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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 27.09.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 192/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB, BtMG


Vorschriften:

StPO § 454 b Abs. 3
StGB § 57
BtMG § 35
Ist die Zurückstellung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach § 35 BtMG verfügt worden, trifft das Gericht die Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer für die Anschlussvollstreckung notierten weiten Freiheitsstrafe gemäß § 454 b Abs. 3 StPO erst dann, wenn über die Aussetzung beider Strafen nach § 57 StGB gleichzeitig entschieden werden kann, also im Fall des § 57 Abs. 1 StGB in zeitlichem Zusammenhang mit dem gemeinsamen Zwei-Drittel-Termin.
Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 192/02 607 StVK 2275/02 207 VRs 6445/96 - Düsseldorf -

In der Strafsache

gegen

hier betreffend Aussetzung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 27. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner den Richter am Amtsgericht Dr. Steinmann

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Düsseldorf wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 7, vom 28. August 2002 aufgehoben.

Der Antrag des Verurteilten auf Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 6. Februar 1996 (Az.: 102 I Ls 110 Js 1078/95) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Verurteilten zur Last.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen den Beschluss vom 28. August 2002, mit dem die Strafvollstreckungskammer den Rest der gegen den Verurteilten erkannten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 6. Februar 1996 zur Bewährung ausgesetzt hat, ist nach den §§ 454 Abs. 3 S. 1, 311 Abs. 2 StPO zulässig und auch in der Sache begründet. Zu Unrecht hat die Strafvollstreckungskammer angenommen, die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB nach Verbüßung von zwei Dritteln der zeitigen Freiheitsstrafe lägen vor.

I.

Der Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 6. Februar 1996 wegen Hehlerei in zwei Fällen und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die zunächst gewährte Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 17. März 1997 widerrufen und die Strafe ab dem 8. September 1997 vollstreckt. Nach Erreichen des Zwei-Drittel-Zeitpunktes am 1. Mai 1998 gewährte die nach § 462 a Abs. 1 S. 1 StPO zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg mit Beschluss vom 19. Mai 1999 Reststrafaussetzung gemäß § 57 Abs. 1 StGB. Nach erfolgter weiterer Anschlussvollstreckung in anderer Sache wurde der Verurteilte am 29. Juni 1999 aus der Haft entlassen.

Mit Beschuss vom 26. September 2001 wurde die Reststrafaussetzung von der Strafvollstreckungskammer widerrufen. Nach weiterer Strafverbüßung zunächst in anderer Sache sind vom 24. März 2002 bis 22. Juli 2002 in dieser Sache weitere 121 Tage Restfreiheitsstrafe vollstreckt worden. Seit dem 23. Juli 2002 werden nach Unterbrechung ein Jahr sechs Monate Gesamtfreiheitsstrafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 23. Juli 2002 wegen insbesondere Betruges vollstreckt; Zwei-Drittel-Zeitpunkt ist dort der 22. Juli 2003; als Vollstreckungsende ist der 22. Januar 2004 notiert. Zur Anschlussvollstreckung sind für die Zeit vom 23. Januar 2004 bis 25. Mai 2004 restliche 124 Tage Freiheitsstrafe aus vorliegender Sache notiert.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2002 hat der Verurteilte beantragt, die Vollstreckung des Strafrestes erneut gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Reststrafaussetzung bewilligt.

Am 29. August 2002 hat die Staatsanwaltschaft Hamburg die Strafvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 23. Juli 2002 gemäß § 35 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 3 Nr. 1) BtMG zurückgestellt, beginnend mit der - bisher nicht erfolgten Aufnahme in der Therapieeinrichtung bzw. in einem Krankenhaus.

II.

Der landgerichtliche Beschluss vom 28. August 2002 ist aufzuheben und der Antrag des Verurteilten auf Reststrafaussetzung abzulehnen. Der landgerichtlichen Aussetzungsentscheidung stand im Hinblick auf die Anschlussvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 23. Juli 2002 das in § 454 b Abs. 3 StPO statuierte Zulässigkeitserfordernis gleichzeitiger Entscheidung entgegen; auch während des Beschwerdeverfahrens sind die Voraussetzungen dieses Erfordernisses nicht eingetreten.

1. Gemäß § 454 b Abs. 3 StPO trifft das Gericht bei Anschlussvollstreckung die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1, Abs. 2 StGB erst dann, wenn über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Strafen gleichzeitig entschieden werden kann. Erst bei Verbüßung von zwei Dritteln bzw. gegebenenfalls der Hälfte auch der letzten Anschlussstrafe sind danach die Voraussetzungen für eine Entscheidung über die Reststrafaussetzung gegeben; nach dem Wortlaut des § 454 b Abs. 3 StPO gilt dies zwingend und ausnahmslos.

Über die Aussetzung aller Strafreste kann nach dem Wortlaut des § 454 b Abs. 3 StPO aber auch dann nicht gleichzeitig entschieden werden, wenn aus zwei Strafresten bezüglich eines der Reste zwar eine Zurückstellungsmöglichkeit nach § 35 BtMG besteht, aber noch nicht zwei Drittel oder zumindest die Häfte dieser Strafe verbüßt sind.

2. Die in § 35 BtMG eröffnete Möglichkeit, die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unter den dort normierten Voraussetzungen zurückzustellen, ändert deshalb nichts daran, dass für andere vollstreckte Freiheitsstrafen, bezüglich derer eine Zurückstellung nach § 35 BtMG nicht erfolgt ist, für eine Vollstreckungsaussetzung unverändert die in § 454 b Abs. 3 StPO festgelegten Voraussetzungen vorliegen müssen. Dies kann dazu führen, dass die Zurückstellung nach § 35 BtMG erst dann Wirkung entfalten kann, wenn die von ihr erfasste Freiheitsstrafe soweit vollstreckt wurde, dass auch für sie eine Entscheidung nach § 57 Abs. 1, Abs. 2 StGB getroffen werden könnte.

Vorliegend hat der Verurteilte bezüglich der Strafe aus dem Urteil vom 23. Juli 2002 bislang nur wenig mehr als zwei Monate und damit noch nicht einmal die Hälfte verbüßt, sodass insoweit eine Entscheidung nach § 57 StGB nicht möglich ist und damit die Sperre des § 454 b Abs. 3 StPO eingreift.

3. Dass allein das vorstehend bezeichnete Ergebnis der gesetzgeberischen Intention entspricht, ergibt sich aus der Bestimmung des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG, wonach die Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 BtMG zwingend widerrufen werden muss, wenn insbesondere eine weitere Freiheitsstrafe gegen den Verurteilten zu vollstrecken ist. Der Vollstreckung weiterer Freiheitsstrafen ist damit nach der Gesetzessystematik vom Gesetzgeber der Vorrang gegenüber der Zurückstellung nach § 35 BtMG zuerkannt. Solange mithin ein Mehrfachtäter die ihm auferlegten Freiheitsstrafen nicht insgesamt jeweils anteilig zu zwei Dritteln bzw. gegebenenfalls zur Häfte verbüßt hat, kann die Vollstreckung keiner der Restfreiheitsstrafen nach § 57 Abs. 1, Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden und fehlen die Voraussetzungen für eine Zurückstellung nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 BtMG.

4. Auch Sinn und Zweck der in § 35 Abs. 1, Abs. 3 BtMG getroffenen Regelung stehen dem vorstehenden Auslegungsergebnis nicht entgegen. Dem therapiebedürftigen und -willigen Verurteilten verbleibt die Möglichkeit, unabhängig von den Erfordernissen der §§ 454 b Abs. 3 StPO i.V.m. 57 StGB von der Vollstreckung entbunden zu werden, wenn hinsichtlich jeder der zu berücksichtigenden Verurteilungen die Voraussetzungen des § 35 BtMG gegeben sind, sodass die Entscheidung statt nach den §§ 454 b Abs. 3 StPO, 57 StGB insgesamt übereinstimmend nach § 35 BtMG zu treffen ist. Sind bezüglich einer der zu berücksichtigenden Verurteilungen dagegen die Voraussetzungen des § 35 BtMG nicht gegeben, so ist der Regelungszweck dieser Vorschrift ohnehin von vornherein nicht berührt, da die insoweit erforderliche im Anwendungsbereich des § 57 StGB zu treffende Prognoseentscheidung eigenen von § 35 BtMG nicht erfassten über die Betäubungsmittelabhängigkeit hinausgehenden Kriterien folgt (vgl. zu alledem OLG München, NStZ 2000, 223; Krehl in Heidelberger Kommentar zur StPO, 3. Aufl., § 454 b Rdn. 6).

5. Im Hinblick auf die Unzulässigkeit der verfrühten Reststrafaussetzung kann dahinstehen, ob nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB vorliegend eine Strafaussetzung im Übrigen erfolgen und die alsdann vorausgesetzte günstige Kriminalprognose gestellt werden könnte. Ebenso erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den in dem landgerichtlichen Beschluss vom 28. August 2002 erteilten Auflagen und Weisungen, insbesondere dem dort ausgesprochenen Verbot des Konsums und Besitzes allein "von Kokain und anderen harten Drogen, selbst wenn der Eigenbesitz in kleinen Mengen toleriert werden sollte", im Hinblick auf den "tolerierten" Eigenbesitz kleiner Mengen "harter" Drogen sowie den ungenannt bleibenden Konsum und Besitz "weicher" Drogen, die danach jeweils, obwohl einer positiven Kriminalprognose naheliegender Weise nicht förderlich, offenbar hingenommen werden sollten.

6. Die Kostenentscheidung entspricht § 465 StPO.

Ende der Entscheidung

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