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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 10.05.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 28/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 397a Abs. 1 Satz 1
StPO § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
Für die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand eines nebenklageberechtigten Verletzten (§ 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO) reicht der bloße Anfangsverdacht der Begehung eines qualifizierten Nebenklagedelikts nicht aus. Erforderlich ist ein dynamisch am jeweiligen Verfahrensstand orientierter "ermittlungsfähiger" Tatverdacht, der die Weiterführung des vorbereitenden Verfahrens gestattet und aufgrund dessen - sei es auch erst nach Durchführung ergänzender Ermittlungen - jedenfalls die Möglichkeit besteht, dass der für eine spätere Anklageerhebung notwendige hinreichende Tatverdacht noch begründet werden kann.
Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluß

2 Ws 28/05

In der Ermittlungssache

gegen K. -H. L., geboren am 23. Mai 1963 in Elmshorn,

hier betreffend Beiordnung eines Beistandes,

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 10. Mai 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner den Richter am Landgericht Pesch beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Anzeigenden gegen den Beschluß des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 31, vom 5. Januar 2005 wird auf Kosten der Beschwerdeführerin verworfen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin, die aufgrund jedenfalls einer Körperbehinderung auf die Hilfe eines Pflegedienstes angewiesen ist, zeigte am 4. Juli 2004 gegenüber der Polizei an, am 1. Juli 2004 von einem gegen 1900 Uhr eingetroffenen "K." in ihrer Wohnung während gemeinsamen Kaffeetrinkens ins Gesicht geschlagen und anschließend vergewaltigt worden zu sein. Im Gesicht habe sie aufgrund des Schlages Schwellungen und einen Bluterguß davongetragen. Diese Beschuldigungen wiederholte sie bei ihrer kriminalpolizeilichen Vernehmung am 16. Juli 2004. Den Zeitpunkt des Eintreffens von "K." bezeichnete sie dabei mit 1400/1430 Uhr. Ihrer nachfolgend gegen 1615 Uhr eingetroffenen Pflegerin S. habe sie von dem angezeigten Geschehen berichtet. Alkoholische Getränke seien während des Besuches von "K." nicht konsumiert worden. Im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens räumte die Beschwerdeführerin in einem Telefonat mit der Kriminalpolizei ein, mit "K." Bier getrunken zu haben; insoweit habe sie bei ihrer Vernehmung gelogen.

Der Beschuldigte schilderte zwar einen abendlichen und nächtlichen Besuch bei der Beschwerdeführerin, in dessen Verlauf erhebliche Mengen von Bier gemeinsam konsumiert worden seien und es auch zu einem "Zungenkuß" gekommen sei, bestritt aber die Begehung der ihm zur Last gelegten Tat. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren mit Bescheid vom 22. November 2004 ein, weil - insbesondere mangels gynäkologischer Untersuchung der Beschwerdeführerin - auch angesichts der Aussagen der beiden vernommenen Pflegekräfte objektive Anhaltspunkte nicht vorlägen, welche geeignet seien, die Beschuldigungen zu stützen. Über die hiergegen am 30. November 2004 eingelegte Beschwerde ist noch nicht entschieden.

Zuvor hatte die Beschwerdeführerin unter dem 22. Oktober 2004 mit an die Staatsanwaltschaft gerichtetem Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten einen an das Landgericht Hamburg adressierten Antrag auf deren Bestellung als Beistand nach § 406g i.V.m. §§ 395, 397a Abs. 1 StPO eingereicht und die Staatsanwaltschaft ersucht, diesen an das durch die Behörde als zuständig erachtete Gericht weiterzuleiten. Diesen ihm durch die Staatsanwaltschaft vorgelegten Antrag hat das Landgericht Hamburg mit Beschluß vom 5. Januar 2005 zurückgewiesen, weil die Verurteilung des Beschuldigten wegen eines Nebenklagedeliktes rechtlich nicht als möglich erscheine. Hiergegen richtet sich die "sofortige Beschwerde" der Anzeigenden vom 24. Januar 2005, mit der sie ihren Antrag - insbesondere unter Hinweis darauf, daß für die Beistandsbestellung das Bestehen eines Anfangsverdachts der Begehung eines Nebenklagedeliktes ausreiche - weiterverfolgt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter Hinweis u.a. auf die Verfahrenseinstellung auf Verwerfung der Beschwerde als unbegründet angetragen.

II.

Das nach § 304 Abs. 2 StPO als Beschwerde statthafte Rechtsmittel ist zulässig, aber unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das auch durch die Staatsanwaltschaft befaßte nach §§ 406g Abs. 3 Satz 2 StPO, 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG zuständige Landgericht den Antrag der Anzeigenden, ihr gemäß §§ 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2, 397a Abs. 1 Satz 1 StPO für das vorbereitende Verfahren einen Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen führt zu keinem abweichenden Ergebnis.

1. Nach § 406g Abs. 1 StPO kann, wer "nach § 395 zum Anschluss als Nebenkläger befugt ist" (Satz 1 Halbsatz 1), "sich auch vor der Erhebung der öffentlichen Klage des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen, auch wenn ein Anschluss als Nebenkläger nicht erklärt wird" (Satz 2). § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO bestimmt - für den in § 406g Abs. 1 StPO bezeichneten Personenkreis (vgl. Hilger in LR-StPO, 25. Aufl., § 406g Rdn. 2; Kurth in HK-StPO, 3. Aufl., § 406g Rdn. 10) - darüber hinaus:

"§ 397a gilt entsprechend für ... die Bestellung eines Rechtsanwalts."

Die hier in Rede stehende Vorschrift des § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO lautet:

"Auf Antrag des Nebenklägers ist diesem ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn die Berechtigung zum Anschluß als Nebenkläger auf § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2 oder Abs. 2 Nr. 1 beruht und die zum Anschluß berechtigende Tat ein Verbrechen ist."

2. Zwar liegen die Voraussetzungen der genannten Vorschriften hier insoweit vor, als die Anzeigende durch die als Beistand zu bestellen beantragte, hierzu bevollmächtigte (vgl. zu diesem Erfordernis HansOLG Hamburg in NStE Nr. 3 zu § 397a StPO) Rechtsanwältin einen entsprechenden Antrag gestellt hat und es sich bei der rechtswidrigen Tat, durch welche die Anzeigende verletzt zu sein behauptet (Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB), auch um eine nach § 395 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StPO zum Anschluß als Nebenkläger berechtigende Tat mit Verbrechensqualität (§ 12 Abs. 1 StGB) handelt. Es fehlt vorliegend aber an einem Verdachtsgrad, der die Beistandsbestellung entsprechend derjenigen für einen Nebenkläger veranlassen könnte.

Erforderlich für die Beistandsbestellung nach § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO ist nämlich ein Verdachtsgrad, der in dem Verfahrensstadium, in welchem die Rechte nach § 406g StPO geltend gemacht werden, die Weiterführung der Ermittlungen gestattet, und aufgrund dessen - sei es auch erst nach Durchführung ergänzender Ermittlungen - im Sinne eines "ermittlungsfähigen" Tatverdachts jedenfalls die Möglichkeit besteht, daß der für eine spätere Anklageerhebung gemäß § 170 Abs. 1 StPO notwendige hinreichende Tatverdacht noch begründet werden kann (hierzu nachfolgend a)). An einem so beschaffenen Verdachtsgrad fehlt es vorliegend (hierzu nachfolgend b)).

a) Nach im Schrifttum überwiegender Meinung reicht zur Bestellung eines Beistandes nach § 406g Abs. 3 Satz 1 StPO der bloße Anfangsverdacht für die Begehung eines gemäß § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO qualifizierten Nebenklagedeliktes aus (vgl. Engelhardt in KK-StPO, 5. Aufl., § 406g Rdn. 2; Hilger, a.a.O., § 406g Rdn. 16 i.V.m. § 397a Rdn. 5; Kurth, a.a.O., § 406g Rdn. 3; Stöckel in KMR, StPO, § 406g Rdn. 17 i.V.m. § 397a Rdn. 4; siehe auch Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 406g Rdn. 2; aus der instanzgerichtlichen Rspr. vgl. LG Baden-Baden in NStZ-RR 2000, 52, 53; LG Münster, Beschl. v. 29. Juli 2003 [Az.: 12 AR 2/03]; a.A. Velten in SK-StPO, § 406g Rdn. 10 i.V.m. Rdn. 3, § 397a Rdn. 4: nach Verfahrensstand abgestufter Verdachtsgrad; ähnlich für Verfahrensabschnitte nach Anklageerhebung Stöckel, a.a.O., § 406g Rdn. 6); obergerichtliche Rechtsprechung ist nicht ersichtlich. Diese Auffassung knüpft an die für den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO herrschende Auffassung an, wonach die Bestellung eines Beistandes nicht davon abhängt, ob wertungsbedürftige, nach dem jeweiligen Verfahrensstand zu prüfende Voraussetzungen erfüllt sind, sondern eine Bestellung schon dann vorzunehmen ist, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, daß der Beschuldigte eine zum Anschluß als Nebenkläger berechtigende Straftat begangen hat (vgl. BGH in NStZ 2000, 552, 553, und NStZ-RR 2002, 340, jeweils m.w.N.; Hilger, a.a.O., § 397a Rdn. 5; Kurth, a.a.O., § 397a Rdn. 3; Meyer-Goßner, a.a.O., § 397a Rdn. 3; a.A. Velten, a.a.O., § 397a Rdn. 4).

Jedoch folgt aus der Entstehungsgeschichte der maßgeblichen Vorschriften, ihrem Zweck und ihrer Stellung im strafprozessualen Systemzusammenhang das Erfordernis einer am Verfahrensstadium orientierten dynamischen Betrachtungsweise für die Bestimmung des zur Beistandsbestellung nach §§ 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. 397a Abs. 1 Satz 1 StPO notwendigen Verdachtsgrades. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob bereits für die Nebenklagebefugnis nach §§ 395, 406g Abs. 1 Satz 1 StPO modifizierte Verdachtsanforderungen zu stellen sind; jedenfalls gelten sie bei Bestellung eines Beistandes für denjenigen Antragsteller, der im vorbereitenden Verfahren nicht Nebenkläger ist.

aa) Wortlaut und -sinn stehen einer etwaigen Ablösung vom unmittelbaren Anwendungsbereich des § 397a Abs. 1 StPO nicht entgegen, da § 406g Abs. 3 Satz 1 StPO für die Bestellung eines Rechtsanwalts die nur "entsprechend(e)" Geltung des § 397a StPO anordnet.

bb) Die Entstehungsgeschichte der genannten Vorschriften ergibt, daß auch der gesetzgeberische Wille einer dynamischen Betrachtungsweise für die Bestimmung des erforderlichen Verdachtsgrades im Verfahren der Beistandsbestellung ohne Anschlußerklärung als Nebenkläger nicht entgegensteht.

(1) Die mit dem Ersten Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18. Dezember 1986 (BGBl I, 2496) neu in die Strafprozeßordnung eingefügten §§ 406g, 397a StPO hatten - soweit für vorliegenden Fall von Bedeutung - ursprünglich folgenden Wortlaut:

§ 406g Abs. 1: "Wer nach § 395 zum Anschluß als Nebenkläger befugt ist, kann sich auch vor Erhebung der öffentlichen Klage des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen, auch wenn ein Anschluß als Nebenkläger nicht erklärt wird."

§ 406g Abs. 3 Satz 1: "Für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gilt § 397a entsprechend."

§ 397a Abs. 1 Satz 1: "Dem Nebenkläger ist für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts auf Antrag Prozeßkostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig ist, der Verletzte seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist."

Die im Opferschutzgesetz mithin noch nicht vorgesehene, vorliegend aber in Rede stehende Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand schon im Ermittlungsverfahren ohne Anschlußerklärung als Nebenkläger ist erst durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes; Zeugenschutzgesetz - ZSchG) vom 30. April 1998 (BGBl I, 820) geschaffen worden. Mit diesem Gesetz erhielt § 406g Abs. 3 StPO seine heutige Fassung. § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO erhielt dadurch folgende - im wesentlichen ebenfalls auch heute noch geltende - Neufassung:

"Auf Antrag des Nebenklägers ist diesem ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn die Berechtigung zum Anschluß als Nebenkläger auf § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a oder Nr. 2 beruht und die zum Anschluß berechtigende Tat ein Verbrechen ist."

Die daneben weiterbestehende Möglichkeit der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ergibt sich seither aus §§ 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 397a Abs. 2 StPO.

Durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz - OpferRRG) vom 24. Juni 2004 (BGBl I S. 1354), mit welchem für § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO der Katalog der Nebenklagebefugten und § 406g Abs. 1 StPO um Regelungen betreffend die Anwesenheit in der Hauptverhandlung erweitert wurden, erhielten diese Vorschriften sodann ihre heute gültige Fassung.

(2) Für die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens zu den hier maßgeblichen Fragen sind demnach heranzuziehen die Intentionen des Zeugenschutzgesetzes vom 30. April 1998. Aus den diesbezüglichen Gesetzesmaterialien ergibt sich folgendes:

Weder der durch die Fraktionen von CDU/CSU und FDP eingebrachte Entwurf eines Zeugenschutzgesetzes (BT-Drs. 13/7165) noch die diesbezügliche Beschlußempfehlung des Bundestags-Rechtsausschusses (BT-Drs. 13/8990) oder der nachfolgende Gesetzesbeschluß des Bundestages (vgl. BR-Drs. 933/97) sahen die später erfolgte Neufassung der §§ 406g Abs. 3 und Abs. 4, 397a StPO bereits vor. Erstmals mit der Begründung zur Anrufung des Vermittlungsausschusses hat der Bundesrat "das Konzept des 'Opferanwalts'" in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt und insoweit vorgeschlagen, § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO unter anderem wie folgt zu fassen (vgl. BT-Drs. 13/9542, S. 2):

"Dem Nebenkläger ist auf Antrag nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Prozeßkostenhilfe zu gewähren und ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn 1. eine der in § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a oder Nr. 2 genannten Straftaten Gegenstand des Verfahrens ist ...."

Zur Begründung bezog sich der Bundesrat insoweit auf den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (2. Opferschutzgesetz). Darin hatte das Land Niedersachsen vorgeschlagen, in § 406g Abs. 1 StPO (i.d.F. des Opferschutzgesetzes vom 18. Dezember 1986) unter anderem den Teilsatz "Dem nach § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a und Nr. 2 nebenklageberechtigten Verletzten wird auf Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt ...." anzufügen (BR-Drs. 709/96, S. 3); zur Begründung hatte es dort geheißen (a.a.O., S. 11):

"Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung hat es sich in der Praxis als unerläßlich erwiesen, daß das Opfer regelmäßig eine zuverlässige anwaltliche Hilfe bekommt. Der Entwurf sieht deshalb für diese Fälle die obligatorische Bestellung eines anwaltlichen Beistandes für das nebenklageberechtigte Opfer vor."

Erst die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Drs. 13/10001, S. 3) enthielt sodann die - später unverändert Gesetz gewordene - Neufassung der §§ 406g Abs. 3 und Abs. 4, 397a StPO. Eine weitergehende Begründung liegt diesbezüglich nicht vor.

(3) Eine ausdrückliche oder konkludente Behandlung und Erörterung der vorliegend in Rede stehenden Problematik der maßgeblichen Betrachtungsweise bei Bestimmung des im Anwendungsbereich des § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO erforderlichen Verdachtsgrades findet sich nach allem in den Gesetzesmaterialien nicht.

Dieser Befund wird nicht erschüttert durch den Umstand, daß es in der Einzelbegründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung schon zum Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 im Hinblick auf § 406g Abs. 1 StPO heißt (BT-Drs. 10/5305, S. 20):

"Ob die Voraussetzungen eines Anschlusses nach § 395 vorliegen, bestimmt sich im Ermittlungsverfahren danach, ob der Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) eines zum Anschluß berechtigenden Delikts gegeben ist."

Denn das "Konzept des 'Opferanwalts'" mit der Möglichkeit der Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand im Ermittlungsverfahren für einen privilegierten Kreis von - nach geltendem Recht in § 397a Abs. 1 StPO bezeichneten - Nebenklägern bzw. Nebenklageberechtigten war noch nicht Gegenstand des Opferschutzgesetzes, sondern hat - wie dargelegt - erst später, nämlich im Verlaufe des zum Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998 führenden Gesetzgebungsverfahrens Eingang in die gesetzgeberischen Überlegungen gefunden.

Hinzu kommt, daß der Begriff des gemäß § 406g Abs. 1 StPO i.d.F. des Opferschutzgesetzes "nach § 395 zum Anschluß als Nebenkläger" Befugten korrespondiert mit dem in § 395 Abs. 1 StPO verwandten Begriff des Verletzten (vgl. Hilger, a.a.O., Vorbem. 5. Buch Rdn. 6, 15 f., 20; siehe auch Altenhain in JZ 2001, 791, 793 f.). Die Vorschrift lautete i.d.F. des Opferschutzgesetzes (auszugsweise):

"Der erhobenen öffentlichen Klage kann sich als Nebenkläger anschließen, wer 1. durch eine rechtswidrige Tat a) nach den §§ ... 177 ... des Strafgesetzbuches ... verletzt ist ...."

In der einleitenden Begründung unter anderem zu § 406g StPO des Gesetzentwurfes zum Opferschutzgesetz ist dazu ausgeführt (BT-Drs. 10/5305, S. 16 f.):

"Wie das geltende Recht sieht auch der Entwurf davon ab, den Begriff des Verletzten zu bestimmen. Es ist heute weitgehend anerkannt, ... daß dieser aus dem jeweiligen Funktionszusammenhang heraus zu bestimmen ist. ... Die nähere Bestimmung des Verletzten in Grenzbereichen sollte der Rechtsprechung überlassen bleiben; eine notwendigerweise generalisierende Regelung könnte ... zu einer größeren Rechtssicherheit nicht nennenswert beitragen."

Hieraus erhellt, daß der Gesetzgeber des Opferschutzgesetzes jedenfalls eine abgeschlossene Regelung im Hinblick auf die Bestimmung des im Zusammenhang mit § 406g StPO seinerzeitiger Fassung erforderlichen Verdachtsgrades - und damit auch die vorliegend problematische, überdies erst aufgrund des Zeugenschutzgesetzes vom 30. April 1998 möglich gewordene Fallkonstellation im Anwendungsbereich des § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO - noch nicht in den Blick genommen hatte. Vielmehr hat er durch den Hinweis auf den "jeweiligen Funktionszusammenhang" ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, daß die Rechtsprechung differenzierende Lösungen entwickelt.

cc) Welchen Verdachtsgrad die Beistandsbestellung voraussetzt, erschließt sich hier vornehmlich aus dem strafprozessualen Systemzusammenhang der in Rede stehenden Vorschriften.

(1) Für eine Übernahme der von der herrschenden Meinung zum unmittelbaren Anwendungsbereich des § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO entwickelten Anforderung, es genüge die geringe Möglichkeit, der Beschuldigte habe eine zum Anschluß als Nebenkläger berechtigende Straftat begangen (siehe näher oben eingangs lit. a)) spricht im Ansatz das Bedürfnis möglichst einheitlicher, der Rechtsklarheit und einfachen Rechtsanwendung dienender Strukturen zumal bei eng verwandten Regelungsbereichen.

Indes ist in den Blick zu nehmen, daß im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO ein Antrag auf Beistandsbestellung zwar schon vor der Erklärung des Anschlusses gestellt werden kann (§ 397a Abs. 1 Satz 3 StPO), eine Entscheidung über den Antrag aber durch "das mit der Sache befaßte Gericht" (Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift; Hervorhebung durch den Senat) und somit erst dann erfolgt, wenn die öffentliche Klage bereits erhoben ist (§ 396 Abs. 1 Satz 2 StPO; vgl. Hilger, a.a.O., § 397a Rdn. 13; Kurth, a.a.O., § 397a Rdn. 9 f.; Stöckel, a.a.O., § 397a Rdn. 14 f.; Velten, a.a.O., § 397a Rdn. 5). In diesem Zeitpunkt ist der hinreichende Tatverdacht der Begehung jedenfalls irgendeiner Straftat seitens der Staatsanwaltschaft allerdings bereits geprüft und bejaht worden (§ 170 Abs. 1 StPO), so daß ein begrenzender Maßstab auch für die Bestimmung des Anspruchs auf Beistandsbestellung nicht mehr erforderlich erscheinen mag, um auszuschließen, daß schon die bloße Behauptung, durch ein nebenklagefähiges Delikt verletzt zu sein, zwingend die Bestellung eines Beistandes nach sich zieht.

Ein vergleichbares Korrektiv fehlt in dem von § 406g Abs. 3 Satz 1 StPO eröffneten entsprechenden Anwendungsbereich von § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO. Folgte man insoweit gleichwohl der im Schrifttum herrschenden Meinung, bestünde die Gefahr der Belastung öffentlicher Haushalte auch dann, wenn die jedenfalls einen Anfangsverdacht zu begründen geeignete bloße Behauptung, durch ein nebenklagefähiges Delikt verletzt zu sein, sich trotz ausreichender Ermittlungen nicht bestätigt hat und deshalb bereits absehbar ist, daß die durch die Beistandsbestellung entstehenden Auslagen nicht gemäß § 472 Abs. 3 Satz 1 StPO einem künftigen Angeklagten auferlegbar sein werden (zur Beachtung der Pflicht, öffentliche Mittel sparsam zu verwenden, auch für die Frage der Bestellung von Rechtsanwälten im Strafverfahren, vgl. Senat in NStZ-RR 1997, 203, 204 m.w.N.). Fehlt es an der Anklageerhebung als gleichsamem Filter, der eine Verdachtsprüfung jedenfalls hinsichtlich der hinreichend wahrscheinlichen Erfüllung irgendeines Straftatbestandes (zum Verhältnis von der Anklage zugrundegelegtem sonstigem Straftatbestand zur Nebenklagebefugnis vgl. BGH in NJW 1999, 2380) bewirkt, ist zur Einschränkung zwangsläufiger Beistandsbestellung selbst bei mutwilliger Beschuldigung ein anderweitiges Korrektiv geboten. Erforderlich, aber auch ausreichend für den hier in Rede stehenden Anwendungsbereich der §§ 406g, 397a StPO ist jedenfalls das Bestehen eines die Weiterführung der Ermittlungen gestattenden "ermittlungsfähigen" Tatverdachts auch noch im gegenwärtigen Verfahrensstadium (ebenso dem Grunde nach Velten, a.a.O., § 406g Rdn. 3, unter Hinweis auf seine Kommentierung zu § 395 Rdn. 11 [gemeint: 13], wo sodann aber - weitergehend - hinreichender Tatverdacht verlangt wird; siehe im letztgenannten Sinne auch Altenhain a.a.O., 791, 794).

Die Anwendung eines somit dynamischen Maßstabes bei der Bestimmung des erforderlichen Verdachtsgrades im Anwendungsbereich von § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO findet ihre Entsprechung in den für § 397a StPO anerkannten Grundsätzen schon insoweit, als es hinsichtlich der Beistandsbestellung jedenfalls im Zusammenhang mit der Einlegung von Rechtsmitteln nicht auf eine frühere, sondern auf die aktuelle Sach- und Rechtslage ankommt. So wird für die Frage, ob eine die Nebenklagebefugnis begründende Katalogtat vorliegt, auf die Gesetzeslage zur Zeit der Rechtsmittelinstanz abgestellt (vgl. BGH bei Becker in NStZ-RR 2003, 97, 101 f.; Senge in KK-StPO, 5. Aufl., § 397a Rdn. 1b m.w.N.). Insbesondere ist für die Frage der Prozeßkostenhilfe nach § 397a Abs. 2 Satz 1 StPO, die wegen Ausschlusses der Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung (§ 397a Abs. 2 Satz 3 StPO) strukturell mit der Beistandsbestellung nach § 397a Abs. 1 StPO vergleichbar ist, eine Berücksichtigung der aktuellen Sach- und Rechtslage anerkannt. Das gilt nicht nur bei Unzulässigkeit eines Rechtsmittels (vgl. BGH in NStZ 1993, 351, und bei Kusch in NStZ 1994, 23, 26; BayObLG bei Bär in DAR 1989, 361, 371) sowie bei offensichtlicher Unbegründetheit einer Revision nach § 349 Abs. 2 StPO (vgl. BGHR StPO § 397a Abs. 1 Prozeßkostenhilfe 12) - Fallgestaltungen, die etwaig auch unter den von der herrschenden Meinung zugrundegelegten Maßstab einer rechtlichen Unmöglichkeit der Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat erfaßt werden mögen -, sondern auch zum Beispiel im Klagerzwingungsverfahren, in welchem zusätzlich die Sachlage geprüft wird. So hat das OLG Hamm (in NStZ-RR 2000, 244) die Beiordnung eines Beistandes unter Gewährung von Prozeßkostenhilfe abgelehnt, weil nach Abschluß der Ermittlungen die bisherige Beweislage der Annahme hinreichenden Tatverdachtes entgegenstehe und weitere Beweiserhebungen nicht erfolgversprechend seien (ebenso Kurth, a.a.O., § 406g Rdn. 3). Dem liegt einheitlich der Gedanke fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses bei nunmehr ersichtlich aussichtsloser Verfolgung des Beschuldigten zugrunde (vgl. BGHR, a.a.O.; Kurth in NStZ 1997, 1, 4).

Entsprechendes muß auch für den hier in Rede stehenden Anwendungsbereich von § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO gelten. Sachliche Gründe für eine Differenzierung sind insoweit jedenfalls dann nicht ersichtlich, wenn im Ermittlungsverfahren nicht schon auf einen hinreichenden, sondern auf einen - abhängig vom jeweiligen Verfahrensstand - lediglich "ermittlungsfähigen" Tatverdacht abgestellt wird.

Auf die bisherige Entwicklung des Verfahrens abzustellen, wird für spätere Verfahrensabschnitte auch von Vertretern der herrschenden Meinung anerkannt, so für die Anschlußerklärung als Nebenkläger erst in der Hauptverhandlung (Hilger, a.a.O., § 396 Rdn. 8: "nach deren Stand").

(2) Das Erfordernis eines vom jeweiligen Stand des Ermittlungsverfahrens abhängigen dynamischen Maßstabes im Anwendungsbereich des § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO ergibt sich auch aus dem systematischen Vergleich mit dem korrespondierenden Anspruch des Beschuldigten auf Bestellung eines Verteidigers in den Fällen, in welchen die Verteidigung zwar nicht bereits nach § 140 Abs. 1 StPO eine notwendige ist, aber gleichwohl ersichtlich ist, daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann, "namentlich, weil dem Verletzten nach den §§ 397a und 406g Abs. 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist" (§ 140 Abs. 2 Satz 1 StPO a.E.). Dieses Regelbeispiel der Unfähigkeit zur Selbstverteidigung hat auf Vorschlag des Rechtsausschusses Eingang in das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 gefunden; zur Begründung heißt es in der zugehörigen Beschlußempfehlung insoweit unter anderem (BT-Drs. 10/6124, S. 12 f.):

"Dies ist erforderlich, um kein Ungleichgewicht zwischen Beschuldigten und Verletzten im Strafverfahren entstehen zu lassen. ... Der Umstand, daß dem Verletzten, ... weil er als Nebenkläger anschlußberechtigt wäre ..., ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt wird, kann dazu führen, daß die Fähigkeit des Beschuldigten zur Eigenverteidigung erheblich beeinträchtigt wird, weil er sich jetzt einem verfahrensbeteiligten Verletzten gegenübersieht, der sich des fachkundigen Rates eines Rechtsanwalts bedient. ... Der Ausschuß geht ... davon aus, daß die Praxis von der Möglichkeit der Verteidigerbestellung nicht engherzig Gebrauch machen wird."

Eine Pflichtverteidigerbeiordnung schon während des Vorverfahrens steht nach §§ 141 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 StPO im Ermessen des Vorsitzenden. Notwendig ist zudem ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft (vgl. Laufhütte in KK-StPO, 5. Aufl., § 141 Rdn. 6, und Meyer-Goßner, a.a.O., § 141 Rdn. 5, jeweils m.w.N.; a.A. Lüderssen in LR-StPO, 25. Aufl., § 141 Rdn. 24). Diese muß die Beiordnung allerdings nur dann beantragen, wenn und sobald nach ihrer Auffassung die Verteidigung im - künftigen - gerichtlichen Verfahren notwendig sein wird (vgl. BGHSt 47, 172, 176; Lüderssen, a.a.O., § 141 Rdn. 24a m.w.N.). Dementsprechend kann sich das dem Vorsitzenden insoweit eingeräumte Ermessen auch nur dann auf Null reduzieren, wenn eine Notwendigkeit der Verteidigung tatsächlich ersichtlich ist. Eine solche Verfahrenslage wird indes regelmäßig nicht mehr gegeben sein, wenn nach dem Stand der Ermittlungen abzusehen ist, daß der zur Anklageerhebung erforderliche Grad hinreichenden Tatverdachts nicht (mehr) erreicht werden kann. Eine Pflichtverteidigerbeiordnung bzw. ihre Beantragung wäre dann - auch bei "nicht engherzig(er)" Auslegung der zugrundeliegenden Vorschriften (vgl. BT-Drs. 10/6124, S. 13) - nicht notwendig und mithin rechtswidrig.

In einer derartigen Verfahrenskonstellation muß deshalb schon aus Gründen der prozessualen "Waffengleichheit" zwischen - möglicherweise - Verletztem und Beschuldigtem im Ermittlungsverfahren (vgl. hierzu Hilger, a.a.O., Vor § 395 Rdn. 11; Velten, a.a.O., § 406g Rdn. 2 m.w.N.; Weider in StV 1987, 317, 319; siehe allgemein zur Kritik im Schrifttum an der Einführung eines "Opferanwalts" Stöckel, a.a.O., Vor § 406d Rdn. 3; Hilger, a.a.O., § 397a Rdn. 2; Kurth, in HK-StPO, 3. Aufl., § 397a Rdn. 2; Velten, a.a.O., m.w.N.) auch die Bestellung eines Beistandes auf der Grundlage von § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO ausscheiden. Dies ist nur durch Anwendung eines dynamischen, vom jeweiligen Verfahrensstand abhängigen Maßstabes für die Bestimmung des maßgeblichen Verdachtsgrades zu gewährleisten.

(3) Die vorgenannte Sichtweise steht im Einklang mit der Anwendung dynamischer Maßstäbe für die Bestimmung von Verdachtsgraden auch in anderen Bereichen des Strafprozeßrechtes, namentlich während des vorbereitenden Verfahrens.

Während der Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für die Begehung einer verfolgbaren Straftat - ohne Einfluß dynamischer Faktoren - den Beginn des Ermittlungsverfahrens kennzeichnet (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 152 Rdn. 4, 4a) und der zum Abschluß des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 1 StPO für eine Anklageerhebung notwendige hinreichende Tatverdacht - ebenfalls statisch - allein auf der Grundlage eines abgeschlossenen und damit feststehenden Ermittlungsergebnisses zu prüfen ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 170 Rdn. 1), bestimmt sich nämlich auch der zum Erlaß eines Haftbefehls im Laufe des vorbereitenden Verfahrens notwendige dringende Tatverdacht auf der Grundlage eines dynamischen Maßstabes des jeweiligen bisherigen Ermittlungsergebnisses (vgl. Boujong in KK-StPO, 5. Aufl., § 112 Rdn. 6 m.w.N.).

dd) Die Bestellung eines Beistandes im vorbereitenden Verfahren vom jeweils erreichten Verdachtsgrad abhängig zu machen, ist mit dem Zweck des § 406g Abs. 3 StPO vereinbar. Mit der Vorschrift soll dem besonderen Schutzbedürfnis der erfaßten Verletztengruppe Rechnung getragen werden (vgl. jeweils m.w.N. Hilger, a.a.O., § 406g Rdn. 1; Kurth, a.a.O., § 406g Rdn. 1); ihre zu sichernde Beteiligungsbefugnis soll insbesondere einer sogenannten Sekundärviktimisierung entgegenwirken (vgl. Velten, a.a.O., § 406g Rdn. 1). Dieses Schutzbedürfnis besteht vorrangig im Hinblick auf gegenwärtige und künftige Ermittlungshandlungen. Sind die Ermittlungen mit negativem Ergebnis abgeschlossen, bedarf es keines besonderen Schutzes des Verletzten etwa bei anstehenden Vernehmungen. Allerdings kann der Abschluß der Ermittlungen darauf beruhen, daß der Verletzte wegen Fehlens eines Beistandes bisher keine geeigneten Anregungen zu (weiteren) Beweiserhebungen gegeben hat. Diese Möglichkeit ist in die fallbezogene Bewertung, ob ein die Weiterführung der Ermittlungen gestattender "ermittlungsfähiger" Tatverdacht noch vorliegt, einzubeziehen, steht also nicht schon dem Grunde nach der rechtssystematisch entwickelten Lösung entgegen.

ee) Nach allem ist für die Bestimmung des im Verfahren der Beistandsbestellung nach §§ 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2, 397a Abs. 1 Satz 1 StPO notwendigen Verdachtsgrades ein dynamischer Maßstab anhand des jeweiligen Standes des Ermittlungsverfahrens anzulegen. Damit ist auch der verbreiteten Forderung im Schrifttum, die Beiordnung nicht unangemessen großzügig vorzunehmen (vgl. Hilger, a.a.O., § 406g Rdn. 3; Stöckel, a.a.O., § 406g Rdn. 3), genügt.

Unentschieden bleiben kann dabei, ob für die Prüfung dieses Verdachtsgrades stets auf den Zeitpunkt der Antragstellung, also des Verfahrensstadiums, in welchem die Rechte nach § 406g StPO geltend gemacht werden, abzustellen ist (so HansOLG Hamburg in NStE Nr. 3 zu § 397a StPO bei unmittelbarer Anwendung dieser Vorschrift; LG Münster, Beschl. v. 29. Juli 2003 [Az.: 12 AR 2/03] zu § 406g StPO), oder ob - bei etwaiger Veränderung des Verdachtsgrades - insoweit auch der Stand der Ermittlungen zum Zeitpunkt erst der (Beschwerde-)Entscheidung maßgeblich sein kann (vgl. LG Baden-Baden in NStZ-RR 2000, 52, 53). Denn vorliegend sind nach Stellung des Antrages auf Bestellung eines Beistandes bis zur Entscheidung des Senats keine weiteren Ermittlungsergebnisse zutage getreten. Das Verfahren ist vielmehr ohne weitere Ermittlungen nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellt worden.

b) In Anwendung der zu vorstehend a) dargelegten Maßstäbe fehlt es hier an dem nach § 406g Abs. 3 StPO notwendigen Grad eines "ermittlungsfähigen" Tatverdachts. Die bisherige Beweislage schließt die Annahme hinreichenden Tatverdachts aus. Weitere Beweiserhebungen sind nicht erfolgversprechend, so daß hinreichender Tatverdacht auch zukünftig nicht mehr zu begründen ist.

aa) Schon die bisherigen Angaben der Anzeigenden rechtfertigen einen Fortgang der Ermittlungen nicht. Zur angeblichen Tatzeit am 1. Juli 2004 hat sie Widersprüchliches berichtet. Ihre Angaben zu der erlittenen Gesichtsverletzung sind weder von den unmittelbar im Anschluß an das behauptete Tatgeschehen am 1. und 2. Juli 2004 bei ihr Pflegedienste verrichtet habenden Zeuginnen Shokrian und Albers noch von dem die Strafanzeige am 4. Juli 2004 aufgenommen habenden Polizeibeamten Counradi bestätigt worden. Auch die Angaben der Beschwerdeführerin zu dem von ihr behaupteten Rahmengeschehen - sie habe ihre Pflegekräfte um Einkauf von Gebäck für den erwarteten Gast gebeten; aufgrund des Tatgeschehens sei Kaffeegeschirr auf den Fußboden gefallen, das anschließend von der Pflegedienstmitarbeiterin Shokrian weggeräumt und abgewaschen worden sei; sie habe sogleich von der Vergewaltigung berichtet - sind von den beiden vernommenen Mitarbeiterinnen des Pflegedienstes sämtlich nicht bestätigt worden. Die Zeugin Shokrian hat Kaffeegeschirr weder am 1. Juli 2004 noch bei anderen Pflegeeinsätzen in der Wohnung der Anzeigenden wahrgenommen. Die Zeugin Albers hat bekundet, die Beschwerdeführerin habe erstmals am Wochenende des 3./4. Juli 2004 gegenüber einer weiteren Kollegin von Vergewaltigung gesprochen.

Hinzu kommt, daß die Beschwerdeführerin selbst eingeräumt hat, in ihrer kriminalpolizeilichen Vernehmung im Hinblick auf den am angeblichen Tattage stattgehabten Konsum von Alkohol die Unwahrheit gesagt zu haben. Erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sind darüber hinaus auch durch den Umstand begründet, daß die Zeugin Shokrian bekundet hat, vor ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung von der Beschwerdeführerin darum gebeten worden zu sein, lediglich von Kaffeetassen zu berichten und wahrheitswidrig zu verschweigen, daß Bierflaschen auf dem Tisch gestanden hätten.

Demgegenüber fehlt es an Anhaltspunkten für unrichtige Darstellungen durch die genannten anderen Zeugen.

bb) Objektive Beweismittel, welche die Beschuldigungen der Anzeigenden stützen könnten, liegen nicht vor. Insbesondere hat sie eine ärztliche Untersuchung im Anschluß an die behauptete Tat nicht vornehmen lassen und eine solche Untersuchung auch späterhin ausdrücklich verweigert.

cc) Bei dieser Beweislage erscheint es nicht erfolgversprechend, die von der Beschwerdeführerin durch ihren gewählten Beistand namhaft gemachten weiteren Zeugen (nämlich ihren Vater und einen Peter Rogall) zu vernehmen. Denn auch bei diesen handelt es sich nicht um Zeugen des unmittelbaren behaupteten Tatgeschehens, sondern lediglich um Personen, die - was nach der Vernehmung des Beschuldigten unstreitig ist - entweder gesehen haben können, daß der Beschuldigte sich in ihrer Wohnung aufgehalten hat (Vater), bzw. denen gegenüber sie von dem behaupteten Tatgeschehen gleichfalls berichtet haben will (Rogall). Andere Ermittlungsansätze sind nicht ersichtlich.

dd) Nach allem konnte von einem gegen den Beschuldigten bestehenden "ermittlungsfähigen" Tatverdacht, der - wenn auch aufgrund weiterer Ermittlungen - noch zu einem hinreichenden erstarken könnte, schon im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr die Rede sein.

3. Die beantragte Bestellung eines Beistandes für das - mit der zwischenzeitlich vorgenommenen staatsanwaltschaftlichen Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO und nachfolgender Bescheidung der Antragstellerin (§ 171 StPO) schon aufgrund der von ihr nach § 172 Abs. 1 StPO hiergegen fristgerecht wahrgenommenen Beschwerdemöglichkeit noch nicht abgeschlossene - Ermittlungsverfahren auf der Grundlage der §§ 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2, 397a Abs. 1 Satz 1 StPO scheidet daher aus.

Eine - bislang nicht beantragte - Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Ermittlungsverfahren nach §§ 406g, 397a Abs. 2 StPO war nicht Gegenstand vorliegenden Beschwerdeverfahrens. Einer insoweit stattgebenden Entscheidung stünde im übrigen ebenfalls schon jedenfalls - im Einklang mit der dargelegten diesbezüglichen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. vorstehend 2.a)cc)(1)) - ihre mangelnde Schutzbedürftigkeit aufgrund offensichtlicher Unbegründetheit der gegen die Verfahrenseinstellung erhobenen Beschwerde entgegen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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