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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: 8 U 10/06
Rechtsgebiete: SGB VII
Vorschriften:
SGB VII § 104 | |
SGB VII § 105 | |
SGB VII § 106 |
Gründe:
I. Der Kläger nimmt die Beklagten aufgrund eines Unfalls vom 6.4.2001 auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.
Der Kläger führte im Auftrag der X auf der BAB ..., Brücke ..., Abbrucharbeiten durch. Die Beklagte zu 2) war mit Stemmarbeiten beauftragt Am 6.4.2001 rangierte der Bekl. zu 1) mit einem Bagger der Beklagten zu 2), welcher nicht über ein Warnsignal "Rückwärtsbetrieb" verfügte, auf der Brücke und fuhr bis zu 20 m rückwärts und dabei dem - die Arbeiten seiner Leute kontrollierenden - Kläger über den rechten Fuß. Dieser sowie der Unterschenkel wurden gequetscht, es gab schwere knöcherne Verletzungen. Der Kläger musste sich mehreren Operationen unterziehen, und es verblieben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Dauerfolgen in Form einer Gangbehinderung sowie funktionale Einschränkung am Fuß- und Sprunggelenk, eine dauerhafte Fußdeformität und chronisch Schwellungen (MdE 30%). Der Kläger geht seiner Berufstätigkeit nicht wieder nach; er bezieht Leistungen von seiner privaten Unfallversicherung.
Die Bauberufsgenossenschaft lehnte Leistungen aus der Unfallversicherung durch Bescheid vom 22.12.2004 ab, da der Kläger als Unternehmer eine freiwillige Versicherung nicht abgeschlossen habe. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde durch Bescheid vom 1.3.2005 zurückgewiesen.
Über das Vermögen der Beklagten zu 2) ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1) auf Schmerzensgeld von wenigstens 20.000,-- €, materiellen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Er wirft dem Beklagten zu 1) grob fahrlässiges Verhalten vor, weil er keine dritte Person zur Absicherung der Rückwärtsfahrt hinzugezogen habe.
Der Beklagte zu 1) hat behauptet, der Kläger sei nicht unmittelbar vom Bagger überfahren worden, sondern zunächst wegen einer Herz-Kreislaufschwäche zusammengesackt. Er müsse sich ein Mitverschulden anrechnen lassen, da er hinter dem Bagger gearbeitet habe. Vor allen Dingen hafte der Beklagte aber nicht wegen der Haftungsprivilegierung des § 104 ff SGB VII.
Das Landgericht hat den Beklagten zu 1) zur Zahlung von 15.000,-- € Schmerzensgeld, 124,60 € Schadensersatz verurteilt und die begehrte Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden ausgesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte zu 1) seine Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs.5 StVO und § 35 der Unfallverhütungsvorschrift nicht beachtet habe. Der Beklagte zu 1) könne sich auch nicht auf eine Haftungsprivilegierung gemäß § 106 Abs. 3 i.V.m. §§ 104/105 SGB VII berufen. Zwar hätten der Kläger und der Beklagte vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte vorgenommen; der Kläger sei jedoch nicht Versicherter i.S.v. § 106 Abs. 3 SGB VII. Zwar vertrete das LSozG Stuttgart die Auffassung, dass die Verweisung auf §§ 104,105 auch die Einbeziehung des Unternehmers regele, weshalb sowohl der Versicherte als auch der nicht versicherte Unternehmer als Schädiger oder Geschädigter in die Haftungsbeschränkung einbezogen seien. Dieser Auffassung könne sich das LG aber nicht anschließen. § 106 Abs.3 SGB VII setze voraus, dass Versicherte mehrerer Unternehmen betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten. Dazu gehöre auch der mitarbeitende Unternehmer, falls er in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung rügt der Beklagte, dass das Landgericht nicht von einer Haftungsprivilegierung ausgegangen sei, ein Mitverschulden nicht berücksichtigt und das Schmerzensgeld zu hoch bemessen habe. § 106 Abs.3 3. Alt. SGB VII gelte auch für den Unternehmer, der selbst auf der Baustelle arbeite. § 106 Abs.3 verweise auf §§ 104 und 105 SGB VII und zwar ohne Ausnahme. § 105 Abs.2, der die Haftungsprivilegierung enthalte, sei damit nicht ausgeschlossen, da ansonsten die Verweisung auf die §§ 104 und 105 SGB VII eingeschränkt hätte erfolgen müssen. Sinn und Zweck des § 106 Abs. 3 sprächen dafür, dass auch der nicht versicherte Unternehmer als Geschädigter in den Unfallversicherungsschutz mit einbezogen werde, wenn er wie ein Beschäftigter auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig ist. Er sei dann genauso zu behandeln.
Die Verweisung des § 106 Abs.3 3.Alt. sei keine Rechtsfolgen-, sondern eine Rechtsgrundverweisung.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Haftungsprivilegierung könne für den auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätigen Unternehmer nur dann gelten, wenn er selbst Versicherter sei. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 106 Abs. 3 SGB VII.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten zu 1) gemäß § 823 BGB zu Schadensersatz und Schmerzensgeld für die dem Kläger zugefügten Verletzungen verurteilt und eine Haftungsprivilegierung abgelehnt.
1. Der Senat vermag nicht der mit der Berufung weiterhin vorgebrachten Argumentation des Beklagten zu 1) zu folgen, wonach es sich bei § 106 Abs.3 SGB VII um eine Rechtsgrundverweisung handele, die ohne Ausnahme auf die §§ 104 und 105 SGB VII verweise und damit den die Haftungsprivilegierung enthaltenden § 105 Abs. SGB VII einschließe. Die Bestimmung des § 106 Abs.3 SGB VII ist so konzipiert, dass sie auf die Vorschriften der §§ 104 und 105 SGB VII verweist, wen die Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 SGB VII vorliegen, wenn nämlich Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten. Während letztere Voraussetzung, dass nämlich der Kläger und der Beklagte vorübergehend auf einer gemeinsamen Betriebsstätte arbeiteten, unzweifelhaft erfüllt ist, liegt die weitere Voraussetzung, dass es sich bei beiden Beteiligten um Versicherte handelt, nicht vor.
Denn der Kläger ist unstreitig nicht selbst (freiwillig) versichert. Folglich ist schon der Grundtatbestand, der Voraussetzung für eine Verweisung wäre, nicht gegeben.
Anders als das Landessozialgericht Baden Württemberg (NJW 2002,1290f), das ausdrücklich auch nicht versicherte Unternehmer in den Kreis der Geschädigten einbezieht, denen gegenüber die Haftungsfreistellung des Schädigers greife (so wohl auch Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 9. Aufl., Rdnrn. 552,547), geht die überwiegende Meinung davon aus, dass es sich bei § 106 Abs.3 SGB VII um eine Rechtsfolgenverweisung handelt. Nur wenn seine Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, sollen der Unternehmer (§ 104 SGB VII) und andere für den Betrieb tätige Personen (§ 105 SGB VII) von der Haftung freigestellt sein (Schmidt, BB 2002,1859 ff, 1861f; Schmitt, SGB VII, 2.Aufl. 2004, § 105 Rdnr. 15). Die in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nennt jeweils als Voraussetzung der Haftungsprivilegierung des schädigenden Unternehmers, dass auch der Geschädigte Versicherter ist: Ist der Unternehmer Schädiger, ist Voraussetzung für das Haftungsprivileg, dass er Versicherter ist und persönlich auf der Baustelle mitgearbeitet und den Geschädigten verletzt hat (BGHZ 151,198ff; BGH NJW 01,3127; BGH NJW-RR 02,1386; BGH NJW-RR 03,239; BGH BB 01,2011; BGH BB 02,1866). Allerdings bestand die Problematik dieser Fälle regelmäßig in der Frage, ob eine Haftungsfreistellung für den mitarbeitenden versicherten Unternehmer gegenüber dem versicherten geschädigten Unternehmer in Frage kommt. Demgegenüber war das Problem des geschädigten nicht versicherten Unternehmers - so wie es sich im vorliegenden Fall stellt - soweit ersichtlich nicht Gegenstand ausdrücklicher Erörterung. Soweit unter Bezugnahme auf §§ 106 Abs.3, 105 Abs. 2 S. 1 SGB VII die Auffassung vertreten wird, dass der Haftungsausschluss des mitarbeitenden versicherten Unternehmers auch gegenüber einem nicht versicherten Unternehmer als Verletztem gelte, findet dies nach Meinung des Senates im Gesetzeswortlaut keine Stütze.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine redaktionelle Ungenauigkeit der Gesetzesfassung vorläge bzw. die Interessenlage im Wege der Auslegung eine Einbeziehung auch des geschädigten nicht versicherten Unternehmers zwingend geböte.
Dass § 104 Abs. 1 SGB VII den Unternehmer haftungsrechtlich frei stellt, hat seinen Grund darin, dass der Unternehmer, der bereits die Beiträge zur Unfallversicherung seiner Beschäftigten zu zahlen hat, nicht noch darüber hinaus haften soll. Der Haftungsausschluss in § 105 Abs. 2 SGB VII, der den nicht versicherten Unternehmer einem sonstigen versicherten Geschädigten des gleichen Betriebe gleich stellt, kann anders als im Fall des § 104 SGB VII nicht mit dem Finanzierungsargument erklärt werden, da insoweit keine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichtet wurden. Für den Haftungsausschluss spricht jedoch, dass durch die Regelung innerbetriebliche Konfliktsituationen vermieden werden. Derartige innerbetriebliche Konflikte sind nicht zu befürchten, wenn der nicht versicherte Unternehmer von einem fremden mitarbeitenden Unternehmer auf einer vorübergehenden gemeinsamen Betriebsstätte geschädigt wird, so dass von daher eine Ausweitung der Haftungsprivilegierung nicht notwendig ist. Eine Gefahrengemeinschaft, wie sie § 106 Abs.3 SGB VII postuliert, besteht nicht, wenn auf der einen Seite ein Versicherter und auf der anderen Seite ein nicht Versicherter beteiligt ist. Dem Versicherten, der als Schädiger von Haftungsbeschränkungen profitiert, wird zugemutet, dass er selbst bei einer Verletzung keine Schadensersatzansprüche wegen seiner Personenschäden geltend macht (vgl. BGHZ 151,198ff). Der nicht versicherte Geschädigte ginge leer aus, ließe man die Haftungsbeschränkung für den auf der gleichen Betriebsstätte vorübergehend mitarbeitenden Schädiger greifen.
Soweit allerdings als Rechtfertigung der Erstreckung der Haftungsprivilegierung des aus dem gleichen Betrieb stammenden Schädigers auf den geschädigten nicht versicherten Unternehmer in § 105 Abs. 2 SGB VII auch darauf abgehoben wird, dass es aus der Sicht des Schädigers keinen Unterschied mache, ob der geschädigte Unternehmer versichert oder nicht versichert ist (Schmitt, aaO, § 105 Rdnr. 15), liegt diese Betrachtungsweise auch für das Verhältnis des fremden mitarbeitenden versicherten Unternehmers zum geschädigten nicht versicherten mitarbeitenden Unternehmer nicht fern.
Denn im Fall des § 105 Abs. 2 SGB VII erhalten auch die nicht versicherten Unternehmer Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, die jedoch durch die Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches begrenzt sind, eine Lösung, die auch für die vorliegende Fallgestaltung in Betracht kommen könnte, allerdings derzeit aufgrund der gesetzlichen Regelung aus Sicht des Senates ausscheidet.
Im Hinblick auf die zuletzt genannte Problematik war die Revision zuzulassen.
2. Das Landgericht hat, nachdem die Haftungsfreistellung nicht greift, den Beklagten zu 1) zutreffend zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt. Die insoweit von der Berufung geführten Angriffe vermögen ebenfalls nicht zum Erfolg zu führen.
Ein Mitverschulden des Klägers war nicht zu berücksichtigen. Der Beklagte zu 1) hat - mit dem Bagger rückwärts fahrend - den Kläger verletzt, wobei der Unfallhergang nach Anhörung beider Parteien im vorliegenden Verfahren im wesentlichen unstreitig ist. Das Landgericht hat ein Mitverschulden des Klägers mit nachvollziehbarer Begründung abgelehnt. Die räumlichen Verhältnisse waren sehr eng: Es ließ sich nicht vermeiden, dass der - nicht mit einem Warnsignal ausgestattete - Bagger teilweise rückwärts fuhr. Ebenso wenig war es möglich, dass der Kläger seine Aufsichtsarbeiten in sicherer Entfernung von dem Bagger ausführte. Selbst wenn der Kläger infolge einer Bewusstlosigkeit bereits am Boden gelegen haben sollte - eine Darstellung, der der Klägerin entgegengetreten ist -, musste der Beklagte zu 1) ihn beim Rückwärtsfahren und ordnungsgemäßer Rückschau erkennen und seine Fahrweise darauf einrichten.
Auch die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes ist mit 15.000,-- € angesichts der offenbar bleibenden Beeinträchtigungen des Klägers noch angemessen. Der Beklagte zu 1) hat die behauptete Schädigung mit verbleibenden Dauerfolgen nicht bestritten und sich lediglich gegen die Höhe des Schmerzensgeldes gewandt. Letztere erachtet der Senat in Anbetracht der Einschränkungen am Fuß- und Sprunggelenk des Klägers mit dauerhafter Fußdeformität und chronischen Schwellungen, die einer Arbeitsfähigkeit des Klägers im Wege stehen, als gerechtfertigt.
Nach allem war die Berufung mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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