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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 13.03.2006
Aktenzeichen: 3 VAs 3/06
Rechtsgebiete: EGGVG, ZPO, StPO, StVollzG, VwGO, HmbAusfG


Vorschriften:

EGGVG §§ 23 ff
EGGVG § 23 Abs. 1
EGGVG § 24 Abs. 2
EGGVG § 25
EGGVG § 29 Abs. 2
EGGVG § 29 Abs. 3
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
ZPO § 121 Abs. 2
StPO § 119 Abs. 6
StPO § 307 Abs. 2
StVollzG § 114 Abs. 2 S. 1
VwGO § 70 Abs. 1 S. 1
VwGO § 123
HmbAusfG § 6 Abs. 1 S. 3
HmbAusfG § 6 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT 3. Strafsenat Beschluss

3 VAs 3/06

In der Justizverwaltungssache

hier betreffend Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff EGGVG

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 13.03.06 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Rühle Richter am Oberlandesgericht Sakuth Richterin am Landgericht Jenssen-Görke

beschlossen:

Tenor:

1. Auf den Antrag des Antragstellers wird die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, den Besuch des W. , geb. , wohnhaft , unter Vorlage seiner mit Lichtbild versehenen Duldung beim Antragsteller in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg nach Maßgabe der Besuchserlaubnis des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg zuzulassen.

2. Dem Antragssteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. Prozesskostenhilfe für das Verfahren der einstweiligen Anordnung gewährt. Der weitergehende Prozesskostenhilfeantrag wird zurückgewiesen.

3. Der Gegenstandswert im Verfahren der einstweiligen Anordnung wird auf 1.500,- € festgesetzt.

4. Die Kosten und notwendigen Auslagen des Antragstellers im Verfahren der einstweiligen Anordnung fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I. Der Antragsteller befindet sich seit dem 30.09.05 in Untersuchungshaft, die zunächst in der JVA Hahnöversand und nunmehr bei der Antragsgnerin, der Untersuchungshaftanstalt Hamburg, vollzogen wird.

Der Antragsteller erhielt in der Vergangenheit bis Ende Januar 2006 aufgrund einer vom Amtsgericht Hamburg-St. Georg erteilten Besuchserlaubnis, die nach wie vor fortdauert, von seinem Freund W. Besuch. Seit Anfang Februar 2006 verweigert die Antragsgegnerin dem W. den Zutritt. Sie beruft sich dabei auf eine am 01.02.06 in Kraft getretene Allgemeinverfügung, nach der aus Sicherheitsgründen nur Personen mit gültigen Ausweispapieren der Zutritt gestattet werden könne. Der Besucher W. verfügt lediglich über eine mit einem Lichtbild versehene vom Einwohnerzentralamt ausgestellte Duldung. Aus dieser Duldung geht hervor, dass diese nicht der Pass- und Ausweispflicht genügt und dass die darin enthaltenen Personalangaben lediglich auf den Angaben des Inhabers beruhen.

Gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin wendet sich der Antragsteller mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache, mit dem er die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Besuchsgewährung erstrebt. Gleichzeitig hat er beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Besuche des W. vorläufig zuzulassen. Für beide Anträge hat der Antragsteller die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verteidigers beantragt.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

II.1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

a) Der Rechtsweg zum Oberlandesgericht ist gemäß §§ 23 Abs. 1, 25 EGGVG eröffnet. Streitgegenstand ist der Erlass eines Justizverwaltungsaktes. Zwar betrifft die Erteilung einer Besuchserlaubnis eine Maßnahme nach § 119 Abs. 6 StPO, die dem vorrangigen Beschwerderechtszug nach der Strafprozessordnung zugewiesen ist. Vorliegend wird jedoch nicht um die grundlegenden Voraussetzungen einer Besuchserlaubnis gestritten, sondern um die Berechtigung der Antragsgegnerin, die Durchführung dieser Erlaubnis von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen.

b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft. Zwar enthalten die §§ 23 ff EGGVG keine Regelungen über die Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. Der Hinweis in § 29 Abs. 2 EGGVG auf die ergänzenden Regelungen der Strafprozessordnung ist insofern nicht zielführend. § 307 Abs. 2 StPO regelt nur die vorläufige Aussetzung der Vollziehung, aber nicht den Erlass einer vorläufigen Maßnahme. Gleichwohl ist im Hinblick auf einen nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen lückenlosen Rechtsschutz (vgl. BVerfG, NJW 1974, 1079 f) inzwischen in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt, dass das Bedürfnis des Erlasses einer einstweiligen Anordnung unter Zugrundelegung des Rechtsgedankens der §§ 114 Abs. 2 S. 1 StVollzG, 123 VwGO dann besteht, wenn einem Antragsteller ohne diese vorläufige Regelung schwerwiegende Nachteile bei der Rechtsverfolgung drohen (HansOLG Hamburg, JR 1979, 349 f; OLG Karlsruhe, NStZ 1994, 142 ff m. w. N.; Meyer-Goßner, 48. Aufl., StPO, § 29 EGGVG Rdnr. 3; Kissel/Meyer, 4. Aufl., GVG, § 28 EGGVG Rdnr. 24 m. w. N.).

c) Der Antrag ist auch begründet. Eine Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers am Erlass einer vorläufigen Regelung und dem entgegen stehenden Interesse der Antragsgegnerin ergibt ein Überwiegen der Interessen des Antragstellers.

Der Antragsteller ist am 28.02.06 erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Antragsteller haben Rechtsmittel eingelegt. Deshalb muss mit einer noch längeren Fortdauer der Untersuchungshaft gerechnet werden. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Interesse des Antragstellers am Besuchsverkehr zunehmende Bedeutung. Ohne eine einstweilige Anordnung würde ein etwaiges Recht des Antragstellers auf Besuch wegen der nicht absehbaren Dauer des Vorverfahrens weitgehend leer laufen und sein Rechtsschutz in der Hauptsache damit praktisch aufgehoben werden.

Hinzu kommt, dass eine summarische Prüfung der Rechtslage ergibt, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die Durchführung der Besuche des Besuchers W. hat. In erster Linie obliegt es gemäß § 119 Abs. 6 StPO dem Haftrichter zu bestimmen, wem eine Besuchserlaubnis erteilt werden kann und wem nicht. Allein in seiner Kompetenz liegt es, zu beurteilen, ob der Besuchserlaubnis Gründe der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr entgegenstehen. Sollte die Antragsgegnerin insofern aufgrund von bisher nicht bekannten Tatsachen Bedenken haben, obliegt es ihr, beim Haftrichter eine Abänderung der Entscheidung anzuregen.

Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die Antragsgegnerin ein Interesse daran haben muss, zu überprüfen, ob die Person der die Besuchserlaubnis erteilt wurde, mit der Person identisch ist, die unter Vorlage dieser Erlaubnis den Zutritt in die Antragsgegnerin begehrt. Vorliegend hat die Antragsgegnerin aber offenbar keine Zweifel an der Identität zwischen Besuchserlaubnisinhaber und Besucher. Vor diesem Hintergrund ist der sehr formale Hinweis auf das Erfordernis eines gültigen Ausweispapiers nicht nachvollziehbar. Soweit die Antragsgegnerin befürchtet, dass die in der Duldung angegebenen Personalien unzutreffend sein könnten, wird nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich, weshalb aus diesem Grunde eine gesteigerte Gefahr für die Anstaltssicherheit bestehen sollte.

Angesichts dieser Überlegungen muss das Interesse der Antragsgegnerin gegen eine vorläufige Regelung zurücktreten. In diesem Zusammenhang ist ferner beachtlich, dass es in der Hand der Antragsgegnerin liegt, durch einen mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid die einmonatige Widerspruchsfrist gemäß §§ 24 Abs. 2 EGGVG, 6 Abs. 3 HmbAusfG zur VwGO i. V. m. § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO in Lauf zu setzen, um auf diesem Wege das Verfahren weiter zu fördern und die Vorläufigkeit der Regelung alsbald zu beenden.

2. Dem Antragsteller ist für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. gemäß §§ 29 Abs. 3 EGGVG i. V. m. 114 Abs. 1 S. 1, 121 Abs. 2 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Ausweislich der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers vom 02.03.06 ist dieser mittellos. Angesichts der Ausführungen zu Ziff. II.1. ist die Rechtsverfolgung zumindest vorläufig erfolgreich.

3. Demgegenüber muss dem Prozesskostenhilfegesuch hinsichtlich des Hauptsacheantrages vorläufig der Erfolg versagt bleiben. Gegenwärtig fehlt es an der Durchführung des gemäß § 24 Abs. 2 EGGVG i. V. m. § 6 Abs. 1 S. 3 HmbAusfG zur VwGO gebotenen Vorverfahrens.

Eine Entscheidung in der Hauptsache kommt nicht in Betracht, da der Antragsteller nicht den Kostenvorschuss in Höhe von 52,- € eingezahlt hat.

4. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 Abs. 1 S. 1 EGGVG i. V. m. § 30 Abs. 3 S.1, Abs. 2 S. 2 KO. Die Kostenentscheidung folgt aus § 30 Abs. 2 S. 1 EGGVG.

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