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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 28.11.2002
Aktenzeichen: 3 U 77/02
Rechtsgebiete: ZPO, UrhG


Vorschriften:

ZPO § 936
ZPO § 531 Abs. 2 n.F.
UrhG § 96
1. Die Feststellung, welches Verhalten einer Partei nach § 531 Abs. 2 ZPO n. F. als nachlässig anzulasten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen, so daß die Anforderungen im einstweiligen Verfahren, das eine schnelle und effektive Sicherung bedrohter Rechte gewährleisten soll, nicht die gleichen sein müssen wie im Hauptsacheverfahren.

2. Jedenfalls im Urheberrecht, wo bei Rechteketten mit internationaler Verflechtung ein lückenloser Nachweis sehr schwierig sein und langwierige Rückfragen und Recherchen erforderlich machen kann, ist dem Rechteinhaber der Verzicht nicht zuzumuten, einen einstweiligen Titel zu erwirken, weil sich später herausstellen kann, daß sich etwaige Lücken in der Rechtekette nur durch in zweiter Instanz vorgelegtes Material schließen lassen.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 77/02

Verkündet am: 28. November 2002

In dem Rechtsstreit

Bryan Adams

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Brüning, v. Franque, Spannuth nach der am 7. November 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 8, vom 27. März 2002 abgeändert und die einstweilige Verfügung vom 26. Februar 2002 erneut erlassen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. und beschlossen:

Der Streitwert wird auch für die Rechtsmittelinstanz auf 110.000 € festgesetzt.

Gründe:

I. Auf zwei in Deutschland verkauften, nach den Angaben von Holiday Special Products (Anlage AG 1) lizenzierten CD-Platten (Anlagen Ast 2 und 3) mit u.a. fünf bestimmten Aufnahmen von Bryan Adams wird die Antragsgegnerin im P-Vermerk genannt. Unstreitig hat sie die Platten in Deutschland vertrieben.

Die Antragstellerin hat zunächst behauptet und durch eidesstattliche Versicherungen ihres Mitarbeiters Dr. B (Anlagen Ast 1 und 7) glaubhaft gemacht, sie habe durch Verträge die ausschließlichen Tonträgerrechte der Originalherstellerin A & M Records Inc, Los Angeles, für Deutschland erworben, die die Titel in den USA zuerst veröffentlicht habe. Diese Firma habe durch Generallizenzvertrag vom 01.01.1990 (Anlage zu Ast 7) die Rechte auf die Muttergesellschaft P, Niederlande, übertragen. Diese habe sie ihrerseits am 01.01.1994 an die M GmbH weitergegeben (Anlage zu Ast 7), die in der Antragstellerin aufgegangen sei. Die Aufnahmen seien identisch (Hörvergleich: Anlagen Ast 4 und Anlage zu Anlage Ast 1). Das Landgericht hat im Wege einer einstweiligen Verfügung Veröffentlichung und Vertrieb der Aufnahmen verboten und die Tonträger sequestrieren lassen.

Nachdem die Antragsgegnerin in der Widerspruchsverhandlung mangelnde Substanz bei Darlegung der Rechtekette gerügt hatte, ist von Antragstellerseite behauptet worden, Originaltonträgerhersteller sei die Firma A & M Records of Canada Ltd. (Adams ist unstreitig Kanadier), die ihre Rechte ebenfalls durch einen Repertoire-Austauschvertrag auf Polygram übertragen habe.

Das Landgericht hat seine einstweilige Verfügung aufgehoben, weil der neue Sachverhalt nicht glaubhaft gemacht sei, zumal der Wechsel im Vortrag besondere Anforderungen stelle.

Nunmehr trägt die Antragstellerin vor: Bryan Adams und Bob Clairmountain hätten die Titel "Heaven" und "One Night Love Affair" produziert. Sie hätten die Rechte 1984 auf die A & M Records of Canada Ltd übertragen, die sie 1993 an die US-amerikanische Firma A & M Records Inc. zur Erstveröffentlichung weitergegeben habe (Anlagen BF 2 und 3). Das gleiche gelte auf Grund mündlicher Absprachen und einer schriftlichen Bestätigung von 1993 für den 1987 erstveröffentlichten Titel "Hearts of Fire". Den Titel "Everything I Do" hätten Adams und Robert "Mutt" Lange produziert. Er sei 1991 in den USA von A & M Records Inc. erstveröffentlicht worden. Der Titel "Have You Ever Really Loved a Woman" sei ursprünglich eine Filmmusik gewesen. Die Tonträgerherstellerrechte an der konkreten Aufnahme, die 1995 in den USA erstveröffentlicht worden sei, seien unmittelbar von der Adams-Firma Badman Ltd auf A & M Records Inc. auf Grund des Vertrages vom 01.08.1993 (Anlage BF 7) übergegangen. Bryan Adams habe seine Rechte immer exklusiv übertragen.

II. Die Berufung der Antragstellerin ist begründet. Sie hat glaubhaft gemacht, daß ihr die Rechte an den genannten Aufnahmen zustehen, woraus sich nach §§ 85, 97 Abs. 1, 126 UrhG die vom Landgericht ursprünglich titulierten Unterlassungsansprüche ergeben. Die Sequestration ist zur Sicherung der Ansprüche aus § 98 UrhG erforderlich.

1. Bryan Adams hat in seinem in der mündlichen Verhandlung überreichten "Affidavit" erklärt, daß die Rechte an allen seinen Aufnahmen, und insbesondere an den fünf streitgegenständlichen, immer und ausschließlich, wenn auch entsprechend ihrer Entstehung auf unterschiedliche Weise, an die Firma A & M Records Inc. gelangt sind. Diese Darstellung findet eine zusätzliche Unterstützung in den Unterlagen, die die Antragstellerin in zweiter Instanz als Anlagen BF 1 bis 7 und BF 9 vorgelegt hat. Die Firma A & M Records Inc. hat ihre Rechte in einem Generallizenzvertrag vom 1. Januar 1990 auf die P, Niederlande, übertragen, die sie ihrerseits am 1. Januar 1994 für Deutschland an die in der Antragstellerin aufgegangenen Firma M GmbH weitergegeben hat. Das ergibt sich aus den eidesstattlichen Versicherungen von Dr. B und den Anlagen zur Anlage AST 7.

Es ist zwar richtig, daß die eidesstattlichen Erklärungen des Zeugen B insoweit nicht ganz korrekt sind, als sie die Firma A & M Records Inc. als "Originalhersteller der Aufnahmen" bezeichnen, obwohl nach neuestem Vorbringen der Antragstellerin Tonträgerhersteller Bryan Adams selbst bzw. seine Firmen gewesen sind und der Zeuge präziser gewesen wäre, wenn er - um Mißverständnisse zu vermeiden - den Inhaber der Herstellerrechte, die es ihm ermöglichten, die Aufnahmen 1984, 1987, 1991 und 1996 erstmalig in den USA zu veröffentlichen, nicht als Hersteller bezeichnet hätte. Da es aber für die Rechtekette allein auf die Inhaberschaft ankam, begründet diese verkürzte Ausdrucksweise keine ernsthaften Zweifel an der Zuverlässigkeit der eidesstattlichen Versicherungen, zumal es (nachdem die Inhaberschaft der amerikanischen Firma durch die Erklärung von Adams glaubhaft gemacht worden ist) in diesem Zusammenhang nur noch auf die weitere Rechtekette ankommt.

Damit ist die Rechtekette lückenlos belegt. Gesonderte Einwände hat die Antragsgegnerin nicht mehr vorgebracht, weil sie das jüngste Vorbringen der Antragstellerin aus prozessualen Gründen für unerheblich hält.

2. Die Antragsgegnerin bestreitet die Identität der Originalaufnahmen mit den von ihr vertriebenen Aufnahmen. Auch diese ist aber glaubhaft gemacht.

Der Zeuge B hat eidesstattlich versichert, die Aufnahmen einer intensiven Abhörprobe unterzogen und sich dabei von der Übereinstimmung überzeugt zu haben. Das ist zwar nur eine Kundgebung subjektiver Eindrücke, die Antragstellerin hat aber auch das Schreiben des Zeugen K vorgelegt, worin er die von ihm vorgenommenen technischen Vorkehrungen beschreibt, um mit Hilfe des Dopplereffektes bei paralleler Aufnahme die Identität nachweisen zu können. Das hat der Zeuge mit seiner Versicherung vom 27.10.2002 eidesstattlich bekräftigt. Damit ist die Behauptung der Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit richtig, zumal Mitglieder des Senats in Vorbereitung des Termins die vorgelegten CD-Platten stichprobenartig abgehört haben und zu dem gleichen Klangeindruck gekommen sind.

3. Die Antragsgegnerin meint, daß das neue Vorbringen nach § 531 Abs. 2 ZPO n. F. nicht verwertet werden dürfe, weil die Entscheidung des Landgerichts richtig gewesen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel aus Nachlässigkeit in erster Instanz nicht geltend gemacht worden seien.

Es erscheint höchst zweifelhaft, ob nach neuem Berufungsrecht im einstweiligen Verfahren in zweiter Instanz neue Tatsachen vorgetragen werden können, ohne daß die Voraussetzungen des § 531 ZPO vorliegen müssen, wie die Antragstellerin unter Berufung auf Musielak, ZPO, 3. Auflage, § 926, Rdnr. 10, meint. Der angegebenen Stelle kann der Senat diese Auffassung nicht entnehmen. Ball differenziert in demselben Werk (a.a.O., § 531, Rdnr. 19) ebensowenig, wie es in anderen Kommentaren geschieht, (vgl. etwa Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 60. Auflage, §531, Rdnr. 16; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Auflage, § 531 Rdnr. 16; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Auflage, §925, Rdnr. 12, verweisen ausdrücklich auf § 531 ZPO). Der Senat hat aber keine Zweifel, daß sich die Feststellung, welches Verhalten der Partei als nachlässig anzulasten ist, nach den jeweiligen Umständen richtet und die Anforderungen im einstweiligen Verfahren, das eine schnelle und effektive Sicherung bedrohter Rechte gewährleisten soll, nicht die gleichen wie im Hauptsacheverfahren sein können.

Jedenfalls im Urheberrecht, wo bei Rechteketten mit internationaler Verflechtung ein lückenloser Nachweis sehr schwierig sein und langwierige Rückfragen und Recherchen erforderlich machen kann, würde es zu unangemessenen Ergebnissen führen, wenn man die Anforderungen überspannen und einen schnellen und wirksamen Rechtschutz dadurch unmöglich machen würde, daß man dem Rechteinhaber den Verzicht zumutete, mit einigermaßen plausiblen Glaubhaftmachungsmitteln einen einstweiligen Titel zu erwirken, weil sich später herausstellen kann, daß sich etwaige Lücken in der Rechtekette nur durch in zweiter Instanz vorgelegtes Material schließen lassen. Das gilt vor allem deshalb, weil sich die Anforderungen an ein Parteivorbringen auch danach richten, wie sich der Gegner einläßt. Zudem läuft der Anspruchsteller bei längerer Recherche Gefahr, daß die Eilbedürftigkeit seines Antrages in Zweifel gezogen wird.

Die Antragstellerin hat dem Landgericht mit ihrem Vorbringen und den dazu vorgelegten Nachweisen vermitteln können, daß ihr die geltend gemachten Rechte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zustehen, und hat am 26.02.2002 den einstweiligen Titel erwirkt. Mit Schriftsatz vom 08.03.2002 hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt, ohne ihn näher zu begründen. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 27.03.2002 selbst hatte die Antragstellerin Gelegenheit, aus dem dort ausgehändigten Schriftsatz zu erfahren, aus welchen Gründen die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt hat. Dabei ging es nicht um handfeste Tatsachen, von denen die Antragstellerin hätte wissen müssen und mit denen die geltend gemachten Ansprüche unvereinbar gewesen wären. Vielmehr hat die Antragsgegnerin Möglichkeiten erwogen, warum der Antragstellerin die Ansprüche nicht zustehen könnten und einzelne Behauptungen mit Nichtwissen bestritten.

Die Antragstellerin hatte etwaigen Einwänden immerhin soweit Rechnung getragen, daß sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht mit den in USA erschienenen Tonträgern und dem Konvolut Ast 11 ihre Behauptung weiter untermauern konnte, daß die Firma A & M Records Inc. die Aufnahmen in den USA zum erstenmal veröffentlicht hat. In der Verhandlung kamen aber auch Zweifel auf, ob die Rechte zuvor überhaupt an die Firma A & M Records Inc. gelangt seien. Dies hat das Landgericht als nicht hinreichend glaubhaft angesehen und deshalb seine Verfügung aufgehoben.

Ein Antragsteller trägt im einstweiligen Verfahren das Risiko, daß erst in der Verhandlung im Widerspruchsverfahren Tatsachen ungewiß werden, von deren Richtigkeit er ausgegangen ist. Wenn sich dieses Risiko auf Grund neuen Vorbringens der Gegenseite verwirklicht, bedeutet das nicht notwendig, er habe sich nachlässig verhalten, weil er diesen Einwand nicht sofort entkräften kann. Es mag Fälle geben, in denen der Antragsteller Anhaltspunkte dafür hat, daß mit dem Vorbringen zu rechnen und es deshalb nachlässig ist, darauf nicht vorbereitet zu sein. Hier ist ein solcher Fall nicht gegeben. Die Antragstellerin leitete ihre Rechte von einem Unternehmen her, daß die Aufnahmen vor vielen Jahren in den USA auf den Markt gebracht hat. Die Antragsgegnerin behauptet nicht, daß bisher irgend jemand in Deutschland der Antragstellerin das Recht an diesen Aufnahmen streitig gemacht hätte. Dann ist es dieser nicht als Nachlässigkeit anzulasten, wenn sie eine erst in der Verhandlung erkannte Unvollständigkeit in ihrer Rechtekette anschließend aufklärt und die erforderlichen Nachweise in der zweiten Instanz vorlegt.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Antragsgegnerin nach § 91 ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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