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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 04.09.2003
Aktenzeichen: 3 U 180/02
Rechtsgebiete: HWG, AMG


Vorschriften:

HWG § 10 Abs. 1
AMG § 11 Abs. 1
Eine der Packung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels beigefügte "Patienten-Information", die sich nicht darauf beschränkt, Angaben zu machen, die mit der Verwendung des Arzneimittels in Zusammenhang stehen oder für die gesundheitliche Aufklärung wichtig sind, unterliegt dem Werbeverbot des § 10 HWG.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 180/02

Verkündet am: 04. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter

Gärtner, von Franque, Spannuth

nach der am 21. August 2003 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 16. Mai 2002 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe:

I. Die Parteien vertreiben Arzneimitteln, die Antragsgegnerin das verschreibungspflichtige "Mevinacor", das zur Senkung erhöhter Cholesterinwerte dient. Den Packungen von "Mevinacor" ist neben der Gebrauchsinformation mit den Pflichtangaben nach § 11 AMG eine "Patienten-Information" mit dem Untertitel "Wichtige Hinweise zum Beipackzettel von Professor Dr. med. K H" in Form eines selbständigen Heftchens beigefügt, das keine Pflichtangaben enthält (Anlage A).

Die Antragstellerin hält das für rechtswidrig und hat gegen die Antragsgegnerin das Verbot erwirkt, das Arzneimittel "Mevinacor" mit einer "Patienten-Information" in Form eines Heftchens gemäß Anlage A zu vertreiben und/oder vertreiben zu lassen, insbesondere wenn und soweit diese nicht mit den Pflichtangaben gemäß § 4 HWG versehen ist und/oder folgende Aussagen enthält:

a) "Ich weiß, wie schwierig es für Patienten oft ist, Nebenwirkungen richtig einzuschätzen. Nicht selten werden die Risiken von Arzneimitteln überbewertet und ihr Nutzen unterschätzt. Dies ist auch der Grund, warum Medikamente häufig falsch angewendet werden. Bei bestimmungsgemäßer und richtiger Anwendung sind sie jedoch meist unbedenklich."

und/oder

b) "Nehmen wir als Beispiel die Allergie, eine beim Einzelnen auftretende und vom Durchschnitt abweichende unerwartete Körperreaktion. Sie kann bei allen Stoffen, mit denen wir in Berührung kommen oder die wir zu uns nehmen, auftreten. Millionen Menschen vertragen Erdbeeren, aber einige wenige eben nicht. Sie reagieren auf ihren Genuss allergisch, ihre Allergie kann sogar zum Tode führen. Bei Medikamenten ist es nicht anders. Niemand käme wohl auf den Gedanken, wegen der mit Erdbeeren immer wieder auftretenden Zwischenfälle deren generelles Verbot zu fordern. Mit derselben Logik sollten auch allergische Reaktionen auf Arzneimittel betrachtet werden."

Das Landgericht hat sein Verbot im Widerspruchsverfahren aufrechterhalten. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Antragsgegnerin möchte mit ihrer Berufung die Aufhebung des Verbotes erreichen. Auf die Berufungsbegründung vom 16.12.2002 wird verwiesen.

Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung mit Rechtsgründen. Ergänzend wird auf die vorbereitenden Schriftsätze mit ihren Anlagen und Beweisangeboten Bezug genommen.

II. Die Berufung hat keinen Erfolg.

1. Streitgegenstand ist das Verbot, das Arzneimittel "Mevinacor" mit einer "Patienten-Information" in Form eines Heftchens gemäß Anlage A zu vertreiben und/oder vertreiben zu lassen.

Der durch "insbesondere wenn" eingeleitete Teil des Antrages stellt keinen Unterfall eines allgemeinen Verbots dar, denn die Verletzungsform der Anlage A ist durch Aufnahme in den Antrag konkret beschrieben und hätte sich nicht noch näher konkretisieren lassen. Daraus folgt, daß die Antragstellerin mit dem "insbesondere"-Teil nicht Unterfälle eines vorausgehend formulierten allgemeinen Verbotes umschreibt, sondern lediglich Gesichtspunkte nennt, die in ihren Augen die Rechtswidrigkeit der konkreten Verwendung des Heftchens begründen. Da Rechtsansichten einer Partei das Gericht nicht binden können, kommt dem "insbesondere"-Teil lediglich die Bedeutung von Hervorhebungen zu, ohne daß er die Verletzungsform noch weiter konkretisieren könnte. Jeder Verstoß in dem zum Gegenstand des Antrages gemachten und dort umschriebenen Verhalten rechtfertigt das Verbot, ohne daß es auf den "insbesondere"-Teil ankommen würde.

Danach ist ein Teil der mit der Berufung erhobenen Rügen gegenstandslos. Die "räumliche Trennung" der Patienten-Information von der Gebrauchsinformation gehört zu dem Lebenssachverhalt, der den Streitgegenstand neben dem Antrag bestimmt, während die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter bestimmte Normen durch die Antragstellerin unerheblich ist. Deshalb brauchte das Landgericht keineswegs auf die Frage einzugehen, ob das Heftchen die Pflichtangaben enthalten muß, wenn sich die Rechtswidrigkeit des inkriminierten Verhaltens der Antragsgegnerin schon unter anderen Gesichtspunkten ergab.

Ebensowenig berührt es den Streitgegenstand, daß ein wichtiger Punkt wie der Aufkleber am Ende des Heftchens erst eineinhalb Jahr nach Erlaß des Verbotes zur Sprache gekommen und in seiner Bedeutung erkannt worden ist, denn er gehörte als Teil der im Verbot wiedergegebenen Anlage A zum Streitgegenstand, wenn seine Bedeutung von der Antragstellerin vielleicht auch nicht sofort erkannt worden sein mag. Zwar darf ein Gericht ein Verbot nicht auf einen Gesichtspunkt stützen, auf den es dem jeweiligen Angreifer nicht angekommen ist (BGH WRP 2001, 28 -dentalästhetika), ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, denn das Landgericht hat den Erinnerungs-Aufkleber bei seiner Wertung berücksichtigt, daß es sich bei dem Heftchen um eine Werbung handelt, und eben diese Auffassung hat die Antragstellerin bereits in der Antragsschrift vertreten.

Damit ist auch dem Argument der Boden entzogen, weil die Bedeutung des Erinnerungs-Aufklebers erst nach eineinhalb Jahren zur Sprache gekommen ist, sei für den "neuen" Streitgegenstand die Dringlichkeit entfallen.

2. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, daß de "Patienten-Information" zu Werbezwecken im Sinne des § 1 Ab.1 Nr. 1 HWG verwendet wird und deshalb dem HWG unterliegt (vgl. BGHZ 114, 354, 359 - "Katovit"). Diese Werbung ist allein schon deshalb nach § 10 Abs. 1 HWG unzulässig, weil außerhalb von Fachkreisen für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel geworben wird, selbst wenn man die "Patienten-Information" aufgrund des weit auszulegenden Begriffs "Packungsbeilage" als deren Teil ansieht (vgl. BGH WRP 2001, 1359, 1360).

§ 11 Abs.1 Satz 2 oder Satz 5 AMG schränken die Anwendung von § 10 HWG im vorliegenden Fall nicht ein, wobei es nicht darauf ankommt, ob man den "Angaben" den Charakter von Werbung abspricht oder ob es sich unbeschadet des Charakters als Werbung um Privilegierungen handelt. Satz 2 kommt nicht in Betracht, weil es dort um die Erläuterungen einzelner Begriffe geht. In § 11 Abs.1 S. 5 AMG werden Angaben in Packungsbeilagen für zulässig erklärt, soweit sie mit der Verwendung des Arzneimittels in Zusammenhang stehen, für die gesundheitliche Aufklärung wichtig sind und den Angaben nach § 11 a AMG nicht widersprechen. Gemeint sind "gebrauchssichernde Hinweise" (Doepner, HWG, 2. Auflage, § 10, Rdnr. 15).

Die Angaben in der "Patienten-Information" erschöpfen sich nicht darin, den Gebrauch des Arzneimittels Mevinacor zu sichern, sondern gehen darüber hinaus. Der Patient erfährt keineswegs nur, wie er das bereits erworbene Arzneimittel sachgerecht verwendet und welche Gesichtspunkte er dabei berücksichtigen sollte, ihm wird vielmehr immer wieder vor Augen geführt, warum MEVINACOR als Arzneimittel für bestimmte Zwecke geeignet ist, obwohl das weder für die Verwendung des bereits in seiner Hand befindlichen Mittels noch für die gesundheitliche Aufklärung erforderlich ist, denn die Bedeutung einer Cholesterinsenkung beispielsweise ist nicht davon abhängig, daß man gerade Mevinacor schluckt.

Damit erfüllt die "Patienten-Information" (jedenfalls auch) reine Werbezwecke, um den Patienten von der Güte gerade dieses Arzneimittels zu überzeugen, ihm dessen Namen durch immer wiederholte Nennung und Hervorhebung in Großbuchstaben "einzuhämmern" und ihn möglichst nachhaltig als Verbraucher zu gewinnen, der, soweit es in seinen Kräften steht, von sich aus dafür sorgt, es auch in Zukunft verschrieben zu bekommen. Ganz unabweisbar wird dieser Zweck, wenn der Patient durch den "Erinnerungskleber" aufgefordert wird, rechtzeitig für Nachschub zu sorgen. Gerade solchen Möglichkeiten wollte der Gesetzgeber ersichtlich vorbeugen, denn er hat die Verschreibungspflicht allein nicht als ausreichende Schutzschranke angesehen, wie das gesetzliche Werbeverbot zeigt. Deshalb kann der Antragsgegnerin nicht darin gefolgt werden, daß für Angaben, die der Patient erst nach dem Erwerb des Mittels zur Kenntnis nehmen kann, andere Maßstäbe im Hinblick auf die Werbewirkung anzulegen seien.

Mit der Verpflichtung, die Arzneimittelbezeichnung "buchstabengetreu" wiederzugeben, läßt sich die Gestaltung der "Patienten-Information" nicht begründen, denn aus § 11 Abs. 1 AMG läßt sich nicht herleiten, daß die Bezeichnung in Versalien wiedergegeben, geschweige denn, daß die Bezeichnung überhaupt ständig wiederholt werden müßte. Auch mit dem Anhalten zur Therapietreue hat das wenig zu tun, denn die Therapie liegt in der Hand des verschreibenden Arztes, und dessen Vorgaben sollten auch dann eingehalten werden, wenn er ein anderes Mittel als Mevinacor verschreibt.

Somit steht das Verbot im Einklang mit Art. 86 Abs. 1 1. HS der Richtlinie 2001/83/EG, wonach alle Maßnahmen als Werbung für Arzneimittel gelten, die Anreize mit dem Ziel schaffen, "die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern." Der von der Antragsgegnerin für erforderlich gehaltene "überschießende Werbeeffekt" ist durchaus gegeben, auch wenn sie selbst ihn leugnet, weil sie übersieht, daß der Verstoß nicht in der "Produktbezogenheit" der Angaben, sondern in deren über den Zweck der Angaben im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 5 AMG hinausgehenden Werbewirkung liegt.

Ob sich das Verbot auch mit weiteren Gesetzesverstößen, etwa der Verharmlosung von Nebenwirkungen, begründen läßt, bedarf keiner Erörterung mehr.

Die Kosten der Berufung hat die Antragsgegnerin nach § 97 ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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