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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 26.04.2004
Aktenzeichen: 3 Vollz (Ws) 26/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 108 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT

3. Strafsenat

Beschluss

3 Vollz (Ws) 26/04

In der Strafvollzugssache des

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 26.04.04 durch die Richter Dr. Rühle, Dr. Mohr und Sakuth beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers werden der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Große Strafkammer 9 - vom 19.02.04 und der Widerspruchsbescheid der JVA Fuhlsbüttel, Haus II, vom 29.12..03 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates an die zuständige JVA zurückverwiesen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse (§ 121 StVollzG). Der Gegenstandswert wird auf 4.000,- Euro festgesetzt (§§ 13, 48 a GKG).

Gründe:

I. Die Parteien streiten darüber, ob der Beschwerdeführer - Strafvollzugsgefangener in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel - Haus II - einen Anspruch darauf hat, von dem Anstaltsleiter der JVA Fuhlsbüttel im Rahmen einer Sprechstunde nach § 108 Abs. 1 Satz 2 StPO persönlich mündlich angehört zu werden.

Bis zum 31.05.03 gab es in Fuhlsbüttel drei selbständige Justivollzugsanstalten, die JVA Suhrenkamp, die JVA Am Hasenberge und die JVA Nesselstraße. Jede dieser Anstalten hatte einen Anstaltsleiter, der entsprechend § 108 Abs. 1 StVollzG Sprechstunden für die Gefangenen abhielt. Nach der Zusammenlegung dieser drei Anstalten zur Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel unter einem Anstaltsleiter wurde die neue JVA mit über 1.000 Haftplätzen in mehrere Vollzugseinheiten, nämlich die Häuser I, II und V, die den früheren eigenständigen Anstalten entsprechen, aufgeteilt.

Mit Verfügung Nr. 1/03 vom 07.07.03 ordnete der Anstaltsleiter der JVA Fuhlsbüttel an:

"Die in § 108 Abs. 1 StVollzG vorgesehene Sprechstunde wird in der JVA Fuhlsbüttel durch die Anstaltsleitungen der Häuser I, II und V in eigener Verantwortung wahrgenommen."

Entsprechend dieser Verfügung halten die Vollzugsleiter der einzelnen Häuser auf Antrag Sprechstunden ab.

Der Beschwerdeführer stellte am 14.07.03 einen Antrag auf eine persönliche Unterredung mit dem Anstaltsleiter der JVA Fuhlsbüttel, der unter Hinweis auf die vorstehende Verfügung mit dem Bemerken abgelehnt wurde, dass der Anstaltsleiter der JVA Fuhlsbüttel für ihn grundsätzlich nicht zu sprechen sei. Gegen diese Ablehnung legte der Beschwerdeführer am 21.07.03 Widerspruch ein, der am 29.12.03 abschlägig beschieden wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, die einzelnen Häuser der Anstalt seien auch nach der Zusammenlegung eigenständige Teilanstalten geblieben, auf deren Vollzugsleiter die Sprechstundenpflicht nach § 108 Abs. 1 StVollzG übertragen werden dürfe.

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Landgericht mit Beschluss vom 19.02.04 mit der Begründung abgelehnt, die Delegation der Sprechstunde auf die Leiter der einzelnen Häuser sei rechtlich nicht zu beanstanden.

II. 1. Die gegen diesen Beschluss form- und fristgerecht erhobene Rechtsbeschwerde ist zulässig, da die Überprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts - Auslegung des § 108 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, insbesondere Grenzen der Delegation der Pflicht zur persönlichen Anhörung - geboten ist, § 116 Abs. 1 StVollzG.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Zurückweisung des Widerspruchs und der Klage waren rechtsfehlerhaft.

Nach § 108 Abs. 1 StVollzG erhält der Gefangene Gelegenheit, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten, die ihn selbst betreffen, an den Anstaltsleiter zu wenden. Zu diesem Zweck sind regelmäßige Sprechstunden einzurichten. § 108 Abs. 1 StVollzG begründet damit ein Recht jedes Gefangenen auf ein persönliches Gespräch mit dem Anstaltsleiter. Dieser darf sich dem Gespräch nicht verweigern, etwa dadurch, dass er diese Aufgabe an andere, etwa leitende Mitarbeiter, delegiert. Wie das Recht des Gefangenen im einzelnen verwirklicht wird, unterliegt der Regelung durch die Vollzugsbehörde (ganz herrschende Meinung, vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 9. Aufl. 2002, Rdz 4 zu § 108 m.w.N.; Volckhart, AK-StVollzG 4. Aufl. 2000, Rdz. 5, 6 zu § 108; Schuler in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl. 1999, Rdz 3 zu § 108).

In Rechtsprechung und Literatur werden diejenigen Fälle differenziert beurteilt, in denen große Anstalten in Teilanstalten untergliedert sind, an deren Spitze jeweils ein eigener Behördenleiter steht. In diesen Fällen stehe dem Gesamtanstaltsleiter die Befugnis zu, die Anhörung des Gefangenen durch ihn auf Fälle zu beschränken, die für den Gefangenen besonders wichtig sind und im übrigen den Gefangenen auf die Sprechstunden der Teilanstaltsleiter zu verweisen (vgl. KG, ZfStrVo 1987, 125). Möglich sei es auch, den Gefangenen vor der Anhörung durch den Gesamtanstaltsleiter auf ein Gespräch mit dem Teilanstaltsleiter zu verweisen. Das Vorgespräch dürfe aber nicht den Wunsch des Gefangenen, sofern er nicht wegen Mißbrauchs zurückzuweisen ist, verhindern, den Gesamtanstaltsleiter persönlich zu sprechen (KG a.a.O. m.w.N.).

Diesen gesetzlichen Vorgaben wird die Anstaltsverfügung vom 07.07.03 nicht gerecht. Nach allen in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen ist eine ausnahmslose Delegation der Sprechstunde, wie sie in der Verfügung vom 07.07.03 angeordnet wird, mit Wortlaut und Zweck des § 108 Abs. 1 StVollzG nicht vereinbar, und zwar unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine teilweise Delegation bei großen Anstalten in Betracht kommt. Der Widerspruchsbescheid und der Beschluss des Landgerichts, die beide von der Rechtmäßigkeit der Anstaltsverfügung ausgehen, müssen bereits deswegen aufgehoben werden.

Der Widerspruchsbescheid läßt sich auch nicht mit der vom Landgericht aufgestellten Annahme rechtfertigen, der Anstaltsleiter werde in wichtigen Angelegenheiten regelmäßig das persönliche Gespräch mit dem jeweiligen Insassen suchen. Die Anstaltsverfügung und das Vorbringen der JVA bzw. der Beschwerdegegnerin im vorliegenden Verfahren geben für dieses Annahme keinen Anlass. Im Übrigen stellt § 108 Abs. 1 StVollzG die persönliche Anhörung eines Gefangenen nicht in das Belieben des Anstaltsleiters, sondern gewährt dem Gefangenen einen Anspruch auf das Gespräch.

3. Für die erneute Bescheidung des Widerspruchs wird folgendes zu beachten sein:

a) Eine - teilweise - Delegierung der Sprechstunde auf die Vollzugsleiter der einzelnen Häuser kommt nur in Betracht, wenn und soweit den Vollzugsleitern Anstaltsleiterfunktionen gemäß § 156 Abs. 2 StVollzG wirksam übertragen worden sind (so auch OLG Hamm, StV 1987, 114f). § 108 Abs. 1 StVollzG gibt dem Gefangenen das Recht auf ein persönliches Gespräch mit dem Anstaltsleiter, also mit demjenigen, der die Verantwortung für den Vollzug trägt und die Kompetenz hat, Eingaben des Gefangenen, soweit sie berechtigt sind, stattzugeben. Es ist daher mit § 108 Abs. 1 StVollzG vereinbar, Gefangene auf die Sprechstunden der Vollzugsleiter zu verweisen, soweit ihnen die Kompetenz übertragen ist, über das Anliegen der Gefangenen selbständig zu entscheiden.

Nach dem Vortrag der Beschwerdegegnerin sollen in der JVA Fuhlsbüttel die Vollzugsleitungen der Häuser jeweils für den Vollzug verantwortlich sein und insbesondere Beschwerden über Bedienstete, jede Art von Anträgen (z.B. Sonderbesuche, Langzeitbesuche, Schulausbildung, Teilnahme an Freizeitgruppen, Anträge im Zusammenhang mit der Vollzugsplanung) selbständig entscheiden. Der Anstaltsleiter vertrete die Anstalt nach außen, insbesondere auch gegenüber den Gerichten und dem Strafvollzugsamt und habe sich besonders herausragende Entscheidungen, z.B. die Gewährung von Lockerungen "prominenter" Insassen vorbehalten. Diese Aufgabenverteilung ist - so der Vortrag der Beschwerdegegnerin - bisher nicht schriftlich festgelegt. Nach Auffassung des Senats ist aber die schriftliche Fixierung der Aufgabenübertragung für eine - teilweise - Delegierung der Sprechstundenpflicht des Anstaltsleiters geboten. So bestimmt Ziff. 2 Abs. 1 der Verwaltungsverordnung zu § 156 Abs. 2 StVollzG, dass der Anstaltsleiter die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen in Schriftform festzulegen hat. Die schriftliche Fixierung der Aufgabenübertragung - Ausdruck ordnungsgemäßer Verwaltung - ist auch deshalb erforderlich, damit Gefangene und Bedienstete eindeutig darüber informiert sind, wer welche Kompetenzen im Strafvollzug hat.

Auch bei einer schriftlichen Übertragung bestimmter Aufgabenbereiche darf der Anstaltsleiter seine Sprechstunde nicht ausnahmslos delegieren. Er muß für die Gefangenen weiterhin auch persönlich erreichbar bleiben für Angelegenheiten, die in seinem Verantwortungsbereich verblieben sind.

b) Die Einrichtung einer Sprechstunde des Anstaltsleiters kann nicht, wie die Beschwerdegegnerin offenbar meint, unter Hinweis auf die Größe der Anstalt und dem mit der Abhaltung der Sprechstunde verbundenen zeitlichen Aufwand abgelehnt werden (ebenso Volkckart, in AK-StVollzG, 4. Aufl. 2000, Rdz. 6 zu § 108).

c) Die Ausgestaltung der Sprechstunde steht im Ermessen des Anstaltsleiters. Für die zeitliche Einordnung gibt Ziff. 1 Abs. 2 VV zu § 108 StVollzG einen Anhaltspunkt. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass der Anstaltsleiter einen Gefangenen in Angelegenheiten, die der Vollzugsleiter eines Hauses selbständig regeln kann, zunächst auf ein Gespräch mit jenem verweist. Es erscheint auch zulässig, dass vor der mündlichen Vorsprache beim Anstaltsleiter zunächst ein Bediensteter den Gefangenen anhört, um den Anstaltsleiter sachkundig vorbereiten zu können (Schuler, in Schmidt/Böhm, StVollzG, Rdz 3 zu § 108). Rechtsmißbräuchlicher Inanspruchnahme der Sprechstunde kann der Anstaltsleiter durch Abbruch des Gesprächs begegnen.

III. Einer Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Beschwerdeführers bedarf es nicht, da mit dem vorliegenden Beschluss die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers - rechtskräftig - der Staatskasse auferlegt worden sind.



Ende der Entscheidung

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