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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 22.03.2007
Aktenzeichen: 3 U 202/06
Rechtsgebiete: HWG, UWG, ZPO


Vorschriften:

HWG § 3
UWG § 4 Nr. 9
UWG § 5
ZPO § 93
1. Die Werbeangabe "Nichts hilft schneller" für ein Lippenherpes-Mittel versteht der Verkehr (Fachkreise und allgemeines Publikum) als Hinweis auf eine Spitzengruppenstellung, nicht aber im Sinne einer Alleinstellung. Der Umstand, dass es um die Schnelligkeit der Wirksamkeit und damit um eine überprüfbare Tatsache geht, besagt nicht zugleich, dass es das einzige so "schnelle" Mittel wäre. Es mag noch Fälle geben, in denen der Verkehr eine Werbung mit dem sog. negativen Komparativ wegen sprachlicher Besonderheiten des Äußerungsumfeldes als Alleinstellungsberühmung versteht; das ist der Beurteilung im Einzelfall überlassen.

2. Von wettbewerblicher Eigenart ist die Werbeaussage "Nichts hilft schneller" nicht, insoweit kommt kein ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz (§ 4 Nr. 9 UWG) in Betracht.

3. Wird die Einführungswerbung nach vorangegangener fruchtloser Abmahnung gerichtlich verboten, so ist bei einer inzwischen abgewandelten Nachfolge-Werbung die erneute Abmahnung nicht entbehrlich (§ 93 ZPO).


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 202/06

Verkündet am: 22. März 2007

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Gärtner, Spannuth, Dr. Löffler nach der am 22. Februar 2007 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 27, vom 7. Juli 2006 abgeändert.

Die Beschlussverfügung des Landgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2005 wird unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Verfügungsantrages aufgehoben, soweit die Parteien das Verfügungsverfahren nicht übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Der in der Berufungsverhandlung gestellte Hilfsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die gesamten Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.

und beschlossen:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Berufungsverfahren auf 153.045,70 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Parteien sind Pharmaunternehmen und stehen miteinander im Wettbewerb.

Die Antragsgegnerin produziert und vertreibt das Arzneimittel "Sioooo(r) Pveeeee bei Lippenherpes". Hierfür hat sie mit einem TV-Spot geworben (Storyboard: Anlage ASt 1).

Die Antragstellerin beanstandet die Werbung als irreführend und nimmt die Antragsgegnerin vorliegend im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens auf Unterlassung in Anspruch.

In dem TV-Spot (Storyboard: Anlage ASt 1) sieht man eine Frau im Bad bei der Lippenpflege, dann wird die Tube "Sioooo(r) Pveeeee bei Lippenherpes" eingeblendet, darunter steht: "Patentierter Wirkstoff". Anschließend sieht man die Tube auf der Faltschachtel des Arzneimittels liegen, darunter steht: "Nichts hilft schneller". Der im TV-Spot gesprochene Text lautet:

"Lippenherpes. Wieviele Tage dauert er diesmal? Von Sioooo. Sioooo Pveeeee bei Lippenherpes. Nichts hilft schneller, der patentierte Wirkstoff ist bis zu 10x zeitaktiver. Sioooo Pveeeee bei Lippenherpes. Nichts hilft schneller. Zu Risiken und Nebenwirkungen ..."

Das Landgericht hat mit seiner Beschlussverfügung vom 13. Dezember 2005 der Antragsgegnerin unter Androhung von bestimmten Ordnungsmitteln verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das Arzneimittel Sioooo(r) Pveeeee bei Lippenherpes mit den Aussagen zu werben:

"Nichts hilft schneller"

und/oder

"... ist bis zu 10 x zeitaktiver",

insbesondere in einem TV-Spot wie in dem nachfolgend wiedergegebenen Storyboard (folgt farbiges Storyboard Bl. 3 = Anlage ASt 1).

Im Hinblick auf die anschließend mit Anwaltsschreiben vom 23. Januar 2006 von der Antragsgegnerin abgegebene strafbewehrte Verpflichtungserklärung (Anlage AG 1),

es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das Arzneimittel Sioooo(r) Pveeeee bei Lippenherpes mit der Angabe "... ist bis zu 10 x zeitaktiver" zu werben,

wenn dies wie in dem TV-Spot gemäß dem als Anlage A zu diesem Schreiben beigefügten Storyboard geschieht (es folgt eine Kopie des Storyboards = Anlage ASt 1);

hat die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 20. März 2006 erklären lassen (Anlage AG 3), sie verzichte auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung insoweit, als verboten worden ist,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das Arzneimittel Sioooo(r) Pveeeee bei Lippenherpes mit der Aussage zu werben: "... ist bis zu 10 x zeitaktiver",

insbesondere in einem TV-Spot wie in dem nachfolgend wiedergegebenen Storyboard (es folgt eine Kopie des Storyboards = Anlage ASt 1).

Insoweit haben die Parteien in der Widerspruchsverhandlung den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt (Bl. 38, 43).

Durch Urteil vom 7. Juli 2006 hat das Landgericht die Beschlussverfügung bestätigt, "soweit die Parteien den Rechtsstreit nicht übereinstimmend für erledigt erklärt haben". Auf das Urteil wird Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragsgegnerin mit der Berufung, die sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet hat.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beschlussverfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Verfügungsantrag - soweit nicht für erledigt erklärt - zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die einstweilige Verfügung dahin gehend bestätigt wird, dass der Antragsgegnerin unter Androhung von bestimmten Ordnungsmitteln verboten wird,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das Arzneimittel Sioooo(r) Pveeeee bei Lippenherpes gegenüber den allgemeinen Verkehrskreisen mit der Aussage zu werben: "Nichts hilft schneller ",

insbesondere in einem TV-Spot wie in dem in der Beschlussverfügung wiedergegebenen Storyboard (Abbildung Bl. 3 = Anlage ASt 1) ersichtlich.

B.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg. Demgemäß ist unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die einstweilige Verfügung aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Verfügungsantrag zurückzuweisen, soweit die Parteien nicht das Verfügungsverfahren für erledigt erklärt haben. Auch der in der Berufungsverhandlung gestellte Hilfsantrag der Antragstellerin ist zurückzuweisen.

I.

Der Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die vom Landgericht bestätigte Beschlussverfügung, soweit das Verfügungsverfahren nicht für erledigt erklärt worden ist (vgl. nachstehend unter II.), außerdem der Hilfs-Verfügungsantrag der Antragstellerin (siehe unter III.). Schließlich geht es auch um die Kostenentscheidung des Landgerichts betreffend den für erledigt erklärten Teil des Verfügungsverfahrens (vgl. unter IV.).

II.

Der mit dem Verfügungsantrag gemäß der Beschlussverfügung vom 13. Dezember 2005 geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist, soweit die Parteien nicht das Verfahren für erledigt erklärt haben, nach Auffassung des Senats nicht begründet.

Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin aus keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt verlangen, dass diese es künftig unterlässt,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das Arzneimittel Sioooo(r) Pveeeee bei Lippenherpes mit der Aussage zu werben: "Nichts hilft schneller ",

insbesondere in einem TV-Spot wie in dem nachfolgend wiedergegebenen Storyboard (Abbildung wie auf Bl. 3 = Anlage ASt 1).

1.) Der Unterlassungsanspruch ist nach Auffassung des Senats aus den §§ 3, 8, 4 Nr. 11 UWG, § 3 HWG nicht begründet.

(a) Die Aussage "Nichts hilft schneller" ist keine Alleinstellungsbehauptung, sondern wird vom Durchschnittsverbraucher als Werbeadressaten wörtlich nur dahin gehend verstanden, das Präparat werde im Punkt der "schnellen Hilfe" von keinem anderen Präparat übertroffen. Damit geht es um eine Spitzengruppenstellungs-Werbung und nicht um eine Alleinstellungsberühmung.

Das Argument des Landgerichts, es gehe um die "Schnelligkeit des Wirkungseintritts" als Qualitätsaussage und deswegen sei die Angabe dahin zu verstehen, das Produkt der Antragsgegnerin sei qualitativ das "einzige", ist nicht durchgreifend. Die Verwendung des negativen Komparativs bei Eigenschaftswörtern sagt das regelmäßig gerade nicht aus, vielmehr wird diese Ausdrucksweise typischerweise und wortsinngemäß nur als Behauptung einer Spitzengruppen-Stellung - und zwar bezogen auf die genannte Eigenschaft - des so beworbenen Produkts verstanden.

Es hat in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte vor dem UWG 2004 allerdings vereinzelte Entscheidungen gegeben, in denen ein negativer Komparativ gleichwohl als eine Alleinstellungsberühmung bewertet worden ist (Harte/Henning/Weidert, UWG, § 5 UWG Rz. 702 m. w. Nw.). Die BGH-Rechtsprechung hat das schon damals großzügiger gesehen (BGH GRUR 1970, 425 - Melitta-Kaffee; dort bezüglich der Aussage: "Es gibt keinen besseren Kaffee für Ihren Melitta-Filter, weil er melitta-fein gemahlen ist"). Für den nunmehr geltenden normativen Verbraucherbegriff kann insoweit jedenfalls kein strengerer Maßstab angelegt werden. Bei der Ermittlung des Verkehrsverständnisses ist auf den situationsadäquat durchschnittlich aufmerksamen, informierten und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen (BGH GRUR 2005, 438 - Epson-Tinte).

Es mag besondere Umstände des Einzelfalles geben, in denen die Verwendung eines negativen Komparativs in der Werbeaussage zu einem Verkehrsverständnis im Sinne einer Alleinstellungsberühmung führt. Der Umstand, dass es vorliegend bei der genannten Eigenschaft "schnell" um eine qualitative Aussage im Sinne eines "harten", d. h. nachprüfbaren Faktums geht, ist allerdings insoweit noch nichts besonderes. Demgemäß wird die sachbezogene Aussage "Nichts hilft schneller" entsprechend der Lebenserfahrung ohne weiteres und nahe liegend nur im Sinne einer Spitzengruppenstellung verstanden. Gesichtspunkte, die ein anderes Verkehrsverständnis erwarten lassen könnten, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Das gilt für alle angesprochenen Verkehrskreise gleichermaßen, also nicht nur für Fachkreise sondern auch für das allgemeine Publikum.

(b) Dass die Werbeaussage als Spitzengruppenstellungs-Behauptung unrichtig wäre, hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht.

2.) Zu Recht hat das Landgericht den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 8, 4 Nr. 9 UWG nicht als begründet angesehen.

Der Slogan "Nichts hilft schneller" ist ganz sprachüblich und ohne eine Verfremdung und ohne sonstige Eigenwilligkeiten gebildet und in dem TV-Spot verwendet worden. Auch nach Auffassung des Senats kann der Werbeaussage keine wettbewerbliche Eigenart im Sinne des § 4 Nr. 9 UWG zugesprochen werden. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, ergeben sich nicht.

3.) Nach alledem ist der TV-Spot der Antragsgegnerin (Anlage ASt 1 = Verbotsanlage zur Beschlussverfügung) wegen der Aussage "nichts hilft schneller" nicht zu beanstanden. Demgemäß ist der Unterlassungsanspruch nicht nur im Umfang des "insbesondere"-Antragsteils, sondern auch bezüglich des verallgemeinerten Antragsteils (vor dem "insbesondere") unbegründet.

III.

Der mit dem in der Berufungsverhandlung noch gestellten Hilfsantrag geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist ebenfalls nicht begründet.

Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin aus keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt verlangen, dass diese es künftig unterlässt,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das Arzneimittel Sioooo(r) Pveeeee bei Lippenherpes gegenüber den allgemeinen Verkehrskreisen mit der Aussage zu werben: "Nichts hilft schneller ",

insbesondere in einem TV-Spot wie in dem nachfolgend wiedergegebenen Storyboard (Abbildung wie auf Bl. 3 = Anlage ASt 1).

Bei diesem Hilfsantrag handelt es sich gegenüber dem oben unter II. abgehandelten Hauptantrag um einen "echten" Hilfsantrag, d. h. er ist in dem Hauptantrag enthalten. Auf die obigen Ausführungen unter II. wird entsprechend Bezug genommen.

IV.

Nach alledem war die Berufung der Antragsgegnerin begründet und das landgerichtliche Urteil mit der aus dem Urteilsausspruch des Senats ersichtlichen Maßgabe abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, soweit die Verfügungsanträge der Antragstellerin abzuweisen waren, und im Übrigen auf § 91 a ZPO.

Soweit die Parteien das Verfügungsverfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, entspricht es nach Auffassung des Senats der Billigkeit, die Antragstellerin mit den Kosten zu belasten (§ 91 a ZPO).

Die Antragsgegnerin hat alsbald ihre strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgeben lassen (Anlage AG 1). Das kommt einem sofortigen Anerkenntnis im Sinne des § 93 ZPO im Hinblick auf die "Sofortigkeit" gleich.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat die Antragsgegnerin keine Veranlassung für das Verfügungsverfahren insoweit gegeben. Sie ist nicht zuvor abgemahnt worden. Eine Verfügungsklägerin ist grundsätzlich gehalten, vor Einleitung des Verfügungsverfahrens zur Vermeidung von Kostennachteilen den Schuldner abzumahnen. Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.

Der Umstand, dass die Antragsgegnerin zuvor mit Anwaltsschreiben vom 8. November 2005 wegen eines ähnlichen TV-Spots mit eben den beiden, auch vorliegend angegriffenen Aussagen fruchtlos abgemahnt worden war (Anlage ASt 13), schöpft den Sachverhalt nicht aus:

Nach jener Abmahnung erging eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Köln am 9. November 2005. Es spricht nichts für die Annahme, trotz des gerichtlichen Verbots werde die Antragsgegnerin bei dem nächsten, durchaus ähnlichen TV-Spot sich auf eine Abmahnung hin nicht unterwerfen. Es war vielmehr zu erwarten, dass das ergangene Verbot die Unterwerfungsbereitschaft bei der Antragsgegnerin verstärken würde.

Zum anderen ging es damals auch noch um den zusätzlichen Gesichtspunkt einer Werbung mit der Angabe "Neu". Das mag erklären, weshalb die Antragsgegnerin im ersten Fall fruchtlos abgemahnt worden ist, kann aber letztlich offen bleiben. Denn dass die Antragsgegnerin etwa eine Uneinsichtigkeit "auf Dauer" signalisiert hätte, ist nicht vorgetragen worden.

Ende der Entscheidung

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