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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 14.04.2005
Aktenzeichen: 3 U 162/04
Rechtsgebiete: HWG, UWG


Vorschriften:

HWG § 3
UWG § 3
UWG § 4 Nr. 11
UWG § 5
1. Werden mit der Unterlassungsklage mehrere Werbeangaben aus einer Anzeige gesondert in der Weise angriffen, dass bei jedem Verbot durch die Wendung "wie geschehen in" auf dieselbe Anzeige Bezug genommen wird, so erfasst ein solches Verbot jede Werbeangabe in dem konkreten werblichen Umfeld der Anzeige, aber losgelöst jeweils von der anderen Werbeangabe.

2. a) Die Angabe in der Pharmawerbung: "Das erste Atypikum der nächsten Generation" (hier: für ein atypisches Neuroleptikum) werden die Fachkreise nicht stets dahin verstehen, es gehe nur um die "Aussicht auf eine relevante Verbesserung"; es kommt auch das Verkehrsverständnis im Sinne eines schon erreichten Fortschritts in Betracht.

b) Wird diese Angabe in der Werbeanzeige durch zusätzliche Hinweise zur "nächsten Generation" erläutert, so erfasst der Unterlassungsantrag ohne die angeführten Erläuterungen nicht die konkrete Verletzungsform.

3. Die Werbeaussage "Überlegene Verträglichkeit" ist entsprechend dem normalen Sprachgebrauch auch für Fachkreise eine Überlegenheitsbehauptung generell hinsichtlich der Verträglichkeit des beworbenen Arzneimittels. Insoweit erwartet man einen deutlichen Vorsprung in der Verminderung der wesentlichen Nebenwirkung (hier: der sog. extrapyramidalen Symptome) und nicht etwa nur einen Vorsprung in einer "Bilanz" aller Nebenwirkungen.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 162/04

Verkündet am: 14. April 2005

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Gärtner, Spannuth, Dr. Löffler nach der am 10. März 2005 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragstellerin und die unselbständige Anschlussberufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 10. August 2004 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Urteilsausspruch des Landgerichts zur Klarstellung insgesamt neu wie folgt gefasst wird:

Die Beschlussverfügung des Landgerichts vom 23. Juni 2004 wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antragsgegnerin unter Androhung der vom Landgericht bestimmten Ordnungsmittel verboten wird, im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs für das Arzneimittel G_xxxx (r) (Wirkstoff: Aripiprazol) zu werben:

1.) wie geschehen in Anlage I der Beschlussverfügung;

2.) mit der Aussage "überlegene Verträglichkeit".

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

und beschlossen:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Berufungsverfahren auf insgesamt 500.000 € festgesetzt, davon entfallen auf die Berufung der Antragstellerin 250.000 € und auf die unselbständige Anschlussberufung der Antragsgegnerin ebenfalls 250.000 €.

Gründe:

A.

Die Parteien sind forschende pharmazeutische Unternehmen auf dem Gebiet von Arzneimitteln zur Behandlung der Schizophrenie (sog. atypische Neuroleptika) und stehen miteinander im Wettbewerb.

Die Antragsgegnerin warb für ihr atypisches Neuroleptikum G_xxxx (Wirkstoff: Aripiprazol) mit dem Werbeblatt "G_xxxx (r) Neue Wege in der Schizophrenie-Therapie" (Anlage ASt AS 3; vgl. dazu die Fachinformation: Anlage ASt AS 2).

Die Antragstellerin beanstandet die Werbung für G_xxxx als unlauter und nimmt die Antragsgegnerin vorliegend deswegen im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch.

Die Antragstellerin bringt in Deutschland das atypische Neuroleptikum h_yyyy (Wirkstoff: Olanzapin) in den Verkehr (vgl. die Fachinformation: Anlage ASt AS 1).

Das Werbeblatt der Antragsgegnerin trägt die Überschrift: "G_xxxx (r) Neue Wege in der Schizophrenie-Therapie!". Über der Überschrift steht oben rechts der Hinweis: " > NEU! ". Unter der Überschrift, und zwar unterhalb des Ausrufungszeichens der Überschrift ("... Schizophrenie-Therapie!") stehen folgende Angaben:

"Das erste Atypikum der nächsten Generation

- zuverlässige Wirksamkeit

- überlegene Verträglichkeit

- innovativer Wirkmechanismus" (Anlage ASt AS 3).

Das Landgericht hat mit seiner Beschlussverfügung vom 23. Juni 2004 der Antragsgegnerin unter Androhung von bestimmten Ordnungsmitteln verboten, im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs für das Arzneimittel G_xxxx (r) (Wirkstoff: Aripiprazol) mit den Aussagen

1. "Das erste Atypikum der nächsten Generation"

und/oder

2. "überlegene Verträglichkeit"

zu werben, insbesondere wie geschehen in Anlage I (es folgt die Kopie des Werbeblatts gemäß Anlage ASt AS 3).

Durch Urteil vom 10. August 2004 hat das Landgericht seine Beschlussverfügung vom 23. Juni 2004 hinsichtlich des gerichtlichen Verbots zu Ziffer 1.) aufgehoben und insoweit den auf ihren Erlass gerichteten Verfügungsantrag zurückgewiesen. Im Übrigen hat es seine Beschlussverfügung bestätigt. Auf das Urteil wird Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Parteien jeweils mit der Berufung - die Antragsgegnerin mit einer unselbständigen Anschlussberufung -, die sie jeweils form- und fristgerecht eingelegt und begründet haben.

Die Antragstellerin beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die einstweilige Verfügung erneut zu erlassen, soweit sie vom Landgericht aufgehoben worden ist, d. h. im Umfang des Verbots zu Ziffer 1.) der Beschlussverfügung.

Die Antragsgegnerin beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die einstweilige Verfügung, soweit sie bestätigt worden ist, aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Verfügungsantrag insoweit zurückzuweisen, d. h. im Umfang des Verbots zu Ziffer 2.) der Beschlussverfügung.

Beide Parteien bitten jeweils um Zurückweisung der Berufung der Gegenseite.

B.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin und die zulässige unselbständige Anschlussberufung der Antragsgegnerin haben keinen Erfolg. Die Rechtsmittel sind demgemäß zurückzuweisen. Zum Zwecke der Klarstellung hat der Senat den Urteilsausspruch der bestätigten Beschlussverfügung insgesamt neu gefasst und dabei das vom Landgericht unerwähnt gelassene "insbesondere"-Verbot einbezogen.

I.

1.) Der Gegenstand der Berufung der Antragstellerin ist das Urteil des Landgerichts, soweit es zum Nachteil der Antragstellerin entschieden hat.

Das bedeutet, dass die Antragstellerin im Ergebnis die Beschlussverfügung vollen Umfangs, und damit (auch) zu Ziffer 1.) der Beschlussverfügung einschließlich des darauf bezogenen "insbesondere"-Verbots wieder hergestellt haben möchte. Das ergibt sich aus ihrer Berufungsbegründung und ist in der Berufungsverhandlung ausdrücklich klargestellt worden.

2.) Der Gegenstand der unselbständigen Anschlussberufung der Antragsgegnerin betrifft das vom Landgericht bestätigte Verbot der Beschlussverfügung zu Ziffer 2.), einschließlich des darauf bezogenen "insbesondere"-Verbots.

3.) Der Gegenstand der Verfügungsanträge gemäß Ziffern 1.) und 2.) der Beschlussverfügung ist im verallgemeinerten Teil das Werben für das Arzneimittel G_xxxx mit den Aussagen (1.) "Das erste Atypikum der nächsten Generation" und (2.) "überlegene Verträglichkeit", und zwar jeweils schlagwortartig und ohne nähere inhaltliche Erläuterung. Beide Verbotsformen sind mit "und/oder" verknüpft. Es geht selbstverständlich nur um das Werben gegenüber Fachkreisen.

Im "insbesondere"-Teil der Anträge soll die werbliche Verwendung der Anlage I zur Beschlussverfügung (vgl. die Kopie des Werbeblatts gemäß Anlage ASt AS 3) verboten werden, und zwar im Hinblick auf beide in den Ziffern 1.) und 2.) zitierten Aussagen, wiederum verknüpft mit "und/oder".

4.) Da beide Rechtsmittel der Parteien unbegründet sind, war der Urteilsausspruch des Landgerichts zur Klarstellung neu zu fassen, wobei das "insbesondere"-Verbot zu Ziffer 2.) der Beschlussverfügung einzubeziehen war und die "und/oder"-Verknüpfungen als gegenstandslos geworden zu streichen waren.

II.

Der Verfügungsantrag gemäß der Beschlussverfügung des Landgerichts zu Ziffer 1.) im verallgemeinerten Teil ist auch nach Auffassung des Senats nicht begründet. Insoweit hat das Landgericht zu Recht die Beschlussverfügung aufgehoben und den auf ihren Erlass gerichteten Verfügungsantrag zurückgewiesen; die Berufung der Antragstellerin ist insoweit unbegründet.

1.) Der damit geltend gemachte Unterlassungsanspruch betrifft, wie ausgeführt, das Werben für das Arzneimittel G_xxxx mit der Aussage: "Das erste Atypikum der nächsten Generation", und zwar jeweils schlagwortartig und ohne nähere inhaltliche Erläuterung.

2.) Die den Streitgegenstand mitbestimmende Antragsbegründung der Antragstellerin geht dahin, die beanstandete Aussage, das Arzneimittel G_xxxx sei die "nächste Generation der Atypika", werde so verstanden, dass das Arzneimittel eine neue Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der Atypika darstelle, die wesentliche Verbesserungen bzw. Vorteile in ihren Wirkungen gegenüber den vorangegangenen Generationen mit sich bringe.

Der Verkehr erwarte - so die weitere Argumentation der Antragstellerin - wegen der Wendung "nächste Generation" immer einen Quantensprung in der Entwicklung im Sinne einer wesentlichen Qualitätsverbesserung bzw. deutlichen Überlegenheit gegenüber der abgelösten (zweiten) Generation. Der angeblich nachweisbar relevante unterschiedliche Wirkmechanismus beruhe nur auf Vermutungen aufgrund von Labormodellen und sei klinisch nicht bewiesen, insbesondere sei nicht durch klinische Studien belegt, dass das Arzneimittel G_xxxx in der Wirksamkeit oder in Nebenwirkungen zu einer klinisch relevanten Verbesserung führe oder gar gegenüber anderen atypischen Neuroleptika wie z. B. gegenüber h_yyyy eine klinische Überlegenheit habe.

3.) Die beanstandete Werbeaussage: "Das erste Atypikum der nächsten Generation" für das Arzneimittel G_xxxx lässt in der Tat - wie eigentlich schon die gebündelte Antragsbegründung der Antragstellerin beeindruckend veranschaulicht - ein Verständnis des angesprochenen Fachpublikums in mehrfacher Hinsicht annehmen.

(a) Es ist im Wettbewerbsrecht anerkannt, dass bei mehrdeutigen Aussagen eine Irreführung des Verkehrs in Betracht kommen kann, wenn die Aussage in einer der Verständnismöglichkeiten inhaltlich unzutreffend ist. Das kommt im vorliegenden Fall bezüglich der Wendung "der nächsten Generation", zu der das beworbene G_xxxx als erstes Atypikum gehören soll, durchaus in Betracht.

(b) Das Landgericht hat gemeint, für die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der Werbeaussage komme es nicht darauf an, dass bislang wissenschaftlich noch nicht hinreichend geklärt sei, ob mit G_xxxx relevante therapeutische Vorteile zu erzielen seien. Diese Auffassung begegnet allerdings erheblichen rechtlichen Bedenken.

Das Landgericht hat dazu ausgeführt, von einem Arzneimittel der "nächsten Generation" könne zulässigerweise schon gesprochen werden, wenn dem Mittel ein wesentlich neuer Wirkmechanismus zugrunde liege, der eine "Aussicht auf eine relevante Verbesserung" der therapeutischen Wirksamkeit des Arzneimittel gegenüber den bisherigen Präparaten begründe, und zwar entweder bezüglich der Therapie der zu behandelnden Krankheit oder bezüglich der Reduzierung gravierender Nebenwirkungen; eine tatsächlich vorliegende Verbesserung lasse sich der Werbeaussage nicht entnehmen. Im technisch-industriellen Bereich und damit auch bei Arzneimitteln behaupte der Begriff der "nächsten Generation" nicht mehr als eine wesentliche Veränderung, nicht notwendig aber - trotz des immanenten Bemühens um Fortschritt und Verbesserung - auch eine tatsächlich sich erweisende Verbesserung gegenüber der früheren Generation.

(c) Der Senat vermag die Auffassung des Landgerichts nicht zu teilen, weil eine solche gleichsam generelle Festlegung des Verkehrsverständnisses vom Begriff der "nächsten Generation" nicht zwingend ist und deswegen der Lebenserfahrung widerspricht. Zudem ist eine zergliedernde Wortbedeutungsanalyse nicht geboten.

Maßgeblich ist das Verkehrsverständnis der streitgegenständlichen Werbeaussage insgesamt. Deren Verwendung ("Das erste Atypikum der nächsten Generation") für das Arzneimittel G_xxxx kann vom Verkehr im Einzelfall auch als Hinweis auf einen erreichten, und nicht nur begründet in Aussicht stehenden Fortschritt verstanden werden. Wird die Werbeaussage - wie nach dem Streitgegenstand zu unterstellen - inhaltlich nicht näher erläutert und der damit vermeintlich ausgelobte Fortschritt nicht präzisiert, so kommt eine Irreführung aus dem Gesichtspunkt der Mehrdeutigkeit bezüglich der Qualität und/oder Quantität der erreichten Verbesserung jedenfalls eher in Betracht als bei zusätzlichen Hinweisen (z. B. auf eine verbesserte therapeutische Wirksamkeit).

3.) Der Senat kann offen lassen, ob ein Verständnis der Aussage bei beachtlichen Teilen der angesprochenen - durchschnittlich aufmerksamen, informierten und verständigen - Fachkreise zugrunde zu legen ist, das den tatsächlichen Verhältnissen bei G_xxxx relevant widersprechen würde. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist mangels Begehungsgefahr nicht begründet.

(a) Das Werbeblatt der Antragsgegnerin (Anlage ASt AS 3) mit der Überschrift: "G_xxxx (r) Neue Wege in der Schizophrenie-Therapie!" enthält zwar den herausgestellten Hinweis: "Das erste Atypikum der nächsten Generation", der aber dort nicht unerläutert geblieben ist. Vielmehr sind unter dem angegriffenen Hinweis Angaben aufgeführt ("zuverlässige Wirksamkeit", "überlegene Verträglichkeit" und "innovativer Wirkmechanismus"), die der durchschnittliche Werbeadressat zwanglos und nahe liegend nicht nur als Beschreibung der Eigenschaften des Arzneimittels G_xxxx, sondern jedenfalls teilweise auch als inhaltliche Erläuterung des Obersatzes ("Das erste Atypikum der nächsten Generation") verstehen wird. So wird der Verkehr die Angabe: "überlegene Verträglichkeit" im dortigen Äußerungszusammenhang auch als nähere Bestimmung der bei dem Mittel erreichten Verbesserung im Sinne der "nächsten Generation" der Atypika verstehen.

(b) Diesem Charakteristischen der konkreten Verletzungsform (Anlage ASt AS 3) entspricht die Antragsfassung nicht.

Der Verbotsausspruch stellt allein auf die Verwendung der Werbeaussage selbst, d. h. der unerläuterten Werbeaussage ab, wodurch der Eindruck der Mehrdeutigkeit - wie ausgeführt - gerade erst entsteht. So hat die Antragsgegnerin aber nicht geworben.

Dabei kann an dieser Stelle offen bleiben, ob die Erläuterungen der Aussage: "Das erste Atypikum der nächsten Generation" in dem Werbeblatt der Antragsgegnerin zutreffend, ausreichend und/oder in jeder Hinsicht eindeutig sind oder nicht. Es ist für die Diskussion der konkreten Verletzungsform, bei deren Erfasstsein im Antrag die Wiederholungsgefahr insoweit umfassend vermutet wird, ein wesentlicher Unterschied, ob eine tendenziell mehrdeutige Aussage allein und nur für sich stehend oder mit einer - wenn auch möglicherweise ihrerseits angreifbaren - Erläuterung verwendet wird.

(c) Die Begehungsgefahr ist auch nicht aus anderen Werbeformen der Antragsgegnerin oder aus sonstigen Umständen wie z. B. aus einer Berühmung herzuleiten. Vielmehr hat die Antragsgegnerin in der Berufungsverhandlung erklären lassen, sie werde die Aussage "Das erste Atypikum der nächsten Generation" nicht in Alleinstellung, d. h. nicht ohne Erläuterung in der Werbung verwenden (Bl. 205).

III.

Der Verfügungsantrag gemäß der Beschlussverfügung des Landgerichts zu Ziffer 2.) im verallgemeinerten Teil ist auch nach Auffassung des Senats begründet, und zwar aus § 3 HWG in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 UWG bzw. aus §§ 3, 5, 8 UWG. Insoweit hat das Landgericht zu Recht die Beschlussverfügung bestätigt; die Anschlussberufung der Antragsgegnerin ist insoweit unbegründet.

1.) Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch betrifft, wie ausgeführt, das Werben für das Arzneimittel G_xxxx mit der Aussage: "überlegene Verträglichkeit", und zwar jeweils schlagwortartig und ohne nähere inhaltliche Erläuterung.

2.) Die beanstandete Angabe ist irreführend (§ 3 HWG), sie wird von beachtlichen Teilen des angesprochenen Publikums in einer den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechenden Weise verstanden.

(a) Abzustellen ist auf das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsadressaten der Werbung. Maßgeblich ist insoweit das Verständnis der angesprochenen Ärzte, insbesondere Fachärzte und Apotheker. Das Arzneimittel G_xxxx ist verschreibungspflichtig, es ist ein Neuroleptikum zur Behandlung der Schizophrenie.

(b) Der erkennende Senat kann auf Grund eigener Sachkunde über das Verkehrsverständnis der in Rede stehenden Angabe entscheiden, obwohl die Mitglieder des Senats nicht zu den angesprochenen Fachkreisen gehören.

Bei dem Werbehinweis geht es um eine Angabe aus dem allgemeinen Sprachgebrauch bzw. um eine nach normalen Grundsätzen des Äußerungszusammenhangs zu beurteilende Frage der werblichen Darstellung. Durchgreifende Umstände, die wegen fachspezifischer Besonderheiten ein davon etwa abweichendes Verständnis in Fachkreisen erwarten lassen, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

(c) Die Werbeaussage enthält unmittelbar aus ihrem Wortlaut eine Überlegenheitsbehauptung hinsichtlich der Verträglichkeit des so beworbenen Arzneimittels G_xxxx. Der Umstand, dass die Angabe keinerlei Einschränkungen oder nähere Bestimmungen enthält, lässt bei dem angesprochenen Publikum den Eindruck entstehen, das atypische Neuroleptikum G_xxxx sei gegenüber den bisherigen Neuroleptika hinsichtlich der Verträglichkeit überlegen, und zwar jedenfalls in dem Bereich der wesentlichen, unerwünschten Nebenwirkungen. Hierzu gehören unstreitig die Störungen des Bewegungsablaufes, die sog. extrapyramidalen Symptome (EPS).

(aa) Es wird allgemein angenommen, dass der von bestimmten Gehirnzellen produzierte Botenstoff Dopamin, der sich im Gehirn auch über die Synapsen zwischen den Gehirnzellen hinweg ausbreitet, eine maßgebliche Ursache für die Schizophrenie ist, indem das Dopamin in der Psychose vermehrt wird. Deswegen ging und geht es bei der Schizophreniebehandlung um die Reduktion der Wirkung des Botenstoffes Dopamin.

(bb) Zunächst gab es zur Behandlung der Schizophrenie die typischen Neuroleptika.

Diese blockieren unter Einsatz eines Antagonisten (Blockers) den Dopamin-Rezeptor der einzelnen Gehirnzelle, und zwar so, dass das Dopamin in der Ziel-Gehirnzelle seine Wirkung nicht entfalten kann. Dadurch kommt es allerdings zu unerwünschten Nebenwirkungen. Eine wesentliche Nebenwirkung sind die sog. extrapyramidalen Symptome (EPS); dazu gehören die Akathesie (Bewegungsstörung mit innerer Unruhe, Sitzunruhe, Umherlaufen, Trippeln, ständige Gewichtsverlagerung) und Parkinsonismus (Tremor). Weitere Nebenwirkungen sind u. a. die Prolaktin-Erhöhung, Aussetzung der Regelblutung, sexuelle Störungen, Sedierung und Schläfrigkeit.

(cc) Bei den danach entwickelten atypischen Neuroleptika wurden nicht nur gezielt die Dopamin-Rezeptoren blockiert, sondern auch die mit ihnen systemisch zusammenarbeitenden Serotonin-Rezeptoren. Das wirkte gezielt auf das sog. limbische Zentrum, beeinflusste die psychotischen Symptome positiv und reduzierte erheblich die EPS-Nebenwirkung. Bei dem Wirkstoff Clozapin gab es aber Blutbildveränderungen, dieser Nachteil wurde bei den späteren Atypika verbessert. Die oben aufgeführten weiteren Nebenwirkungen (u. a. die der Gewichtszunahme, Schläfrigkeit und Sedierung, Prolaktin-Erhöhung und Krampfanfälle) gab es den Atypika ebenfalls.

(dd) Die Antragsgegnerin beansprucht bei ihrem atypischen Neuroleptikum G_xxxx einen neuartigen Rezeptor-Wirkmechanismus. Der Wirkstoff Aripiprazol wirkt demnach teils agonistisch und partiell antagonistisch, hat also gleichzeitig eine anregende und eine blockierende "Deckelfunktion", wobei kein körpereigenes Dopamin als Wirkmechanismus, sondern eine synthetische Molekularverbindung verwendet wird (Dopamin-Serotonin-System-Stabilisator).

(ee) Auch nach Auffassung des Senats wird der Verkehr aufgrund der Werbeaussage betreffend die vermeintlich ungeschränkt "überlegene Verträglichkeit" annehmen, das Arzneimittel G_xxxx habe jedenfalls auch hinsichtlich dieser unstreitig wesentlichen EPS-Nebenwirkung einen deutlichen Vorsprung. Gerade weil EPS bei den früheren typischen Neuroleptika eine besonders nachteilige Nebenwirkung war und die atypischen Neuroleptika diesen Nachteil milderten, muss nahe liegend die Vorstellung beim Verkehr entstehen, eben bei dieser wesentlichen Nebenwirkung gibt es mit G_xxxx eine "überlegene Verträglichkeit".

(d) In diesem Verständnis ist die Werbeaussage in relevanter Weise unrichtig und demgemäß irreführend.

Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, gibt es zur Nebenwirkungsproblematik Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass G_xxxx zwar bei anderen, auch relevanten Nebenwirkungen durchaus beachtliche Verbesserungen aufweisen kann. Bezüglich EPS liegen jedoch Studienergebnisse vor, nach denen diese Nebenwirkung bei Aripiprazol im Vergleich zu dem Atypikum Olanzapin sogar geringfügig häufiger auftritt (vgl. Anlage AG 3, Seite 37, Anlage ASt AS 2, Ziffer 4.8).

Es kommt dabei nicht maßgeblich darauf an, dass die EPS-Nebenwirkung nach der Darstellung der Antragsgegnerin nicht die wichtigste bei den Neuroleptika ist, unstreitig ist sie eine ganz wesentliche.

(e) Das von der Antragsgegnerin stattdessen angenommene Verständnis der angegriffenen Werbeaussage kann demgegenüber nicht zugrunde gelegt werden.

Die Antragsgegnerin meint, die Referenzverbraucher würden um die unterschiedlich strukturierten Nebenwirkungen bei Schizophrenie-Präparaten wissen und daher bei der Werbeaussage annehmen, dass das Arzneimittel G_xxxx in der "Gesamtaddition" aller Nebenwirkungen mindestens so günstig abschneide wie das bisher als "günstigst erscheinende" Präparat. Das Argument greift nicht durch. Die Werbeaussage zielt erkennbar nicht (nur) auf eine Art Nebenwirkungsbilanz bzw. auf eine wertende Gesamtschau ab, sondern behauptet gerade einschränkungslos eine "überlegene" Verträglichkeit. Dass im Falle einer differenzierten Beschreibung (z. B. wie bei der EMEA-Beurteilung gemäß Anlage AG 3) ein anderer Eindruck entstehen wird, liegt auf der Hand, steht aber dem oben aufgezeigten Verkehrsverständnis nicht entgegen.

Zudem sind unstreitig nicht alle Nebenwirkungen gleich wichtig bzw. gleich klinisch relevant, so dass auch insoweit für das Verkehrsverständnis der streitgegenständlichen Aussage eine bilanzierende "Verrechnung" fern liegt.

3.) Der Antrag beschreibt die konkrete Verletzungsform.

Die Antragsgegnerin hat mit der beanstandeten Angabe ohne nähere Erläuterung zur überlegenen Verträglichkeit in dem Werbeblatt (Anlage ASt AS 3) geworben. Auf den Obersatz ("Das erste Atypikum der nächsten Generation") oberhalb dieser Angabe oder auf sonstige Einzelheiten des Werbeblatts kommt es insoweit nicht an, denn sie stellen weder eine Erläuterung der angegriffenen Angabe noch relativieren sie deren Verständnis.

4.) § 3 HWG ist eine gesetzliche Vorschrift im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG, sie ist auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Es geht bei § 3 HWG um spezielle Formen der Irreführungen und insoweit um eine Ergänzung von § 5 UWG. Die Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch den Verstoß ist nicht nur unerheblich (§ 3 UWG).

IV.

Der Verfügungsantrag gemäß der Beschlussverfügung des Landgerichts zu Ziffer 2.) im "insbesondere"-Antragsteil ist auch nach Auffassung des Senats begründet, und zwar aus § 3 HWG in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 UWG bzw. aus §§ 3, 5, 8 UWG. Auch insoweit hat das Landgericht zu Recht die Beschlussverfügung bestätigt; die Anschlussberufung der Antragsgegnerin ist auch insoweit unbegründet.

1.) Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch betrifft, wie ausgeführt, das Werben für das Arzneimittel G_xxxx mit der Aussage: "überlegene Verträglichkeit", und zwar so wie in der Anlage I der Beschlussverfügung geschehen, d. h. in dem Werbeblatt gemäß Anlage ASt AS 3.

2.) Wie oben unter Ziffer III. 3. ausgeführt, wird in dem Werbeblatt mit der Aussage "überlegene Verträglichkeit" ohne eine Erläuterung geworben (Anlage ASt AS 3), deswegen liegt insoweit eine nach § 3 HWG irreführende Angabe vor. Auf die obigen Ausführungen unter Ziffer III. wird entsprechend Bezug genommen.

3.) Der "insbesondere"-Antragsteil ist nicht nur ein Unterfall des oben unter Ziffer III. erörterten verallgemeinerten Unterlassungsanspruch. Vielmehr kommt durch die Bezugnahme auf die Verwendung des Werbeblatts (Anlage ASt AS 3) streitgegenständlich noch der Umstand hinzu, dass die angegriffene Aussage unter dem Obersatz "Das erste Atypikum der nächsten Generation" steht, der die behauptete "überlegene Verträglichkeit" in ihrem Gewicht noch verstärkt. Dem steht nicht entgegen, dass die Irreführung - entsprechend den obigen Ausführungen unter Ziffer III. - gerade auf dem Hinweis "überlegene Verträglichkeit" beruht.

V.

Der Verfügungsantrag gemäß der Beschlussverfügung des Landgerichts zu Ziffer 1.) im "insbesondere"-Antragsteil ist auch nach Auffassung des Senats nicht begründet; auch insoweit ist die Berufung der Antragstellerin unbegründet.

1.) Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch betrifft, wie ausgeführt, das Werben für das Arzneimittel G_xxxx mit der Aussage: "Das erste Atypikum der nächsten Generation", und zwar so wie in der Anlage I der Beschlussverfügung geschehen, d. h. in dem Werbeblatt gemäß Anlage ASt AS 3.

2.) Es ist grundsätzlich möglich, mehrere Werbeangaben gesondert in der Weise anzugreifen, dass im Anschluss an jede einzelne Werbeangabe auf eine, und zwar jeweils dieselbe Werbemaßnahme - z. B. wie vorliegend auf das Werbeblatt gemäß Anlage ASt AS 3 - konkret mit der Wendung "wie geschehen in" Bezug genommen wird.

Dem steht nicht entgegen, dass bereits bei dem Verbot nur einer einzigen Werbeangabe das konkret angegriffene Werbemittel so wie bisher nicht mehr verbreitet werden darf. Gleichwohl haben die weiteren Anträge, die sich gegen weitere Aussagen im selben Werbemittel richten, eine selbständige Bedeutung. Mit der Bezugnahme ist nämlich jeweils ein Verbot gemeint, das die einzelne Werbeangabe nicht für sich allein betrachtet, sondern im konkreten werblichen Umfeld erfasst, so wie sie sich aus der in Bezug genommenen Verbotsanlage ergibt, und zwar losgelöst von den anderen, ebenfalls angegriffenen Angaben (Harte-Henning-Brüning, UWG, vor § 12 UWG Rz. 100). Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats.

3.) Nach diesen Grundsätzen kommt ein Verbot der Verwendung des Werbeblatts gemäß Anlage ASt AS 3 speziell wegen der dort benutzten Aussage "Das erste Atypikum der nächsten Generation" nicht in Betracht.

Die Irreführung beruht vielmehr, wie oben ausgeführt, auf der Angabe "überlegene Verträglichkeit", und zwar auch dann, wenn die Angabe "überlegene Verträglichkeit" - wie im Werbeblatt gemäß Anlage ASt AS 3 geschehen - im Zusammenhang mit der Aussage "Das erste Atypikum der nächsten Generation" verwendet wird.

Dagegen ist der Unterlassungsanspruch, bezogen auf die Verwendung des Werbeblatts gemäß Anlage ASt AS 3, aber ohne die dortige Angabe "überlegene Verträglichkeit" nicht begründet.

Die Aussage "Das erste Atypikum der nächsten Generation" in dem Werbeblatt beschreibt dort für den Verkehr erkennbar das Arzneimittel G_xxxx immer noch als Atypikum. Der Hinweis auf die "nächste Generation" geht zwar, wie oben ausgeführt, in die Richtung einer erreichten Verbesserung. Da sie aber mit der "überlegenen Verträglichkeit" erläutert wird, besteht für den Verkehr kein Anhalt, sie noch in weiteren, nicht näher angegebenen Richtungen zu interpretieren. Das gilt insbesondere bezüglich des Hinweises "zuverlässige Wirksamkeit", der den Eindruck einer gesteigerten Zuverlässigkeit oder einer verbesserten Wirksamkeit jedenfalls nicht greifbar vermittelt.

Entsprechendes gilt für den Hinweis auf den "innovativen Wirkmechanismus", den die Antragstellerin im Hinblick auf das Werbeblatt nicht mit Erfolg mit der Begründung angreifen kann, ein anderer oder neuer Wirkmechanismus sei als solcher - ohne erzielte deutliche therapeutische Vorteile - irrelevant. In dieser Allgemeinheit trifft das nicht zu; im Übrigen wird in dem Werbeblatt gerade auf die "überlegene Verträglichkeit" und damit auf einen konkreten Vorteil Bezug genommen.

VI.

Nach alledem waren die Berufungen der Parteien unbegründet. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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