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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 23.11.2007
Aktenzeichen: 9 U 75/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 172
Zur Frage, unter welchen Umständen eine Urkunde im Sinne von § 172 BGB als "vorgelegt" gelten kann.
Gründe:

Der Kläger zu 1) hat erstinstanzlich zusammen mit seiner früheren Ehefrau Rückabwicklung eines Kaufvertrags verlangt, mit dem sie - vertreten durch einen Treuhänder - eine Wohnung zu Steuersparzwecken erworben haben. Der Kläger beabsichtigt, gegen die Abweisung der Klage durch das Landgericht Berufung einzulegen und beantragt hierfür Gewährung von Prozesskostenhilfe. Dieser Antrag ist zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel des Klägers keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die der Berufung zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine Beweisaufnahme über das Vorliegen der Urkundenausfertigung im Termin vor dem Notar am ....1998 in erster Instanz vorlagen oder ob - wie der Kläger meint - das Vorbringen der Beklagten aufgrund seiner Vieldeutigkeit dem Beweis nicht zugänglich war. Selbst wenn man dem Vortrag des Klägers folgen wollte, handelt es sich lediglich um die Verletzung einer Verfahrensvorschrift, auf deren Befolgung verzichtet werden kann. Eine solche Verletzung kann der Kläger nicht mehr rügen, nachdem er den Beweisbeschluss des Gerichts vom 20.7.2006 widerspruchslos hingenommen und im darauf folgenden Beweisaufnahmetermin am 26.10.2006 rügelos verhandelt hat (§§ 295 Abs. 1, 534 ZPO).

Weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht begegnet es Bedenken, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, der Beklagten habe bei Abschluss des notariellen Kaufvertrags die Vollmacht des Klägers für die Treuhänderin, die Fa. A, vorgelegen.

"Vorgelegt" i.S.d. § 172 BGB ist eine Urkunde, wenn sie in Urschrift oder Ausfertigung der sinnlichen Wahrnehmung des Dritten unmittelbar zugänglich gemacht wird (RGZ 56, 63, 66; 88, 430, 431; BGHZ 76, 79). Deshalb reicht die bloße Erwähnung, die Urkunde befinde sich in Händen des Erklärenden oder bei den Grundakten, nicht aus (RG JW 1928, 884). Der Dritte muss vielmehr in der Lage sein, sich unmittelbar Kenntnis von der Urkunde zu verschaffen. Er braucht jedoch nicht tatsächlich Einsicht in sie zu nehmen. Daher genügt es zum Beispiel, wenn die Vollmacht dem beurkundenden Richter übergeben worden ist (RGZ 97, 273, 275). Der Notar steht insofern dem Richter gleich (vgl auch BGH Urteil vom 25. November 1964 - V ZR 159/62 = LM BGB § 173 Nr 1).

Nichts anderes gilt, wenn sich die Urkunde bereits im Besitz oder in Verwahrung der beim Geschäftsabschluss anwesenden Urkundsperson befindet. Dann ist eine Bezugnahme auf die Vollmacht ausreichend (Thiele in Münchner Kommentar, RdNr 10 zu § 172 BGB und Soergel/Schultze v Lasaulx RdNr 5 zu § 172 BGB). Der bei Vertragsschluss anwesende Dritte ist dann ohne weiteres in der Lage, sich die Vollmacht geben zu lassen und unmittelbar Einsicht in sie zu nehmen, unabhängig sowohl davon, ob diese beim Notar lose vorliegt oder Bestandteil einer von ihm angelegten Akte ist, als auch davon, ob sie auf dem Tisch liegt oder sonst im Büro erreichbar ist. Zu verlangen, dass der Notar die Vollmacht etwa auf den Tisch legen oder irgendeine andere Ersatzhandlung für die "Vorlegung" vornehmen müsste, wäre übertriebene Förmelei und von dem mit § 172 BGB verfolgten Zweck nicht mehr gedeckt. Dem Erfordernis, dass der Dritte die Möglichkeit haben muss, unmittelbar die Vollmacht einzusehen, ist mit der Bezugnahme auf die von dem beurkundenden Notar selbst verwahrte und jederzeit für den Dritten zugängliche Vollmacht Genüge getan (BGHZ 76, 79).

Dass die Vollmacht dem Notar bei Beurkundung des Kaufvertrags vorlag, hat das Landgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als bewiesen angesehen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist dies nicht zu beanstanden.

Soweit der Kläger mit der Berufung die Beweiswürdigung des Landgerichts angreift, rechtfertigt dies eine Abänderung des angefochtenen Urteils nicht. Der Kläger setzt damit lediglich seine Bewertung der Beweise an Stelle der des Gerichts, was für den Berufungsgrund des §§ 513, 529 I Nr. 1 ZPO nicht ausreicht.

§ 529 I ZPO normiert eine grundsätzliche Bindung des Berufungsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts. Eine Wiederholung der Beweisaufnahme kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

Der Zweifel muss dabei auf äußere Umstände gestützt werden können, die bei objektiver Bewertung geeignet sind, das Beweisergebnis in Frage zu stellen. Voraussetzung ist deswegen sowohl eine gewisse, nicht nur theoretische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen unrichtiger oder unvollständiger Feststellungen, als auch eine objektiv, prognostisch und normativ zu beurteilende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Wiederholung der Beweisaufnahme zu einem anderen Sachergebnis führen wird.

Im vorliegenden Fall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt. Das Landgericht ist unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen von Beweisaufnahme und Beweiswürdigung zu einem auch vom Senat für richtig gehaltenen Ergebnis gelangt.

Das Landgericht hat die Aussagen des Zeugen vollständig berücksichtigt und sich ausführlich mit ihr auseinander gesetzt. Dass ihm trotz der fehlenden Erinnerung des Zeugen an den Einzelfall die von diesem geschilderte allgemeine Handhabung im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen des Falles, insbesondere der tatsächlich vorliegenden Vollmachtsurkunde, genügt haben, hat es mit einer nachvollziehbaren, den Anforderungen des § 286 ZPO entsprechenden Begründung dargetan. Dass eine solche Form der Beweiswürdigung möglich ist, entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH Urteil vom 10.10.2006 - XI ZR 265/05). Auch mit der Berufung werden keine Argumente für die Beweiswürdigung vorgetragen, die nicht schon vom Landgericht berücksichtigt worden wären. Dass man bei anderer Gewichtung dieser Argumente eventuell auch zu einer anderen Überzeugung hätte gelangen können, rechtfertigt eine Wiederholung der Beweisaufnahme nicht. Zweifel an der Richtigkeit des Beweisergebnisses erster Instanz lassen sich damit genauso wenig begründen wie eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein abweichendes Beweisergebnis bei einer Wiederholung der Beweisaufnahme in zweiter Instanz.

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