dieser Anordnung unter Vorlage ärztlicher Atteste festgehalten. In diesem Zusammenhang hatte der Einzelrichter den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 22. August 2006 angerufen und über den Inhalt des Telefonates einen Vermerk in der Akte niedergelegt (Bl. 199 R d.A.), von dem die Gegenseite nicht unterrichtet wurde. Von der Tatsache des Telefonats erhielt sie jedoch aus einem im Termin übergebenen Schriftsatz der Beklagten Kenntnis. Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter nahmen dies zum Anlass, sich auf der Geschäftsstelle des Gerichts am 4. September 2006 die Gerichtsakte zur Einsicht aushändigen zu lassen, die ihnen mit einer Notiz des Einzelrichters im hinteren Aktendeckel übergeben wurde, von der sie Kenntnis nahmen.
Mit Gesuch vom 4. September 2006 lehnte der Kläger Richter am Landgericht Dr. Z wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte er aus, dass der abgelehnte Richter dadurch den Eindruck der Parteilichkeit erweckt habe, dass er den Beklagtenvertreter ohne Beteiligung des Klägers telefonisch kontaktiert habe, er sich auf der anderen Seite aber strikt dagegen gewendet habe, dass ihn der Prozessbevollmächtigte des Klägers persönlich angesprochen habe, obgleich es sich dabei um unverfängliche Vorgänge gehandelt habe. Eine Voreingenommenheit des abgelehnten Richters ergebe sich auch aus dem Inhalt seines in der hinteren Aktenlasche befindlichen Vermerks, gegen dessen Verwertbarkeit nichts spreche. Der Richter habe in dem Vermerk den Zeugen dadurch herabgewürdigt, dass er niedergelegt habe: "RA A ist als ziemlich wunderlich bekannt. Die Idee, in dieser komplexen Sache zuerst nach der Höhe des Versicherungsschutzes zu fragen, ist irrwitzig." Er habe zudem eine dem Kläger ungünstige Vorwegnahme der Beweiswürdigung vorgenommen, indem er geäußert habe: "Beweisaufnahme wird je nach Gang des Termins (Erläuterung, welche Aufträge erteilt wurden) nötig sein, aber wohl ergeben, dass kein Vertretungsauftrag."
Der abgelehnte Richter hat sich dazu am 14. September 2006 dienstlich erklärt, worauf verwiesen wird (Bl. 246 - 248 d.A.).
Der Kläger hat daraus einen weiteren Ablehnungsgrund entnommen und sein Gesuch darauf gestützt, dass der Richter von einem "angeblichen Votum" spreche und damit seine Existenz und seinen Inhalt bestreite, was einer falschen dienstlichen Erklärung gleichkomme.
Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch durch Beschluss vom 18. Oktober 2006 für unbegründet erklärt (Bl. 261 - 263 d. A.).
Gegen diesen ihm am 20. Oktober 2006 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 2. November 2006 Beschwerde eingelegt (Bl. 268 - 273 d. A.), der das Landgericht mit Beschluss vom 16. November 2006 (Bl. 274 - 275 d. A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.
II.
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 46 Abs. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig erhoben. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Die Ablehnung des Richters am Landgericht Dr. Z ist für begründet zu erklären, weil ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).
Wie in der Rechtsprechung anerkannt ist, kommt es dafür nicht entscheidend darauf an, dass der Kläger aus seiner subjektiven Sicht zu der Auffassung gelangt ist, der abgelehnte Richter sei befangen, sondern es sind objektive Gründe erforderlich, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung begründen können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (Zöller/Vollkommer, 26. Aufl. 2007, § 42 ZPO Rn. 9 m.w.N.). Davon geht der angefochtene Beschluss auch zutreffend aus, er ist diesem rechtlichen Maßstab jedoch nicht in allen Punkten gerecht geworden.
Die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs wird dadurch getragen, dass der abgelehnte Richter in seiner terminsvorbereitenden Ausarbeitung ("Votum") geäußert hat, "RA A ist als ziemlich wunderlich bekannt", wobei es keinem Zweifel unterliegt, dass mit "RA A" Rechtsanwalt A, der Prozessbevollmächtigte des Klägers und Zeuge gemeint ist.
Dass der abgelehnte Richter eine derartige Äußerung niedergelegt hat, ist durch die eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts A, der nicht Partei ist, glaubhaft gemacht (§ 44 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die dienstliche Erklärung des abgelehnten Richters steht nicht entgegen, weil aus ihr hinreichend deutlich hervorgeht, dass der Richter sich aus Rechtsgründen für befugt hielt, von einer Stellungnahme insoweit abzusehen, was es ausschließt, die Wendung von dem "angeblichen Votum" doch als Stellungnahme in dem Sinne anzusehen, dass Existenz und Inhalt des Votums bestritten würden. Der vom Kläger gezogene Schluss, der abgelehnte Richter habe eine falsche dienstliche Erklärung abgegeben, ist daher ungerechtfertigt.
Die in dem "Votum" enthaltene Äußerung ist nicht unverwertbar.
Zwar bestimmt § 299 Abs. 4 ZPO, dass die Entwürfe zu Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, die zu ihrer Vorbereitung gefertigten Arbeiten sowie die Schriftstücke, die die Abstimmung betreffen, weder vorgelegt noch abschriftlich mitgeteilt werden. Auf eine Ausarbeitung, die der Vorbereitung für die mündliche Verhandlung dient, ist die Bestimmung entsprechend anzuwenden. Das Akteneinsichtsrecht, das der Kläger am 4. September 2006 auf der Geschäftsstelle wahrgenommen hat (§ 299 Abs. 1 ZPO), erstreckte sich auf diese interne Ausarbeitung nicht, sodass sie ihm nicht hätte ausgehändigt werden dürfen, sondern zuvor aus der Akte hätte entnommen werden müssen. Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter als Rechtsanwälte, bei denen die Kenntnis des § 299 ZPO vorauszusetzen ist, konnten zweifellos auch erkennen, um was es sich handelte, und dass ihnen die Unterlage unter Verletzung des § 299 Abs. 4 ZPO nur auf Grund eines Versehens oder einer Nachlässigkeit der Geschäftsstelle überlassen worden war. Wenn sich der Kläger dennoch Kenntnis verschaffte und er sogar eine Abschrift fertigte, dann geschah dies unter Ausnutzung einer Rechtsverletzung.
Ungeachtet dessen begründet dies kein Verwertungsverbot.
Eine Bestimmung, die ein Verwertungsverbot für diesen Fall anordnete, besteht nicht. Ein solches lässt sich auch nicht aus der entsprechenden Heranziehung anderer Vorschriften oder aus höherangigem Recht ableiten.
Das Beratungsgeheimnis (§ 193 GVG) ist nicht einschlägig, da es für den Einzelrichter nicht anwendbar ist (Kissel/Mayer, 4. Aufl. 2005, § 193 GVG Rn. 37).
Zwar kann eine rechtswidrige Erlangung persönlicher Aufzeichnungen in Ansehung des verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts ein Verwertungsverbot begründen (BGH NJW 1964, 1139). Ein vergleichbar hohes Schutzgut steht hier jedoch nicht in Rede, da es sich um dienstliche Unterlagen handelte, die mit den Akten geführt, wenn auch nicht deren Bestandteil, waren und der Kenntniserlangung durch das nichtrichterliche Personal offenstanden (vgl. BVerwG NVwZ 1987, 127).
Ein allgemeiner Grundsatz, dass unter Verstoß gegen prozessrechtliche Vorschriften erlangte Informationen ein Verwertungsverbot begründen, besteht nicht. Vielmehr ist dabei auf die jeweilige Vorschrift abzustellen (vgl. Zöller/Greger § 286 ZPO Rn. 15c). Bei § 299 Abs. 4 ZPO ist schon nicht sicher, ob die Vorschrift überhaupt ein Verhaltensgebot an den die Akteneinsicht Nehmenden enthält und nicht nur eine Vorschrift für das Gericht. Jedenfalls ist ihr Zweck, einen internen Bereich der Vorbereitung abzuschirmen, nicht von so überragender Bedeutung, dass er des Schutzes eines Verwertungsverbots bedürfte, zumal derartige Unterlagen ausschließlich dienstlichen und sachbezogenen Zwecken zu dienen bestimmt sind.
Es kann dahinstehen, ob die Bezeichnung des Prozessbevollmächtigten "als ziemlich wunderlich bekannt" schon für sich besorgen ließe, dass der Richter der Partei gegenüber befangen ist (vgl. BGH NJW 1980, 2530, 2531). Entscheidend ist vielmehr, dass Rechtsanwalt A nach der Klageschrift der zentrale Zeuge für die Berechtigung der geltend gemachten Honorarforderung war. Wenn der Richter seine Einschätzung verlautbarte, dass dieser Zeuge als wunderlich bekannt sei, dann wies dies über die Wahrnehmungen über den konkreten Prozess hinaus und stellte auf einen Wissenshintergrund ab, der nicht in den Prozess eingeführt worden war und zu dem der Kläger nicht hatte Stellung nehmen können. Aus der Sicht des Klägers konnte diese negative Einschätzung zu der Auffassung führen, dass sein Zeuge von vornherein als "wunderlich", d.h. nicht ernst zu nehmen, abgewertet worden war, ohne dass dies als unvernünftig bezeichnet werden könnte, und dass der abgelehnte Richter bei einer Würdigung der Beweise nicht unvoreingenommen sein werde.
Da das Ablehnungsgesuch bereits aus diesem Grunde durchdringt, ist auf die weiteren geltend gemachten Gründe nicht mehr einzugehen.
Ende der Entscheidung
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