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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 09.01.2007
Aktenzeichen: 8 U 184/06
Rechtsgebiete: MÜ
Vorschriften:
MÜ Art. 17 | |
MÜ Art. 18 | |
MÜ Art. 31 |
Gründe:
I. (eingefügt die Red.)
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, einer Fluggesellschaft, Schadensersatz für den Verlust einer Kamera Marke X samt Speicherkarte und Lederetui, die ihr auf dem Flug von O1 nach O2 abhanden gekommen sein sollen.
Sie flog am 28.2.2005 mit der ...Fluggesellschaft von O1 über O3 nach O2. Bei der Ankunft dort fehlte ihr Gepäck, ein Trolley. Dieser wurde erst am nächsten Tag in Abwesenheit der Klägerin in ihrem Hotel von Mitarbeitern der Beklagten abgegeben. Die Klägerin gelangte am späten Abend in den Besitz des Gepäckstücks. Am 2.3.2005 erstattete die Klägerin Anzeige bei der französischen Polizei wegen Diebstahls ihrer Kamera. Am 4.3.2005 trat sie den Rückflug nach O1 an. Zuvor erstattete sie auf dem Flughafen in O2 schriftliche Schadensanzeige bei der Niederlassung der Beklagten. Diese regulierte den Schaden am Trolley, den Verlust der Kamera jedoch nicht.
Das Amtsgericht hat Beweis erhoben und die Zeugen Z1 und Z2 vernommen.
Sodann hat es die Beklagte durch Urteil vom 11.7.2006 verurteilt, an die Klägerin 768,59 € inklusive vorgerichtliche Anwaltskosten als Schadensersatz für die Digitalkamera zu zahlen.
Es hat ausgeführt, die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Kamera während der Luftbeförderung i. S. von Art. 18 I , 17 II des Übereinkommens von Montreal (im folgenden MÜ) aus dem Gepäck der Klägerin entwendet worden sei. Die Klägerin habe den Fotoapparat auf dem Flug mit sich geführt, wie sich aus den Aussagen der Zeugen Z1 und Z2 ergeben habe. Die Kamera sei auch während der Luftbeförderung aus dem Gepäck der Klägerin entwendet worden. Eine vorbehaltlose Abnahme des Gepäcks durch die Klägerin könne nämlich nicht angenommen werden, so dass auch die Vermutung von Art. 31 I MÜ nicht anzuwenden sei. Der Klägerin sei nämlich das Gepäckstück nicht direkt übergeben worden. Es sei erst am 1.3.2005 in ihrem Hotel in Abwesenheit der Klägerin abgegeben worden. Zu diesem Zeitpunkt sei es unstreitig beschädigt gewesen. Dies begründe die Vermutung einer Entwendung der Kamera während des Flugs. Die schriftliche Schadensanzeige der Klägerin bei der Niederlassung der Beklagten auf dem Flughafen in O2 am 4.3.2005 vor dem Rückflug nach O1 könne noch als unverzüglich i. S. von Art. 31 IV MÜ gelten.
Der Anspruch sei auch der Höhe nach in vollem Umfang begründet. Das gelte auch für die geforderten vorprozessualen Anwaltskosten.
Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Sie rügt an erster Stelle eine unzutreffende Beweiswürdigung des Landgerichts. Die Zeugen hätten lediglich erklärt, was üblicherweise geschehe. Eine konkrete Erinnerung hätten sie nicht wiedergeben können.
Außerdem habe das Gericht Art. 18 I MÜ verkannt. Das Gepäck sei nur bis zur Übergabe im Hotel in ihrer, der Beklagten, Obhut gewesen. Die Kamera könne auch danach im Hotel abhanden gekommen sein. Für Angestellte des Hotels hafte sie nicht. Die Mitarbeiter des Hotels seien befugt gewesen, das Gepäck für die Klägerin entgegen zu nehmen. Die Hotelangestellten hätten den Trolley ohne Prüfung oder Rügen angenommen. Dies begründe die Vermutung des Art. 31 I MÜ. Allein die Beschädigung des Trolleys begründe die Vermutung, die Kamera sei abhanden gekommen, nicht.
Zudem sei die Schadensanzeige nicht gem. Art. 31 I u. II MÜ erfolgt. Eine telefonische Anzeige genüge nicht. Die schriftliche Anzeige hätte die Klägerin auch per Fax, e-Mail, Telex oder mit der Post übermitteln können. Eine Fahrt zum Flughafen sei nicht notwendig gewesen. Die Anzeige vor dem Rückflug am 4.3.2005 sei demnach nicht unverzüglich erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das amtsgerichtliche Urteil und hält die Beweiswürdigung für zutreffend.
Auch eine Verletzung materiellen Rechts liege nicht vor. Die Schadensanzeige am 4.3.2005 sei noch unverzüglich i. S. des MÜ erfolgt. Gemäß Art. 31 II MÜ stehe hierfür ein Zeitraum von maximal 7 Tagen zur Verfügung, wobei hier zu berücksichtigen sei, dass ihr das Gepäck auch erst am Abend des 1.3.2005 ausgehändigt worden sei.
II.
Die Zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch aus dem Beförderungsvertrag der Parteien in Verbindung mit Art. 17 II, 18 I, III MÜ vom 28.6.2004 nicht zu.
Zwar hat die Klägerin nachgewiesen, dass sie ihre Kamera auf dem fraglichen Flug mit der Beklagten mit sich führte und in ihrem Reisegepäck, einem Trolley, verstaut hatte. Das Landgericht hat die Aussagen der Zeugen Z1 und Z2 zutreffend in dieser Weise gewürdigt.
Die Kamera ist auch bis zu ihrer Übergabe am 1.3.2005 im Hotel der Klägerin an diese in der Obhut der Beklagten gewesen. Da die Mitarbeiter oder Beauftragten der Beklagten den beschädigten Trolley in Abwesenheit der Klägerin in ihrem Hotel Angestellten desselben übergaben, waren diese Personen im Auftrag der Beklagten als deren Besitzdiener oder Besitzmittler tätig. Diese Situation dauerte an, bis die Klägerin den Trolley persönlich in Empfang nahm. Ein Abhandenkommen der Kamera während der Trolley sich beim Hotelpersonal befand, fällt daher noch in die Sphäre der Beklagten. Demnach war der Schaden der Klägerin, der Verlust der Kamera, während eines Zeitraums eingetreten, in welchem sich das aufgegebene Reisegepäck noch in der Obhut des Frachtführers befand (Art. 17 II, 18 III MÜ).
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin entfällt jedoch deswegen, weil sie ihrer Verpflichtung nach Art. 31 II MÜ, den Schaden unverzüglich nach Entdeckung desselben nach der Annahme des Reisegepäcks dem Luftfrachtführer anzuzeigen, nicht nachgekommen ist.
Art. 31 II MÜ bestimmt eine solche unverzügliche Anzeige zwar nur für den Fall der Beschädigung, im Falle des Verlusts besteht eine solche Pflicht nicht (Giemulla in Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht Band 3 MÜ, Auslieferung Apr. 2006, Art. 31, Rd.-Nr. 22 m. w. N).
Allerdings ist hier ein Teilverlust anzunehmen, der wie eine Beschädigung zu behandeln und deshalb anzeigepflichtig ist, weil nicht das Gepäckstück, sondern lediglich ein Teil seines Inhalts abhanden gekommen ist.
Die Frage, ob in Fällen eines Teilverlusts eine Schadensanzeige erforderlich ist, ist umstritten. Die Rechtsprechung beantwortet diese Frage unterschiedlich. In Fällen, in denen der Teilverlust für den Luftfrachtführer i.d.R. nicht zu erkennen ist, wird von den Gerichten eine Schadensanzeige verlangt, damit der Luftfrachtführer in die Lage versetzt wird, die ihm erforderlich erscheinenden Maßnahmen zur Beweissicherung und Abwendung der Haftpflicht zu ergreifen (Giemulla, a.a.O. Art. 31 MÜ, Rd.-Nr. 26 m. w. N.). Das OLG Frankfurt hat bisher bei unterschiedlichen Sachverhalten eine differenzierte Auffassung vertreten und hat einen Teilverlust nur dann wie eine Beschädigung behandelt, wenn er Folge einer Beschädigung war, andernfalls als Verlust, für den keine Anzeigepflicht besteht (ZLW 1981, 312 = MDR 1981,850). An anderer Stelle hat das OLG angenommen, dass ein Teilverlust grundsätzlich nicht als Beschädigung, sondern als Verlust anzusehen sei, wenn von mehreren selbständigen Frachtstücken, die in einem Luftfrachtbrief zusammengefasst sind, einige fehlen, d. h. dass in diesem Fall eine Schadensanzeige nicht für erforderlich gehalten wurde (TranspR 1987, 68).
Allerdings hat das Landgericht Frankfurt eine äußere Beschädigung eines Gepäckstücks für einen ausreichend deutlichen Hinweis darauf gehalten, dass auch der Inhalt des Behälters Schaden genommen hat und u. U. auch Gegenstände fehlen könnten (TranspR 1986, 292).
Giemulla vertritt hierzu die Auffassung, dass eine Anzeige erforderlich ist, wenn der Luftfrachtführer typischerweise den Teilverlust nicht selbst feststellen könne. Dies sei i.d.R. bei aufgegebenem Reisegepäck der Fall, das im Allgemeinen im internationalen Flugverkehr nicht individuell dem Berechtigten ausgehändigt werde, sondern von diesem selbst vom Förderband genommen werde. Eine Anzeige wegen Beschädigung von Gepäck reiche nicht aus, wenn zugleich mit der Beschädigung auch Inhalte des Gepäckstücks in Verlust geraten seien (Giemulla, a.a.O. Art. 31 MÜ, Rd.-Nr. 28).
Hier handelt es sich um Reisegepäck, das die Klägerin nicht selbst vom Förderband genommen hat. Wegen des Transports des Trolleys durch Angestellte oder Beauftragte der Beklagten zum Hotel der Klägerin hatte die Beklagte zwar die Möglichkeit, von der Beschädigung des Trolleys Kenntnis zu nehmen. Diese Kenntnis kann aber nicht gleichgesetzt werden mit der Kenntnis von einem Abhandenkommen eines Teils des Inhalts des Gepäckstücks. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass sie nicht berechtigt ist, den Inhalt der bei ihr aufgegebenen Gepäckstücke zu untersuchen. Außerdem war die Beschädigung an dem Trolley im Streitfall so beschaffen, dass diese nur schwer zu erkennen war. Sie war nämlich in der Weise vorgenommen worden, dass das eine Rad des Koffers zusammen mit der zugehörigen Verstrebung von dem Gepäckstück abgelöst worden war, wobei das Rad und die Verstrebung die Beschädigung gleichzeitig verdeckten, obwohl die so geschaffene Öffnung in dem Koffer ausreichend groß war, um mit der Hand in ihn hineinzugreifen. Im Übrigen hat die Beklagte auch bei Kenntnis einer Beschädigung eines von ihr beförderten Gepäckstücks ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, dass aus diesem auch noch etwas abhanden gekommen ist, weil sie im letzteren Fall andersartige Nachforschungen anstellt, als wenn lediglich eine Beschädigung vorliegt.
Aus diesen Gründen ist der Senat der Auffassung, dass der teilweise Verlust des Inhalts eines Gepäckstücks im Streitfall eine Beschädigung i. S. von Art. 31 II MÜ darstellt und einer Anzeigepflicht unterliegt, die auch durch die Kenntnis des Luftfrachtführers von einer Beschädigung des Gepäckstücks nicht entfällt.
Diese Anzeigepflicht hat die Klägerin nicht fristgerecht erfüllt.
Art. 31 II MÜ bestimmt, dass der Empfänger des Gepäckstücks dem Luftfrachtführer die Beschädigung unverzüglich nach Entdeckung des Schadens, bei aufgegebenem Reisegepäck binnen 7 Tagen, Anzeige zu erstatten hat. Eine unverzügliche Anzeige bedeutet, dass der Fluggast diese ohne schuldhaftes Zögern, d. h. innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist, erstatten muss (Palandt-Heinrichs, 66. Aufl. 2007, § 121 Rn. 2m.w.N.). Die Legaldefinition in § 121 I BGB für die Anfechtung wegen Irrtums oder falscher Übermittlung einer Willenserklärung gemäß §§ 119, 120 BGB gilt im Bereich des gesamten Privatrechts ebenso wie im öffentlichen Recht (Palandt-Heinrichs, a.a.O.) und ist daher auf das MÜ analog anzuwenden.
Hier war es so, dass der Klägerin der Trolley am Abend des 1.3.2004 in ihrem Hotel in O2 übergeben wurde. Am 2.3.2004 erstattete sie bei der französischen Polizei Anzeige wegen Diebstahls ihrer Kamera. Demnach war ihr zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass der Fotoapparat aus dem Gepäckstück verschwunden war. Sie hätte daher an diesem Tag auch die entsprechende Anzeige bei der Beklagten anbringen müssen. Eine weitere Prüfungs- und Überlegungsfrist erscheint nicht erforderlich. Daraus folgt, dass die erst am 4.3.2004, dem Tag des Rückflugs nach O1, auf dem Flughafen in O2 erstattete Anzeige nicht unverzüglich erfolgte.
Diese Frage wäre anders zu beurteilen, wenn die Klägerin am Morgen des 2.3.2004 bei der Niederlassung der Beklagten angerufen und den Verlust der Kamera gemeldet hätte und eine Angestellte der Beklagten ihr gesagt hätte, es sei ausreichend, wenn sie bei Antritt des Rückflugs eine schriftliche Verlustanzeige aufgebe. In diesem Fall wäre ein schuldhaftes Zögern der Klägerin zu verneinen. Diese ihre Behauptung vermochte die Klägerin indessen nicht zu beweisen.
Sie kann sich auch nicht auf die in Art. 31 II MÜ für Reisegepäck genannte Frist von 7 Tagen berufen. Hierbei handelt es sich um eine Ausschlussfrist, die besagt, dass bei späterer Kenntniserlangung keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden können. Erhält der Fluggast aber alsbald nach Wiedererlangung des Besitzes des Reisegepäcks und wesentlich vor Ablauf der 7 Tage Kenntnis von einer Beschädigung, so obliegt es ihm, unverzüglich, nämlich ohne schuldhaftes Zögern, Anzeige zu erstatten.
Nach alledem war der Berufung der Erfolg nicht zu versagen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Klägerin zur Last (§ 91 ZPO).
Das Urteil ist gemäß §§ 708, 713 ZPO vorläufig vollstreckbar.
Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die keine grundsätzliche Bedeutung hat. Eine Diskrepanz zu der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichts oder des BGH ist nicht ersichtlich.
Ende der Entscheidung
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