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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 23.09.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 184/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 16
StPO § 209 Abs. 1
StPO § 210 Abs. 2
Eröffnet das Landgericht nach bei ihm erhobener Anklage das Hauptverfahren abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft bei einem Amtsgericht, so ist eine allein die örtliche Zuständigkeit dieses Amtsgerichts angreifende sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft jedenfalls dann unzulässig, wenn die vom Landgericht getroffene Bestimmung des Gerichtsstandes nicht willkürlich ist.
Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 184/02 624 KLs 7/02 6103 Js 85/02

In der Strafsache

gegen

hier betreffend Gerichtsstand

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 23. September 2002 durch

den Vorsitzenden Richter

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 24, vom 26. August 2002 wird verworfen.

Gründe:

I.

Mit zum Landgericht Hamburg, Große Strafkammer, unter dem 22. März 2002 erhobener Anklage hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, am 24. Januar 2002 in Hamburg, straße, tateinheitlich vorsätzlich unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Mengen Handel getrieben (Verkauf von 21,2 g Marihuana; Vorrätighalten von 792,71 g Marihuana und Haschisch, weiterer 2,49 g Marihuana und 4,98 g Haschisch, 24,36 g Kokaingemenge, 350,61 g Tabletten bzw. Substanz MDMA, 894,07 g Amphetamingemenge) und dabei Schusswaffen (zwei sogenannte Schießkugelschreiber) mit sich geführt sowie tateinheitlich letztere unerlaubt geführt und die tatsächliche Gewalt über sie ausgeübt zu haben (Verbrechen und Vergehen nach §§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; 53 Abs. 3 Nr. 1 b, Nr. 3 WaffG; 52 StGB). Mit Beschluss vom 26. August 2002 hat das Landgericht Hamburg die Anklage mit der Abweichung, dass der Angeklagte nur des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit den 21,2 g Marihuana sowie des unerlaubten Besitzes an den 2,49 g Marihuana und 4,98 g Haschisch hinreichend verdächtig sei, zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Hamburg, Strafrichter, eröffnet.

Gegen den ihr am 28. August 2002 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft am 2. September 2002 sofortige Beschwerde eingelegt, "soweit das Hauptverfahren örtlich vor dem Amtsgericht Hamburg eröffnet wurde", denn für den Tatort -straße sei das Amtsgericht Hamburg-Harburg zuständig. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, in Abänderung des angefochtenen Beschlusses das Hauptverfahren vor dem Strafrichter des Amtsgerichts Hamburg-Harburg zu eröffnen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, weil sie sich ausschließlich gegen die im Eröffnungsbeschluss getroffene Bestimmung des Gerichtsstandes richtet und diese einer isolierten Anfechtbarkeit entzogen ist.

1. Gemäß § 210 Abs. 2 StPO steht der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens die sofortige Beschwerde - nur - zu, wenn das Gericht die Eröffnung abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen hat.

Vorliegend fehlt es an einer Ablehnung der Eröffnung (zur Abgrenzung zwischen einer der sofortigen Beschwerde zugänglichen Teilablehnung der Eröffnung und einer unanfechtbaren abweichenden Würdigung im Sinne des § 207 Abs. 2 Nr. 3 StPO bei Verneinung des hinreichenden Tatverdachts bezüglich einzelner Tatteile vgl. BGH in NStZ 1989, 190; Senatsbeschluss vom 7. Mai 2001, Az.: 2 Ws 105 - 106/01, unveröffentlicht; Tolksdorf in KK-StPO, 4. Aufl., § 204 Rdn. 6, § 207 Rdn. 6). Hingegen hat das Landgericht das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht als einem Gericht niederer Ordnung im Sinne des § 210 Abs. 2 2. Alt. StPO eröffnet.

2. Aufgrund ausdrücklicher Rechtsmittelerklärung der Staatsanwaltschaft (sofortige Beschwerde, "soweit örtlich vor dem Amtsgericht Hamburg eröffnet"; Hervorhebung durch Beschwerdeführerin) in Verbindung mit der alleinigen Rechtsmittelbegründung, wonach "örtlich zuständig ... unter dem Gesichtspunkt des Tatorts ... das Amtsgericht Hamburg-Harburg" sei, steht indes fest, dass sich der Angriffswille der Beschwerdeführerin ausschließlich gegen die Bestimmung des Gerichtsstandes, nicht aber gegen die sachliche Zuständigkeit eines Amtsgerichts richtet. Das führt hier zur Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde.

a) Mit der sofortigen Beschwerde können auch dann, wenn sie an sich gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthaft ist, nur eng umgrenzte prozessuale Ziele verfolgt werden.

aa) § 210 Abs. 2 StPO ist als Ausnahmevorschrift restriktiv auszulegen (vgl. allgemein Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., Einl. Rdn. 199 m.w.N.). Die positive Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 207 StPO ist unanfechtbar (§ 210 Abs. 1 StPO). Für die spiegelbildlich negative Entscheidung stellt § 210 Abs. 2 StPO der Staatsanwaltschaft eine Anfechtungsmöglichkeit im Wesentlichen deshalb zur Verfügung, weil die Entscheidung wegen der Rechtskraftwirkung des § 211 StPO endgültig wäre, während die positive Eröffnung nur eine vorläufige Bewertung darstellt, die der Überprüfung in der Hauptverhandlung und im an diese anschließenden Rechtsmittelzug unterliegt (vgl. Rieß in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 210 Rdn. 1). Der Grundsatz der Rechtsmittelsymmetrie, wie er in § 296 StPO Ausdruck findet (vgl. Rieß in Anm. zu BayObLG in OLGSt StPO § 210 Nr. 3; allgemein zur "Waffengleichheit" im Strafverfahren BVerfG in NJW 2002, 2773, 2774), spricht angesichts der dem Angeklagten fehlenden unmittelbaren Anfechtungsmöglichkeit dafür, die nach § 210 Abs. 2 StPO an sich statthafte sofortige Beschwerde auf die Überprüfung der in dieser Vorschrift angeführten Gegenstände (Fehlen hinreichenden Tatverdachts bei Ablehnung der Eröffnung, §§ 203 f. StPO; sachliche Zuständigkeit eines niederen Gerichts, §§ 209 Abs. 1 StPO, 24 ff., 74 ff. GVG) zu beschränken.

Diesem Gebot restriktiven Prüfungsumfanges bei negativen Eröffnungsentscheidungen folgend, ist bei einer durch die Staatsanwaltschaft eingelegten sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht (teilweise) abgelehnt, aber die Sache an ein Gericht niederer Ordnung verwiesen worden ist, grundsätzlich nicht der hinreichende Tatverdacht, sondern nur die sachliche Zuständigkeit des niederen Gerichts zu überprüfen (vgl. KG in OLGSt StPO § 210 Nr. 4). Die ausnahmsweise Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen einen Eröffnungsbeschluss führt nicht zu seiner Prüfung insgesamt, sondern nur derjenigen Entscheidungsteile, derentwegen § 210 Abs. 2 StPO die Ausnahme vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit statuiert hat. So, wie die Annahme hinreichenden Tatverdachts der Anfechtung entzogen ist, ist - für sich gesehen - auch die im Eröffnungsbeschluss getroffene Bestimmung des Gerichtsstandes, der im Wortlaut des § 210 Abs. 2 StPO keine Erwähnung findet, keiner eigenständigen Anfechtung zugänglich. Eine Kontrolle der örtlichen Zuständigkeit findet im Beschwerderechtszug deshalb nur statt, wenn zugleich einer der in § 210 Abs. 2 StPO genannten Entscheidungsinhalte (Ablehnung der Eröffnung oder sachliche Zuständigkeit eines niederen Gerichts) Ziel des Rechtsmittelangriffes ist.

Allerdings kann eine derart enge Verknüpfung zwischen hinreichendem Tatverdacht und Gerichtsstand bestehen, dass die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit von der Prüfung der Verdachtslage abhängt. An einer Beschränkbarkeit auf bestimmte Beschwerdepunkte fehlt es nach allgemeinen Grundsätzen, wenn nach dem inneren Zusammenhang der Entscheidung angegriffener und vom Angriff ausgenommener Teil tatsächlich und rechtlich nicht selbständig beurteilt werden können, ohne eine Überprüfung im Übrigen erforderlich zu machen (sogenannte Trennbarkeitsformel, vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 318 Rdn. 6 m.w.N.). So ist auch für das Verhältnis von Tatverdacht und sachlicher Zuständigkeit anerkannt, dass z.B. die für die Abgrenzung von amts- und landgerichtlicher Zuständigkeit maßgebliche besondere Bedeutung des Falles im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG die Prüfung, welchen Verhaltens der Angeklagte hinreichend verdächtig ist, erforderlich machen kann (vgl. BayObLG in OLGSt StPO § 210 Nr. 3; Tolksdorf, a.a.O., § 210 Rdn. 8 a.E. m.w.N.).

bb) Vorliegend ist die von der Beschwerdeführerin allein zur Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellte Frage des Gerichtsstandes tatsächlich und rechtlich einer eigenständigen Bewertung zugänglich. Die Tatorte stimmen sowohl nach dem der Anklageschrift zugrunde gelegten Sachverhalt als auch nach dem unter Wegfall weiterer Tatteile verbleibenden Sachverhalt, von dem der Eröffnungsbeschluss ausgeht, überein, nämlich -straße und - für die in der Jacke des Angeklagten sowohl in der straße als auch am Ergreifungsort mitgeführten 4,98 g Haschisch und 2,49 g Marihuana - -damm, wo der Angeklagte gemäß Polizeibericht (Bl. 8 d.A.) festgenommen wurde. Die örtliche Zuständigkeit hängt hier somit nicht vom unterschiedlich bewerteten Umfang der Tat, derer der Angeklagte hinreichend verdächtig ist, ab, der wiederum die Prüfung der - uneingeschränkt der sofortigen Beschwerde zugänglichen - sachlichen Zuständigkeit des niederen Gerichtes nach sich ziehen könnte.

cc) Die aufgezeigte Unzulässigkeit einer isolierten Prüfung allein des Gerichtsstandes im Beschwerdeverfahren führt hier nicht zur Unwirksamkeit der Beschränkungserklärung der Beschwerdeführerin mit der Folge einer Überprüfung auch der sachlichen Zuständigkeit, sondern zur Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde insgesamt. Anders als z.B. im Falle der Beschränkung einer Berufung auf bestimmte Teile des - von Gesetzes wegen grundsätzlich vollen Umfanges anfechtbaren - Urteils, bei der das Rechtsmittel dann als in vollem Umfang eingelegt gilt (vgl. BGHSt 21, 256, 258; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 318 Rdn. 32), ist nämlich im Anwendungsbereich des § 210 Abs. 2 StPO die Frage der örtlichen Zuständigkeit schon von Gesetzes wegen grundsätzlich von der Anfechtbarkeit ausgenommen. Vor dem Hintergrund des erörterten Regel-Ausnahme-Prinzips zieht die beschränkte Anfechtung eine der gesetzlichen Regel entsprechende Nichtüberprüfung statt eine die Ausnahme ausweitende unbeschränkte Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung nach sich.

b) Der vorstehend entwickelten Restriktion für die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde bedürfte es allerdings nicht, wenn die in § 210 Abs. 2 StPO bestimmte Anfechtungsmöglichkeit nicht abschließend wäre, sondern bezüglich anderer als der in dieser Vorschrift genannten Entscheidungspunkte ohnehin die (einfache) Beschwerde statthaft wäre. Wollte man eine solche weitergehende Anfechtungsmöglichkeit zulassen, läge es schon aus Gründen der Rechtssicherheit und der Verfahrensbeschleunigung nahe, die Überprüfung im Rahmen der fristgebundenen sofortigen Beschwerde vorzunehmen, soweit überhaupt eine der in § 210 Abs. 2 StPO genannten Voraussetzungen (Nichteröffnung; Verweisung an niederes Gericht) vorliegt.

aa) Ob und in welchem Umfang über § 210 StPO hinaus eine Anfechtung der Eröffnungsentscheidung stattfindet, ist streitig (verneinend Rieß in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 210 Rdn. 4 bis 6 m.w.N.; bejahend OLG Karlsruhe in NStZ-RR 2001, 201; Seidl in KMR, StPO, § 210 Rdn. 6; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, a.a.O., § 210 Rdn. 4; offen gelassen bei BGHSt 45, 26, 31 mit Tendenz zur Verneinung). Welcher der Auffassungen zu folgen ist, kann dahinstehen. Jedenfalls wäre die erweiterte Anfechtungsmöglichkeit auf eng umgrenzte Ausnahmefälle, in denen wegen objektiver Willkür eine Unanfechtbarkeit schwer erträglich sein mag, beschränkt (vgl. Seidl, a.a.O.); eine solche Willkür kann auch bei fehlerhafter Annahme örtlicher Zuständigkeit vorliegen (siehe auch. Seidl, a.a.O., Rdn. 7 m.w.N.).

bb) Die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Amtsgericht Hamburg ist hier schon deshalb nicht willkürlich, weil dieses der Gerichtsstand des Wohnsitzes ist (§ 8 Abs. 1 StPO).

Der Angeklagte hatte bei Erhebung der Anklage am 26. März 2002 seinen Wohnsitz in Hamburg, -weg , der gemäß § 4 S. 1 HmbAGGVG zur Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg gehört. Der Angeklagte ist unter dieser Anschrift gemeldet. Er hat nach seiner Festnahme vom 24. Januar 2002 sowohl gegenüber der Polizei als auch bei der Zuführung zum Haftrichter angegeben, unter dieser Anschrift zu wohnen. Er führte bei seiner Festnahme einen zur dortigen Wohnung passenden Schlüssel mit sich; bei der Durchsuchung fanden sich in der Wohnung persönliche Gegenstände und Personalpapiere des Angeklagten. Eine Mietvertragsurkunde weist ein unbefristetes Mietverhältnis ab 16. November 1999 aus. Nach Mitteilung der Untersuchungshaftanstalt Hamburg ist der Angeklagte am 17. April 2002 aus der Untersuchungshaft an die Anschrift -weg entlassen worden.

Ob, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint, ein Wahlrecht der Staatsanwaltschaft zwischen den verschiedenen nach §§ 7 ff. StPO örtlich zuständigen Amtsgerichten wegen bisheriger Nichtausübung fortbesteht (zum Wahlrecht allgemein vgl. Pfeiffer in KK-StPO, 4. Aufl., § 7 Rdn. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 7 Rdn. 10), kann dahinstehen. Jedenfalls wäre die Nichtberücksichtigung eines nicht bzw. nicht hilfsweise geäußerten Willens der Staatsanwaltschaft, an welches Amtsgericht im Falle der Nichteröffnung des Hauptverfahrens vor dem angegangenen Landgericht die Sache verwiesen werden solle, nicht willkürlich.

cc) Nach allem scheidet vorliegend eine Anfechtbarkeit der Verweisung an das Amtsgericht Hamburg außerhalb des § 210 Abs. 2 StPO ohnehin aus und steht deshalb einer restriktiven Anwendung dieser Vorschrift nicht entgegen.

III.

Eine Behandlung der - unzulässigen - sofortigen Beschwerde (§ 311 StPO) der Staatsanwaltschaft als Beschwerde (§ 304 StPO) nach dem Rechtsgedanken des § 300 StPO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil auch die einfache Beschwerde aus den unter Ziff. II. 2. b) genannten Gründen unzulässig wäre.

Ende der Entscheidung

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