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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 12.11.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 214/04
Rechtsgebiete: StPO, EGGVG, UVollzO


Vorschriften:

StPO § 119 Abs. 3
StPO § 119 Abs. 4
StPO § 119 Abs. 6
StPO § 304 Abs. 1
EGGVG 23
UVollzO Nr. 43
1. Über die Beschäftigung eines Untersuchungsgefangenen in der Vollzugsanstalt entscheidet der Anstaltsleiter. Gegen dessen Entscheidung ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 1 EGGVG statthaft.

2. Der Anstaltsleiter bedarf für die Gestattung der Beschäftigung der Zustimmung des Haftrichters jedenfalls, soweit der Haftzweck betroffen ist. Die Entscheidung des Haftrichters über die Zustimmung ist selbständig mit der Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO anfechtbar.


Hanseatisches Oberlandesgericht

Beschluss

2. Strafsenat 2 Ws 214/04

602 KLs 4/03 6500 Js 9/02

In der Strafsache

gegen

hier betreffend Genehmigung einer Arbeit in der Küche der Untersuchungshaftanstalt

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 12. November 2004 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder

den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner

die Richterin am Oberlandesgericht Schlage

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten Y. gegen die Verfügung des Vorsitzenden der Großen Strafkammer 2 des Landgerichts Hamburg vom 21. September 2004 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte Y. befindet sich seit 22. Oktober 2002 in Polizei- und Untersuchungshaft, die in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg vollzogen wird. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 17. Oktober 2002 in der Fassung des Änderungsbeschlusses des Landgerichts Hamburg vom 31. März 2003 ist auf die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr gestützt. Dem Angeklagten liegen bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen, erpresserischer Menschenraub in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer, schwerem Raub, Betrug und Urkundenfälschung, versuchter schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung, unerlaubte Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe sowie Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und jetzt noch drei Mitangeklagte, von denen mindestens zwei gleichfalls in - auf die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr gestützter - Untersuchungshaft einsitzen, dauert vor dem Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 2, an. Deren Vorsitzender hat mit Verfügung vom 21. September 2004 den am 14. September 2004 gestellten Antrag des Angeklagten Y., ihm die Arbeit in der Küche der Untersuchungshaftanstalt zu gestatten, unter Hinweis auf die angeordnete Trennung von den Mitangeklagten B. und Ö. abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 1. Oktober 2004. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Aufhebung der Verfügung wegen Unzuständigkeit des Kammervorsitzenden angetragen.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten Y. ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Zulässigkeit folgt aus § 304 Abs. 1 StPO. Ihr steht nicht entgegen, dass die Entscheidung über die Beschäftigung eines Untersuchungsgefangenen in die Zuständigkeit des Anstaltsleiters fällt, der bei Betroffenheit des Haftzweckes der Zustimmung des Haftrichters zur Genehmigung der Beschäftigung bedarf und dessen Entscheidung als Justizverwaltungsakt im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG anfechtbar ist (nachstehend lit. a), b)); insbesondere ist die Versagung der haftrichterlichen Zustimmung selbständig mit der Beschwerde anfechtbar und wird nicht erst als Vorfrage der ablehnenden Entscheidung des Anstaltsleiters im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG geprüft (nachstehend lit. c)).

a) Den Untersuchungsgefangenen trifft keine Arbeitspflicht, doch kann er sich freiwillig beschäftigen (§ 119 Abs. 4 StPO, Nr. 43 Abs. 1 UVollzO). Für die Entscheidung über die Gestattung und Zuweisung einer Beschäftigung in der Vollzugsanstalt ist nicht der Haftrichter (§§ 119 Abs. 6, 126 StPO), sondern der Anstaltsleiter zuständig (vgl. OLG Düsseldorf in StV 1988, 68; OLG Hamm in GA 1970, 287; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 119 Rdn. 38; Boujong in KK-StPO, 5. Aufl., § 119 Rdn. 71; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 119 Rdn. 108; Paeffgen in SK-StPO, § 119 Rdn. 59; Wankel in KMR, StPO, § 119 Rdn. 25; Pfeiffer, StPO, 4. Aufl., § 119 Rdn. 18; Lemke in HK-StPO, 3. Aufl., § 119 Rdn. 49; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 2. Aufl., Rdn. 430; Münchhalffen/Gatzweiler, Das Recht der Untersuchungshaft, 2. Aufl., Rdn. 561). Diese Zuständigkeit leitet sich daraus her, dass die Arbeitszuweisung die generelle Organisation und die Funktionsabläufe in der Anstalt betrifft (vgl. allgemein Wankel, a.a.O., § 119 Rdn. 25).

Die Entscheidung des Anstaltsleiters ist als Justizverwaltungsakt im Vollzuge der Untersuchungshaft gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 EGGVG mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbar (vgl. jeweils a.a.O. OLG Düsseldorf, Paeffgen, Schlothauer/Weider). Dieser Rechtsweg ist nicht gemäß § 23 Abs. 3 EGGVG subsidiär, denn die Beschwerde nach § 304 StPO ist nur gegen Anordnungen des Haftrichters gemäß § 119 Abs. 6 S. 1 StPO eröffnet (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 23 EGGVG Rdn. 18 m.w.N.). Damit stimmt die Verwaltungsvorschrift der Nr. 75 Abs. 3 UVollzO überein.

b) Der Anstaltsleiter bedarf für die Gestattung und Zuweisung der Beschäftigung der Zustimmung des Haftrichters jedenfalls, soweit der Haftzweck betroffen ist.

Das Erfordernis einer solchen Zustimmung ist strittig. Teilweise wird es verneint (vgl. jeweils a.a.O. OLG Düsseldorf, OLG Hamm, Meyer-Goßner, Boujong, Paeffgen, Pfeiffer, Lemke). Nach anderer Ansicht ist eine Zustimmung generell (so wohl OLG Hamm in wistra 1998, 77) oder wenn die Beschäftigung den Untersuchungsgefangenen mit anderen Gefangenen zusammenbringt (Schlothauer/Weider, a.a.O.; Münchhalffen/Gatzweiler, a.a.O.; Hilger, a.a.O., Rdn. 17 hinsichtlich Untersuchungs- und Strafgefangenen) erforderlich. Mit der letztgenannten Auffassung korrespondiert die Verwaltungsvorschrift der Nr. 43 Abs. 2 UVollzO, wonach der Untersuchungsgefangene "mit Zustimmung des Richters bei der Arbeit mit anderen Gefangenen in Berührung kommen" darf.

Es kann dahinstehen, ob generell ein Zustimmungserfordernis besteht. Jedenfalls bei möglicher Betroffenheit des Haftzweckes ist der Haftrichter an dem Verfahren zu beteiligen und sperrt dessen Zustimmungsversagung die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis.

Gemäß § 119 Abs. 6 StPO ist der Haftrichter für alle nach § 119 StPO erforderlichen Maßnahmen, die im Verhältnis zu einem bestimmten Untersuchungsgefangenen angeordnet werden (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O, § 119 Rdn. 46 m.w.N.), zuständig. Ein solcher Individualbezug besteht für die hier in Frage stehende Anordnung. Die Prüfung, ob der Haftzweck der Beschäftigung entgegen steht, kann nur anhand der konkreten Person und des konkreten Falles erfolgen. Der Haftzweck ist zwar vertypt auf Grund der im Haftbefehl gemäß § 114 Abs. 2 Nr. 3 StPO anzuführenden und deshalb dem Anstaltsleiter ersichtlichen Haftgründe namentlich der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nrn. 2, 3 StPO), doch bleibt gleichwohl Raum für eine Individualprüfung. Zum einen können einem Untersuchungsgefangenen unter dem Gesichtspunkt des Haftzwecks im Sinne des § 119 Abs. 3 StPO auch solche Beschränkungen auferlegt werden, die nicht durch den im Haftbefehl genannten Haftgrund, sondern durch andere Haftgründe gefordert sind (h.M., vgl. OLG Hamm in StV 1998, 35; Meyer-Goßner, a.a.O., § 119 Rdn. 12 m.w.N.). Zum anderen ist die Intensität des jeweiligen Haftgrundes differenzierender Bewertung zugänglich; je nach Grad der Relevanz des Vorverhaltens und des prognostizierten künftigen Verhaltens eines Gefangenen für den Haftzweck können abgestufte Beschränkungen ausreichend und erforderlich sein. Der Haftrichter verfügt über denen des Anstaltsleiters überlegene Erkenntnismöglichkeiten, welche Beschränkungen im jeweils aktuellen Verfahrensstadium z.B. nach den personalen Zusammenhängen mit anderen Beteiligten, nach bisherigen Versuchen der unlauteren Einflussnahme oder nach bisherigen Fluchtdispositionen noch bzw. nunmehr geboten sind, um den Haftzwecken zu genügen.

c) Die nach dem Vorgesagten erforderliche Zustimmungsentscheidung des Haftrichters ist selbständig mit der Beschwerde anfechtbar (im Ergebnis ebenso OLG Hamm in wistra 1998, 77; Schlothauer/Weider, a.a.O.).

Der getrennten Anfechtbarkeit von Zustimmungsentscheidung des Haftrichters (§ 304 StPO) und (End-)Entscheidung des Anstaltsleiters (§ 23 EGGVG) steht das Modell einer einheitlichen gerichtlichen Überprüfung im Verfahren nach § 23 EGGVG gegenüber. Bei letzterem würde das mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den die Beschäftigung versagenden Bescheid des Anstaltsleiters befasste Oberlandesgericht inzidenter die diesem Justizverwaltungsakt zu Grunde gelegte Nichtzustimmung durch den Haftrichter überprüfen.

Für eine solche Anfechtbarkeit nur des Verwaltungsaktes des Anstaltsleiters spricht die strukturelle Nähe des Justizverwaltungsrechtes zum allgemeinen Verwaltungsrecht. In Fällen mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakte (z.B. Erfordernis einer Zustimmung der obersten Landesstraßenbaubehörde für Erteilung einer Baugenehmigung durch die Bauordnungsbehörde bei Bauvorhaben an Bundesfernstraßen gemäß § 9 Abs. 2 BFernstrG) ist nicht die die Zustimmung versagende Entscheidung der mitwirkenden Behörde, sondern nur die Schlussentscheidung anfechtbar (h.M., vgl. BVerwGE 16, 116; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7, Aufl., § 35 Rdn. 76, 77). Speziell im Justizverwaltungsrecht findet sich eine ähnliche Regelung: Gemäß § 35 Abs. 2 S. 2 u. 3 BtMG entscheidet das nach §§ 23 ff EGGVG gegen die durch die Verwaltungsbehörde (Staatsanwaltschaft) verfügte Versagung der Zurückstellung der Strafvollstreckung angerufene Oberlandesgericht auch über die Verweigerung der gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG erforderlichen Zustimmung des erstinstanzlichen Gerichtes zur Zurückstellung.

Indes fehlt es an einer dem § 35 Abs. 2 S. 2 u. 3 BtMG entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung für die Inzident-Überprüfung der richterlichen Zustimmungsverweigerung betreffend Beschäftigungen. Die den im allgemeinen Verwaltungsrecht entwickelten Grundsätzen zu mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten zu Grunde liegenden Sachverhalte unterscheiden sich vom vorliegenden insoweit, als dort die Mitwirkung durch eine andere Behörde, hier jedoch durch ein - nicht als Verwaltung, sondern als rechtsprechende Gewalt tätiges (zur Abgrenzung vgl. Böttcher in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 23 EGGVG Rdn. 4, 6) - Gericht in Rede steht. Die Frage der selbständigen Anfechtbarkeit der Mitwirkungsentscheidung beantwortet sich deshalb nach den sachnäheren Maßstäben des Haftrechtes.

Im systematischen Vergleich ist die Zuständigkeitsaufteilung zwischen (Voll-zugs-)Behörde und Haftrichter bei Überhaftnotierungen in den Blick zu nehmen. Ist für einen Strafgefangenen Untersuchungshaft als Überhaft notiert (§ 122 StVollzG), so ist der Haftrichter zur Entscheidung über Beschränkungen der Freiheit nur unter dem Gesichtspunkt des Zweckes der Untersuchungshaft berufen; für die Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Ordnung in der Vollzugsanstalt verbleibt es bei der Zuständigkeit der Vollzugsbehörde (vgl. Senat in OLGSt StPO § 119 Nr. 19). Auch dort ist die Entscheidung des Haftrichters mit der Beschwerde selbständig anfechtbar (im Ergebnis ebenso Senat, a.a.O.), während es für die Überprüfung der Entscheidung der Vollzugsbehörde bei dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG verbleibt. Eine solche gerichtliche Überprüfung nach §§ 109 ff StVollzG ist eine spezialgesetzlich geregelte Ausformung der Justiziabilität von Justizverwaltungsakten, die bis zur Kodifizierung des Strafvollzugsgesetzes den § 23 ff EGGVG unterfielen (vgl. Senat in OLGSt EGGVG § 26 Nr. 2 mit Nachweis aus Gesetzgebungsgeschichte, insoweit nicht mit abgedruckt in NStZ-RR 2004, 185, 186; siehe auch Böttcher, a.a.O., Vor § 23 EGGVG Rdn. 7).

Auch teleologisch ist eine Befassung des Haftbeschwerdegerichtes (§§ 126, 304 StPO) statt des nach § 25 Abs. 1 EGGVG berufenen Strafsenats eines Oberlandes-gerichts veranlasst. So wie erstinstanzlich die Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Haftzweckes durch den sachnahen Haftrichter geboten ist (oben lit. b)), ist für die Überprüfung einer solchen Ausgangsentscheidung die Befassung des Haftbeschwerdegerichtes sachdienlicher. Dieses Beschwerdegericht wird häufig auf Grund von gegen den Bestand des Haftbefehls gerichteten Beschwerden mit der Sache, namentlich dem den Haftzweck wesentlich bestimmenden Haftgrund bereits gefasst gewesen sein oder künftig gefasst werden. Es gilt nicht nur, die dabei gewonnene Fallkenntnis ressourcenorientiert zu nutzen, sondern auch widersprechende Bewertungen betreffend den Haftgrund und Haftzweck zwischen Haftbeschwerdegericht und Justizverwaltungsgericht zu vermeiden. Dass im Einzelfall Haftbeschwerdegericht und nach § 25 Abs. 1 EGGVG zuständiger Strafsenat identisch sein können, hat für die grundsätzliche Rechtswegbestimmung kein Gewicht.

Schließlich spricht der Rechtsgedanke des § 23 Abs. 3 StPO für einen Vorrang der gerichtlichen Überprüfung im ordentlichen Beschwerdeweg. Dem steht nicht entgegen, dass eine Überprüfung der haftrichterlichen Zustimmungsverweigerung mittels Beschwerde sich erübrigen kann, wenn der Anstaltsleiter ohnehin aus anderen Gründen die Beschäftigung des Untersuchungsgefangenen nicht gestattet. Regelmäßig wird in einem solchen Fall gar nicht erst um eine Zustimmungsentscheidung des Haftrichters nachgesucht werden. Im Übrigen würde sich umgekehrt eine Versagung der Beschäftigung aus anderen Gründen erübrigen, wenn schon die richterliche Zustimmung verweigert worden ist, und damit der - nach dem Rechtsgedanken des § 23 Abs. 3 EGGVG subsidiäre - Antrag auf gerichtliche Entscheidung entbehrlich werden.

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat der zuständige (§ 126 Abs. 2 S. 1 u. 3 StPO) Kammervorsitzende es wegen des entgegenstehenden Haftzweckes abgelehnt, die erforderliche (siehe oben 1. b)) Zustimmung zur Beschäftigung des Angeklagten in der Küche der Untersuchungshaftanstalt zu erteilen.

a) Für die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotene Abwägung mit dem Haftzweck ist bedeutsam, ob ein Untersuchungsgefangener Anspruch auf Beschäftigung hat (vgl. OLG Hamm in wistra 1998, 77).

Ein solcher Anspruch wird teilweise verneint (Hilger, a.a.O., § 119 Rdn. 109; Paeffgen, a.a.O.; Pfeiffer, a.a.O.; Lemke, a.a.O.), während überwiegend ein Anspruch im Rahmen des Möglichen anerkannt (OLG Düsseldorf in StV 1988, 68; OLG Hamm in wistra 1998, 77 und GA 1970, 287; Meyer-Goßner, a.a.O., § 119 Rdn. 38; Schlothauer/Weider, a.a.O.; Münchhalffen/Gatzweiler, a.a.O., Rdn. 560) bzw. zwar kein Anspruch bejaht, aber die generelle Arbeitsversagung als regelmäßig gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßend bewertet wird (Boujong, a.a.O.). Die Verwaltungsvorschrift der Nr. 43 Abs. 1 UVollzO bestimmt, dass dem Gefangenen Gelegenheit zur Arbeit gegeben werden soll.

Es kann dahinstehen, welcher Auffassung zu folgen ist. Selbst bei Zugrundelegung eines Anspruches auf Beschäftigung im Rahmen des Möglichen stünde der Haftzweck einem Arbeitseinsatz des Angeklagten Y. in der Anstaltsküche entgegen:

b) Es besteht u.a. der - auch im Haftbefehl angeführte - Haftgrund der Verdunkelungsgefahr. Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte in unlauterer Weise direkt oder indirekt auf andere Personen, namentlich Zeugen, einwirken wird, ergibt sich aus seinem bisherigen Verhalten, das insbesondere in den konkreten Tatbildern (zu deren Beachtlichkeit vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 Rdn. 30 m.w.N. zum Meinungsstand) Ausdruck gefunden hat. Das hochwahrscheinliche Verhalten des Angeklagten und seiner Mittäter war durch auf Tatverdeckung ausgerichtete Manipulation und Fälschung sowie durch Gewalt und Einschüchterung gekennzeichnet. So wurden die Betäubungsmittelgeschäfte der Bande konspirativ unter Einsetzung von Scheinkonzessionären, mittels konspirativer Treffen mit Abgesandten der Lieferantengruppe und mittels verschlüsselter Bestellungen betrieben. Die Fälle 60 und 61 (erpresserischer Menschenraub pp., versuchter schwerer Raub mit Freiheitsberaubung pp.) sind durch hochwahrscheinliche gewalttätige Einschüchterung und Gefügigmachung der Opfer durch u.a. den Angeklagten persönlich geprägt. Es besteht ungeachtet der laufenden Hauptverhandlung die Gefahr, dass die Wahrheitsermittlung durch die zu erwartenden unlauteren Einflussnahmen erschwert wird. Der Angeklagte ist nicht geständig; die Beweisaufnahme dauert an.

Der Haftzweck der Verdunkelungsgefahr droht durch eine Beschäftigung des Angeklagten in der Anstaltsküche nachhaltig beeinträchtigt zu werden. Es bestehen bei der Arbeit sowie auf dem Weg zu und von der Arbeit vielfältige Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit anderen Gefangenen, die zur Kommunikation zumindest mit den in derselben Anstalt gleichfalls u.a. wegen Verdunkelungsgefahr einsitzenden, dem Angeklagten hochwahrscheinlich mittäterschaftlich verbundenen Mitangeklagten B. und Ö. sowie über weitere Mittelspersonen mit außerhalb der Anstalt befindlichen potentiellen Zeugen eingeschaltet würden.

Das Beschwerdevorbringen, der Angeklagte habe bisherige Kontakte zu anderen Gefangenen bei der Freistunde bzw. zu Hausarbeitern nicht dazu benutzt, mit den Mitangeklagten zu kommunizieren, geht fehl. Derartige punktuelle Kontakte, namentlich bei der überwachten Freistunde, sind nicht mit den umfangreichen Möglichkeiten eines Nachrichtenaustausches bei der Küchenarbeit vergleichbar. Geeignete Maßnahmen zur Unterbindung direkter und indirekter Kontakte sind nicht verfügbar. Insbesondere ist eine ständige personennahe Überwachung während der Arbeit nicht leistbar. Demgemäß hat auch die durch den Haftrichter angehörte Abteilungsleiterin der Untersuchungshaftanstalt geäußert, eine Arbeit in der Küche sei bei sogenannter Tätertrennung nicht genehmigungsfähig, da ein Informationsaustausch über andere Küchenarbeiter mit B. und Ö. möglich sei.

Die Abwägung mit den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten Y., eines 1979 geborenen, seit etwa 1994 in Deutschland lebenden, kinderlos mit einer in der Türkei aufhältlichen Frau verheirateten, vor der Inhaftierung arbeitslosen gesunden türkischen Staatsangehörigen, und mit der langen Dauer der seit Oktober 2002 vollzogenen Untersuchungshaft führt nicht dazu, dass der Haftzweck zurücktreten müsste. Dabei werden auch die besonders hohe, aus Zahl und Art der vorgeworfenen Verbrechen und Vergehen folgende Bedeutung der Sache und der Grad der Verdunkelungsgefahr berücksichtigt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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