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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 13.02.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 38/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 115
StPO § 304
StPO § 115a Abs. 3 S. 1
StPO § 117 Abs. 2 S. 1
StPO § 453c Abs. 2 S. 2
1. Die Vorführung vor den zuständigen Richter (§ 115 StPO) ist der Sache nach eine Haftprüfung. Deshalb ist neben einem, nach § 115a Abs. 3 S. 1 StPO gestellten Antrag auf Vorführung vor den zuständigen Richter die Haftbeschwerde unzulässig (§ 117 Abs. 2 StPO).

2. Dieses gilt - trotz in § 453 c Abs. 2 S. 2 StPO fehlender Verweisung auf § 117 Abs. 2 StPO - auch in Fällen des Sicherungshaftbefehls.


Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss

2. Strafsenat

2 Ws 38/02 3400 Js 544/99 (3300)

In der Strafsache

gegen

hier betreffend Beschwerde gegen Sicherungshaftbefehl gemäß § 453 c StPO

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 13. Februar 2002 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner den Richter am Amtsgericht Nix

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Verurteilten vom 5. Februar 2002 gegen den Sicherungshaftbefehl des Landgerichts Hamburg vom 5. Februar 2002 (Az.: 613 StVK 698/01) wird verworfen.

Der Verurteilte trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 13 als Strafvollstreckungskammer, hatte gegen den Verurteilten am 5. Februar 2002 Sicherungshaftbefehl gemäß § 453 c StPO erlassen.

Der am selben Tag verhaftete Verurteilte hat beim Haftrichter des gemäß § 115 a Abs. 1 StPO tätig gewordenen Amtsgerichts Wismar beantragt, dem zuständigen Richter vorgeführt zu werden, und gleichzeitig gegen den Haftbefehl Beschwerde eingelegt.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit Verfügung vom 7. Februar 2002 ohne Anhörung des Verurteilten der Haftbeschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat Zurückweisung der für zulässig, aber unbegründet gehaltenen Beschwerde beantragt.

II.

Die grundsätzlich gemäß § 304 Abs. 1 StPO gegen den Sicherungshaftbefehl nach § 453 c StPO gegebene Beschwerde ist vorliegend unzulässig.

1. Die Unzulässigkeit der Haftbeschwerde ergibt sich aus dem Vorrang des Verfahrens nach §§ 115 a Abs. 3 S. 1, 115 StPO vor dem Beschwerdeverfahren nach § 304 StPO, der für die Untersuchungshaft aus § 117 Abs. 2 StPO folgt (dazu lit. a)) und hieraus auch für die Sicherungshaft herleitbar ist (dazu lit. b)).

a) Gemäß § 117 Abs. 2 S. 1 StPO ist die Beschwerde neben dem Antrag auf Haftprüfung unzulässig. Haftprüfung in diesem Sinne ist zunächst die in § 117 Abs. 1 StPO legaldefinierte gerichtliche Überprüfung, ob der Haftbefehl aufzuheben oder dessen Vollzug auszusetzen ist.

Inhaltlich erfolgt eine solche Prüfung auch, wenn der aufgrund bestehenden Haftbefehls ergriffene Beschuldigte gemäß § 115 StPO dem - im Sinne des § 126 Abs. 1 und 2 StPO - zuständigen Richter vorgeführt und durch diesen vernommen wird, woraufhin der Richter den Haftbefehl vollen Umfanges zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben bzw. seinen Vollzug auszusetzen hat (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 115 Rdn. 20; Paeffgen in SK-StPO, § 115 Rdn. 11). Der Gang der Entscheidungsfindung und der Entscheidungsgegenstand stimmen mit dem einer Haftprüfung im Sinne des § 117 StPO überein. Die Vorführung vor den zuständigen Richter ist der Sache nach eine Haftprüfung (vgl. Hilger, a.a.O.).

Demzufolge ist neben dem beim nächsten Richter im Sinne des § 115 a StPO gestellten Antrag des Beschuldigten, gemäß § 115 a Abs. 3 S. 1 StPO dem nächsten Richter vorgeführt zu werden, die Haftbeschwerde wegen des durch § 117 Abs. 2 S. 1 StPO bestimmten Rangverhältnisses unzulässig (ebenso OLG Suttgart in MDR 1990, 75; Boujong in KK-StPO, 4. Aufl., § 115 a Rdn. 5).

b) Für den Sicherungshaftbefehl bestimmt § 453 c Abs. 2 S. 2 StPO die entsprechende Anwendung der §§ 115, 115 a StPO, nicht jedoch des § 117 StPO. Trotz der damit fehlenden Verweisung auf § 117 Abs. 2 S. 1 StPO tritt auch im Sicherungshaftverfahren die Haftbeschwerde hinter einem gestellten Antrag auf Vorführung vor den zuständigen Richter zurück.

Mit der in § 453 c Abs. 2 S. 2 StPO ausgesprochenen ausdrücklichen Verweisung auf u.a. die §§ 115 a Abs. 3 S. 1, 115 StPO steht zunächst fest, dass auch die Vorführung eines Verurteilten vor den - hier im Sinne des § 462 a StPO - zuständigen Richter der Sache nach eine Haftprüfung beinhaltet. Der Gang der Entscheidungsfindung ist identisch; auch hier wird dem Verhafteten die Möglichkeit eröffnet, mündlich die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen und die für einen Widerruf der Strafaussetzung sprechenden Gründe sowie die Haftgründe zu entkräften und dabei den persönlichen Eindruck auf den Richter wirken zu lassen (vgl. hierzu allgemein Hilger, a.a.O., § 115 a Rdn. 16; Boujong, a.a.O.; Paeffgen, a.a.O., § 115 a Rdn. 7). Das Entscheidungsprogramm gleicht ebenfalls demjenigen im Falle der Untersuchungshaft; die - wegen der fehlenden Verweisung des § 453 c Abs. 2 S. 2 StPO auf § 116 StPO - fehlende Möglichkeit, den Vollzug des Sicherungshaftbefehls auszusetzen, ist für das Wesen der Prüfung nicht prägend.

Auch wenn auf diese - der Sache nach - Haftprüfung die Verfahrensvorschrift des § 117 Abs. 2 StPO nicht unmittelbar anwendbar ist, gebieten ihre Geltungsgründe den Vorrang der Vorführung vor den zuständigen Richter gegenüber der Beschwerde:

Die Entscheidungsfindung aufgrund mündlicher Verhandlung ist wegen des in ihr vermittelten persönlichen Eindrucks, der Möglichkeiten zur Interaktion von Frage und Antwort sowie der Gelegenheit zur verbalen Artikulation auch für schriftungewandte Betroffene grundsätzlich der Entscheidung nach Aktenlage überlegen. Wegen des Gewichtes der grundrechtlich geschützten Freiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) sehen deshalb §§ 115 Abs. 2, 118 Abs. 1 StPO mündliche Verhandlungen vor; aus vergleichbaren Wertungen heraus bestimmen u.a. §§ 453 Abs. 1 S. 3, 454 Abs. 1 S. 3 StPO für das Vollstreckungsverfahren mündliche Anhörungen. Demgegenüber ergeht die Entscheidung über die Beschwerde grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung (§ 309 Abs. 1 StPO); die speziell für das Haftbeschwerdeverfahren vorgesehene Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung (§ 118 Abs. 2 StPO) steht lediglich im Ermessen des Beschwerdegerichts und ist für das Sicherungshaftverfahren gerade nicht vorgesehen (§ 453 c Abs. 2 S. 2 StPO). Schon aus der Überlegenheit der mündlichen Verhandlung gewinnt § 117 Abs. 2 StPO seinen Sinn (Paeffgen, a.a.O., § 117 Rdn. 6).

§ 117 Abs. 2 S. 1 StPO enthält über seinen Wortlaut hinaus den allgemeinen Gedanken, der Betroffene solle sich nur gegen die letzte auf seinen Antrag hin ergangene Haftentscheidung wenden können (vgl. OLG Düsseldorf in NStE StPO § 117 Nr. 2). Durch den parallel gestellten Antrag auf Vorführung vor den zuständigen Richter arbeitet der Betroffene auf eine abweichende neue Haftentscheidung hin. Damit droht konkret absehbar der Prüfungsgegenstand des Beschwerdeverfahrens sich zu verändern und überholt zu werden. Für vergleichbare Situationen des Haftverfahrens, nämlich bei Übergang der Zuständigkeit gemäß § 126 Abs. 1, 2 StPO nach Beschwerdeeinlegung, ist der Nachrang der Haftbeschwerde gegenüber einer neuen Möglichkeit zur Haftprüfung mit später daran anschließender Eröffnung des Instanzenzuges anerkannt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 117 Rdn. 12 m.w.N.). Die damit bezweckte Vermeidung doppelter Zuständigkeiten und widersprechender Entscheidungen (vgl. OLG Karlsruhe in StV 1994, 664; OLG Düsseldorf in NStE StPO § 125 Nr. 2) gebietet auch für die vorliegende Verfahrenslage eine vergleichbare Rangfolge der Rechtsbehelfe.

c) Der Verurteilte hat hier am 5. Februar 2002 sowohl Haftbeschwerde eingelegt als auch die Vorführung nach §§ 115 a Abs. 3 S. 1, 115 StPO beantragt. Damit ist die Beschwerde nicht zulässig eingelegt.

2. Die Strafvollstreckungskammer hat, ohne dass die Vorführung erfolgt war, der Beschwerde am 7. Februar 2002 nicht abgeholfen. Hierin eine - unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des § 115 Abs. 2, 3 StPO zustande gekommene - Entscheidung im Sinne des § 115 Abs. 4 StPO ("Wird die Haft aufrechterhalten ...") sehen zu wollen, würde gleichfalls keine Zulässigkeit der Beschwerde begründen können, da es an einer nach dieser Entscheidung eingelegten Beschwerde fehlte (zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 296 Rdn. 4 m.w.N.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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