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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 06.07.2004
Aktenzeichen: 8 U 151/03
Rechtsgebiete: CMR


Vorschriften:

CMR Art. 19
CMR Art. 30 III
1. Sind Frachtführer untereinander durch ein gemeinsames Frachtförderungssystem verbunden, schließt dies nicht aus, dass sie zur Erledigung eines Kundenauftrags untereinander selbstständige Frachtführerverträge eingehen.

2. Die Geltendmachung des Verzögerungsschadens eines ersten Frachtführers gegenüber dem nächsten Frachtführer aus Art. 19 CMR setzt dann voraus, dass diesem gegenüber ein Vorbehalt nach Art. 30 Abs. 3 CMR wirksam erklärt wurde.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 151/03

Verkündet am 06.07.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch ... im Verfahren ohne mündliche Verhandlung nach Schriftsatzfrist bis 22.6.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16.7.2003 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Limburg a. d. Lahn (1 O 228/00) abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin, die diese selbst zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 235 ­ 236 d.A.) wird Bezug genommen. Sie sind wie folgt zu ergänzen:

Die Parteien sowie die auf Seiten der Klägerin dem Rechtsstreit beigetretene Streithelferin sind einander im Rahmen eines überregionalen, von Kurierdiensten gebildeten Vertriebssystems verbunden. Innerhalb dieses Systems hätte der dem Rechtsstreit zu Grunde liegende Transportauftrag der Fa. A vom 27.4.1999 so abgewickelt werden sollen, dass die Klägerin den Auftrag annimmt, die Beklagte auf entsprechende Information die Waren bei dem Absender in B abholt und in ein Lager in O1 (B) überführt, wo sie ein "Liniendienst", den die Streithelferin betreibt, aufnimmt, über Nacht nach Deutschland zu einer Verteilerstelle bei O2 transportiert und von wo sie ein anderer Systempartner oder die Klägerin selbst abholt und der Fa. A am 28.4.1999 bis 10 Uhr ausliefert. Tatsächlich ist die Ware zwar in das Lager in O1 gelangt, dort aber von dem Liniendienst der Streithelferin nicht abgeholt worden und der Fa. A zwar noch im Laufe 28.4.1998, aber verspätet ausgeliefert worden.

Zwischen den Parteien war zunächst streitig, ob es erforderlich war, die Streithelferin auf das Vorhandensein von Fracht im O1er Lager hinzuweisen und wer diesen Hinweis hätte erteilen sollen oder ob dies nicht erforderlich war, weil die Streithelferin das Lager in O1 generell und unabhängig von einer solchen Meldung regelmäßig anzufahren hatte. Die Beklagte hatte von Anfang an den Standpunkt eingenommen, sie selbst habe jedenfalls keinen derartigen Hinweis oder Auftrag an die Streithelferin geben müssen und zunächst vorgetragen, dies hätte die Klägerin tun müssen. Im Schriftsatz vom 13.5.2003 (Bl. 212 ff, 215 d.A.) hat sie dann allerdings ausgeführt, eines solchen Auftrags habe es überhaupt nicht bedurft, weil davon auszugehen gewesen sei, dass die Streitverkündete auch ohne eine ausdrücklich Aufforderung das Lager in O1 anfährt. Die Klägerin wiederum hat sich ausdrückliche (Schriftsatz vom 19.2.2002, Bl. 135 d.A.) die Bekundungen des Zeugen Z1 im Rahmen seiner gerichtlichen Vernehmung vom 16.1.2002 zu eigen gemacht. Der Zeuge Z1 hat u.a. bekundet, dass normalerweise jedes Lager jede Nacht angefahren werde; es sei so, "dass diese Linien diese Lager jede Nacht anfahren, ohne Rücksicht darauf, ob ihnen konkret mitgeteilt wird, dass etwas auf dem Lager liegt oder nicht" (Bl. 126 d.A.). Bei dieser Sachlage bestand zwischen den Parteien (anders allerdings der Vortrag der Streithelferin) letztlich in diesem Punkt kein Streit mehr. Dem entspricht, dass die Klägerin im Schriftsatz vom 22.6.2004 in der Berufungsinstanz zwar von einer "pflichtwidrigen Unterlassung" der Beklagten spricht, aber keine weiteren substantiellen Ausführungen dazu macht, worin dieses Unterlassen konkret bestanden haben soll.

Zu ergänzen ist ferner, dass die Fa. A der Klägerin mit Schreiben vom 3.5.1999 schriftlich unter Hinweis auf Schadensersatzansprüche den Hergang der verspäteten Lieferung geschildert hat (Bl. 10 d.A.). Die Klägerin hat die Beklagten ihrerseits mit Schreiben vom 21.5.1999 über den durch die Verzögerung verursachten Schaden informiert (Bl. 14 d.A.).

Die Klägerin meint, ihr stünde gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch auf Grund Art. 19 CMR zu. Sie verlangt Ersatz der Summe, zu deren Zahlung an die Versicherung der Fa. A sie verurteilt worden ist nebst Kosten und Zinsen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12.170,70 € nebst 13,5 % Zinsen aus 9.954,17 € seit dem 23.10.2001 sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 8.11.2001 aus 2.199,12 € zu zahlen.

Die Streithelferin hat sich dem Klägerantrag anschlossen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klägerin den Schadensersatz zugesprochen auf Grund von Art. 19 CMR. Ein nach Art. 30 Abs. 3 CMR hierfür vorausgesetzter schriftlicher Vorbehalt bei Empfang der Fracht liege in der Anzeige der Fa. A im Schreiben vom 3.5.1999 an die Klägerin, weil darin der schadensstiftende Vorgang und die Art des entstandenen Schadens bezeichnet seien.

Mit der zulässigen Berufung verfolgt die Beklagte die Klageabweisung. Sie meint u.a., das Landgericht habe zu Unrecht eine ­ rechtzeitige ­ Vorbehaltserklärung nach Art. 30 CMR angenommen und weist darauf hin, dass sie ­ die Beklagte ­ erst durch Schreiben der Klägerin vom 21.5.1999 über den Verzögerungsschaden informiert worden sei. Das Landgericht habe auch einen Beweisantritt betr. die Behauptung, die Prozessoren seien auch am Tage nach ihrem Eintreffen bei der Fa. A noch zu 403 DM/Stück zu verkaufen gewesen, also (wenigstens noch) zum Ankaufspreis, übergangen. Das Landgericht habe Beweise falsch gewürdigt, weil es nicht dem Zeugen Z2 geglaubt habe, dass die Pflicht der Beklagten mit der Einlieferung der Waren in der Station in O1 geendet habe und für alles weitere die Linienbetreiberin (also die Streithelferin) verantwortlich sei.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Auf den Wortlaut der oben zitierten Dokumente wird jeweils ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg, so dass das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen ist.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu, insbesondere nicht auf Grund Art. 19 CMR.

Dabei kann dahin stehen, ob ­ wie die Klägerin meint und das Landgericht angenommen hat ­ zwischen den Parteien ein Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße nach Art. 1 CMR zustande gekommen ist. Bedenken gegen diese Annahme erwachsen daraus, dass das Landgericht lediglich festgestellt hat, die Klägerin habe den Auftrag der Fa. A an die Beklagte weiter geleitet. Dass die Klägerin die Beklagte mit der entgeltlichen Beförderung der Fracht beauftragt hat und zwar notwendigerweise auch wohin und binnen welcher Frist, ist in erster Instanz nicht festgestellt, wäre aber unter anderem für die Frage wichtig gewesen, ob die Beklagte den Transport bis in das O1er Lager oder eben auch darüber hinaus und zwar fristgebunden schulden sollte. Die Feststellungen des Landgerichts tragen mithin eher die Vorstellung, dass die Klägerin die Beklagte im Rahmen des gemeinsamen Frachtbeförderungssystems einschaltete, ohne dass zugleich ein Beförderungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossen wurde. Diese Sicht wird auch gestützt durch die Schilderungen der Klägerin im Schriftsatz vom 22.6.2004, wonach ihre Weiterbearbeitung des Auftrags der Fa. A faktisch durch Eingaben in eine gemeinsam genutzte Software (...) erfolgte.

Entscheidungserheblich ist dies indes letztlich nicht. Wenn ein solcher Frachtführervertrag zwischen den Parteien zu Grunde gelegt wird, ist zwangsläufig erforderlich, dass die Klägerin der Beklagten gegenüber als ihrer Frachtführerin den nach Art. 30 Abs. 3 CMR erforderlichen Verspätungsvorbehalt schriftlich und fristgerecht erklärt hat. Dies ist nicht geschehen. Die Klägerin hat der Beklagten erst mit Schreiben vom 21.5.1999 Verspätung und Schaden mitgeteilt. Dies erfolgte nicht binnen einundzwanzig Tagen, nachdem dem Empfänger das Gut zur Verfügung gestellt würde. Denn als insoweit maßgeblicher Empfangszeitpunkt könnte allenfalls der 28.4.1999 gelten, als die Ware bei der Fa. A eintraf.

Das Schreiben der Fa. A an die Klägerin vom 3.5.1999 genügt diesem Erfordernis ebenfalls nicht. Das Schreiben enthält keine Erklärung der Klägerin, ist nicht an die Beklagte gerichtet und dieser auch nicht innerhalb der zuvor genannten Frist zugegangen. Mit dem Argument, nach der Rechtsprechung genüge dieses Schreiben dennoch, weil die Beklagte als Unterfrachtführerin und damit lediglich als Hilfsperson der Klägerin fungiert habe, trifft die Klägerin (und mit ihr die Streithelferin) nicht den zu entscheidenden Fall. Zwar kann ein Empfänger fristwahrend gegenüber jedem von mehreren beteiligten Frachtführern einen Vorbehalt wirksam erklären, um seine Rechte zu wahren. Die Klägerin übersieht aber, dass es hier nicht um ihre Inanspruchnahme durch die Fa. A geht, sondern um die Inanspruchnahme der Beklagten durch die Klägerin aus einem ­ wie auch das Landgericht meint ­ eigenen Frachtführervertrag zwischen den Parteien. Auch wenn die Beklagte der Klägerin als Unterfrachtführerin gegenüber selbst haften könnte (Art. 13 CMR), so hätte ihr gegenüber die Klägerin den Vorbehalt rechtzeitig erklären müssen (vgl. Koller, Transportrecht, 5. Auflage 2004, Art. 30 CMR Rdnr. 5).

Soweit sich die Klägerin wegen der Frage des Vorbehalts nach Art. 30 CMR im übrigen dagegen wendet, dass diesbezügliches Vorbringen der Beklagten in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 13.5.2002 beachtet werde, ist darauf hinzuweisen, dass das Fehlen eines wirksamen Vorbehalts nach Art. 30 CMR kraft Gesetzes zum Rechtsverlust führt und damit von Amts wegen zu beachten ist (BGHZ 116, 95 ff). In Folge dessen ist nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht ­ wenn auch mit einem anderen Ergebnis ­ mit dieser Frage befasst hat und gleichzeitig ist auch das Berufungsgericht gehalten, diese Anspruchsvoraussetzung zu prüfen.

Auch unter dem Blickwinkel des Art. 37 CMR kann der Klage nicht zum Erfolg verholfen werden. Abgesehen davon, dass die Klägerin ihren Anspruch nicht auf denkbare Regressüberlegungen im Sinne des Art. 37 CMR stützt, ist nach dem unstreitigen Parteivortrag (unbesehen etwaiger weiterer Voraussetzungen eines Regressanspruchs nach Art. 37 CMR) schon nicht festzustellen, dass die Beklagte die Verspätung allein verursacht hat. Denn zwischen den Parteien ist ­ wie zuvor dargestellt ­ inzwischen außer Streit, dass es weder auf Seiten der Klägerin noch auf Seiten der Beklagten einer Aktivität bedurft hätte, um innerhalb des gemeinsamen Systems die Streithelferin dazu zu veranlassen, das Lager in O1 auch am 27.4.1999 ­ regelmäßig wie immer ­ anzufahren und die dort gelagerte Ware abzuholen. Weder dem Schriftsatz der Klägerin vom 22.6.2004 noch dem Schriftsatz der Streithelferin vom 21.6.2004 ist zu entnehmen, auf Grund welcher Vereinbarung die Beklagte zu welchem konkreten weiteren Verhalten verpflichtet gewesen sein sollte. Dass und warum die Beklagte Anlass zu der Befürchtung hätte haben müssen, das gemeinsam betriebene System werde nicht ohne weitere Maßnahmen als die von ihr getroffenen funktionieren, ist schließlich weder von der Klägerin noch von der Streithelferin vorgetragen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil sie unterliegt (§ 91 ZPO). Davon ausgenommen sind die Kosten ihrer Streithelferin, die diese selbst zu tragen hat (§ 101 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO).

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 10 ZPO). Schuldnerschutzanordnungen unterbleiben (§ 713 ZPO), weil die Voraussetzungen der Revisionszulassung (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen und der Beschwerdewert für eine Nichtzulassungsbeschwerde (§ 26 Nr. 8 EGZPO) nicht erreicht wird.

Ende der Entscheidung

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