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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 3 U 292/06
Rechtsgebiete: HWG, UWG


Vorschriften:

HWG § 3 a
UWG § 3
UWG § 4 Nr. 11
UWG § 8
Die Arzneimittelwerbung "bezogen" auf ein Anwendungsgebiet (§ 3 a Satz 2 HWG) setzt voraus, dass der Referenzverbraucher in der Werbung einen Hinweis auf die Anwendung des Mittels und nicht nur auf dessen Wirkungen entnimmt.

1. Der Hinweis "Roo schützt Ihre MS-Patienten von Anfang an" wird als Hinweis verstanden, das Arzneimittel zu Beginn der Behandlung einzusetzen. Dass das Mittel - anders als die gängigen Mittel der First-Line-Therapie - hierfür nur bei einem ganz eingeschränkten Patientenkollektiv zugelassen ist, lässt die Werbung aus sich heraus nicht erkennen. Ausführliche Vorab-Produktinformationen, die an "jeden" interessierten Arzt verschickt worden sind, ändert die Beurteilung der streitgegenständlichen Werbung nicht.

2. Für § 3 a HWG muss ein bestimmtes Verordnungsverhalten nicht eingetreten sein, die Werbung muss nur geeignet sein, die Marktentschließung zu beeinflussen. Daher ist es unerheblich, dass der Referenzarzt allgemein weiß, dass es unterschiedliche Zulassungen gibt und/oder dass er die Unrichtigkeit der Werbung durch Abgleich z. B. mit der Fachinformation, anderer Literatur oder den Pflichtangaben herausfinden kann. Pflichtangaben haben ohnehin nicht die Funktion, Werbeaussagen zu berichtigen.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 292/06

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 19. Juli 2007

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Gärtner, Spannuth, Dr. Löffler nach der am 28. Juni 2007 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 24. Oktober 2006 abgeändert.

Die Beschlussverfügung des Landgerichts Hamburg vom 14. September 2006 wird erneut erlassen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

Gründe:

A.

Die Parteien sind Pharmaunternehmen, vertreiben biotechnologische Präparate zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) und stehen miteinander im Wettbewerb.

Die Antragsgegnerin wirbt für ihr Arzneimittel Roooo mit der Broschüre BASISWISSEN Roooo (Anlage ASt 7).

Die Antragstellerin beanstandet zwei Angaben aus dieser Broschüre als unlauter. Sie nimmt die Antragsgegnerin vorliegend im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch.

Die Seite 5 der Werbebroschüre (Anlage ASt 7 - das betrifft den Verfügungsantrag zu 1.) ist mit "Schubrisiko" überschrieben, dort heißt es im unteren 3. Drittel der Seite:

RooooTM "schützt" Ihre MS-Patienten von Anfang an.

Die Doppelseite 12/13 der Broschüre (Anlage ASt 7 - das betrifft den Verfügungsantrag zu 2.) ist links mit "Anwendung" überschriebenen, rechts steht auf der oberen Hälfte der Seite 13:

Umstellungen auf RooooTM -Therapie 1)

- Interferon-beta- und Glatirameracetat-Patienten: direkte Umstellung auf Roooo möglich, sofern keine Anzeichen relevanter behandlungsbedingter Auffälligkeiten, wie z. B. eine Neutropenie vorliegen

- Patienten mit vorheriger Immunsuppressiva-Therapie (z. B. Mitoxantron, Cyclophosphamid, Azathioprin)

Einleitung der Roooo-Therapie erst beginnen, nachdem gewiss ist, dass diese Patienten nicht mehr immungeschwächt sind.

Die hochgestellte Ziffer 1) wird auf der letzten Seite der Broschüre unter "Literatur" erläutert mit: "Fachinformation RooooTM" (Anlage ASt 7).

In der Fachinformation von "RooooTM 300 mg Konzentrat, Infusionslösung" (Anlage ASt 5) heißt es unter Ziffer 4.1 Anwendungsgebiete:

Roooo ist für die krankheitsmodifizierende Monotherapie von hochaktiver, schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose (MS) bei folgenden Patientengruppen indiziert:

- Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem Interferon beta (siehe 5.1)

oder

- Patienten mit rasch fortschreitender schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose (siehe 5.1);

und unter Ziffer 5.1 Pharmakodynamische Eigenschaften der Fachinformation (Anlage ASt 5) heißt es u. a.:

Klinische Wirksamkeit

Roooo ist für die krankheitsmodifizierende Monotherapie bei schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose bei folgenden Patientengruppen zur Prävention von Schüben und zur Verlangsamung von Behinderungsprogression indiziert. Aufgrund von Sicherheitsbedenken (siehe 4.4 und 4.8) ist die Behandlung auf folgende Patientengruppen beschränkt:

- Patienten, die nicht auf einen vollständigen und angemessenen Zyklus einer Interferon beta-Therapie angesprochen haben. Bei den Patienten sollte es während der Therapie im vorangegangenen Jahr zu mindestens einem Schub gekommen sein und sie sollten mindestens 9 T2-hyperintense Läsionen in der kranialen MRT oder mindestens 1 Gadolinium-anreichernde Läsion aufweisen,

oder

- Patienten mit rasch fortschreitender schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose, definiert durch 2 oder mehr Schübe mit Behinderungsprogression in einem Jahr, und mit 1 oder mehr Gadolinium-anreichender Läsionen in der MRT des Gehirns oder mit einer signifikanten Erhöhung der T2-Läsionen im Vergleich zu einer früheren, in jüngerer Zeit angefertigten MRT.

Mit Beschluss vom 14. September 2006 hatte das Landgericht der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Arzneimittel Roooo (Wirkstoff: Natalizumab) mit folgenden Angaben zu bewerben:

1. "Roooo schützt Ihre MS-Patienten von Anfang an" insbesondere wenn dies wie in der diesem Beschluss in Kopie als Anlage ASt 1 beigefügten Seite 5 der Werbebroschüre "Basiswissen Roooo" geschieht;

und/oder

2. "Umstellungen auf Roooo-Therapie

- Interferon-beta- und Glatirameracetat-Patienten: direkte Umstellung auf Roooo möglich, sofern keine Anzeichen relevanter behandlungsbedingter Auffälligkeiten, wie z. B. eine Neutropenie vorliegen

- Patienten mit vorheriger Immunsuppressiva-Therapie (z. B. Mitoxantron, Cyclophosphamid, Azathioprin) Einleitung der Roooo-Therapie erst beginnen, nachdem gewiss ist, dass diese Patienten nicht mehr immungeschwächt sind",

insbesondere wenn dies wie in der diesem Beschluss in Kopie als Anlage ASt 2 beigefügten Seite 13 der Werbebroschüre "Basiswissen Roooo" geschieht (es folgen als Verbotsanlagen ASt 1 und ASt 2 die Kopien der Seiten 4/5 und 12/13 der Broschüre).

Durch Urteil vom 24. Oktober 2006 hat das Landgericht seine Beschlussverfügung vom 14. September 2006 aufgehoben und den auf ihren Erlass gerichteten Verfügungsantrag zurückgewiesen. Auf das Urteil wird Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragstellerin mit der Berufung, die sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet hat.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die einstweilige Verfügung wie mit Schriftsatz vom 12. September 2006 beantragt, erneut zu erlassen.

Die Antragsgegnerin bittet um die Zurückweisung der Berufung.

B.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg. Die Beschlussverfügung des Landgerichts ist daher unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils erneut zu erlassen.

I.

Der Gegenstand der Berufung der Antragstellerin ist die vom angefochtenen Urteil aufgehobene Beschlussverfügung, deren Neuerlass die Antragstellerin beantragt.

Die Antragstellerin hat in der Berufungsverhandlung klarstellen lassen, dass es ihr nicht - anders als es nach dem ursprünglich angekündigten Berufungsantrag zu erwarten gewesen wäre - um die Unterlassungsanträge in der Fassung der Antragsschrift geht.

Der Gegenstand der Unterlassungsanträge zu 1.) und zu 2.) in der maßgeblichen Fassung der Beschlussverfügung ist die Verwendung der in den Anträgen zitierten Angaben in der Werbung für das Arzneimittel Roooo, und zwar bei beiden Anträgen zum einen verallgemeinert (jeweils vor dem "insbesondere") und zum anderen in der Form von "insbesondere"-Anträgen.

Die "insbesondere"-Anträge zu 1.) und zu 2.) beziehen sich mit dem Nachsatz im Verbotsausspruch der Beschlussverfügung:

"wenn dies wie in der diesem Beschluss in Kopie als Anlage ... beigefügten Seite ... der Werbebroschüre BASISWISSEN Roooo geschieht"

auf die Verwendung der unter den Ziffern 1.) und 2.) zitierten Werbeäußerungen jeweils in einem bestimmten Werbeumfeld, und zwar beim Verbot gemäß "insbesondere"-Antrag zu 1.) auf die oben näher beschriebene Seite 5 der Broschüre BASISWISSEN Roooo (Verbotsanlage ASt 1, dort die rechte Seite) und beim Verbot des "insbesondere"-Antrages zu 2.) auf die Seite 13 der Broschüre (Verbotsanlage ASt 2, dort ebenfalls die rechte Seite).

II.

Der Unterlassungsantrag gemäß dem "insbesondere"-Verbot zu Ziffer 1.) der Beschlussverfügung ist nach Auffassung des Senats aus den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 3 a HWG begründet.

Die Antragstellerin kann nach diesen Vorschriften von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese es künftig unterlässt,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Arzneimittel Roooo (Wirkstoff: Natalizumab) mit folgender Angabe zu bewerben:

"Roooo schützt Ihre MS-Patienten von Anfang an"

wenn dies wie in der der Beschlussverfügung in Kopie als Anlage ASt 1 beigefügten Seite 5 der Werbebroschüre "Basiswissen Roooo" (Verbotsanlage ASt 1 rechte Seite) geschieht.

Es kann offen bleiben, ob der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch aus den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 3 HWG (wegen irreführender Werbung) gegeben ist.

1.) Nach § 3 a Satz 1 HWG ist eine Werbung für Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen und die nicht nach arzneimittelrechtlichen Vorschriften zugelassen sind oder als zugelassen gelten, unzulässig. Nach § 3 a Satz 2 HWG findet Satz 1 auch Anwendung, wenn sich die Werbung auf Anwendungsgebiete bezieht, die nicht von der Zulassung erfasst sind.

Der Wortlaut der in der Zulassung wiedergegebenen Anwendungsgebiete bestimmt insoweit den rechtlichen Rahmen der Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels, für nicht zugelassene Indikationen darf nicht geworben werden. Mit § 3 a HWG soll potentiellen Irreführungsgefahren auch hinsichtlich des Umfangs der medizinisch-pharmakologischen Überprüfung der Verkehrsfähigkeit und daraus resultierender Gesundheitsgefahren vorgebeugt werden.

Der Begriff "Anwendungsgebiete" - sie gehören zu den vorgeschriebenen Pflichtangaben in der Werbung (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 HWG) - ist gleichbedeutend mit dem in der medizinischen Wissenschaft gebräuchlichen Begriff der Indikation. Er bezeichnet die dem Arzneimittel gegebene Zweckbestimmung, insbesondere die körperlichen und seelischen Zustände, die durch das betreffende Arzneimittel beeinflusst werden sollen (Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Auflage, § 4 HWG Rz. 36 m. w. Nw.).

Die Anwendungsgebiete ergeben sich aus den Zulassungsunterlagen (§ 22 Abs. 1 Nr. 6 AMG) und dem hieran anknüpfenden Zulassungsbescheid. Die in der Werbung angegebenen bzw. kommunizierten Indikationen müssen jedenfalls inhaltlich mit denjenigen übereinstimmen, die für das betreffende Präparat durch die zuständige Bundesoberbehörde registriert oder zugelassen sind (vgl. Doepner, a. a. O.).

Die Arzneimittelwerbung für ein Anwendungsgebiet (und demgemäß für ein solches außerhalb der bestehenden Zulassung) setzt voraus, dass der Referenzverbraucher in der Werbung einen Hinweis auf die Anwendung des Mittels und nicht nur auf dessen Wirkungen entnimmt. Denn die nach § 3 a HWG unzulässige Werbung muss sich auf Anwendungsgebiete (oder Darreichungsformen) außerhalb der Zulassung beziehen.

2.) Die beanstandete Werbeaussage: "Roooo 'schützt' Ihre MS-Patienten von Anfang an" unterbreitet schon von ihrem eindeutigen Wortsinngehalt dem angesprochenen Arzt die Möglichkeit, das so beworbene Mittel bei "seinen" MS-Patienten zu Beginn der Behandlung einzusetzen. Gerade weil das Arzneimittel vermeintlich generell bei MS-Patienten von Anfang an "schützen" soll, liegt es nur nahe, das als Aufforderung zur Behandlung so aufzufassen, und zwar "von Anfang an".

Angesichts dieser eindeutigen, jeden Gedanken an irgend eine Beschränkung wegblendenden Aussage, wäre die Annahme eines differenzierten Verständnisses verfehlt. Es wird dem Referenzarzt mit diesem Satz nirgends verdeutlicht, dass etwa eine Erstbehandlung mit Roooo nur bei einem ganz eingeschränkt definierten Patientenkollektiv zugelassen ist. Deswegen hat der Arzt auch keinen Anhalt, den Anwendungshinweis gleichsam von vornherein in einem konkreten Bereich als ausgeblendet zu verstehen. "Ihre Patienten" spricht jeden Arzt mit seinen MS-Patienten an und differenziert nicht deren MS-Krankheitsbild, entsprechendes gilt für die Zeitbestimmung "von Anfang an".

Die gegenteiligen Argumente der Antragsgegnerin greifen nicht durch:

(a) Das Landgericht hat zur Begründung, weshalb nach seiner Auffassung § 3 a HWG und/oder § 3 HWG nicht gegeben sei, ausgeführt, der Verkehr verstehe die Aussage nicht als Aufforderung, das Arzneimittel Roooo "jedem behandlungsbedürftigen MS-Patienten ohne weiteres zu verordnen", der Arzt sei daran gewöhnt, das individuelle Krankheitsbild des MS-Patienten mit der Indikation des betreffenden Mittels abzugleichen, erst danach könne er eine "verantwortungsvolle Verordnungsentscheidung treffen" und es sei auszuschließen, dass der angesprochene MS-Spezialist "aufgrund allein der Broschüre eine Verordnungsentscheidung zur Behandlung eines MS-Patienten treffe".

Diese Begründung greift für § 3 a Satz 2 HWG nicht durch. Die Vorschrift setzt kein bestimmtes, bereits eingetretenes Verordnungsverhalten als Folge der Werbung voraus, sondern betrifft die Werbung selbst, die eigenständig am Maßstab des § 3 a HWG zu beurteilen ist. Deswegen kann eine Werbung für ein nicht zugelassenes Anwendungsgebiet - wie der Senat mehrfach entschieden hat - nicht mit dem Argument verneint werden, der Arzt werde, könnte bzw. sollte vor einer Verordnung die Pflichtangaben berücksichtigen und diese in das Verständnis einer Werbeaussage einbeziehen. Nach diesem Maßstab wäre § 3 a Satz 2 HWG praktisch nicht mehr anzuwenden, soweit die Werbung - wie es regelmäßig geschieht - die Pflichtangaben enthält. Dass das nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand.

Im Übrigen können die Pflichtangaben schon aus Rechtsgründen nicht zur Erläuterung der Werbeangaben selbst herangezogen werden, denn sie haben nicht die Funktion, Werbeaussagen zu berichtigen, zu relativieren oder zu ergänzen, sondern sie bezwecken es, den Arzt unabhängig von dem Inhalt und der Gestaltung der Werbung in die Lage zu versetzen, sich stets anhand der von der Zulassungsbehörde gebilligten Hinweise über wesentliche Merkmale des Arzneimittels zu informieren. Auch das hat der Senat bereits mehrfach entschieden. Daran ist festzuhalten.

Nichts anderes kann für die Überlegung des Landgerichts gelten, der Arzt werde bzw. sollte sich vor einer Verordnung anhand der Fachinformation und/oder weiterführender medizinischer Literatur informieren. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Werbeaussagen stellt auf das Verständnis des Referenzverbrauchers von der Aussage und deren Eignung zur Beeinflussung der Marktentschließung ab. Dass das im Heilmittelwerberecht wegen der berührten Interessen der Gesundheitsgefahren sogar verstärkt gilt, ist selbstverständlich. Deswegen kann ein Verstoß gegen § 3 a Satz 2 HWG nicht unter Hinweis auf die - letztlich nie auszuschließende - Möglichkeit verneint werden, der Referenzverbraucher werde sich anderweitig über die Zulassung des Arzneimittels informieren.

Im Übrigen liegt es, wenn man von dem Informationsstand des maßgeblichen Referenzarztes ausgeht, der die therapeutischen Möglichkeiten zur MS-Behandlung mit den rekombinaten beta-Interferonen kennt und daher weiß, dass diese bei schubförmiger MS bereits als sog. First-Line-Therapie und damit tatsächlich "von Anfang an" eingesetzt werden und hierfür zugelassen sind, für den Referenzverbraucher nur nahe, die beanstandete Aussage der Antragsgegnerin auf eine insoweit (nahezu) gleiche Indikation wie die der Standardpräparate zu beziehen und das Mittel selbstverständlich auch "von Anfang an" einzusetzen, wenn es "seine" MS-Patienten "von Anfang an" schützen soll.

(c) Das weitere, von der Antragsgegnerin geteilte Argument des Landgerichts, der Referenzarzt wisse, dass alle auf dem Markt erhältlichen MS-Arzneimittel nicht uneingeschränkt für die MS-Behandlung zugelassen seien, ist ebenfalls nicht stichhaltig.

Gerade weil die Werbung der Antragsgegnerin einschränkungslos und undifferenziert "Ihre MS-Patienten" als das vermeintliche Anwendungsgebiet (und zwar: "von Anfang an") benennt, hat der Arzt keinen Anhalt, ausgerechnet die Indikation für die gängige First-Line-Therapie auszublenden. Dass nicht jedes Mittel uneingeschränkt zugelassen ist, liegt nicht nur im Bereich der MS-Arzneimittel sondern allgemein schon nach der Lebenserfahrung auf der Hand. Gleichwohl ist, wie oben bereits ausgeführt, die Werbeaussage aus sich heraus gemäß § 3 a Satz 2 HWG zu beurteilen und nicht etwa erst nach Abgleich mit den betreffenden Indikationen.

(d) Schließlich kann sich die Antragsgegnerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe bei der Markteinführung von Roooo in einer groß angelegten "vorbildlichen" Informationskampagne über die Produkteigenschaften von Roooo einschließlich der Anwendungsgebiete "jedem" Arzt, der Roooo erstmals habe verordnen wollen, unaufgefordert ein ausführliches Informationspaket über Roooo zukommen lassen und außerdem habe sie umfangreich und aufklärend in Fachpublikationen geworben.

Die von der Antragsgegnerin gerade in diesem Punkt mit allem Nachdruck verfolgte Argumentation kann nicht dazu führen, die angegriffene Werbung gleichsam "eingebettet" in die Vorabinformation, die die Antragsgegnerin hat verbreiten lassen, zu beurteilen. Die Antragsgegnerin verkennt, dass der Unterlassungsanspruch in die Zukunft gerichtet ist und dass jederzeit dem Referenzarzt die beanstandete Werbung begegnen kann, und damit auch solchen, denen die eingeschränkte Zulassung von Roooo eben nicht geläufig ist. Entsprechendes galt auch in der Vergangenheit in Bezug auf die Markteinführung von Roooo. Ärzte werden nach aller Lebenserfahrung mit einer Fülle von Arzneimittelwerbung gleichsam überhäuft, die Wahrnehmungen hiervon müssen - da Ärzte in erster Linie Patienten behandeln und nicht Werbebroschüren und/oder Anzeigen studieren - bruchstückhaft und unvollkommen bleiben.

Es wäre daher verfehlt, die angegriffene Werbung nicht aus sich heraus an § 3 a Satz 2 HWG zu beurteilen.

3.) Entgegen der beanstandeten Werbeaussage ist Roooo, wie oben ausgeführt, für die krankheitsmodifizierende Monotherapie von hochaktiver, schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose (MS) nur bei folgenden Patientengruppen indiziert:

- Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem Interferon beta;

oder

- Patienten mit rasch fortschreitender schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose.

Demgemäß verstößt die Werbung mit dieser Aussage gegen § 3 a Satz 2 HWG.

4.) Der Verstoß gegen § 3 a HWG ist ein solcher gegen § 4 Nr. 11 UWG.

5.) Auch die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind gegeben. Der Unterlassungsantrag erfasst die konkrete Verletzungsform.

Der Antrag bezieht sich im Verbot auf die Verwendung der Werbeaussage, wenn das geschieht, wie auf die Seite 5 der Werbebroschüre "Basiswissen Roooo" (Verbotsanlage ASt 1, dort rechte Seite).

(a) Auf der Seite 5 der Werbebroschüre ist die beanstandete Werbeaussage wörtlich so wiedergegeben.

(b) Es besteht entgegen dem Landgericht für den Referenzarzt keine Veranlassung, auf der Seite 5 der Broschüre die Wendung "von Anfang an" innerhalb der Aussage etwa nur als eine Umschreibung des Ergebnisses der auf derselben Seite stehenden Graphik zu verstehen.

Diese Graphik bezieht sich auf eine Studie (Roooo versus Placebo) und das Studienergebnis wird unterhalb der Graphik folgendermaßen beschrieben: "Schon nach 6 Wochen Roooo-Therapie zeigte sich ein signifikanter Unterschied zu Placebo".

Das korrespondiert schon vom Wortsinngehalt nicht mit der beanstandeten Aussage (Roooo "schützt" Ihre Patienten von Anfang an), denn der Umstand, dass sich nach 6 Wochen bei der Anwendung von Roooo ein signifikanter Unterschied zu Placebo ergeben hat, ist etwas anderes als "von Anfang an".

Außerdem steht die beanstandete Aussage auf der Seite 5 der Broschüre nicht in einer räumlich der Graphik noch zugeordneten Nähe, sondern davon abgesetzt im unteren Bereich. Das ist im Übrigen die Stelle, an der auf jeder Seite der Broschüre allgemeine Anpreisungen des Arzneimittels angeordnet sind.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Seite 5 mit "Schubrisiko" überschrieben ist und innerhalb der Broschüre unter dem Abschnitt "Wirksamkeit" steht. Die beanstandete Aussage erschöpft sich nicht in einem Hinweis auf eine Wirksamkeit, sondern verweist den Referenzarzt zugleich, das Mittel für den "Schutz Ihrer MS-Patienten" selbstverständlich auch "von Anfang an" anzuwenden.

(c) Mit der Bezugnahme nur auf die Seite 5 der Werbebroschüre ist das Charakteristische der Verletzungshandlung erfasst, obwohl das Verbot insoweit nicht auf den Inhalt der Broschüre insgesamt abstellt.

Es findet sich weder auf der Seite 5 der Broschüre, noch in der Werbebroschüre an einer anderen Stelle, auch nicht im Abschnitt "Anwendungen", ein Hinweis darauf, dass die beanstandete Werbeaussage nur für diejenigen besonderen zwei Gruppen von Patienten gelten soll, wie sie oben wiedergegeben sind, so dass Roooo nur in einem eingeschränkten Bereich für die First-Line-Therapie zugelassen ist.

Das Fehlen jedweden Hinweises zur beschränkten Indikation charakterisiert den Verletzungsfall. Deswegen konnte die Seite 5 der Broschüre zum Gegenstand des "insbesondere"-Antrages gemacht werden, ohne auf die Werbebroschüre insgesamt einzubeziehen. Die Frage, ob ein aufklärender Hinweis an anderer Stelle der Broschüre für § 3 a HWG ausreichend wäre, konnte demgemäß offen bleiben.

III.

Der Unterlassungsantrag gemäß dem "insbesondere"-Verbot zu Ziffer 2.) der Beschlussverfügung ist nach Auffassung des Senats aus den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 3 a HWG begründet.

Die Antragstellerin kann nach diesen Gesetzesbestimmungen von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese es künftig unterlässt,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Arzneimittel Roooo (Wirkstoff: Natalizumab) mit folgenden Angaben zu bewerben:

"Umstellungen auf Roooo-Therapie

- Interferon-beta- und Glatirameracetat-Patienten: direkte Umstellung auf Roooo möglich, sofern keine Anzeichen relevanter behandlungsbedingter Auffälligkeiten, wie z. B. eine Neutropenie vorliegen

- Patienten mit vorheriger Immunsuppressiva-Therapie (z. B. Mitoxantron, Cyclophosphamid, Azathioprin) Einleitung der Roooo-Therapie erst beginnen, nachdem gewiss ist, dass diese Patienten nicht mehr immungeschwächt sind",

wenn dies wie in der der Beschlussverfügung in Kopie als Anlage ASt 2 beigefügten Seite 13 der Werbebroschüre "Basiswissen Roooo" (Verbotsanlage ASt 2 rechte Seite) geschieht.

Es kann auch hier offen bleiben, ob der Unterlassungsanspruch auch aus den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 3 HWG (wegen irreführender Werbung) gegeben ist.

1.) Die beanstandete Angabe betrifft eine vermeintlich mögliche Umstellung auf das Arzneimittel der Antragsgegnerin und demgemäß die Werbung für die Anwendung von Roooo.

2.) Die Werbeaussage verstößt gegen § 3 a Satz 2 HWG, denn sie bewirbt wiederum uneingeschränkt im oben unter Ziffer II. dargestellten Sinne eine Anwendung von Roooo, für die das Arzneimittel nicht zugelassen ist.

So ist im ersten Spiegelstrich der Werbeangabe ist zwar von "Interferon-beta-Patienten" die Rede, aber eben nicht von Patienten, die "nicht auf einen vollständigen und angemessenen Zyklus einer Interferon beta-Therapie angesprochen haben" (vgl. demgegenüber die Fachinformation Ziffern 4.1 und 5.1). Entsprechendes gilt für den zweiten Spiegelstrich der Werbeangabe.

Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen unter Ziffer II. entsprechend Bezug genommen.

3.) Auch die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind gegeben. Der Unterlassungsantrag erfasst die konkrete Verletzungsform.

Der Antrag bezieht sich auf das Verbot der Werbeaussage, wenn das geschieht, wie auf die Seite 13 der Werbebroschüre "Basiswissen Roooo" (Verbotsanlage ASt 2, dort rechte Seite).

Auf der Seite 13 der Werbebroschüre ist die beanstandete Werbeaussage wörtlich so wiedergegeben. Weder auf der Seite 13, noch sonst in der Werbebroschüre wird die nur eingeschränkte Indikation dargestellt. Auf die obigen Ausführungen unter Ziffer II. 5.) wird entsprechend Bezug genommen.

IV.

Die verallgemeinerten Verfügungsanträge zu 1.) und zu 2.) in der Fassung der Beschlussverfügung (jeweils vor dem "insbesondere") sind ebenfalls aus den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 3 a HWG begründet.

Der Gegenstand der Unterlassungsanträge ist allgemein die Verwendung der zitierten Angaben in der Werbung, ohne dass ein Hinweis auf die demgegenüber nur eingeschränkte Indikation des Arzneimittels Roooo erfolgt.

Die beiden Unterlassungsanträge erfassen insoweit jeweils die konkrete Verletzungsform. Denn die Antragsgegnerin hat mit der Werbebroschüre in unerläuterter Form mit den Aussagen für die Anwendung des Mittels außerhalb der Indikation geworben. Auf die obigen Ausführungen unter II. und III. wird entsprechend Bezug genommen.

V.

Die Berufung der Antragstellerin war demgemäß begründet und das Urteil des Landgerichts antragsgemäß abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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