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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 24.04.2007
Aktenzeichen: 1-11/07 (RB)
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 3820/85, VO (EG) Nr. 561/2006, FPersG, FPersV, OWiG


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 3820/85
VO (EG) Nr. 561/2006
FPersG § 8
FPersV a.F. § 9
FPersV § 22
OWiG § 4 Abs. 3
Noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Verstöße gegen die Verordnung (EWG ) Nr. 3820/85 in Verbindung mit den Bußgeldvorschriften des Fahrpersonalgesetzes und der Fahrpersonalverordnung betreffend die Lenk- und Ruhezeiten können seit dem 11. April 2007 nicht mehr geahndet werden, da die Verordnung an diesem Tage außer Kraft getreten und durch die Verordnung (EG) 561/2006 ersetzt worden ist, das die Bußgeldandrohung enthaltende Fahrpersonalgesetz aber der geänderten Rechtslage nicht angepasst worden ist.

Nach § 4 Abs. 3 OWiG findet die nicht bußgeldbewehrte Neuregelung als "mildestes Gesetz" Anwendung.


Hanseatisches Oberlandesgericht 1. Senat für Bußgeldsachen Beschluss

Geschäftszeichen: 1 - 11/07 (RB) 3 Ss 34/07 OWi

In der Bußgeldsache

hier betreffend Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg, Abteilung 628, vom 15. November 2006

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 1. Senat für Bußgeldsachen, am 24. April 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schudt als Einzelrichter gemäß §§ 80a Abs. 1, 79 Abs. 3, Abs. 5, OWiG, 349 Abs.4, 354, 354a StPO beschlossen: Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Nebenbeteiligten werden das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 15. November 2006 (AZ: 628 OWi 2108/06) und der Bußgeldbescheid der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz -Amt für Arbeitsschutz- vom 3. Juli 2006 (AZ: G 23/AS 103-OWi 300/2005-1) aufgehoben.

Die Nebenbeteiligte wird freigesprochen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der der Nebenbeteiligten erwachsenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Nebenbeteiligte ist freizusprechen.

1.

Das Verfahren richtet sich ausweislich des Bußgeldbescheides und der Urteilsgründe gegen die W F GmbH und nicht gegen den Geschäftsführer A V persönlich. Insoweit ist das Rubrum des amtsgerichtlichen Urteils offensichtlich unrichtig.

Die W F GmbH ist an dem Verfahren nicht als Betroffene beteiligt, sondern als sogenannte Nebenbeteiligte, weil es sich bei ihr -in dem selbständig gegen die GmbH geführten Verfahren- um eine juristische Person handelt, die nicht Betroffene eines OWi-Verfahrens sein kann (HansOLG vom 15.04.1998 -II-35/98; OLG Stuttgart MDR 1993, 572; OLG Koblenz VRS 68, 373).

2.

Die Rechtsbeschwerde führt zum Freispruch der Nebenbeteiligten.

a.

Das Amtsgericht Hamburg-Harburg hat gegen die Nebenbeteiligte eine Geldbuße von 420,- EURO festgesetzt.

Es hat festgestellt, dass die Nebenbeteiligte durch mangelnde Aufsicht ihres Geschäftsführers Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Einhaltung von Fahrzeiten nach dem Fahrpersonalgesetz (FPersG) in Verbindung mit der Fahrpersonalverordnung (FPersV) nicht verhindert hat (§§ 130, 30 Abs. 4 OWiG).

Die Zuwiderhandlungen lagen in einem Verstoß gegen Art. 8 Abs.1, 2 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 und sind vom Amtsgericht als ordnungswidrig im Sinne von § 9 Nr. 3b FPersV i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 FPersG -jeweils in der zur Tatzeit geltenden Fassung- angesehen worden. Dazu hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Fahrer S K der Nebenbeteiligten am 6.2.2005 und am 10.2.2005 die zusammenhängende Tagesruhezeit von mindestens 9 Stunden innerhalb eines Bezugszeitraums von 24 Stunden unterschritten hat.

b.

Die Verurteilung der Nebenbeteiligten hat keinen Bestand.

Die Verstöße gegen die Vorschriften über die einzuhaltenden Lenk- und Ruhezeiten sind gegenwärtig nicht bußgeldbewehrt, weil der deutsche Gesetzgeber es verabsäumt hat, das Fahrpersonalgesetz (FPersG) und die Fahrpersonalverordnung (FPersV) der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 anzupassen, die die bisherige Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 ersetzt hat. Die Rechtslage ist die gleiche, wie sie eingetreten war, als die Verordnung (EWG) Nr. 543/69 am 29. September 1986 durch die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 aufgehoben und ersetzt wurde und die Bußgeldandrohungen im Fahrpersonalgesetz erst mit Wirkung vom 18.12.1986 angepasst wurden (vgl. dazu HansOLG DAR 1988, 29; OLG Köln NJW 1988, 657; BayObLG NStE Nr. 1 zu § 7a FPersG).

Die dem Vorwurf gegen die Nebenbeteiligte zugrunde liegenden Verstöße sind Ordnungswidrigkeiten nach den genannten Vorschriften des FPersG und der FPersV. Diese Vorschriften verweisen zur Ausfüllung des Tatbestands der Ordnungswidrigkeit auf die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85. Diese Verordnung ist durch Artikel 28 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 vom 15. März 2006 mit Wirkung vom 11. April 2007 aufgehoben und durch die neue Verordnung ersetzt worden.

Das FPersG und die FPersV sind hingegen bisher nicht entsprechend geändert worden, so dass deren Vorschriften auf eine aufgehobene Verordnung verweisen.

Wird ein Gesetz, das bei Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist nach § 4 Abs. 3 OWiG das mildeste Gesetz anzuwenden. Gleiches gilt für Blankettgesetze, wenn die ausfüllende Norm geändert wird (BGHSt 20, 177). War die Tat in der Zeit zwischen Begehung und Ahndung einmal nicht mit Geldbuße bedroht, so ist diese Zwischenregelung als mildestes Gesetz anzusehen und eine Ahndung unzulässig.

So liegt es hier.

Die Zuwiderhandlungen sind nach den Feststellungen im Februar 2005 begangen worden. Zu diesem Zeitpunkt galt die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85. Verstöße gegen diese Verordnung waren durch § 9 Nr. 3 b FPersV in der Fassung des Gesetzes zur Änderung fahrpersonalrechtlicher Vorschriften vom 18. August 1997, in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 1 b FPersG in der Fassung des Gesetzes über Begleitregelungen zur Einführung des digitalen Kontrollgeräts zur Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten vom 15. Mai 2004 bußgeldbewehrt. Ab 2.7.2005 fanden sich die entsprechenden Vorschriften in § 22 Abs. 1 Nr. 2 FPersV (in der Fassung der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die mit der Einführung des digitalen Kontrollgeräts zur Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten erforderlichen Begleitregelungen vom 27. Juni 2005) in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 1b FPersG (in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 3. Mai 2005).

Vor dem Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, auf den es gemäß § 354a StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG ankommt, ist mit Wirkung ab 11. April 2007 die genannte Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 aufgehoben und durch die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 vom 15. März 2006 ersetzt worden (Art.28 Verordnung (EG) Nr. 561/2006).

Das FPersG und die FPersV, die die Bußgeldvorschriften enthalten, sind jedoch nicht gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der neuen EG-Verordnung angepasst worden, sondern verweisen weiterhin auf die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85. Aus dieser fehlenden Anpassung folgt, dass seit dem 11. April 2007 Zuwiderhandlungen nicht mit Geldbuße bedroht sind. Durch die Aufhebung der alten EWG-Verordnung sind die die Bußgeldandrohungen enthaltenden Blankettvorschriften des FPersG, die zur Ausfüllung ihrer Tatbestände auf die einzelnen Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 verweisen, funktionslos geworden. Da Verstöße gegen die neue Verordnung (EG) bisher nicht bußgeldbewehrt sind, kann mangels vollständiger Tatbestände keine Geldbuße mehr verhängt werden. Demzufolge besteht eine Ahndungslücke, die als "mildestes Gesetz" im Sinne von § 4 Abs. 3 OWiG eine Verurteilung auch der Nebenbeteiligten ausschließt.

Es kann nicht angenommen werden, dass das FPersG in Verbindung mit der alten Verordnung (EWG) weiter gelten soll, obwohl die neue Verordnung (EG) bereits in Kraft ist. Vielmehr ist es so, dass die Gültigkeit des verweisenden Gesetzes von den Rechtsnormen abhängig sein soll, auf die verwiesen wird. Es ist anzunehmen, dass der deutsche Gesetzgeber das Durchführungsgesetz nur unter der Voraussetzung erlassen wollte, dass das Gemeinschaftsrecht Bestand hat. Das nationale Gesetz tritt daher dann außer Kraft, wenn das Gemeinschaftsrecht nicht mehr besteht. Nur an dem Versäumnis einer rechtzeitigen Anpassung liegt es, dass die verweisenden Normen nicht mehr mit der Verordnung (EWG), auf die verwiesen wird, zusammenpassen. Diesem Versäumnis kann nicht entnommen werden, dass die aufgehobene Verordnung (EWG) für eine Übergangszeit bis zur Anpassung des FPersG weitergelten soll.

Eine Ausfüllung des Bußgeldtatbestandes durch die Bestimmungen der neuen Verordnung (EG) verbietet sich schon mit Rücksicht auf das Bestimmtheitsgebot des § 3 OWiG. Hinzukommt, dass in dem Bußgeldtatbestand eine starre Verweisung auf genau umschriebene Vorschriften der alten Verordnung (EWG) und nicht eine dynamische Verweisung auf die jeweils gültige Fassung der in Bezug genommenen Vorschrift erfolgt. Das ergibt sich aus dem Charakter des Fahrpersonalgesetzes, das die Durchführungsbestimmungen zu den EG-Vorschriften enthält (vgl. OLG Köln und BayObLG a.a.O.). Entfallen die starr in Bezug genommenen Normen, wird die Verweisung obsolet. Dies hätte nur durch eine rechtzeitige Anpassung der alten Verweisungen verhindert werden können. Der Gesetzgeber selbst hält eine Anpassung für erforderlich und bereitet sie zur Zeit vor.

Eine Ahndung der Zuwiderhandlung ist auch nicht unter Anwendung des § 4 Abs. 4 OWiG möglich, wonach ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, auch dann anzuwenden ist, wenn es außer Kraft getreten ist und gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Die aufgehobene Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 war kein Zeitgesetz. Sie enthält weder eine Bestimmung über die Zeitdauer ihrer Gültigkeit noch sollte sie nach ihrem Zweck nur eine vorübergehende Geltung haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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