Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 17.03.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 64/06
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56f
StGB § 67g
StGB § 68g
StPO § 304
StPO § 309 Abs. 2
StPO § 331 Abs. 2
1. Ist wegen derselben Tat die Vollstreckung sowohl einer (Rest-) Freiheitsstrafe als auch einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt ausgesetzt. so ist über den auf eine neue rechtwidrige Tat gestützten Widerruf der Aussetzungen im Verbund hinsichtlich sowohl der Strafe als auch der Maßregel zu entscheiden.

2. Verhält sich der erstinstanzliche Widerrufsbeschluss nur zur Vollstreckungsaussetzung der Freiheitsstrafe, so hat wegen des einheitlichen Entscheidungs- und Beschwerdegegenstandes da Beschwerdegericht jedenfalls bei unbeschränkt eingelegter sofortiger Beschwerde auch über den Widerruf der wegen derselben Tat erfolgten Aussetzung der Unterbringungsvollstreckung zu entscheiden. Dieser Widerruf ist durch ein Verschlechterungsverbot nicht gehindert.


Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 64/06

In der Strafsache

hier betreffend Widerruf der Strafaussetzung

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 17. März 2006 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner den Richter am Amtsgericht Nothmann

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 9 a, vom 14. Februar 2006 dahin geändert, dass auch die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 31, vom 3. Mai 2002 widerrufen wird. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.

Gründe:

I.

Das Landgericht Hamburg hat am 3. Mai 2002 gegen den Verurteilten wegen schwerer räuberischer Erpressung und versuchten schweren Raubes - begangen jeweils auf Grund Betäubungsmittelabhängigkeit - auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten und auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erkannt. Nach vom 20. Januar 2002 bis zum 31. Juli 2002 vollstreckter Untersuchungs- und so genannter Organisationshaft hat sich der Verurteilte vom 13. September 2002 bis zum 8. Juli 2005 in einer Maßregelvollzugseinrichtung befunden. Mit Beschluss vom 7. Juli 2005 hat das Landgericht Hamburg, Strafvollstreckungskammer, gemäß § 67 d Abs. 2 StGB die weitere Unterbringung "zur Bewährung ausgesetzt bis zum 8. Juli 2010." Diesen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer mit weiterem Beschluss vom 17. Juli 2005 dahin ergänzt, dass gemäß § 57 StGB "auch der Strafrest von 458 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wird."

Seit 13. Januar 2006 sitzt der Verurteilte in Sicherungshaft ein. Anlässlich seiner Anhörung wegen erwogenen Aussetzungswiderrufs hat er geäußert, im Falle eines Widerrufes "möchte (er) wieder ins K" (Maßregelvollzugseinrichtung). Mit Beschluss vom 14. Februar 2006 hat die Strafvollstreckungskammer die "Aussetzung der Reststrafe" wegen Entziehung aus der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers und wegen Verstoßes gegen die erteilten Weisungen zur Mitteilung von Anschriftenänderungen und zur Unterlassung von Drogenkonsum widerrufen. Gegen diesen ihm am 16. Februar 2006 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte spätestens am 21. Februar 2006 sofortige Beschwerde eingelegt. Der Senat hat den Verurteilten darauf hingewiesen, dass der Widerruf auch auf neue Straffälligkeit gestützt und dass auch die Aussetzung der Unterbringungsvollstreckung widerrufen werden kann; darauf hat die Verteidigerin erwidert.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig (§§ 454 Abs. 4 S. 1, 453 Abs. 2 S. 3, 311 Abs. 2 StPO) und führt in der Sache dazu, dass neben der Aussetzung der Reststrafenvollstreckung (nachstehende Ziff. 1.) auch die Aussetzung der weiteren Unterbringungsvollstreckung widerrufen wird (nachstehende Ziff. 2.) und dass der Widerruf insgesamt auf neu begangene Straftaten gestützt wird. Das Beschwerdevorbringen führt zu keinem abweichenden Ergebnis.

1. Im Ergebnis zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer die gemäß § 57 Abs. 1 StGB gewährte Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten widerrufen.

a) Abweichend von der Strafvollstreckungskammer stützt der Senat den Widerruf der Strafaussetzung nicht auf Weisungsverstöße (§§ 57 Abs. 3 S. 1, 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB). Es kann dahinstehen, ob durch den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 17. Juli 2005, mit dem der die Aussetzung der Maßregelvollstreckung gemäß § 67 d Abs. 2 S. 1 StGB anordnende und die gemäß § 67 d Abs. 2 S. 2 StGB eingetretene Führungsaufsicht (durch die Strafvollstreckungskammer irrtümlich als Bewährungsaufsicht bezeichnet) näher ausgestaltende Beschluss vom 7. Juli 2005 ergänzt worden ist, die zuvor erteilten Weisungen und die zuvor angeordnete Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers - für den Verurteilten zudem erkennbar - auf die Strafaussetzung erstreckt worden sind und ob bejahendenfalls die Entziehung aus der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin beharrlich war sowie die im Beschluss vom 7. Juli 2005 erteilte, neuer Delinquenz nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG nicht hinreichend entgegentretende Weisung Nr. II 4 ("... wird der Konsum von Drogen verboten, selbst wenn der Eigenbesitz in kleinen Mengen toleriert werden sollte") derart bestimmt war, dass auf einen erneuten Konsum von Betäubungsmitteln - wie die Strafvollstreckungskammer meint - ein Widerruf der Strafaussetzung gemäß § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB gestützt werden könnte; gleichfalls kann dahinstehen, ob und welche Bedeutung § 68 g Abs. 1 S. 1 StGB für die Bewährungsweisungen (§ 56 c StGB) neben den parallelen Führungsaufsichtsweisungen (§ 68 b StGB) hat (hierzu vgl. Groß in MünchKommStGB, § 68 g Rdn. 7; Hanack in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 68 g Rdn. 14). Jedenfalls liegt der Widerrufsgrund neuer Straffälligkeit (§§ 57 Abs. 3 S. 1, 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB) vor.

aa) Der Verurteilte ist in der Bewährungszeit erneut straffällig geworden.

Die Bewährungszeit begann mit Rechtskraft des die Strafaussetzung anordnenden Ergänzungsbeschlusses am 28. Juli 2005. Es kann dahinstehen, ob die im Ausgangsbeschluss für die Maßregelaussetzung getroffene Anordnung der "Bewährungszeit" (objektiv: Führungsaufsichtszeit) bis zum 8. Juli 2010 auch auf die Strafaussetzung erstreckt worden ist. Selbst wenn für letztere die Bestimmung der Bewährungszeit entgegen § 56 a Abs. 1 S. 1 StGB unterblieben wäre, würde jedenfalls die gesetzliche Mindestdauer von zwei Jahren ab Rechtskraft des Aussetzungsbeschlusses gemäß § 56 a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 StGB gelten (vgl. OLG Hamm in NStZ-RR 2000, 126; Groß, a.a.O., § 56 a Rdn. 7). In diesem Zeitraum ist der Verurteilte erneut straffällig geworden.

Der Verurteilte hat am 23. Dezember 2005 vorsätzlich unerlaubt Betäubungsmittel erworben (§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG), indem er kurz vor 12.30 Uhr auf dem Vorplatz des "D I", Hamburg, zwei "Crack"-Steine (309 mg Kokaingemenge) gegen ein Entgelt von Euro 20,-- kaufte und entgegennahm; das zum Eigenkonsum bestimmte Betäubungsmittel wurde anschließend durch Polizeibeamte bei dem Verurteilten sichergestellt. Zudem hat er am 28. Dezember 2005 unerlaubt Betäubungsmittel besessen (§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG), indem er gegen 16.30 Uhr im Keller des Hauses A Z, Hamburg, in seiner Jacke einen "Crack"-Stein (300 mg) mit sich führte, der gleichfalls zum Eigenkonsum bestimmt war.

Eine rechtskräftige Verurteilung wegen dieser neuen Taten ist nicht erfolgt. Das steht einer Verwertung als Widerrufsanlasstat nicht entgegen, wenn der Verurteilte glaubhaft geständig ist (vgl. BVerfG in NJW 2005, 817; EGMR in NJW 2004, 43, 45). So verhält es sich hier. Der Verurteilte hat die Tat vom 23. Dezember 2005 in einer polizeilichen Vernehmung am selben Tag und die Tat vom 28. Dezember 2005 in einer richterlichen Vernehmung am Folgetag gestanden. An der Richtigkeit dieser Geständnisse bestehen keine Zweifel, zumal der Verurteilte im Widerrufsanhör- und Beschwerdeverfahren den Tatvorwürfen nicht entgegengetreten ist, sondern neuen Betäubungsmittelkonsum im Rückfallzeitraum bestätigt hat.

Ob der Verurteilte in der Bewährungszeit weitere Straftaten verwirklicht hat - so vorsätzliche Körperverletzungen zum Nachteil L am 23. Dezember 2005 und in den Monaten zuvor, Diebstähle oder Hehlerei insbesondere an Gegenständen der Unterhaltungselektronik bis zum 23. Dezember 2005, Hausfriedensbruch am 31. Dezember 2005 - muss dahinstehen. Insoweit liegen weder ein Geständnis des Verurteilten noch eine rechtskräftige Verurteilung vor.

bb) Durch die neue Delinquenz hat der Verurteilte gezeigt, dass die der Strafaussetzung zu Grunde gelegte Erwartung sich nicht erfüllt hat.

aaa) Die neuen Betäubungsmitteldelikte vom 23. und 28. Dezember 2005 belasten die Prognose nachhaltig. Es handelt sich nicht um Gelegenheits- oder Bagatelltaten. Zwar sind die erworbenen und besessenen Betäubungsmittelmengen beschränkt, doch besteht ein kriminologischer Zusammenhang mit den vollstreckungsgegenständlichen Verbrechen der schweren räuberischen Erpressung und des versuchten schweren Raubes, die der Verurteilte zur Finanzierung seiner Sucht verwirklicht hat; auch die Widerrufsanlasstaten dienten der Befriedigung der Betäubungsmittelsucht. Am 23. Dezember 2005 stand der Verurteilte noch nicht unter dem situativen Eindruck des frühestens am 27. Dezember 2005 durch seine Lebensgefährtin ausgesprochenen Betretungsverbotes für deren bis dahin gemeinsam genutzte Wohnung. Ungeachtet des polizeilichen Einschreitens und der Sicherstellung der "Crack"-Steine am 23. Dezember 2005 hat der Verurteilte bereits wenige Tage später weiteres Betäubungsmittel unerlaubt besessen.

bbb) Nach dem 28. Dezember 2005 sind keine neuen Umstände entstanden, auf Grund derer eine trotz des Bewährungsversagens ausnahmsweise positive Legalprognose gestellt werden könnte.

Der Eindruck aus der seit dem 13. Januar 2006 vollzogenen Sicherungshaft reicht nicht aus. Der Verurteilte hat bereits früher längere Freiheitsentziehungen erlebt und ist gleichwohl rückfällig geworden.

Die Teilnahme an einer ambulanten Drogenabstinenztherapie in der Einrichtung Maex begründet hier gleichfalls keine hinreichend positive Legalprognose. Nach seiner bedingten Entlassung aus dem Maßregelvollzug im Klinikum N am 8. Juli 2005 hat der Verurteilte - wie er selbst betont: durchgehend - an der ambulanten Therapie teilgenommen. Gleichwohl ist er Ende Dezember 2005 mindestens zweimal straffällig geworden. Eine in absehbarer Zeit stärkere Wirkung der Behandlung ist nicht absehbar. Damit stellt die fortdauernde Therapie keinen besonderen Umstand dar, der das in dem Bewährungsversagen liegende Indiz für eine negative Prognose entkräften könnte (vgl. allg. Weber, BtMG, 2. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rdn. 934 ff. m.w.N.; Groß, a.a.O., § 56 Rdn. 27 m.w.N.). Die bloße Möglichkeit eines künftigen Therapie(teil)erfolges reicht nicht aus (vgl. OLG Karlsruhe in NJW 2003, 1263, 1265), sondern es muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die weitere Behandlung zu künftig straffreiem Verhalten führen wird.

Es kann dahinstehen, ob der Verurteilte sich inzwischen mit seiner Lebensgefährtin ausgesöhnt hat. Ausweislich des erst kürzlichen Zerwürfnisses, der Inanspruchnahme polizeilicher Hilfe gegen den Verurteilten mit dessen Wegweisung aus der Wohnung und der Anzeigenerstattung gegen den Verurteilten wegen über Monate hinweg wiederholter Körperverletzungen ist die Beziehung jedenfalls labil und geht von der Lebensgefährtin kein hinreichender stabilisierender Einfluss aus.

Der Möglichkeit einer festen Unterkunft kommt hier prognostisch geringes Gewicht zu. Der Verurteilte hat die Widerrufsanlasstaten verwirklicht, obwohl er bei der Lebensgefährtin bzw. bei seiner Mutter wohnhaft war. Ebenfalls ohne wesentliche Bedeutung bleibt, ob der Verurteilte nach der Entlassung bei einer S K zur Untermiete wohnen und in deren Gebäudereinigungsunternehmen arbeiten könnte, wie diese unter dem 5. Februar 2006 der Verteidigerin mitgeteilt hat. Der Verurteilte hat bereits nach der bedingten Entlassung aus dem Maßregelvollzug zunächst in einem festen Beschäftigungsverhältnis gearbeitet. Gleichwohl hat er zumindest Ende Dezember 2005 erneut Betäubungsmittel konsumiert und ist wieder straffällig geworden.

b) Weniger einschneidende Maßnahmen als der Widerruf der Strafaussetzung (§ 56 f Abs. 2 StGB) reichen hier nicht aus. Der Verurteilte ist seit Juli 2005 der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin unterstellt, mit der er auch zusammengearbeitet hat; gleichwohl ist er rückfällig geworden. Die Erteilung von Bewährungsweisungen (§ 56 c StGB) ist ungeeignet; trotz der parallelen Führungsaufsichtsweisung zu einer ambulanten Drogenabstinenztherapie und der Teilnahme hieran hat der Verurteilte neue Straftaten begangen. Eine Verlängerung der Bewährungszeit scheidet hier aus, weil es nach allem an hinreichend günstigen Ansätzen fehlt, die es über einen längeren Zeitraum zu beobachten oder zu stabilisieren gälte.

2. Der Widerruf ist auf die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 67 g StGB) zu erstrecken. Formelle Gründe stehen einer solchen Entscheidung durch das Beschwerdegericht nicht entgegen (nachstehend lit. a)); die materiellen Widerrufsvoraussetzungen sind gegeben (lit. b)).

a) Die Frage des Widerrufes der - in derselben Sache wie die Reststrafenaussetzung erfolgten - Aussetzung der Maßregelvollstreckung ist Entscheidungsgegenstand geworden. Dem Widerruf steht auch ein Verschlechterungsverbot nicht entgegen.

aa) Beschlussformel und Beschlussgründe der Strafvollstreckungskammer verhalten sich nur zum Widerruf der Reststrafenaussetzung. Gleichwohl ist Gegen-stand der angefochtenen Entscheidung auch die Frage des Widerrufs der in derselben Sache erfolgten Maßregelaussetzung geworden. Es besteht nämlich normativ ein Entscheidungsverbund.

Das zeigt schon der Vergleich mit dem Gegenstand der Entscheidung über die Vollstreckungsaussetzung, wenn wegen derselben Tat eine Freiheitsstrafe und eine Unterbringung angeordnet worden sind. Über die Frage der Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB und der Unterbringungsaussetzung nach § 67 c StGB ist aus formellen und materiellen Gründen zugleich zu entscheiden (vgl. mit eingehender Begründung Senat in OLGSt GVG § 78 b Nr. 3 m.w.N.).

Nichts anderes gilt für den Widerruf der Vollstreckungsaussetzung als negativem Spiegelbild der - einheitlichen - Aussetzungsentscheidung. Die Widerrufsvoraussetzungen nach §§ 57 Abs. 3 S. 1, 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB einerseits und § 67 g Abs. 1 Nr. 1 StGB andererseits sind in Bezug auf Anlasstat und auf Legalprognose im Wesentlichen identisch, wenngleich für den Widerruf der Maßregelaussetzung wegen der einschneidenden Wirkungen einer Unterbringung weitere Anforderungen (siehe unten lit. b)) hinzutreten. Zur Vermeidung in derselben Sache divergierender Bewertungen zu den Eingangsvoraussetzungen des Widerrufes und zu den wesentlichen prognostischen Prüfungsabschnitten ist ein Entscheidungsverbund auch hier geboten. Die enge Verflechtung von - mit der Maßregelaussetzung eintretender, § 67 d Abs. 2 S. 2 StGB - Führungsaufsicht betreffend die Maßregel und Bewährungsaufsicht betreffend die Freiheitsstrafe hat in § 68 g StGB, der die Ausgestaltung von Führungsaufsicht und Bewährungsaufsicht synchronisiert, gesetzlichen Ausdruck gefunden. Danach kommt gemäß § 68 g Abs. 1 StGB grundsätzlich der Führungsaufsicht Vorrang zu (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 68 g Rdn. 2; Stree in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 68 g Rdn. 1), und zwar auch in Fällen nicht gerichtlich angeordneter, sondern - wie hier gemäß § 67 d Abs. 2 S. 2 StGB - kraft Gesetzes eingetretener Führungsaufsicht (vgl. Hanack, a.a.O., § 68 g Rdn. 10; Stree, a.a.O., § 68 g Rdn. 2). Der Straferlass zieht das Ende der wegen derselben Tat angeordneten Führungsaufsicht nach sich (§ 68 g Abs. 3 StGB). Folglich wäre eine Trennung der Widerrufsentscheidung betreffend Maßregelaussetzung und Strafaussetzung widersinnig und würde sich von dem gesetzlichen Leitbild entfernen.

Der Gegenstand der - unbeschränkt eingelegten - Beschwerde wird durch den Gegenstand der vorinstanzlichen Entscheidung bestimmt (vgl. Engelhardt in KK-StPO, 5. Aufl., § 309 Rdn. 12; Matt in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 309 Rdn. 9). Dieser ist hier, wie aufgezeigt, die Frage des Widerrufes beider Aussetzungen. Dass der Beschluss der Strafvollstreckungskammer sich nur zu einer der Aussetzungen verhält, lässt den von Rechts wegen definierten Gegenstand unberührt und führt nur zur Fehlerhaftigkeit der Entscheidung wegen ihrer Lückenhaftigkeit.

bb) Dem Widerruf der Maßregelaussetzung erst durch das Beschwerdegericht steht ein Verschlechterungsverbot nicht entgegen.

Für Beschwerde, weitere Beschwerde und sofortige Beschwerde (§§ 304, 310 Abs. 1, 311 StPO) bestimmt das Gesetz, anders als für Berufung, Revision und Wiederaufnahme (§§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO), kein Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers durch die Beschwerdeentscheidung; das Verschlechterungsverbot ist auch keine zwingende Folge aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BGHSt 9, 324, 332). Daraus und aus der Bestimmung des § 309 Abs. 2 StPO, wonach das Beschwerdgericht "die in der Sache erforderliche Entscheidung" erlässt, erklärt sich, dass für die "einfache" Beschwerde (§§ 304, 310 Abs. 1 StPO) ein Verbot der reformatio in peius nicht besteht (h.M., vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., Vor § 304 Rdn. 5 m.w.N.; a.A. für den Sonderfall der Haftverschonung BVerfG in StV 2006, 26, ohne Auseinandersetzung mit den für das strafprozessuale Beschlussverfahren von der h.M. anerkannten Grundsätzen). Eine Ausnahme gilt für Beschlüsse, die rechtskraftfähig sind und - vergleichbar zu Urteilen - Rechtsfolgen endgültig festsetzen (vgl. OLG Frankfurt/Main in NStZ-RR 1996, 318, 319; Matt, a.a.O., § 309 Rdn. 22; Meyer-Goßner, a.a.O., m.w.N.). Hierzu kann der mit dem befristeten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anfechtbare Beschluss über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 56 f Abs. 1 StGB, 453 Abs. 2 S. 3 StPO) gezählt werden.

Gleichwohl besteht kein Verschlechterungsverbot. Die mangels eigener gesetzlicher Regelung zum Beschlussverfahren nur entsprechende Anwendung der §§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 (vgl. OLG Frankfurt/Main, a.a.O.; OLG München in MDR 1980, 517; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 331 Rdn. 1; Frisch in SK-StPO, Vor § 304 Rdn. 23, § 309 Rdn. 28) kann die Beschwerdeentscheidung nicht weiter beschränken als in den analog herangezogenen Normen für die dortigen Regelungsbereiche bestimmt. §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 S. 2, 373 Abs. 2 S. 2 StPO nehmen die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausdrücklich vom Verschlechterungsverbot aus. Der Unterbringungsanordnung im Urteilsverfahren steht der Widerruf der Unterbringungsaussetzung im Beschlussverfahren wertungsmäßig gleich. Die der gesetzlichen Regelung zu Grunde liegende Erwägung, dass die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wesentlich auch im Interesse des Betroffenen selbst erfolgt (vgl. Frisch, a.a.O., § 331 Rdn. 60 m.w.N.), trifft die Neubewertung anlässlich eines Bewährungsversagens nicht anders als die ursprüngliche Bewertung im Erkenntnisverfahren mit den jeweils zugehörigen Rechtsmittelzügen.

cc) Der Verurteilte hat die Frage des Widerrufes der Unterbringungsaussetzung nicht von seiner sofortigen Beschwerde ausgenommen (zur Frage, ob eine solche Rechtsmittelbeschränkung möglich ist, vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 331 Rdn. 22 m.w.N. zum Meinungsstand; zur Anwendbarkeit der zu §§ 318, 344 StPO entwickelten Beschränkungsmaßstäbe für das Beschwerdeverfahren vgl. Frisch, a.a.O., Vor § 304 Rdn. 22 m.w.N.). Im Widerrufsanhörverfahren vor der Strafvollstreckungskammer hat er vielmehr den Wunsch geäußert, im Falle eines Widerrufes in die Maßregelvollzugseinrichtung zu gelangen.

b) Es besteht der Widerrufsgrund jedenfalls des § 67 g Abs. 1 Nr. 1 StGB.

aa) Der Verurteilte hat während der vom 28. Juli 2005 (§ 68 c Abs. 3 S. 1 StGB) bis zum 8. Oktober 2010 reichenden Dauer der gemäß § 67 d Abs. 2 S. 2 StGB mit der Unterbringungsaussetzung eintretenden Führungsaufsicht - im Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 7. Juli 2005 fälschlich als Bewährungszeit bezeichnet - neue rechtswidrige Taten begangen, nämlich den vorsätzlichen unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln am 23. Dezember 2005 und den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln am 28. Dezember 2005. Wegen der Einzelheiten der Taten, wegen der Erheblichkeit für den Widerruf auch ohne rechtskräftige neue Verurteilung und wegen der Überzeugungsbildung des Senats wird auf die Ausführungen unter obiger Ziff. II. 1. a) aa) verwiesen.

bb) Aus den Tatbegehungen ergibt sich, dass der Zweck der Maßregel die erneute Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfordert.

Es besteht ein symptomatischer Zusammenhang zwischen den auf Grund der neuen Delinquenz zu besorgenden rechtswidrigen Taten und dem durch § 64 Abs. 1 StGB bestimmten Zweck einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Das erkennende Gericht hatte am 3. Mai 2002 die Unterbringung angeordnet, weil der Verurteilte auf Grund einer - seit spätestens 1989 bestehenden - Betäubungsmittelabhängigkeit die schwere räuberische Erpressung und den versuchten schweren Raub zwecks Finanzierung seines Suchtmittelbedarfs begangen hatte und wegen des fortbestehenden Hanges zu Rauschmitteln weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten waren. Der Verurteilte hat nunmehr im Dezember 2005 erneut so genannte harte Betäubungsmittel konsumiert; sein Hang besteht fort. Die Betäubungsmittelstraftaten vom 23. und 28. Dezember 2005 dienten der Befriedigung dieser Sucht. Sie und das erneute Abgleiten in den Betäubungsmittelkonsum lassen besorgen, dass der Verurteilte auch künftig Straftaten begehen wird, so unerlaubten Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln sowie insbesondere - wie schon in der Vergangenheit - Vergehen und Verbrechen zwecks Finanzierung des Suchtmittelbedarfs. Jedenfalls derartige so genannte Beschaffungsdelikte genügen - indiziert durch das Gewicht bisheriger Delinquenz - dem Merkmal der Erheblichkeit im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB. Eine Widerrufsanlasstat muss nicht von der Art und dem Gewicht sein, dass sie eine neue Anordnung nach § 64 StGB rechtfertigen würde; maßgeblich ist, dass auf Grund ihrer Begehung künftige Taten von entsprechender Bedeutung zu prognostizieren sind (vgl. Horstkotte in Leipziger Kommentar, StGB, 10. Aufl., § 67 g Rdn. 17; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 67 g Rdn. 5 m.w.N.; siehe auch OLG Düsseldorf in StV 1991, 70, 71).

Zur Erreichung des Maßregelzwecks reichen mildere Mittel hier nicht aus. Insbesondere ist die Erteilung weiterer Weisungen (§§ 68 b, 68 d StGB) hier ungeeignet. Dem Verurteilten ist bereits im Aussetzungsbeschluss vom 7. Juli 2005 die Weisung zu einer ambulanten Drogentherapie bei der Einrichtung M erteilt worden. Er hat sich dieser Behandlung regelmäßig und konstruktiv gestellt, wie durch Bescheinigungen der Einrichtung bestätigt wird.

Gleichwohl ist er in das frühere Suchtverhalten zurückgefallen und hat neue Straftaten begangen. Eine künftig stärkere Beeinflussung durch die bisherige oder eine vergleichbare Art der Behandlung steht nicht zu erwarten (siehe obige Ziff. 1. a) bb) bbb)). Eine ambulante Therapie reicht nicht aus. Der Verurteilte bedarf der erneuten Unterbringung mit stationärer Behandlung.

cc) So wie gemäß § 64 Abs. 2 StGB die (erstmalige) Anordnung der Unterbringung unterbleibt, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint, muss auch vom Widerruf der Unterbringungsaussetzung bei Fehlen einer hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges (zu diesem Maßstab vgl. BVerfGE 91, 1) abgesehen werden, da für die Maßregel des § 64 StGB der Behandlungsaspekt gegenüber dem Sicherungsaspekt dominiert (vgl. hierzu Tröndle/Fischer, a.a.O., § 64 Rdn. 15). Vorliegend besteht eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht. Der Verurteilte hat bis zur bedingten Entlassung am 8. Juli 2005 ausweislich der Berichte des Klinikums N in der Maßregelvollzugseinrichtung motiviert mitgearbeitet und deutliche Behandlungsfortschritte erzielt. Auch jetzt ist er therapiemotiviert und hat selbst erklärt, eine erneute Unterbringung in der Drogenabstinenztherapie gegenüber dem Strafvollzug zu bevorzugen. Die stationären Behandlungsmöglichkeiten sind noch nicht erschöpft.

Die Verhältnismäßigkeit erneuter Unterbringung (zu deren Anordnung im Erkenntnisverfahren siehe auch § 62 StGB) ist unter Berücksichtigung insbesondere der Bedeutung bisheriger und künftig zu besorgender Taten, des erörterten Gefahrengrades und des mit einer Unterbringungsvollstreckung verbundenen Eingriffes in das Freiheitsgrundrecht und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewahrt.

dd) § 67 g Abs. 4 StGB steht der erneuten Unterbringung in der Entziehungsanstalt nicht entgegen. Die gesetzliche Höchstfrist dieser Maßregel ist noch nicht erreicht.

Gemäß § 67 d Abs. 1 S. 1 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwei Jahre nicht übersteigen. Diese Frist verlängert sich gemäß § 67 d Abs. 1 S. 3 StGB um die Dauer der daneben verhängten Freiheitsstrafe, soweit die Dauer des Maßregelvollzuges auf die Freiheitsstrafe angerechnet wird. Die vorweg vollzogene Maßregel wird gemäß § 67 Abs. 4 StGB auf die Freiheitsstrafe angerechnet, bis zwei Drittel der Freiheitsstrafe erledigt sind. Damit liegt die Obergrenze der Unterbringungszeit bei zwei Jahren zuzüglich zwei Dritteln der Strafe abzüglich desjenigen Teils der Strafe, der durch anderweitige Anrechnung, insbesondere nach § 51 Abs. 1 StGB, erledigt ist (vgl. im Einzelnen OLG Frankfurt/Main in NStZ 1993, 453).

Somit liegen die bisher vollstreckten knapp zwei Jahre zehn Monate Unterbringung unter der konkreten Höchstdauer, die sich bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten sowie rund sechseinhalb Monaten Untersuchungs- und Organisationshaft auf rund drei Jahre elfeinhalb Monate bzw. bei Berücksichtigung auch der rund zweimonatigen Sicherungshaft auf rund drei Jahre neuneinhalb Monate errechnet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück