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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 08.02.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 32/02
Rechtsgebiete: StPO, OWiG
Vorschriften:
StPO § 68 Abs. 1 | |
StPO § 70 Abs. 1 | |
OWiG § 111 |
Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss
2. Strafsenat
2 Ws 32/02 6700 Js 84/99
In der Strafsache
gegen
hier: Beschwerde der Zeugin L.
hier betreffend Ordnungsgeldbeschluss
hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 8. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner die Richterin am Landgericht Schwafferts
beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Beschwerde der Zeugin L. wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 7, vom 30. November 2001 - betreffend Ordnungsmittel wegen Zeugnisverweigerung - aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zugehörigen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin ist Zeugin in einem vor der Kleinen Strafkammer 7 des Landgerichts Hamburg anhängigen Berufungsverfahren, in dem dem Angeklagten Taten aus dem sogenannten Rotlichtmilieu zur Last liegen. In der Hauptverhandlung hat sie ihren früheren Zunamen V. angegeben, sich jedoch geweigert, ihren jetzigen, infolge Namensänderung vom Juni 2001 abweichenden Zunamen zu benennen, weil sie bedroht werde. Hierbei ist sie auch nach Androhung von Ordnungsgeld und -haft geblieben. Mit Kammerbeschluss vom 30. November 2001 hat das Landgericht der Beschwerdeführerin gemäß § 70 Abs. 1 StPO die durch ihre Weigerung entstandenen Kosten auferlegt und gegen sie ein Ordnungsgeld in Höhe von DM 150,--, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft, festgesetzt, weil eine Gefährdungslage im Sinne des § 68 Abs. 3 StPO nicht bestehe. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Zeugin.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 Abs. 1 und 2 StPO) und begründet. Die Beschwerdeführerin hat nicht im Sinne des § 70 Abs. 1 StPO das Zeugnis verweigert.
1. § 70 Abs. 1 StPO ermöglicht die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen Zeugen, die ohne gesetzlichen Grund das "Zeugnis" verweigern.
a) Umstritten ist, ob zum "Zeugnis" im Sinne des § 70 Abs. 1 StPO lediglich die Sachangaben, zu denen der Zeuge gemäß § 69 StPO vernommen wird, oder auch Angaben zur Person - Vor- und Zunamen, Alter, Stand oder Gewerbe, Wohn- oder Dienstort -, zu denen der Zeuge zu Beginn seiner Vernehmung befragt wird (§ 68 Abs. 1 StPO), zählen.
Nach überwiegender Auffassung umfasst der Anwendungsbereich des § 70 StPO nicht die Angaben zur Person nach § 68 Abs. 1 StPO und darf eine diesbezügliche Aussageverweigerung somit nicht mit den Mitteln des § 70 Abs. 1 und 2 StPO erzwungen bzw. sanktioniert werden (KG in JR 1977, 295; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 70 Rdn. 1; Dahs in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 70 Rdn. 7; Senge in KK-StPO, 4. Aufl., § 70 Rdn. 3; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 3. Aufl., Rdn. 1085; Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl., § 26 B IV; siehe auch OLG Stuttgart in OLGSt StPO § 68 Nr. 1: anerkannte Rechtsauffassung mit beachtlichen Argumenten).
Anderer Auffassung zufolge unterfallen dem § 70 StPO auch die Fragen zur Person (OLG Düsseldorf in OLGSt StPO § 70 Nr. 1; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl., Rdn. 524 i.V.m. Fn. 423 a; siehe auch OLG Celle in StV 1988, 373 und OLG Koblenz in OLGSt StPO § 68 Nr. 2, die auf Beschwerden gegen Ordnungsmittel nach § 70 StPO jeweils ohne Erwähnung der herrschenden Meinung und ohne Problematisierung des Anwendungsbereiches darauf abstellen, ob dem Zeugen gemäß § 68 S. 2 a.F. StPO die Nichtangabe seines Wohnortes zu gestatten sei).
b) Die Angaben eines Zeugen zu seiner Person gehören jedenfalls dann nicht zum "Zeugnis" im Sinne des § 70 StPO, wenn - im konkreten Einzelfall - auch ohne sie die Identität des Zeugen geklärt ist und keine Besonderheiten ihre Angabe zur Sachaufklärung erforderlich machen.
Wortlaut und -sinn des "Zeugnisses" lassen keinen sicheren Schluss darauf zu, ob hierunter auch Angaben des Zeugen zur Person fallen. Ebenso lässt die systematische Stellung des § 70 StPO im Anschluss an die §§ 68 und 69 StPO nicht erkennen, ob er sich auf beide oder nur die letzte vorgenannte Vorschrift bezieht.
Der Vergleich mit anderen strafprozessualen Vorschriften zeigt, dass das "Zeugnis" nicht notwendiger Weise auch Angaben zur Person umfasst. So ist anerkannt, dass das Recht, gemäß §§ 52 ff. StPO das "Zeugnis" zu verweigern, die Pflicht des Zeugen, Angaben zur Person zu machen, unberührt lässt (vgl. Senge, a.a.O., § 52 Rdn. 2).
Demgegenüber unterscheiden die materiellen Vorschriften über die Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB) nicht zwischen wahrheitswidrigen Angaben zur Sache und zur Person. Auch letztere sind als Falschaussage strafbar (vgl. Ruß in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 153 Rdn. 3 m.w.N.); das Verschweigen von Tatsachen kann die Wahrheitspflicht verletzen (vgl. Ruß, a.a.O., Rdn. 2; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., vor § 153 Rdn. 16). Eine Gleichstellung der materiell-rechtlichen mit den verfahrensrechtlichen Regelungen ist indes systematisch nicht veranlasst. Unvollständige und teilweise (hier zur Person) verweigerte Aussage unterscheiden sich grundsätzlich. Erstere ist wahrheitswidrig und strafbewehrt; letztere unterfällt nicht den Straftatbeständen der Aussagedelikte und ist allenfalls mit verfahrensrechtlichen Mitteln erzwingbar (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 70 Rdn. 5 m.w.N.).
Dahingestellt bleibt, ob aus dem Wesen der Zeugenaussage eine unterschiedliche Behandlung der Personal- und Sachangaben herleitbar ist. Gegenstand des Zeugenbeweises sind die vom Zeugen wahrgenommenen Tatsachen (vgl. Dahs, a.a.O., vor § 48 Rdn. 2). Der Zeuge stellt hinsichtlich seiner Sachangaben aufgrund eigener Wahrnehmung grundsätzlich das einzige und unvertretbare Beweismittel dar, während seine Personalien und seine Identität auch auf andere Weise, gegebenenfalls anhand seiner Personalpapiere, feststellbar sind. Unter anderem hieraus leitet das Kammergericht (a.a.O.) die Ausklammerung der Personalangaben aus dem Zeugnisbegriff des § 70 StPO her.
Der die Pflicht zu Personalangaben regelnde § 68 StPO hat mit Hinblick auf den gebotenen Zeugenschutz gesetzliche Einschränkungen erfahren (§ 68 Abs. 2 und 3 StPO in der Fassung des Art. 3 Nr. 1 OrgKG vom 15. Juli 1992 [BGBl I, 1302, 1306]). Soweit ersichtlich, hat der Gesetzgeber sich dabei nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob bei ohne rechtlichem Grund erfolgender Verweigerung von Personalangaben Ordnungsmittel nach § 70 StPO veranlasst sind (vgl. BT-Drs. 12/989, S. 35 f, 56; zur Entstehungsgeschichte der §§ 68, 70 StPO vgl. Dahs, a.a.O., § 68 vor Rdn. 1, § 70 vor Rdn. 1).
Wesentliche Bedeutung kommt dem aus dem Zusammenhang der Vorschriften ersichtlichen Normzweck des § 68 StPO zu. Er erfordert im Allgemeinen nicht, dass Angaben des Zeugen zur Person mit den Mitteln des § 70 StPO erzwungen werden:
§ 68 StPO stellt eine Ordnungsvorschrift dar, die hauptsächlich dem Zweck dient, Personenverwechslungen zu vermeiden, aber auch eine verlässliche Grundlage für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen verschaffen, insbesondere den Beteiligten ermöglichen soll, Erkundigungen über den Zeugen einzuziehen (vgl. BGHSt 23, 244, 245 und 32, 115, 128; KG, a.a.O.; Dahs, a.a.O., § 68 Rdn. 2; Senge, a.a.O., § 68 Rdn. 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 68 Rdn. 1). Zwar unterfällt die Glaubwürdigkeit eines Zeugen der sachlich-rechtlichen Prüfung und erschöpft sich somit nicht in einer bloßen Ordnungsfrage. Jedoch sollen die Angaben zu den Personalien regelmäßig nicht unmittelbar die Überprüfung der Glaubwürdigkeit eröffnen, sondern lediglich Daten vermitteln, anhand derer die Spur zu anderen Quellen aufgenommen werden kann, die ihrerseits unmittelbar zum Leumund des Zeugen befragt werden können. Dem korrespondiert, dass ein Verstoß gegen § 68 StPO nicht ohne weiteres revisibel ist (vgl. Eisenberg, a.a.O., Rdn. 1095 m.w.N.).
Allerdings kann in besonderen Vernehmungssituationen der Frage nach den Personalien des Zeugen weitergehende sachliche Bedeutung zukommen, etwa wenn die Identität des Zeugen in Zweifel steht (vgl. Lemke in HK-StPO, 3. Aufl., § 68 Rdn. 5; Dahs, a.a.O., § 68 Rdn. 2), wenn das Alter des Zeugen für die Erfüllung des Straftatbestandes bedeutsam ist (z.B. §§ 176, 180, 182 StGB) oder sonstwie die Personalien von unmittelbarer Bedeutung für die Sachaufklärung sind. Wegen solcher fallbezogener Besonderheiten stets die die Person betreffenden Angaben zum Zeugnis im Sinne des § 70 StPO zu erheben, ist nicht veranlasst (anders OLG Düsseldorf, a.a.O.: weil in Zusammenhang mit § 68 StPO stehende Rechtsverletzungen "unter bestimmten Umständen" Verstöße gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht pp. begründen und "insofern" die Personalangaben zum Zeugnis im Sinne des § 70 StPO zählen, umfasse der Anwendungsbereich dieser Vorschrift - stets - die Angaben zu § 68 Abs. 1 StPO). Damit würde die Handhabung der Vorschrift sich generalisierend an einer abgrenzbaren Ausnahmesituation orientieren, obwohl eine fallbezogene Differenzierung ausreicht und praktikabel ist.
Schließlich geht § 68 Abs. 1 StPO auch nicht ins Leere, wenn einem Verstoß gegen die Aussagepflicht zu den Personalien nicht mit den Ordnungsmitteln des § 70 StPO begegnet werden kann. Der Verstoß kann nämlich gemäß § 111 OWiG im Bußgeldverfahren geahndet werden (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 70 Rdn. 1; Dahs, a.a.O., § 70 Rdn. 7; Eisenberg, a.a.O., Rdn. 1085). Der Geldbußenrahmen (Euro 5,-- bis 1.000,--; §§ 17 Abs. 1, 111 Abs. 3 OWiG) entspricht dem des Ordnungsgeldes nach § 70 Abs. 1 StPO (Euro 5,-- bis 1.000,--; Art. 6 Abs. 1 S. 1 EGStGB in der Fassung des Art. 22 Nr. 1 Gesetz zur Einführung des Euro in Rechtspflegegesetzen und in Gesetzen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, zur Änderung der Mahnvordruckverordnungen sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 13. Dezember 2001 [BGBl I, 3574, 3578]); entsprechendes gilt für die Dauer der Erzwingungs- bzw. Ordnungshaft mit jeweils bis zu sechs Wochen (§§ 96 Abs. 3 OWiG, Art. 6 Abs. 2 EGStGB). Die im Bußgeldverfahren fehlende Möglichkeit zur Anordnung der Beugehaft (§ 70 Abs. 2 StPO), die wegen der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde (in Hamburg die Justizbehörde, vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 111 Rdn. 25 mit Überblick über die landesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften) fehlende Steuerung der Sanktion durch das den Zeugen vernehmende Gericht und der zeitliche Abstand zwischen Weigerung und Verhängung der Geldbuße erscheinen mit Hinblick auf die reduzierte Bedeutung der Personalien hinnehmbar, zumal schon die Belehrung über die drohende ordnungswidrigkeitenrechtliche Folge häufig die Wirkung auf den Zeugen nicht verfehlen wird.
Nach allem ist die Vorschrift des § 70 Abs. 1 StPO jedenfalls dann nicht auf die Verweigerung von Angaben zur Person anwendbar, wenn im konkreten Einzelfall die Identität des Zeugen geklärt ist und auch keine sonstigen Besonderheiten vorliegen, die eine Sachaufklärung zu diesen Angaben erforderlich machen.
2. Vorliegend ist die Identität der Beschwerdeführerin den Verfahrensbeteiligten bekannt. In Frage steht nicht, wer die Zeugin ist, sondern welchen Zunamen sie gegenwärtig nach während des Verfahrens erfolgter Namensänderung trägt. Ebenso fehlt es an anderen Besonderheiten, die den neuen Zunamen zum Gegenstand der Sachaufklärung machen könnten. Insbesondere ist es hierfür unerheblich, ob die Zeugin zu den ihre Gefährdung begründenden Tatsachen wahrheitsgemäß ausgesagt hat; für eine solche Zuverlässigkeitsprüfung ist es ohne Belang, welchen Zunamen sie jetzt führt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt §§ 467, 473 Abs. 2 S. 2 StPO.
Ende der Entscheidung
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