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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 04.04.2006
Aktenzeichen: 8 U 98/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
Zu den Voraussetzungen und der Beweislast bei einem Anspruch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen ärztlicher und medizinisch-pflegerischer Behandlungsfehler während einer stationären Behandlung (hier: zunächst unentdeckte transitorisch-ischämische Attacke).
Gründe:

I.

Der Kläger ist der Ehemann und Erbe der am 18.11.1919 geborenen und am 11.12.2000 verstorbenen Frau A. Er verlangt aus ererbtem Recht von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen ärztlicher und medizinisch-pflegerischer Behandlungsfehler während der stationären Behandlung seiner Ehefrau in der Urologischen Klinik der Beklagten zu 2). Der Beklagte zu 1) war dort auf der Station 100 als Pfleger tätig. Der Beklagte zu 3) war der Chefarzt, der Beklagte zu 4) Stationsarzt der Urologischen Klinik der Beklagten zu 2).

Frau A wurde am 30.9.1991 zur Abklärung einer Harninkontinenz sowie einer röntgenologisch dargestellten Senkniere in der Urologischen Klinik der Beklagten zu 2) stationär aufgenommen. Bei der Aufnahmeuntersuchung fand der Beklagte zu 4) ein deutliches Strömungsgeräusch über der linken Halsschlagader (Arteria Carotis Interna) und ordnete eine Sonographie für den 2.10.1991 an. Der Kläger wirft den Beklagten zu 3) und 4) vor, diesen Befund und die weiteren von seiner Ehefrau geäußerten Beschwerden, wie zitternde Hände, Kribbelempfindungen am rechten Arm und am rechten Mundwinkel sowie Schwindelattacken nicht umgehend differenzialdiagnostisch abgeklärt und ihr keine blutverdünnenden Mittel verabreicht zu haben.

Am Abend des 1.10.1991 gegen 19.30 Uhr bat der Kläger auf der Station 100 den Beklagten zu 1) ans Krankenbett seiner Ehefrau. Der Kläger hat behauptet, es hätten Wortfindungsstörungen, Kribbelgefühle rechts, Taubheitsgefühle am rechten Arm und an der Gesichtshälfte sowie ein herunter hängender Mundwinkel bestanden. Der Beklagte zu 1) habe den Verdacht eines Schlaganfalls geäußert und den diensthabenden Arzt holen wollen. Dies sei jedoch nicht geschehen. Statt dessen habe der Beklagte zu 1) den Kläger nach ca. 15 Minuten nach Hause geschickt. An diesem Abend habe die Ehefrau des Klägers eine transitorisch-ischämische Attacke (TIA) erlitten, die wegen des Fehlverhaltens des Beklagten zu 1) unerkannt geblieben sei.

Am nächsten Morgen, dem 2. 10. 1991, wurde Frau A - wie geplant - zunächst urologisch und dann doppler-sonographisch untersucht. Während dieser Untersuchung entstand ein thrombotischer Verschluss der Halsschlagader, der zu einem Schlaganfall führte. Auch die sofortige Notfalloperation konnte die bis zu ihrem Tod fortbestehende Schwerstbehinderung der Patientin nicht verhindern. Nach Auffassung des Klägers wäre der Schlaganfall zu verhindern gewesen, wenn man die Frau A unverzüglich nach der transitorisch-ischämischen Attacke untersucht und behandelt hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 24.3.2005 (Blatt 207 - 219 d. A.) verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat das gesamte Krankheitsgeschehen als schicksalhaft bewertet und sich dabei auf ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. SV1 gestützt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Beklagte zu 4) habe keine Veranlassung gehabt, schon unmittelbar nach der Aufnahmeuntersuchung eine doppler-sonographische Untersuchung der Arterien herbeizuführen. Es hätten nämlich keine eindeutigen Anzeichen für eine symptomatische Stenose bestanden. Man habe Frau A deshalb auch keine blutverdünnenden Mittel geben müssen. Die am 1.10.1991 aufgetretene Attacke sei eine reversible Störung der zerebralen Durchblutung gewesen und habe deshalb ebenfalls nicht sofort behandelt werden müssen. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass eine so besorgniserregende Symptomatik vorlag, dass eine umgehende Reaktion erforderlich gewesen wäre. Der Beklagte zu 1) habe die Schilderung des Klägers zurückgewiesen. Sie werde auch nicht durch das sonstige Beweisergebnis belegt. Dementsprechend habe sich keiner der Beklagten einen ärztlichen oder pflegerischen Behandlungsfehler vorzuwerfen.

Der Kläger hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Er wirft dem Landgericht vor, den Sachverhalt ungenügend ausgeschöpft zu haben. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. SV1 sei unvollständig, weil er nicht alle bei der Aufnahme bestehenden Symptome, vor allem nicht die Kribbelgefühle am rechten Arm und am rechten Mundwinkel berücksichtigt habe.

Aus dem Privatgutachten der Sachverständigen Prof. SV2 und Dr. SV3 ergebe sich, dass die Attacke vom 1.10.1991 ein Notfall gewesen sei, der sofort hätte behandelt werden müssen. Das Landgericht habe davon ausgehen müssen, dass ein besorgniserregender Zustand vorgelegen habe. Es habe sich nicht auf die Aussage des Beklagten zu 1) stützen dürfen, denn der habe offenbar fehlerhaft keinen Eintrag in der Krankenakte unternommen und in einem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten eingeräumt, die Patientin nicht nur wegen ihres Unwohlseins sondern auch wegen des Kribbelns in Arm und Gesicht aufgesucht zu haben.

Zuletzt wirft der Kläger dem Landgericht vor, dass es den Gutachter Prof. Dr. SV1 nicht mündlich angehört habe. Ggf. müsse auch ein neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt werden.

Der Kläger beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1. an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nicht unter 131.200,00 € nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins ab Rechtshängigkeit und

2. weitere 765.886,37 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagten streiten ab, dass Frau A bei der Aufnahmeuntersuchung über jüngst aufgetretene Kribbel-Parästhesien geklagt habe. Sie verweisen auf die Klageschrift, in der auf "bereits seit einiger Zeit bestehende" Kribbel-Parästhesien hingewiesen worden sei. Unter diesen Umständen habe für den aufnehmenden Stationsarzt auch keine Veranlassung zur sofortigen sonographischen Kontrolle bestanden. Die entsprechenden Ausführungen des Privatgutachters Prof. SV2 seien nicht erheblich.

Das Landgericht habe mit Recht festgestellt, dass die vom Kläger behaupteten neurologischen Ausfallerscheinungen seiner Ehefrau auch am Abend des 1.10.1991 nicht vorgelegen hätten. Weder er noch seine Ehefrau hätten den Ärzten am 2.10.1992 etwas von diesen Ausfallerscheinungen berichtet. Der Beklagte zu 1) habe im Laufe des Tages mitbekommen, das Frau A über Kribbelempfindungen im rechten Arm und der rechten Gesichtshälfte geklagt hatte und dass eine Doppler- Sonographie angeordnet war. Ihr Zustand am Abend des 1.10.1991 sei unverändert gewesen.

Der Senat hat beide Parteien nochmals zu den Geschehnissen am Abend des 1. 10. 1991 angehört. Der Sachverständige Prof. Dr. SV1 hat sein Gutachten mündlich erläutert. Wegen des Ergebnisses wird auf die Protokollniederschrift vom 14. 2. 2006 (Blatt 448 - 461 d. A.) verwiesen.

II.

Das Rechtsmittel des Klägers hat keinen Erfolg. Ihm stehen keine Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Beklagten wegen des Schlaganfalls seiner Ehefrau vom 2. Oktober 1991 zu, weil der Kläger keinem der Beklagten ein Fehlverhalten nachweisen konnte.

Frau A ist als Kassenpatientin mit Chefarztzusatzbehandlung bei der Beklagten zu 2) aufgenommen worden (Blatt 47/63 d. A.). Haftungsrechtlich konzentriert sich damit die vertragliche Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten des Beklagten zu 1) (=Pflegers) und des Beklagten zu 4) (= Stationsarzt) bei der Beklagten zu 2) als Krankenhausträgerin (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Auflage, Kapitel A, Rn 52 m. w. N.). Die Beklagten zu 1) und 4) können nur aus Delikt zur Verantwortung gezogen werden (§§ 823, 847 BGB a. F.). Der Beklagte zu 3) (=Chefarzt) kann für eigene Versäumnisse aus positiver Vertragsverletzung des Chefarztvertrags, im übrigen nur aus Organisationsverschulden herangezogen werden (§§ 831, 847 BGB a. F.). Der Kläger hat nicht bewiesen, dass einer der Beteiligten seine beruflichen Sorgfaltspflichten verletzt hätte. Dazu im einzelnen:

1. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass dem Beklagten zu 4) bei der Aufnahmeuntersuchung am 30.9.1991 ärztliche Behandlungsfehler unterlaufen sind. Der Sachverständige Prof. SV1 hat dem Beklagten zu 4) attestiert, dass er fachgerecht auf die von ihm diagnostizierten Strömungsgeräusche über der Halsschlagader reagiert und eine doppler-sonographische Untersuchung der supraaortalen Arterien für den 2. 10. 1991 angeordnet hat.

Der Gutachter hat seine Feststellung überzeugend begründet: Frau A habe u. a. durch ihren Bluthochdruck und ihren insulinpflichtigen Diabetes verschiedene Risikofaktoren einer Arteriosklerose in sich getragen. Es hätten jedoch keine klinischen Anzeichen bestanden, die darauf hingedeutet hätten, dass dieser Prozess bei der Aufnahme in die Klinik das sog. "Stadium I" überschritten hatte, bei dem in der Regel keine höchstgradigen Verengungen = Stenosen der hirnzuführenden Gefäße vorliegen (Blatt 130, 131 d. A.). Deshalb habe auch kein Anlass bestanden, diese Untersuchung noch am 30.9. oder am 1.10.1991 durchzuführen (Bl. 138 d.A.). Erst wenn klinisch fassbare Symptome einer cerebralen arteriellen Mangeldurchblutung aufträten, könne man annehmen, dass das Stadium II erreicht sei und dann müsse sofort reagiert werden.

Der Sachverständige ist von zutreffenden Anknüpfungspunkten ausgegangen. Aus der Krankenakte hat er entnommen, dass die Patientin über "zitternde Hände" sowie über zeitweilig auftretenden Schwindel geklagt hat. Weitere Eintragungen sind - unstreitig - in der Krankenakte nicht vermerkt. Der Kläger hat darüber hinaus erstinstanzlich vortragen lassen, Frau A habe den Beklagten zu 4) auf bereits seit einiger Zeit bestehende Kribbel-Parästhesien im rechten Arm und im Bereich des rechten Mundwinkels hingewiesen (Bl. 3 d.A.). Das ist nicht von Bedeutung. Der Sachverständige Prof. SV1 hat nämlich erklärt, dass sich seine Beurteilung nur dann ändern würde, wenn Frau A akut aufgetretene Symptome gezeigt oder beklagt hätte, weil das als Hinweis auf eine aktuelle Durchblutungsstörung des Gehirns anzusehen wäre, die umgehend diagnostisch hätte abgeklärt werden müssen. Da der Kläger aber bis zur Berufungsbegründung niemals von akuten Problemen unmittelbar vor der Aufnahmeuntersuchung gesprochen und seinen neuerlichen - verspäteten - Vortrag auch nicht substantiiert, geschweige denn bewiesen hat, bleibt es bei den vom Sachverständigen zugrundegelegten Anknüpfungspunkten.

Der Beklagte zu 4) konnte davon ausgehen, dass die Stenose der Halsschlagader asymptomatisch war und er durfte die weiterführende Diagnostik am zweiten Folgetag ansetzen. Es spielt deshalb auch keine Rolle, dass in der Krankenakte von Frau A unter dem 1. 10. 1991 vermerkt ist, dass die Sonographie evtl. noch an diesem Tag stattfinden soll (s. Blatt 64 der kopierten Krankenakte). Hieraus ist nicht auf besondere Dringlichkeit zu schließen. Der Gutachter Prof. SV1 hat nämlich erläutert, dass derartige Eintragungen aufgrund der Gegebenheiten im Klinikalltag auch einen rein organisatorischen Ursprung haben können.

2. Der Sachverständige Prof. SV1 hat den Beklagten zu 3) und 4) darüber hinaus bescheinigt, dass sie Frau A am 30.9. 1991 oder 1.10.1991 keine blutverdünnenden Mittel verabreichen lassen mussten. Dies beruht auf seiner vorherigen Einschätzung, dass bei der damals 72jährigen Patientin keine hinreichenden Verdachtsmomente auf eine Thrombose bestanden haben. Es war nicht vorhersehbar, dass bei ihr kurzfristig eine ischämische Attacke auftreten konnte. Dies hatte auch schon der für die ...kammer tätige Gutachter Prof. Dr. SV4 festgestellt (S. 10 seines Gutachtens - Anlage K33).

3. Auch ein Fehlverhalten des Beklagten zu 1) wegen pflegerischer Versäumnisse am Abend des 1.10.1991 ist nicht nachgewiesen. Seine Haftung (und über § 278 BGB die der Beklagten zu 2)) käme in Betracht, wenn er es pflichtwidrig unterlassen hätte, den diensthabenden Stations- bzw. Oberarzt zu benachrichtigen, weil akute Symptome für eine TIA oder einen Schlaganfall aufgetreten sind.

a) Die Aussagen der Beteiligten decken sich nur insoweit, als der Beklagte zu 1) eingeräumt hat, vom Kläger ans Krankenbett seiner Ehefrau gerufen worden zu sein und dass er sie sich - unstreitig - angesehen hat. Ansonsten stehen sich die Angaben der Parteien in den entscheidenden Punkten unvereinbar gegenüber.

Der Kläger hat ausgeführt, seine Ehefrau habe sich während seines Besuchs am Nachmittag/Abend des 1.10.1991 plötzlich unwohl gefühlt und sich hingelegt. Dann habe er beobachtet, dass ihr rechter Mundwinkel herunter hing, ihre rechte Wange taub und der rechter Arm lahm wurde. Der herbeigerufene Beklagte zu 1.) habe ihn dann noch darauf hingewiesen, dass seine Ehefrau Wortfindungsstörungen gezeigt habe.

Der Beklagte zu 1) hat angegeben, er sei vom Kläger gerufen worden, vermutlich weil sich Frau A übel und nicht wohl gefühlt habe. In dem vom Kläger gegen den Beklagten zu 1) eingeleiteten Ermittlungsverfahren hatte er angegeben, dass ihm vom Kläger "so ein Kribbeln" im Arm und im Gesicht der Ehefrau geschildert worden sei, was er mit den ihm bekannten Vorbeschwerden vereinbart habe (Bl. 364 Vor- und Rückseite d.A.). Einen hängenden Mundwinkel oder Wortfindungsstörungen bzw. eine Lähmung habe er nicht bemerkt.

b) Der Kläger musste beweisen, dass seine Ehefrau in Anwesenheit des Beklagten zu 1) die von ihm geschilderten neurologischen Ausfallerscheinungen gezeigt hat, weil nur dann sofort ein Arzt hätte gerufen und unverzüglich eine fachneurologische Abklärung sowie eine intensiv-medizinische Behandlung hätte durchgeführt werden müssen (vgl. die mündliche Erläuterung des Sachverständigen Prof. SV1 - Blatt 452 d. A.). Dies ist ihm nicht gelungen.

Die Beweislast für das o.g. Symptombild hat sich weder wegen eines Dokumentations- noch wegen eines groben Behandlungsfehlers des Beklagten zu 1) zu dessen Lasten verschoben.

In der Krankenakte ist das streitige Ereignis überhaupt nicht dokumentiert. Allein daraus kann der Kläger noch keine für ihn günstigen Schlüsse ziehen. Ziel und Zweck der Dokumentationspflicht ist in erster Linie die Gewährleistung sachgerechter medizinischer Behandlung (Geiß/Greiner, aaO. Kapitel B, Rn 202 m. w. N.). Veränderungen in der Befindlichkeit eines Krankenhauspatienten können natürlich für seine Behandlung bedeutsam sein. Sie werden aber für den Pfleger grundsätzlich erst dann dokumentationspflichtig, wenn er am Krankenbett feststellt, dass sich der Gesundheitszustand bzw. die Allgemeinbefindlichkeit des Patienten verändert hat. Umgekehrt führt allein der Wunsch eines Angehörigen oder des Patienten, der Pfleger möge ins Krankenzimmer kommen, weil sich der Patient nicht wohl fühle, noch nicht dazu, dass dies in der Krankenakte festgehalten werden muss. Da es streitig geblieben ist, ob der Beklagte zu 1) bei seinem Besuch im Krankenzimmer von Frau A irgendwelche Auffälligkeiten bemerkt hat, lässt sich ein Dokumentationsmangel nicht feststellen.

Eine Beweislastumkehr ist hier auch nicht deswegen angezeigt, weil der Beklagte zu 1) einen groben pflegerischen Behandlungsfehler begangen hätte. Er wusste nicht mehr, ob er bei Frau A den Blutdruck gemessen hat. Mangels Eintrag in der Krankenakte ist anzunehmen, dass dies ebenso wie die Pulsmessung unterblieben ist (BGH NJW 1995, 1611). Das wäre nach Aussage des Sachverständigen Prof. SV1 das erste gewesen, was ein Pfleger zu tun hätte, der zu einem Patienten gerufen wird, weil es ihm nicht gut geht. Der Senat kann darin aber keinen groben Fehler des Beklagten zu 1) sehen, d. h. einen Fehler, der aus objektiver pflegerischer Hinsicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Krankenpfleger schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. Geiß/Greiner aaO. Kapitel B, Rn 252 m. w. N.). Die unterbliebene Untersuchung des Pulses und des Blutdrucks wäre nur dann ein grobes pflegerisches Versäumnis, wenn sich bei dem Besuch des Beklagten zu 1) im Krankenzimmer Auffälligkeiten gezeigt hätten, die die Übelkeit und das Unwohlsein der Frau A bestätigten. Genau das ist aber zwischen den Parteien streitig.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen zum sog. reaktionspflichtigen Ereignis (BGH NJW 1999, 3408; weitere Nachweise bei Geiß/Greiner, aaO. Kapitel B, Rn 296). Der Sachverständige Prof. SV1 hat nämlich klargestellt, dass auch unmittelbar nach einer transitorisch-ischämischen Attacke Blutdruck und Puls völlig normal sein können (Blatt 453 d. A.), so dass auch bei Durchführung dieser Untersuchungen nicht zwingend ein Zustand vorgelegen hätte, der eine sofortige Reaktion in Gestalt der von dem Sachverständigen geschilderten Maßnahmen (Blatt 452 d. A.) unumgänglich gemacht hätte.

c) Es bleibt somit dabei, dass der Kläger nachweisen muss, dass seine Ehefrau in Anwesenheit des Beklagten zu 1) die vom Kläger geschilderten neurologischen Ausfallerscheinungen aufwies. Auch der Senat hat sich davon nicht überzeugen können. Er teilt die Bedenken des Landgerichts und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dort berücksichtigten Umstände, die auch nach erneuter Anhörung der Parteien ihre Gültigkeit behalten haben.

Der Darstellung des Klägers widerspricht vor allem der weitere Geschehensablauf, und dabei in erster Linie der Umstand, dass sich der Kläger schon nach kurzer Zeit aus der Klinik entfernt, nach Hause begeben und den Zustand seiner Ehefrau nicht im Hintergrund "überwacht" hat. Die von ihm geschilderten Ausfallerscheinungen sind selbst für einen medizinischen Laien ein bedeutsames Warnsignal für einen Schlaganfall. Dem Senat hat nicht eingeleuchtet, dass der Kläger über die schwerwiegenden Folgen eines solchen Ereignisses für seine damals schon knapp 72 jährige Ehefrau im unklaren gewesen sein will. Unter den von ihm selbst geschilderten Umständen wäre es vielmehr zu erwarten gewesen, dass er zunächst noch im Krankenhaus wartet, bis ein Arzt kommt oder aber zumindest noch am Abend bei der Nachtschwester anruft, um sich über den Zustand seiner Ehefrau zu erkundigen.

Ähnliche Zweifel erweckt der Umstand, dass der Kläger erst im Rahmen des Schlichtungsverfahrens vor der ...kammer über die angeblichen Versäumnisse des Beklagten zu 1) erfahren haben will. Da der Kläger selbst den Schlaganfall vom 2. 10. 1999 mit den angeblichen Ausfällen vom Vorabend in Zusammenhang gebracht hat, wäre zu erwarten gewesen, dass er sich sofort bei den ihm persönlich bekannten verantwortlichen Ärzten der Beklagten zu 2) erkundigt, um herauszufinden, was noch am Abend des 1. 10. 1991 mit seiner Ehefrau unternommen wurde. Auch das ist aber nicht geschehen.

Es ist unwahrscheinlich, dass in einem gerichtsbekannt so großen Krankenhaus, wie dem B-Krankenhaus O1, um diese Uhrzeit kein diensthabender Arzt erreichbar gewesen sein sollte. Die angebliche Äußerung des Beklagten zu 1), derzeit sei kein Arzt im Hause, ließe sich nur dann erklären, wenn sich der Beklagte zu 1) leichtfertig über die schwerwiegenden Symptome von Frau A hinweggesetzt hätte. Gegen die Leichtfertigkeit des Beklagten zu 1) spricht allerdings bereits der eigene Vortrag des Klägers, wonach der Beklagte zu 1) Frau A untersucht hat und weitere Ausfallerscheinungen vorgefunden sowie Diagnosen gestellt haben soll.

Auch der persönliche Eindruck, den der Beklagte zu 1) in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, sowie die äußeren Umstände, sprechen nicht für den Kläger. Der Beklagte zu 1) hat in einfachen Worten immer wieder betont, dass er sich angesichts seiner Stellung und Ausbildung außerstande gesehen hätte, irgendwelche verantwortlichen Entscheidungen zu treffen und auf jeden Fall einen Arzt geholt hätte, wenn sich für ihn Auffälligkeiten gezeigt hätten. Dies entsprach seinem einfach strukturierten Persönlichkeitsbild. Da der Spätdienst des Beklagten zu 1) erst gegen 20.20 Uhr endete wäre auch noch genügend Zeit verblieben, um einen Bereitschaftsarzt im Krankenhaus "anzupiepsen".

Die vom Kläger in seiner Beweiswürdigung angesprochenen Widersprüche zwischen der jetzigen und der früheren Aussage des Beklagten zu 1) berühren nicht das Kerngeschehen und erklären sich aus dem langen Zeitraum zwischen dem Krankenhausaufenthalt von Frau A und den späteren Anhörungen des Beklagten zu 1) im Ermittlungs- und Zivilverfahren.

Der Senat hat keinen Anlass gesehen, ein ergänzendes neurologisches Gutachten einzuholen. Hier geht es nicht um die Frage, auf welcher Ursache der Schlaganfall von Frau A beruhte. Zu untersuchen war lediglich, mit welchen Maßnahmen man auf den Krankheitszustand von Frau A reagieren musste. Hierfür sind in erster Linie Gefäßchirurgen, wie der Gutachter Prof. SV1, sachkundig, denn sie haben täglich mit derartigen Notfällen zu tun.

Da das Rechtsmittel des Klägers erfolglos blieb, hat er gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO, die Entscheidung zur Abwendungsbefugnis beruht auf § 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Die Entscheidung beruht auf einer einzelfallbezogenen Würdigung der erhobenen Beweise und hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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