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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 13.01.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 268/02
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 304 Abs. 3 | |
StPO § 311 Abs. 2 | |
StPO § 473 | |
StPO § 464 Abs. 3 Satz 1 | |
StPO § 473 Abs. 1 | |
StPO § 473 Abs. 3 | |
StPO § 473 Abs. 4 | |
StPO § 473 Abs. 5 |
Hanseatisches Oberlandesgericht 1. Strafsenat Beschluss
Geschäftszeichen: 1 Ws 268/02
702 Ns 69/02 2014 Js 402/02
In der Strafsache
gegen
hier betreffend: Kostenbeschwerde
hat der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht den Richter am Oberlandesgericht die Richterin am Landgericht
am 13. Januar 2003 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird die Kosten- und Auslagenentscheidung in dem Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 2, vom 26. September 2002 dahin geändert, dass die Kosten des Berufungsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten der Staatskasse mit Ausnahme derjenigen auferlegt werden, die bei rechtzeitiger Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nicht angefallen wären; diese trägt der Verurteilte.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten durch die Beschwerde entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I. Das Amtsgericht Hamburg hat am 11. Juni 2002 gegen den Verurteilten wegen gefährlicher Körperverletzung auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten erkannt. Der damals unverteidigte Angeklagte hatte die Tat bestritten; die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten beantragt. Nach der Rechtsmittelbelehrung erklärte der Verurteilte zu Protokoll des Amtsgerichts, er wolle Berufung einlegen. Unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung wurde der Verurteilte aufgrund eines vom Amtsgericht erlassenen Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen.
Am 12.06.2002 legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein und beschränkte diese in der Berufungsrechtfertigung vom 26.07.2002 auf den Rechtsfolgenausspruch. Am 14.06.2002 legte der zwischenzeitlich bevollmächtigte Verteidiger des Verurteilten (erneut) Berufung ein und beschränkte diese mit Schriftsatz vom 20.09.2002 ebenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch.
Im Schlussvortrag beantragte der Verteidiger, die erkannte Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen.
Das Berufungsgericht änderte durch Urteil vom 26.09.2002 die erstinstanzliche Entscheidung unter Verwerfung der Berufung der Staatsanwaltschaft und unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels des Verurteilten im Strafausspruch dahin ab, dass die Vollstreckung der Freiheitsstrafe (unverändert 1 Jahr und 3 Monate) zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem wurde der Verurteilte mit den Kosten seines Rechtsmittels belegt. Der Haftbefehl des Amtsgerichts wurde aufgehoben.
Die Entscheidung ist in der Hauptsache am selben Tatrechtskräftig geworden. Gegen die ihn belastende Kostenentscheidung des Landgerichts richtet sich die am Freitag, den 4. Oktober 2002 eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1, 304 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO zulässig. Sie ist fristgerecht eingelegt worden. Das Ende der für die Einlegung geltenden Wochenfrist fiel auf den 3. Oktober 2002, einen allgemeinen Feiertag, so dass sich die Frist bis zum nächsten Werktag - Freitag, den 4. Oktober 2002 - verlängerte (§ 43 Abs. 2 StPO). Die Beschwerde ist auch im Wesentlichen begründet. Allerdings hat der Verurteilte diejenigen Kosten und notwendigen Auslagen zu tragen, die - vermeidbar - dadurch entstanden sind, dass er seine Berufung nicht alsbald nach Zustellung (17.07.2002) des erstinstanzlichen Urteils, sondern erst im weiteren Verlauf des Verfahrens - hier eine knappe Woche vor Beginn der Berufungshauptverhandlung, die am 26.09.2002 stattfand beschrankt hat. Insoweit liegt keine Konkretisierung des Rechtsmittels, sondern eine nachträgliche teilweise Zurücknahme mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge vor (vgl. Meyer-Goßner, 46. Aufl., § 473 Rz. 20 m.w.Nw.).
Im übrigen hatte die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung jedoch Erfolg i.S.d. § 473 Abs. 3 StPO. Ein Rechtsmittel hat dann Erfolg, wenn das erstrebte Ziel im Wesentlichen erreicht wird. Maßstab des Erfolges ist der Vergleich der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung und des Anfechtungsziels einerseits mit dem Ergebnis des Berufungsverfahrens andererseits. Von einem vollen Erfolg ist auszugehen, wenn eine spürbare Milderung der Rechtsfolgen erreicht wird (vgl. KG, Beschl., v. 30.05.2000 in Kotz NStZ-RR 2001, S. 193, 197). Das ist hier der Fall. Nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls (vgl. OLG Düsseldorf StV 1988, 71) war das erkennbare Ziel der auf das Strafmaß beschränkten Berufung die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung. Dies folgt insbesondere aus den im Vermerk des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer festgehaltenen telefonischen Erörterungen mit dem Verteidiger unmittelbar vor der erklärten Berufungsbeschränkung und wird durch den Schlussantrag des Verteidigers, die erkannte Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen belegt.
Dass die vom Berufungsgericht gewährte Strafaussetzung zur Bewährung maßgeblich auf Umständen beruhte, die erst nachträglich, d.h. nach dem erstinstanzlichen Urteil entstanden sind, ist für den Erfolg im kostenrechtlichen Sinne nicht von Bedeutung. § 473 StPO stellt nämlich grundsätzlich nicht auf die Ursache für den Erfolg in der Hauptsache ab, sondern nur auf den Erfolg als solchen. Dass der Verurteilte vor dem Amtsgericht die Tat bestritten hatte, und er erst im Berufungsverfahren ein nunmehr strafmildernd zu berücksichtigendes Geständnis abgelegt hat, darf auch unter Kostengesichtspunkten nicht zu seinem Nachteil berücksichtigt werden (vgl. KG JR 1971, 299; OLG Schleswig OLGSt § 473 Nr. 2). Für die vom Berufungsgericht als maßgebliche Milderungsgesichtspunkte außerdem hervorgehobenen nachträglichen Umstände, insbesondere die verbüßte Untersuchungshaft sowie die vom Verurteilten kurz vor der Hauptverhandlung begonnenen Therapiebemühungen gilt nichts anderes ungeachtet der Tatsache, dass das Amtsgericht diese Umstände nicht berücksichtigen konnte, weil sie zu jenem Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Allein entscheidend ist, dass der Verurteilte das mit seinem Rechtsmittel erstrebte Ziel objektiv erreicht hat. Dies folgt aus dem Wesen der Berufung als neue Tatsacheninstanz, an deren Ende sämtliche zumessungsrelevanten Gesichtspunkte ohne Bezug auf die Erwägungen der Vorinstanz umfassend zu würdigen sind unabhängig davon, wann sie entstanden sind (so auch Hilger in LR, Stand: 1.4.2000, § 473 Rz. 23). Rechtsfehler des Amtsgerichts sind für diese Würdigung und für ihr Ergebnis ohne Relevanz. Die demgegenüber von der herrschenden Meinung und obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 473 Rz. 31 m.w.Nw.; HansOLG, 2. Senat, Beschl. v. 18.12.2001 - 2 Ws 262/01 - und Beschl. v. 23.06.1976, MDR 1977, 72; OLG Düsseldorf NStZ 1985, 380 m.w.Nw.; PfzOLG Zweibrücken NStZ 1991, 602; Thüringer OLG NStZ-RR 1997, 384 [Leitsatz]) vorgenommene einschränkende Auslegung des kostenrechtlichen Erfolgsbegriffs im Hinblick auf nachträglich entstandene Tatsachen - Erfolg wegen Zeitablaufs - vermag den Senat nicht zu überzeugen. Dem Wortlaut des § 473 StPO (Abs. 1 "erfolglos"; Abs. 4 "Erfolg") ist diese Auslegung nicht zu entnehmen. Sie führt wegen kaum möglicher Abgrenzung und Quantifizierung insbesondere dann zu nicht nachprüfbaren Ergebnissen, wenn ein kostenrechtlicher Erfolg bereits deshalb versagt wird, weil die nachträglich entstandenen Tatsachen für die Herabsetzung der Strafe lediglich mitursächlich zu sein brauchten (so PfzOLG Zweibrücken NStZ 1991, 602).
Eine folgerichtige Übertragung der herrschenden Meinung auf andere Fallkonstellationen wäre nicht sachgerecht und würde wohl auch - so bleibt zu vermuten - von ihren Anhängern nicht vorgenommen werden:
- hätte eine zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf die Aussetzung zur Bewährung beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft in der Rechtsmittelinstanz den Wegfall der Bewährung zur Folge, weil ein nachträglich eingetretener Umstand zu einer ungünstigen Prognoseentscheidung führt, so müsste gleichwohl die Staatskasse die Kosten der Berufung tragen (vgl. die von Hilger in LR a.a.O., Rz. 23 a.E. beschriebene Fallkonstellation)
- legt ein Angeklagter gegen die Versagung einer Bewährung Berufung ein und führt nach Auffassung des Berufungsgerichts ein erst nachträglich eingetretener Umstand zu einer negativen Prognose, so dass die Berufung deswegen verworfen wird, so hätte der Angeklagte sich zunächst zu Recht gegen eine falsche erstinstanzlich Entscheidung gewehrt; bleiben die nachträglich entstandenen Tatsachen für die Kostenentscheidung ohne Berücksichtigung, müsset das Rechtsmittel auch hier als kostenrechtlich erfolgreich behandelt werden.
Die Regelung des § 473 Abs. 5 StPO steht der von diesem Senat vertretenenen Auffassung nicht entgegen. Eine gesetzliche Definition des Erfolgsbegriffs ist ihr nicht zu entnehmen - so wie es der Gesetzgeber überhaupt vermieden hat, eine solche Definition an anderer Stelle festzuschreiben. Darüber hinaus zeigt ein Blick in die Materialien des § 473 Abs. 5 StPO, dass es sich um eine spezielle Ausnahmevorschrift für eine besondere Fallkonstellation aus dem Verkehrsstrafrecht handelt, die zur Lösung von Streitfragen und zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung entwickelt worden ist. über diese Fallkonstellation hinaus sollte weder der Fall der nachträglichen Aufhebung des Entzugs der Fahrerlaubnis wegen "tätiger Nachreife", noch die Lösung einzelner, von der jeweiligen konkreten Fallgestaltung abhängiger Fragen in diesem "Problembereich" (i.e. Rechtsmittelerfolg durch Zeitablauf) entsprechend oder ähnlich geregelt werden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum StV-G 1984 - BT-Drucks. 10/1313 unter II. Ziff. 4 a.E. (S. 14) und insbesondere unter C.: zu Nummer 39 (§ 473 StPO) S. 41, 42). Die Formulierung "gilt als erfolglos" belegt, dass der Gesetzgeber mit einer Fiktion gearbeitet hat - unter ausdrücklicher Vermeidung einer Definition des Begriffs "Erfolg", wie in der amtlichen Begründung ausdrücklich festgehalten worden ist.
Nach allem vermag sich der Senat der in der Literatur und obergerichtlichen Rechtsprechung verbreiteten Meinung nicht anzuschließen. Ein kostenrechtlicher Erfolg im Rechtsmittelverfahren entfällt demzufolge nicht dadurch, dass die ihn ausschließlich oder mitverursachenden Tatsachen erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entstanden sind (so im Ergebnis auch Hilger in LR, a.a.O., Rz. 23 und ders., Anm. zu PfzOLG Zweibrücken NStZ 1991, 602 f., 604; Kadel GA 1979, 459 f., 465; Meyer NJW 1979, 148, 149; KMR-Paulus, StPO Stand: Juli 1993, § 473 Rz. 21; Krehl in HK-StPO, 3. Aufl., § 473 Rz. 8).
III. Die das Beschwerdeverfahren betreffende Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 3 und 4 StPO. Eine teilweise Belastung des Verurteilten hinsichtlich derjenigen Kosten und notwendigen Auslagen, die bei einer alsbaldigen Berufungsbeschränkung vermeidbar gewesen wären, unterbleibt. Zusätzliche Verfahrenskosten sind nur in verhältnismäßig geringem Umfang angefallen, weil die zur Berufungshauptverhandlung geladenenen und aufgrund der nachträglichen Beschränkung nicht mehr erforderlichen Zeugen rechtzeitig abgeladen werden konnten.
Ende der Entscheidung
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