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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 03.07.2003
Aktenzeichen: 3 U 218/02
Rechtsgebiete: UWG, HWG
Vorschriften:
UWG § 3 | |
HWG § 3 |
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 3. Juli 2003
In dem Rechtsstreit
hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter
Gärtner, v. Franqué, Spannuth
nach der am 26. Juni 2003 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 28. August 2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe:
I. Die Parteien vertreiben Arzneimittel gegen Schmerzen, sog. OTC (Over The Counter) - Analgetika, die man rezeptfrei in Apotheken kaufen kann. Das "D" der Antragstellerin enthält als wirksamen Bestandteil Ibuprofen, das "A" der An tragsgegnerin mit den Anwendungsgebieten "Leichte bis mäßig starke Schmerzen und Fieber" den Wirkstoff "Naproxen Natrium 220 mg" (entsprechend 200 mg Naproxen).
In einer bundesweit an Apotheker versendeten Broschüre warb die Antragsgegnerin für "A". Das Landgericht hat seine Verbote, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken für das Arzneimittel "A" wie folgt zu werben und/oder werben zu lassen:
1. "Wie wirksam ist A(r) im Vergleich zu anderen OTC-Analgetika?" [mit beigefügter Graphik]
2. "A wirkt im Vergleich zu anderen OTC-Analgetika sehr effizient"
3. "Wie verträglich ist A ?" [mit beigefügtem Balkendiagramm, in dem die "Häufigkeit unerwünschter Nebenwirkungen %" für "Naproxen-Natrium 220 mg" und Ibuprofen durch zwei gleich hohe Säulen mit dem Wert 6 angegebene war]
4. "Empfehlen Sie A - Naproxen-Natrium 220 mg - denn A ist gut verträglich: wie Ibuprofen] zu 3.) und 4.) im Widerspruchsverfahren aufgehoben.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Antragstellerin verfolgt ihr Begehren im Berufungsverfahren weiter und hat die Anträge wie zu 2.) und 3.) angekündigt, Ausführungen zu den Anträgen zu 3.) und 4.) gemacht und diese auch in der Verhandlung gestellt. Ergänzend wird auf die vorbereitenden Schriftsätze mit ihren Anlagen und Beweisangeboten Bezug genommen.
II. Die Berufung hat keinen Erfolg.
1. Sie ist allerdings zulässig. Da es sinnlos ist, einen Antrag zu wiederholen, mit dem man in erster Instanz Erfolg gehabt hat, und da sich in der Berufungsschrift keine Ausführungen zu dem erfolgreichen Antrag zu 2., sondern nur solche zu dem abgewiesenen Antrag zu 4. finden, ist offensichtlich, daß sich die Berufung der Antragstellerin gegen die Aufhebung des Verbotes zu 4. richtet und die Wiederholung des Antrages zu 2. einen erkennbaren und deshalb unschädlichen Irrtum darstellt.
2. In der Sache bleibt die Berufung erfolglos.
Die Antragstellerin trifft mit ihrer Berufungsbegründung nicht den tragenden Kern der angefochtenen Entscheidung, wonach ihr der Nachweis obliegt, daß ihr als Unterlassungsgläubigerin Ansprüche wegen der Irreführung des Verkehrs (§§ 3 UWG, 3 HWG) zustehen, und eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast bei gesundheitsbezogenen Aussagen nur dann in Betracht kommt, wenn es sich um wissenschaftlich umstrittene Aussagen handelt, was aber auch zunächst dargelegt und glaubhaft gemacht werden muß. Das entspricht gesicherten Grundsätzen der Rechtsprechung, wie sie der Senat ständig anwendet.
Dabei verkennt der Senat nicht, daß es auch irreführend sein kann, wenn eine Werbeaussage auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen, wobei die Irreführung nicht darin liegt, daß die Aussage falsch ist, sondern daß sie jeder Grundlage entbehrt. Deshalb kann das nur gelten, wenn die in Bezug genommenen Studien als Erkenntnisquelle nicht in Betracht kommen, weil die aus ihr gezogenen Schlüsse unvertretbar sind. So liegen die Dinge hier aber nicht, denn wie das Landgericht dargelegt hat, spricht das zur Verfügung gestellte Material dafür, daß die Werbebehauptung zutrifft oder jedenfalls zutreffen kann. In einem solchen Falle genügen Zweifel, die der jeweilige Anspruchsteller selbst an der Richtigkeit der aus den Studien gezogenen Schlüsse äußert, noch nicht, um die Aussage als irreführend zu verbieten, denn es fehlt keineswegs an einer Grundlage für sie. Sähe man es anders, würde sich die Beweislast zum Nachteil des Werbenden vollständig umkehren, denn der Wettbewerber bräuchte nur Zweifel zu äußern, um die Nachweislast dem Werbenden zuzuschieben. Im Heilmittelwerberecht gibt es zwar Besonderheiten im Hinblick auf die Irreführung (vgl. Doepner, HWG, 2. Auflage, § 3, Rdnr. 34), die vollständige Umkehr der Beweislast gehört aber nicht dazu.
Deshalb kommt es auf die Angriffe der Antragstellerin gegen die Studie von D et al. (Anlage Ast 5 = Ag 7) nicht an, denn selbst wenn sie begründet sein sollten, würde sich daraus nicht ergeben, daß die auf diese und weitere Studien gestützte Behauptung der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Verträglichkeit der verglichenen Wirkstoffe haltlos oder gar falsch wäre. Das Landgericht hat auch dargelegt, daß sich aus der Studie nicht herleiten lasse, daß die Aussage zur Verträglichkeit der beiden Wirkstoffe umstritten sei, weil sie eher das Gegenteil besage. Dies zu wiederholen besteht um so weniger Anlaß, als die Antragstellerin insoweit wortgleich ihre Argumentation aus erster Instanz aufgreift, die dem Landgericht bekannt war.
Neu ist allenfalls der Gedanke, daß die angesprochenen Apotheker dem Balkendiagramm (und allein hierauf stellt die Antragstellerin ab, denn ihre Ausführungen sollen gerade nicht für das Verbot zu 4. gelten) die Angabe entnähmen, "die Häufigkeit von Nebenwirkungen, die bei 'A' auftreten, (sei) mit der Häufigkeit von Nebenwirkungen, die bei Ibuprofen auftreten, identisch, kurzum es bestünden insoweit keine Unterschiede."
Dieser Gedanke überzeugt nicht. Von "Identität der Nebenwirkungen" ist in der Graphik nicht die Rede, sondern davon, daß bei beiden Wirkstoffen Naproxen-Natrium (von "A" ist unmittelbar gar nicht die Rede) und Ibuprofen im Hinblick auf den Parameter "Häufigkeit unerwünschte Wirkungen" das gleiche Maß von 6 % gilt. Das Landgericht hat diese Angabe als zutreffend angesehen, weil die für die beiden Wirkstoffe ermittelten Werte von 87,4 % und 87,7 % "in etwa das gleiche Nebenwirkungspotential" anzeigten. Apotheker wissen, wie andere Akademiker auch, daß mit Diagrammen Arbeitsergebnisse augenfällig gemacht werden sollen und ihr Sinn gerade darin besteht, die Unübersichtlichkeit reiner Zahlenangaben zu überwinden. Sie schließen aus derartig sinnfällig gemachten Arbeitsergebnissen selbst dann nicht auf absolute Identität, wenn die Gleichheit der Säulenhöhe durch die vereinfachte Zahlenangabe "6" betont wird, denn Prozentzahlen treten in den seltensten Fällen als ganze Zahlen, sondern im Regelfall als Dezimalbruch auf. Deshalb weiß der Apotheker, daß auch die "identischen" Zahlen eine Vereinfachung darstellen und keine echte "Identität" ausdrücken sollen. Das bedeutet, daß sich nicht mit der Studie von D et al. selbst belegen läßt, daß die Angabe irreführend wirkt, weil sich aus ihr keine auch in den Bruchteilen identischen Zahlen ergeben, ganz zu schweigen von dem Umstand, daß sich die Antragsgegnerin für die Richtigkeit der angegebenen Maßzahlen auf die Untersuchungen von S (Anlage Ag 9 a) und beruft. Auch etwaige Unzulänglichkeiten dieser Studien würden nicht beweisen, daß der Vergleich falsch und die Behauptungen umstritten wären.
Es kann nur wiederholt werden, daß Zweifel, die die Antragstellerin gegenüber den Ergebnissen einer Studie äußert, selbst dann, wenn sie begründet sein sollten, noch keineswegs Umstrittenheit einer wissenschaftlichen Aussage bedeuten. Dazu wären wissenschaftlich ernstzunehmende Gegenstimmen erforderlich, die das Ergebnis der Studie selbst infrage stellen. Solche Gegenstimmen benennt die Antragstellerin aber nicht.
Das gilt auch für die Studie von P-G et al. (Anlage Ast 6 = Ag 9), denn sie befaßt sich nicht mit den Studien von D, S, U et al.. Umstrittenheit wäre allerdings auch dann anzunehmen, wenn andere Studien unter gleichen Versuchsbedingungen zu anderen Ergebnissen gelangen würden. Eben diese Voraussetzung ist in der Studie von P-G schon deshalb nicht erfüllt, weil es sich um eine retrospektive Studie handelt. Zudem hat sie nicht einen Vergleich von Ibuprofen und Naproxen-Natrium 220 mg zum Gegenstand, wie ihn die angegriffene Graphik verdeutlicht, sondern befaßt sich überwiegend mit höheren Dosierungen und anderer Medikationsdauer.
Schließlich kommt sie zu Ergebnissen, die mit der angegriffenen Angabe durchaus vereinbar sind, denn sie gibt zwar für das Risiko von Magenblutungen, bezogen auf 10.000 Anwender für Naproxen mit 2,3 einen höheren Wert an als für Ibuprofen mit 0,4. Dabei handelt es sich aber lediglich um Mittelwerte, also um statistische Aussagen. Inwieweit diese so verallgemeinert werden dürfen, daß man von ihnen auf die Wirklichkeit schließen kann, ergibt sich aus dem Konfidenzintervall (hier 95 %), das angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit von 95 % man diese Werte auch erzielen würde, wenn man alle Anwendungsfälle tatsächlich untersuchen würde. So jedenfalls versteht der Senat das Vorbringen der Parteien. Für Naproxen ist ein Intervall von 1,2 bis 4,2 angegeben, das heißt, ein Mittelwert von 1,2 aller Anwendungsfälle würde das Ergebnis bestätigen. Das Konfidenzintervall beträgt 0,04 bis 1,3 für Ibuprofen, auch dort wäre ein Mittelwert aller Anwendungsfälle von 1,2 eine Bestätigung. Somit können die genannten Zahlen der Studie nicht belegen, daß sich beide Wirkstoffe hinsichtlich der Verträglichkeit unterscheiden.
Daß die prospektive Studie von S et al. (Anlage Ag 8), wie von der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 02.08.2002 dargelegt wird, die behaupteten Aussagen zur gleichen Verträglichkeit der beiden Wirkstoffe belegt, ist demnach nicht mehr streitentscheidend, hätte aber ein weiterer Grund für die Antragstellerin sein müssen, für ihre Auffassung andere Materialien vorzulegen. Sie geht aber nicht auf die Ausführungen der Antragsgegnerin zur Studie S ein, während sie sich erstinstanzlich auf den Hinweis beschränkt hat, daß sich aus der Anlage Ag 8 "keine näheren Erkenntnisse über das Design der Studie oder die Auswahl der Patienten ziehen" lassen. Das mag so sein, ersetzt aber keinen sachdienlichen Vortrag der beweisbelasteten Antragstellerin.
Als einzigen neuen Gesichtspunkt führt die Antragstellerin ein, daß für den Vergleich zweier Gruppen allein das relative Risiko entscheidend sei. Das sieht auch die Antragsgegnerin so, legt aber zugleich dar, daß Feststellungen hierzu nur bei prospektiven Studien getroffen werden können, während es sich bei der Studie P-G eine retrospektive Studie handelt. Der dürftige Hinweis der Antragstellerin auf die Anlage BK 3 vermittelt dem Senat nicht die erforderliche Sachkunde, um den Einwand der Antragsgegnerin widerlegen und die Behauptungen der Antragstellerin als glaubhaft gemacht ansehen zu können.
Daraus folgt, daß auch der Antrag zu 4. unbegründet ist. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Ende der Entscheidung
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