Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 10.03.2009
Aktenzeichen: 8 U 253/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 249
BGB § 253
BGB § 280 Abs. 1
1. Zu den ärztlichen Sorgfaltspflichten eines Anästhesisten / Schmerzmediziners bei der regelmäßigen Befüllung einer subkutanen sog. "Schmerzmittelpumpe"

2. Erleidet ein Patient durch die unkontrollierte Ausschüttung von Schmerzmitteln aus einer undichten Schmerzmittelpumpe erhebliche Beschwerden, die dazu führen, dass er zeitweise sogar intensivmedizinisch betreut werden muss und muss er sich wegen des Behandlungsfehlers des beklagten Schmerzmediziners eines vorzeiten operativen Austauschs der Schmerzmittelpumpe unterziehen, so kann ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 € gerechtfertigt sein.


Gründe:

I.

Der Klägerin wurde Anfang 1999 in O5 eine Schmerzmittelpumpe unter der Haut eingesetzt, mit deren Hilfe aus einem Vorrat von Schmerzmitteln automatisiert eine bestimmte Dosis in den Körper der Klägerin abgeben werden sollte. Um eine solche Pumpe bei Bedarf neu zu befüllen, muss eine dafür geeignete Kanüle durch die Haut und durch ein sog. Septum geführt und auf diese Wege das Medikament in den Vorratsbehälter der Pumpe eingefüllt werden. Das Einfüllseptum ist mit einer Silikonschicht abgedichtet, die bei jedem dieser Befüllvorgänge punktiert wird und sich auf Grund ihrer Materialeigenschaften nach dem Entfernen der Kanüle wieder verschließt. Für einen sicheren Wiederverschluss nach ordnungsgemäßem Befüllen hat sich ein Standard etabliert, wonach eine Toleranz gegenüber 2.000 Punktionen zu fordern ist, bevor es zu Leckagen kommt.

Zunächst ließ die Klägerin die Schmerzmittelpumpe in O5 neu befüllen, ab dem Jahr 2000 im Abstand von etwa sieben Wochen von dem Beklagten, der als Anästhesist im Bkrankenhaus O1 wirkte. Auf diese Weise kam es zu insgesamt etwa 50 Befüllvorgängen.

Nachdem der Beklagte die Schmerzmittelpumpe zuletzt am 14.10.2005 befüllt hatte, verspürte die Klägerin Beeinträchtigungen, die sie veranlassten, sich am 16.10.2005 in die ... Aklinik in O2 zu begeben. Nachdem die Schmerzmittelpumpe dort zunächst ambulant zweimal neu befüllt worden und schon nach wenigen Tagen entleert war, wurde der Klägerin am 31.10.2005 eine neue Schmerzmittelpumpe operativ eingesetzt. Die bis dahin verwendete Schmerzmittelpumpe wurde untersucht und es stellte sich heraus, dass die Silikonschicht des Einfüllseptums undicht und beschädigt war.

Zwischen dem 14.10.2005 bis zum Einsetzen der neuen Schmerzmittelpumpe litt die Klägerin unter Schwindelgefühlen, Kreislaufproblemen, Übelkeit, Erbrechen und Schweißausbrüchen, die u.a. daraus resultierten, dass die Undichtigkeit der Pumpe zunächst auch in der ... Aklinik unbemerkt blieb, neues Schmerzmittel zweimal in die undichte Pumpe nachgefüllt wurde und von dort abermals unkontrolliert abging. Die Klägerin musste teilweise intensivbehandelt werden und erhielt zur Ruhigstellung Morphine. Sie wurde schließlich am 8.11.2005 aus der stationären Behandlung entlassen. Sie hatte infolgedessen Mehraufwendungen in Höhe von insgesamt 989,50 € in Gestalt von Telefonkosten, Fahrtkosten und für eine Haushaltshilfe.

Die Klage stützt sich auf die Behauptung, der Beklagte habe das Einfüllseptum der Schmerzmittelpumpe durch häufige Fehlbedienung bei der Wiederbefüllung beschädigt, insbesondere durch die Verwendung ungeeigneter Kanülen.

Die Klägerin hat Schmerzensgeld verlangt (ihre Vorstellung: 6.000 €) sowie materiellen Schadensersatz in Höhe von 989,50 €.

Der Beklagte hat sich gegen die Inanspruchnahme verteidigt. Der Beklagte hat insbesondere Fehler bei dem Befüllen der Schmerzmittelpumpe bestritten. Er habe nur geeignete und von ihm näher bezeichnete Kanülen verwendet und niemals den Befüllungsvorgang mit der gleichen Kanüle fortsetzt, wenn er bemerkt hatte, dass diese mit dem Metall der Schmerzmittelpumpe in Kontakt geraten war.

Das Landgericht Hanau hat ein schriftliches Gutachten und ein schriftliches Ergänzungsgutachten des Prof. Dr. SV1 (Universität O3) eingeholt und die Klage abgewiesen.

Der Klägerin sei es nicht gelungen zu beweisen, dass der Beklagte ungeeignete Kanülen verwendet habe. Der Beklagte habe unwiderlegt vorgetragen, seit Jahren Kanülen einer bestimmten Marke ("...") verwendet zu haben, bei denen es sich um geeignete Punktionskanülen gehandelt habe. Das habe der Sachverständige Prof. Dr. SV1 bestätigt.

Eine Beschädigung des Einfüllseptums könne auch bei ordnungsgemäßem Vorgehen eintreten. Denn die empfindlichen Spitzen der Kanülen verformten sich bereits dann, wenn sie mit nur moderater Kraft auf eine Metallfläche gedrückt werden. Auf Grund dessen sei es denkbar, dass die Membran entweder durch eine verformte Nadelspitze beschädigt wurde, die zuvor das metallene Außengehäuse der Pumpe berührt habe oder beim Zurückziehen der Nadel, wenn diese auf die Rückfront der Medikamentenkammer in der Pumpe getroffen sei. Es könnten katheterbedingte Komplikationen bei 10 bis 44 Prozent der Patienten im Verlaufe der mehrjährigen Therapie eintreten. Vor diesem Hintergrund sei nicht nachgewiesen, dass dem Beklagten ein Behandlungsfehler unterlaufen sei.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihre erstinstanzlichen Klageziele unverändert weiter. Im Gegensatz zu der Annahme des Landgerichts sei von Fehlern des Beklagten beim Befüllen auszugehen. Die statistischen Werte, auf die sich das Landgericht gestützt hat, seien nicht tragfähig. Der Beklagte müsse beweisen, welche Kanülen er verwendet hat und dass diese geeignet gewesen seien. Die Betrachtung der schadhaften Pumpe deute jedenfalls darauf hin, dass Befüllungsfehler (falsche Kanüle und/oder falsches Vorgehen) stattgefunden hätten. Die Klägerin bringt ferner vor, dass eine "Bodenberührung" der Kanüle beim Einfüllen sogar vorgeschrieben sei, so dass eine solche Bodenberührung nicht der Grund für Beschädigungen der Kanüle sein dürfte, weil sie beim Herausziehen der Kanüle anderenfalls zwangsläufig immer entstehen müssten.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin

1. ein angemessenes Schmerzensgeld 2. 989,50 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (17.8.2006) zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Sofern Beschädigungen der Kanülen oder des Einfüllseptums eingetreten seien, habe der Beklagte davon jedenfalls nichts bemerkt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch mündliche Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. SV1, der seine erstinstanzlich vorgelegten schriftlichen Äußerungen vom 16.1.2007 (Bl. 72 ff d.A.) und vom 17.7.2007 (Bl. 109 ff d.A.) erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift des Senats vom 10.6.2008 verwiesen (Bl. 225 ff d.A.). Der Senat hat in der gleichen Sitzung die streitgegenständliche Schmerzmittelpumpe in Augenschein genommen. Der Senat hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. SV2 (Universität O4). Wegen der Beweisfragen wird auf den Beweisbeschluss des Senat vom 1.7.2008 verwiesen (Bl. 234 d.A.), wegen des Ergebnisses auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. SV2 vom 26.11.2008 (Bl. 261 ff d.A.).

II.

Die Berufung hat Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche zu.

Der Beklagte schuldet der Klägerin materiellen und immateriellen Schadensersatz (§§ 249 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB). Denn der Beklagte hat seiner aus dem Behandlungsverhältnis folgenden Verpflichtung zur fehlerfreien Behandlung der Klägerin in vorwerfbarer Weise zuwidergehandelt (§ 280 Abs. 1 BGB).

Zwischen den Parteien bestand seit dem Jahr 2000 ein Behandlungsverhältnis, wonach der Beklagte es übernommen hatte, die Schmerzmittelpumpe in den erforderlichen Abständen - nämlich etwa alle sieben Wochen - zu befüllen. Bei dieser Tätigkeit schuldete der Beklagte die Beachtung derjenigen Sorgfalt, die von einem Facharzt in seiner Lage nach den Regeln der ärztlichen Kunst aufzubringen ist.

Zu diesen Regeln zählt es, bei dem Befüllvorgang das unter der Haut liegende Einfüllseptum sorgfältig zu ertasten und eine geeignete Kanüle durch die Haut, ohne vorherigen Kontakt mit anderen Teilen der Schmerzmittelpumpe, in senkrechtem Einstichwinkel und ohne Querbewegungen durch die Silikonschicht zu führen. Dieses Vorgehen soll die Beanspruchungen, denen die Silikonschicht unterliegt, minimieren und ihre Dichtigkeit gewährleisten.

Zu den Regeln zählt es ferner, den Einfüllversuch nicht mit der gleichen Kanüle fortzusetzen, wenn es doch zu einem vorherigen Kontakt mit anderen Teilen der Schmerzmittelpumpe gekommen ist, weil sich dadurch die Kanülenspitzen verbiegen können, was zur Folge haben kann, dass das Silikon nicht ordnungsgemäß durchstoßen wird, sondern gestanzt und - insbesondere beim Herausziehen einer solchen schadhafte Kanüle - aufgeschnitten werden kann.

Diese Sorgfaltsanforderungen und die Auswirkungen etwaiger Nichtbeachtung hat der Senat festgestellt auf Grund der übereinstimmenden Ausführungen beider Sachverständiger; der Beklagte stellt sie im Übrigen auch nicht in Abrede.

Der Beklagte hat diesen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt.

Ihm ist allerdings nicht zu Last zu legen, dass er von vornherein ungeeignete Kanülen verwendet hat. Insoweit teilt der Senat die Erwägungen, die das Landgericht hierzu angestellt hat und verweist auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung. Dass der Beklagte andere und prinzipiell ungeeignete Kanülen verwendet hat, vermochte die Klägerin weder darzulegen noch zu beweisen.

Der Beklagte ist bei den Befüllvorgängen jedoch in vermeidbarer Weise unsorgfältig vorgegangen. Das folgt zu Überzeugung des Senats aus dem Zustand der streitgegenständlichen Schmerzmittelpumpe. Dieser Zustand ist nur damit zu erklären, dass die zuvor geschilderten Sorgfaltsanforderungen mehrfach nicht beachtet wurden. Dies belegen die Ausführungen beider Sachverständiger, insbesondere des Sachverständigen Prof. Dr. SV2. Danach waren die Schmerzmittelpumpe und insbesondere die Silikonschicht in einem Zustand ("sehr starke Einstichspuren, Aushebelungen und Schnitte"), der nur mit fehlerhaften Befüllvorgängen zu erklären ist. Der Sachverständige Prof. Dr. SV2, dessen Sachverstand für die Beurteilung solcher Zusammenhänge auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen wird, hat festgestellt, dass die Silikonschicht undicht ist und diese Undichtigkeit nach (nur) etwa 50 Befüllvorgängen nur auf die Verwendung einer beschädigten Kanüle ("Nadel") oder auf eine Querbewegung der Kanüle während des Befüllvorgangs zurückzuführen ist. Er hat ferner ausgeführt, ein Zerschneiden der Silikonschicht könne nicht damit erklärt werden kann, dass eine Kanüle bei ordnungsgemäßem Einführen durch das Auftreffen auf die Rückwand des Vorratsbehälters verformt werden und infolgedessen beim Herausziehen die Schäden verursachen könne. Denn die Spitze der Kanüle trifft - entgegen auch der Annahme des Landgerichts - dann nicht auf eine metallene Fläche, sondern auf einen eigens zu Abwendung dieses Risikos eingearbeiteten Kunststoff, der nach den Untersuchungen des Sachverständigen Prof. Dr. SV2 bei sachgerechter Befüllung und moderater Kraftentfaltung zuverlässig wirkt. Der Sachverständige Prof. Dr. SV2 hat schließlich auch darauf hingewiesen, dass sich das Silikonmaterial auch bei "schlechter" Behandlung im Allgemeinen wieder verschließt, falls jedoch bei einer Befüllung mit einer sehr stark deformierten Kanüle ein großer Kanal geschaffen werde, könne auch dieses Material das Leck nicht mehr schnell genug abdichten.

Soweit die Undichtigkeit der Silikonschicht auf Querbewegungen beim Befüllvorgang zurückzuführen ist, konnte der Beklagte solche Querbewegungen bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt ohne weiteres vermeiden. Soweit die Undichtigkeit durch Einführen beschädigter Kanülen entstanden ist, gilt das Gleiche. Insbesondere konnte es der Beklagte vermeiden, den Befüllvorgang mit der gleichen Kanüle fortzusetzen, wenn - was im Übrigen ebenfalls vermeidbar erscheint - die Kanüle vor dem Befüllen auf den metallenen Körper der Schmerzmittelpumpe gestoßen war, denn solches macht sich in der Regel durch einen entsprechenden Widerstand bemerkbar. Selbst wenn, wie der Sachverständige Prof. Dr. SV1 meint, eine Berührung des Metallgehäuses "nicht immer zuverlässig bemerkt" werden kann, so hat der Sachverständige Prof. Dr. SV2 auch festgestellt, dass auf der Berandung des Einfüllseptums der streitgegenständlichen Schmerzmittelpumpe sehr starke Kratzspuren zu erkennen sind, zudem einige schwächere auf der Oberseite des Pumpengehäuses. Dass sich derartige Spuren mehrfach zeichnen lassen, ohne dass der Kontakt bemerkt wird oder bei gehöriger Sorgfalt hätte bemerkt werden können, ist nicht anzunehmen.

Angesichts des Zustands der Silikonschicht und der zeitlichen Zusammenhänge hat der Senat keinen Zweifel daran, dass es zu der Leckage durch fehlerhafte Befüllvorgänge des Beklagten gekommen ist. Seit dem Jahr 2000 hat allein der Beklagte die Befüllungen der 1999 eingesetzten Schmerzmittelpumpe vorgenommen, die - insofern: erst - im Oktober 2005 undicht wurde. Dass hierfür denkbare fehlerhafte Befüllvorgänge aus 1999 ausschlaggebend waren, ist nach Lage der getroffenen Feststellungen nicht anzunehmen.

Die immateriellen Beeinträchtigungen, die die Klägerin unstreitig erlitten hat, rechtfertigen die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 6.000 €. Der Senat berücksichtigt dabei die nicht unerheblichen Beschwerden, die die Klägerin durch die unkontrollierte Ausschüttung von Schmerzmitteln erlitten hat, dass die Klägerin im Zuge dessen zeitweise intensivmedizinisch betreut und mehrere Wochen stationär behandelt werden musste und dass sie sich letztlich einem operativen Austausch der Schmerzmittelpumpe unterziehen musste, wozu es ohne das fehlerhafte Vorgehen des Beklagten voraussichtlich - wenn überhaupt - erst viele Jahre später gekommen wäre.

Die von der Klägerin dargelegten materiellen Beeinträchtigungen, die der Beklagte als solche nicht in Abrede gestellt hat, sind als weitere Schadensfolge zu ersetzen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er unterliegt (§ 91 ZPO).

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 10 ZPO). Weil mangels der gesetzlichen Voraussetzungen (§ 543 Abs. 2 ZPO) die Revision nicht zuzulassen ist und eine Nichtzulassungsbeschwerde mangels ausreichender Beschwer nicht stattfindet (§ 26 Nr. 8 EGZPO), unterbleiben Schuldnerschutzanordnungen (§ 713 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück