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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 24.02.2003
Aktenzeichen: 3 U 106/02
Rechtsgebiete: AMG, HWG, UWG


Vorschriften:

AMG § 8
HWG § 3 a
UWG § 1
1. Wird ein Arzneimittel in Tablettenform mit Bruchrille angeboten, so erwartet der Verkehr (hier: § 8 AMG), dass die Tablette dort mechanisch teilbar ist und dass die Galenik das Teilen der Tablette jedenfalls grundsätzlich zulässt. Der Verkehr nimmt verständigerweise aber nicht an, dass es beim Einnehmen gar keinen Unterschied macht, wenn man eine ungeteilte oder eine geteilte Tablette einnimmt.

2. Wird ein Arzneimittel mit einer der Zulassung nicht entsprechenden Dosierung (hier: 1/2 Tablette) beworben, liegt eine über den Zulassungsstatus hinaus gehende Werbung vor, die gegen § 3 a HWG verstößt. Durch die Bruchrille auf der Tablette wird zumindest mittelbar ausgelobt, die Tablette sei entsprechend der Zulassung teilbar und es gäbe (auch) die Dosierung von 1/2 Tablette. Ist die Tablettenform mit Bruchrille Gegenstand des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gewesen, so ist bei Fehlen einer zugelassenen Dosierung von 1/2 Tablette gleichwohl kein Verstoß gegen § 3 a HWG, jedenfalls aber kein Verstoß gegen § 1 UWG gegeben, soweit es nur um die Verwendung der Tablettenform mit Bruchrille geht.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluss

3 U 106/02

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, am 24. Februar 2003 durch die Richter Gärtner, v. Franqué, Spannuth

beschlossen:

Tenor:

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Berufungsverfahren zunächst auf 500.000 € festgesetzt, von der Erledigungserklärung an bemisst er sich nach den bis dahin entstandenen Kosten.

Gründe:

Nachdem die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 3. Februar 2003 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat und die Antragsgegnerin dem nicht widersprochen hat, ist nur noch gemäß § 91 a ZPO über die Kosten zu entscheiden.

Billigem Ermessen entspricht es, die Kosten des Verfahrens insgesamt der Antragstellerin aufzuerlegen. Ihre Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Februar 2002 hätte voraussichtlich keinen Erfolg gehabt. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch war ursprünglich nicht begründet.

I.

Die Antragsgegnerin hat die verschreibungspflichtigen Generika-Arzneimittel (sog. -Rezeptoren-Blocker) "m-xxxxxxx 100 mg retard" (Anlage Ast 2) und "m-xxxxxxx 200 mg retard" vertrieben, deren Tabletten mit einer Bruchrille versehen sind (vgl. für "m-xxxxxxx 100 mg retard": Anlage ASt 5).

Die Antragstellerin hat das als wettbewerbswidrig beanstandet und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Der mit dem Arzneimittel der Antragsgegnerin konkurrierende Beta-Blocker "B-cccccccc" der Antragstellerin enthält die Wirksubstanz Metoprolol - und zwar als Metoprolol-Succi nat (Anlage ASt 1) - in einer speziellen, patentgeschützten Galenik, so dass der Wirkstoff bei gleichmäßiger Freisetzung konstante Blutspiegel erzeugt und das Präparat als 1 x 1-Dosierung verabreicht werden kann. In dem Arzneimittel "m-xxxxxxx retard" der Antragsgegnerin ist - wie bei denen anderer Generika-Hersteller - der Wirkstoff Metoprolol-Tartrat enthalten.

Das Landgericht hat mit dem Urteil vom 13. Februar 2002 seine einstweilige Beschlussverfügung vom 24. Januar 2002, mit der der Antragsgegnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten worden ist, das Arzneimittel m-xxxxxxx 100 mg und 200 mg retard in der Darreichungsform einer Tablette, die mit einer Bruchrille versehen ist, in den Verkehr zu bringen, aufgehoben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückgewiesen. Mit der Berufung hat die Antragstellerin ihren erstinstanzlichen Verfügungsantrag gemäß der Beschlussverfügung weiter verfolgt, allerdings mit dem Verbotsausspruch: "die Arzneimittel m-xxxx ...". Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2003 eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgeben lassen, der Verbotsausspruch entspricht dem des in zweiter Instanz angekündigten Unterlassungsantrags. Das hat zu der Erledigungserklärung der Antragstellerin geführt.

II.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin hätte in der Sache keinen Erfolg gehabt. Der Unterlassungsantrag war auch nach Auffassung des Senats nicht begründet.

1.) Gegenstand des Unterlassungsantrages ist das Inverkehrbringen des Arzneimittels "m-xxxxxxx retard" in den Wirkstoffstärken zu 100 mg und 200 mg, und zwar jeweils in der Darreichungsform einer mit einer Bruchrille versehenen Tablette. Es geht um die Tablettenform "mit Bruchrille" als solche, Besonderheiten etwa im werblichen Umfeld oder in der Packungsaufmachung sind nicht Streitgegenstand.

Soweit das Landgericht im angefochtenen Urteil außerdem den "in der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2002 gestellten Hilfsantrag" zurückgewiesen hat, ging diese Entscheidung ins Leere. Ausweislich des unbeanstandet gebliebenen Verhandlungsprotokolls (Bl. 32-33) und in Übereinstimmung mit dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 44) hatte die Antragstellerin keinen Hilfsantrag gestellt.

2.) Der Unterlassungsanspruch war nicht aus § 1 UWG, § 8 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 2 c AMG begründet gewesen.

Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AMG ist es verboten, Arzneimittel herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind. Eine Irreführung liegt nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 c AMG insbesondere dann vor, wenn zur Täuschung über die Qualität geeignete Bezeichnungen, Angaben oder Aufmachungen verwendet werden, die für die Bewertung des Arzneimittels mitbestimmend sind.

Von einer Irreführung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG allein durch die beanstandete Tablettenform mit Bruchrille ist auch nach Auffassung des Senats nicht auszugehen.

(a) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin besteht keine Irreführung durch die angegriffene Tablettenform mit Bruchrille in Bezug auf das Ergebnis einer mechanischen Halbierung gegenüber der ungeteilten "m-xxxxxxx retard"-Tablette.

(aa) Aus dem Umstand, dass die Tablette eine Bruchrille aufweist, wird der angesprochene, aus Fachkreisen (Ärzten, Apothekern) und Laien (Patienten) bestehende Verkehr naheliegend den indirekten Hinweis entnehmen, dass sie bei Bedarf entlang dieser Linie mechanisch geteilt werden kann. Denn die Bruchrille soll gerade die Halbierung erleichtern. Eine solche Teilung ist unstreitig tatsächlich möglich.

(bb) Der Verkehr wird aus der Bruchrille mittelbar den Hinweis auf die Teilbarkeit entnehmen und annehmen, dass die Art des Präparats bzw. seine Galenik eine mechanische Teilung längs der Rille jedenfalls grundsätzlich zulässt und sie nicht etwa aus Gründen der Wirksamkeit des Arzneimittels verbietet.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Tablettenform mit Bruchrille in diesem Verständnis einen irreführenden Hinweis enthält. Der Umstand, dass das Arzneimittel "m-xxxxxxx retard" eine sog. Verzögerungs-Galenik besitzt, ist in dieser Allgemeinheit hierfür nicht durchgreifend. Dass speziell bei diesem Arzneimittel die Galenik eine Halbierung der Tablette aus Gründen der Wirksamkeit ausschließt, ist nicht dargetan, jedenfalls nicht glaubhaft gemacht.

(aaa) Beta-Blocker als Retardtabletten können durchaus teilbar sein, ohne dass das der Wirksamkeit speziell im Hinblick auf die Galenik widersprechen muss. So wird das konkurrierende Präparat "B-cccccccc" der Antragstellerin ebenfalls als Retardtablette angeboten und kann unstreitig halbiert werden; die Dosierung von "B-cccccccc" sieht zudem auch die Einnahme einer halben Tablette vor (Anlage ASt 1).

(bbb) Die Stellungnahme des Kontrollleiters Dr. hhhhh der Antragstellerin zur sog. HGM-Galenik vom 16. Januar 2002 (Anlage ASt 3) ergibt nichts anderes. Dass das Arzneimittel der Antragsgegnerin jene besondere HGM-Galenik aufweist, ist von der Antragstellerin nicht vorgetragen worden; die Antragsgegnerin nimmt das in Abrede.

(ccc) Aus dem Umstand, dass in der Gebrauchsinformation für "m-xxxxxxx 100 mg retard" unter der Rubrik "Dosieranleitung, Art und Dauer der Anwendung" u. a. der Hinweis steht: "Die Retardtabletten sollen nicht gekaut oder zerkleinert werden." (Anlage Ast 2), ergibt sich nicht zwingend, dass die Galenik des Arzneimittels auch eine Halbierung (Teilung) der Tablette verbietet.

Es liegt auf der Hand, dass zwischen einem Zermahlen bzw. Zerbröseln (durch das Kauen der Tablette), dem Zerkleinern und dem Halbieren einer Tablette Unterschiede in der Auswirkung auf die Retardformulierung bestehen können. So bleibt z. B. beim Arzneimittel der Antragstellerin die Retardwirkung beim Halbieren offenbar erhalten, nicht dagegen beim Zerkauen; so heißt es in der Gebrauchsinformation für "B-cccccccc" unter "Dosieranleitung, Art und Dauer der Anwendung" u. a. (Anlage Ast 1):

"B-cccccccc forte 190 mg Retardtabletten haben eine Bruchrille und können leicht geteilt werden. Sie sind unzerkaut mit Flüssigkeit nach dem Essen einzunehmen."

(ddd) Aus der Stellungnahme von Prof. pppppp vom 17. Januar 2002 (Anlage ASt 4) ergibt sich ebenfalls nicht, dass das Halbieren (Teilen) des Arzneimittels der Antragsgegnerin sich wegen dessen Galenik verbietet. Dort wird allgemein ("in den meisten Fällen") von der Zerstörung des Systems der Freisetzungskontrolle durch Teilen gesprochen, während speziell zum Arzneimittel "m-xxxxxxx retard" nur die negativen Auswirkungen des Zerkleinerns der Tablette beschrieben werden, nicht aber bei der Halbierung.

(eee) Demgegenüber ergibt sich aus den eidesstattlichen Versicherungen des Dr. wwwwww vom 1. und 12. Februar 2002 (eines für die Arzneimittelzulassung verantwortlichen Mitarbeiters der Antragsgegnerin: Anlage AG 1 und 3), dass das für die Zulassung des Arzneimittels "m-xxxxxxx retard" zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die hierfür vorgesehene Tablettenform mit Bruchrille in den Wirkstoffstärken zu 100 mg und 200 mg akzeptiert hat.

Es wird ausgeführt, dass diese Tablettenform Bestandteil der zugelassenen Spezifikation sei und dass in den Zulassungsunterlagen das Aussehen der Tablette unter der Rubrik "Appearance" mit "Bruchkerbe auf beiden Seiten" ("break score on both sides") beschrieben worden sei (Anlage AG 1). Dem BfArM seien Untersuchungen zur Teilbarkeit der Tablette vorgelegt worden (Anlage AG 1). Daraufhin habe das BfArM die Bruchrille bei den Wirkstoffstärken zu 100 mg und 200 mg akzeptiert, bei der Wirkstoffstärke zu 50 mg habe es dagegen den Verzicht auf die Bruchkerbe empfohlen (Anlage AG 3).

(fff) Etwas anderes ergibt sich aus nicht aus der Vergleichsuntersuchung der L. - UND Q. -GmbH (Anlage ASt 9), den gutachtlichen Stellungnahmen von Prof. pppp (Anlage ASt 10), von Dr. Hanke (Anlage ASt 11) und Prof. kkk (Anlagen ASt 12 und 12.1). Soweit sich hinsichtlich der Freisetzung des Wirkstoffs Unterschiede nach den verschiedenen Präparaten ergeben, kommt es hierauf für die vorliegende Frage der prinzipiellen Teilbarkeit des Präparats der Antragsgegnerin nicht an. Diese ist im Hinblick auf die Ausstattung der Tablettenform mit Bruchrille vom BfArM bejaht worden.

(cc) Der Verkehr wird aus der Bruchrille allein aber nicht den Hinweis entnehmen, dass mit es bei der Einnahme einer solchen Tablette keinerlei Unterschied macht, ob die Tablette ungeteilt oder hälftig geteilt (und beide Hälften gleichzeitig oder unmittelbar nacheinander) eingenommen wird und dass die Halbierung stets zu zwei absolut identischen Hälften führt.

Gegen solche Vorstellungen spricht schon, dass in vielen Fällen die Halbierung der Tablette durch den Patienten selbst vorgenommen wird. Es ist damit zu rechnen, dass hierbei nicht zwei ganz identische, sondern entsprechend der Geschicklichkeit des Patienten zu Hause (oder des Personals im Krankenhaus) nur zwei mehr oder weniger an nähernd gleichwertige Hälften entstehen werden und dass das Ergebnis mehrerer Halbierungen auch untereinander geringfügige Abweichungen zeigen wird. Das liegt schon nach der Lebenserfahrung auf der Hand.

Wenn der Verkehr aber nur im Hinblick auf die Bruchrille gleichwohl solche eingangs geschilderten Vorstellungen entwickeln sollte, so wäre das nicht schutzwürdig, so dass dahingestellt bleiben kann, inwieweit eine Halbierung der Tablette eine (geringfügige) Abweichung in der Retardwirkung verursacht (vgl. auch die Anlagen ASt 9-12 und 12.1).

Es ist unstreitig, dass eine Teilung von Tabletten mit Retard-Formulierungen generell problematisch ist, gleichwohl aber das BfArM als Zulassungsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen die Tablettenform mit doppelter, d. h. auf beiden Seiten der Tablette befindlicher Bruchrille und damit auch den insoweit vorliegenden indirekten Hinweis auf die Teilbarkeit akzeptiert (vgl. Anlage AG 1).

Hierzu passt der Umstand, dass den angesprochenen Ärzten, aber auch den Patienten bei Arzneimitteln unterschiedliche Dosierempfehlungen wie z. B. eine ganze (z. B. bei "mxxxxxxx retard") oder auch eine halbe Tablette (z. B. bei "B-cccccccc") ebenso geläufig sind wie die Angaben zur vorgeschriebenen oder empfohlenen Einnahme z. B. im unzerkauten bzw. unzerkleinerten Zustand. Das Publikum erwartet daher je nach pharmakologischer Relevanz insoweit besondere Hinweise über die Art der Anwendung auch bei einer vorhandenen Bruchrille.

(b) Es besteht durch die angegriffene Tablettenform mit Bruchrille auch keine Irreführung in Bezug auf die ebenfalls teilbare Tablette "B-cccccccc" der Antragstellerin.

Es ist dem Publikum geläufig, dass es neben dem Originalarzneimittel sog. Generika gibt, die als Verschreibungsalternative in Betracht kommen. Dass aber eine absolute Identität zwischen den Formulierungen der Arzneimittel "m-xxxxxxx retard" und "B-cccccccc" bestünde, wird vom durchschnittlich verständigen und aufmerksamen Verkehr schon für die ungeteilten Tabletten nicht angenommen. So enthält, wie ausgeführt, der Beta-Blocker "Bcccccccc" der Antragstellerin den Wirkstoff Metoprolol als Succinat, in "m-xxxxxxx retard" ist der Wirkstoff als Tartrat enthalten. Die Übereinstimmung der Präparate in der Bruchrille lässt den Verkehr nicht annehmen, es gäbe keine Unterschiede zwischen den Arzneimitteln, das gilt selbstverständlich auch für die halbierten Tabletten.

3.) Der Unterlassungsanspruch war nicht aus § 1 UWG, § 3 a HWG begründet gewesen. Hiervon ist im Ergebnis zutreffend auch das Landgericht ausgegangen.

(a) Nach § 3 a HWG ist die Werbung für ein Arzneimittel, das der Pflicht zur Zulassung unterliegt und nicht nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften zugelassen ist, unzulässig; hierzu gehört auch die Werbung für ein zugelassenes Arzneimittel bezüglich weitergehender, vom arzneimittelrechtlichen Zulassungsstatus nicht abgedeckter Indikationen. Denn in diesem Bereich fehlt es - wie bei einem insgesamt nicht zugelassenen Arzneimittel - an der medizinisch-pharmakologischen Überprüfung durch die Zulassungsbehörde.

Der Wortlaut der in der Zulassung wiedergegebenen Anwendungsgebiete bestimmt insoweit den rechtlichen Rahmen der Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels, für nicht zugelassene Indikationen darf nicht geworben werden. Mit § 3 a HWG soll potentiellen Irreführungsgefahren auch hinsichtlich des Umfangs der medizinisch-pharmakologischen Überprüfung der Verkehrsfähigkeit und daraus resultierender Gesundheitsgefahren vorgebeugt werden (Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Auflage, § 3 a HWG, Rz. 11 m. w. Nw.).

Nach diesen Grundsätzen sind ebenso die Fallgestaltungen zu beurteilen, in denen ein nach § 21 AMG zulassungspflichtiges Arzneimittel mit einer nicht der Zulassung entsprechenden Dosierung beworben wird. Denn gemäß § 22 Abs. 1 AMG müssen dem Antrag auf Zulassung die in dieser Vorschrift aufgeführten "Angaben" in deutscher Sprache beigefügt werden, hierzu gehört nach § 22 Abs. 1 Nr. 10 AMG die Dosierung. Auch über diese Angabe wird - wie über die Indikation eines Arzneimittels - im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren entschieden. In Übereinstimmung damit ist nach § 29 Abs. 1 Satz 1 AMG eine Änderung der Dosierungsangabe anzeigepflichtig, wie sich aus dem Hinweis in dieser Vorschrift auf § 22 AMG ergibt. (b) Eine ausdrücklich aufgestellte Dosierempfehlung von einer halben Tablette würde allerdings - anders als es das Landgericht gemeint hat - nicht der arzneimittelrechtlichen Zulassung von "m-xxxxxxx retard" entsprechen, denn in der "Dosierungsanleitung" ist nur die Einnahme von 1-2 Tabletten angegeben (Anlage ASt 2), während z. B. bei "Bcccccccc" auch die Einnahme von 1/2-1 Tabletten genannt wird (Anlage ASt 1).

Eine zugelassene Dosierempfehlung von 1/2 Tablette lässt sich nicht mit dem Argument herleiten, die zugelassene Dosierung von 1 bis 2 Tabletten umfasse auch eine Dosierung von 1 1/2 Tabletten und damit notwendigerweise die einer halben Tablette. Der Dosierungsbereich sagt über die Teilbarkeit einer Tablette nichts aus, vor allem ist damit die Dosierung von 1/2 Tablette nicht etwa "mit" zugelassen. (c) Eine solche direkte Dosierempfehlung von 1/2 Tablette war aber vorliegend nicht Streitgegenstand, es ging vielmehr allein um die Tablettenform mit Bruchrille als solche. Diese ist aber - wie oben ausgeführt - Teil der arzneimittelrechtlichen Zulassung von "m-xxxxxxx retard". Dieser Umstand schließt einen Verstoß gegen § 3 a HWG aus, auch wenn in der Bruchrillen-Form ein indirekter Hinweis auf die Teilbarkeit der Tablette und damit auch auf die Einnahme einer halben Tablette zu entnehmen ist.

(d) Jedenfalls hätte das Verhalten der Antragsgegnerin der Zulassung durch das BfArM entsprochen und deswegen nicht unlauter nach § 1 UWG sein können. Eine rechtliche Überprüfung der Entscheidung des BfArM hierzu kam vorliegend nicht in Betracht:

Die Regelungen des HWG sind wertbezogene Normen. Die Verletzung solcher Normen wird zwar regelmäßig den Vorwurf unlauteren Verhaltens begründen können, das darf aber nicht im Sinne eines Automatismus missverstanden werden, der jede weitere Prüfung entbehrlich macht (BGHZ 140, 134, 139 - Hormonpräparate; GRUR 2002, 269 f. - Sportwetten-Genehmigung). So sind auch die wettbewerbsbezogenen Ziele von § 1 UWG im Auge zu behalten, damit die Wettbewerbsgerichte nicht unversehens "in die Rolle einer Oberinstanz zur Kontrolle der Einhaltung öffentlich-rechtlicher Normen gedrängt werden" (v. Ungern-Sternberg, Wettbewerbsbezogene Anwendung des § 1 UWG und normzweckgerechte Auslegung der Sittenwidrigkeit, in: Festschrift für Willi Erdmann, Köln 2002, S. 741 ff., S. 747).

Die Lauterkeit des Wettbewerbs verlangt zwar auch, dass ein Wettbewerber nicht ohne weiteres auf Kosten seiner Mitbewerber das Risiko rechtswidrigen Handelns eingehen darf. Es wäre jedoch grundsätzlich eine Überspannung der Pflicht zu lauterem Wettbewerbshandeln und ein unzulässiger Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit, von den Gewerbetreibenden zu verlangen, sich vorsichtshalber stets nach der strengsten Gesetzesauslegung zu richten, wenn die zuständigen Behörden sein Verhalten ausdrücklich als rechtlich zulässig bewerten (BGH GRUR 2002, 269, 270 - Sportwetten-Genehmigung).

Das Arzneimittel der Antragsgegnerin ist mit der beanstandeten Tablettenform vom zuständigen BfArM zugelassen worden. Die Existenz dieses Verwaltungsaktes und gegebenenfalls entsprechender zusätzlicher Bescheide des BfArM bindet den Zivilrichter, solange diese nicht von Amts wegen oder auf Rechtsbehelfe hin in den dafür vorgesehenen Verfahren aufgehoben worden sind (BGHZ 122, 1; 103, 30, 34; 73, 114, 117; 66, 79, 80; 30, 173,175). Der Senat ist daher schon wegen des Prinzips der Gewaltenteilung daran gehindert, das Zulassungsverfahren für das Arzneimittel der Antragsgegnerin auch nur in Teilen nachzuprüfen; auch insoweit kam es auf die in der Berufungsinstanz hierzu eingereichten Untersuchungen und Ausführungen (Anlagen ASt 9-12 und 12.1) nicht an.

Um einen Sonderfall, bei dem keine Bindungswirkung besteht (z. B. bei der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes), ging es vorliegend jedenfalls nicht.

(e) Der Senat verkennt nicht, dass er im Beschluss vom 28. November 2002 (HansOLG 3 U 98/02 - zur Veröffentlichung bestimmt) den dortigen Unterlassungsantrag, der im Verbotsausspruch dem hiesigen entsprach und die Präparate "m-zszszsz retard" zu 100 mg und 200 mg jeweils mit Bruchrille betraf, als aus § 1 UWG, § 3 a HWG begründet angesehen hat.

Im dortigen Verfahren war aber - anders als vorliegend nicht vorgetragen und unstreitig geblieben, dass die Tablettenform mit Bruchrille Bestandteil der zugelassenen Spezifikation ist.

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