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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 04.07.2008
Aktenzeichen: 3 Vollz (Ws) 45/08
Rechtsgebiete: StPO, StVollzG, HmbStVollzG


Vorschriften:

StPO § 28 Abs. 2
StVollzG § 114 Abs. 2
StVollzG § 120 Abs. 1
HmbStVollzG § 1
HmbStVollzG § 131 Nr. 3
1. In Straf- und Maßregelvollzugssachen ist die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuches in entsprechender Anwendung von § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO auch dann unzulässig, wenn die Entscheidung einen erkennenden Richter im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betrifft. Dem steht nicht entgegen, dass Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz nicht anfechtbar sind.

2. In Straf- und Maßregelvollzugssachen ist die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuches nicht ausnahmslos unzulässig (Fortentwicklung von HansOLG, Beschluss vom 30. Mai 2005 - 3 Vollz [Ws] 46/05 -, ZfStrVo 2005, 245). Soweit das Ablehnungsgesuch einen Richter betrifft, der mit der Sache von vornherein nicht oder nicht mehr befasst ist, ist die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Gesuchs vielmehr in entsprechender Anwendung von § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO zulässig.


Hanseatisches Oberlandesgericht 3. Strafsenat Beschluss

3 Vollz (Ws) 45/08

In der Maßregelvollzugssache

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 4. Juli 2008 durch

Richter am Oberlandesgericht Sakuth, Richter am Oberlandesgericht Pesch, Richterin am Landgericht Schwafferts

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 9 als Strafvollstreckungskammer, vom 10. Juni 2008 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Der seit Anfang August 2003 in Sicherungsverwahrung untergebrachte Beschwerdeführer beantragte vor dem Landgericht Hamburg am 11. April 2008, die Beschwerdegegnerin durch Erlass einer einstweiligen Anordnung unter anderem zu verpflichten, die Schriftsätze einer von ihm formulierten Verfassungsbeschwerde zu vervielfältigen und ihn anschließend zwecks Absendung der Beschwerde zur Poststelle Fuhlsbüttel auszuführen. Diesen Antrag wies die Strafvollstreckungskammer, besetzt mit dem Vorsitzenden Richter als Einzelrichter, durch Beschluss vom 23. April 2008 zurück.

Mit Schriftsatz vom 29. April 2008 begehrte der Beschwerdeführer die Abänderung des Beschlusses vom 23. April 2008 im Sinne seines ursprünglichen Antrages. Gleichzeitig lehnte er den Vorsitzenden mit Hinweis auf dessen dienstliche Äußerungen und Handlungen im bisherigen Verfahrensgang wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit Beschluss vom 23. Mai 2008, dem Beschwerdeführer am 27. Mai 2008 zugestellt, wies die Strafvollstreckungskammer - diesmal in Person der für die Bescheidung des Ablehnungsantrages zuständigen beisitzenden Richterin der Kammer - das Gesuch des Beschwerdeführers als unbegründet zurück.

Daraufhin stellte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 27. Mai 2008 gegen "die Kammermitglieder des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 9 - als Strafvollstreckungskammer, namentlich jeden einzelnen" ein neuerliches Ablehnungsgesuch. Dieses begründete er damit, dass der kammerinterne Geschäftsverteilungsplan entgegen § 21g GVG keine Zuständigkeiten für Maßregelvollzugsachen ausweise. Er verwies darüber hinaus auf das Verhalten und die dienstlichen Äußerungen der Kammermitglieder im bisherigen Verfahren.

Durch Beschluss vom 10. Juni 2008 hat die Strafvollstreckungskammer - in der Besetzung mit dem Vorsitzenden als Einzelrichter - das Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer. Er hat nach der formlosen Übersendung des Beschlusses unter Zuhilfenahme des Rechtsantragsdienstes des Amtsgerichts Hamburg unter dem 18. Juni 2008 das "Rechtsmittel der Beschwerde" erhoben. In dem vom Rechtspfleger diesbezüglich aufgenommenen Schriftsatz heißt es, dass sich die Ablehnung der Richter aus dem Tatbestand des Art. 101 GG und dem Entzug des gesetzlichen Richters ergebe. Weder der allgemeine noch der kammerinterne Geschäftsverteilungsplan regele die Zuständigkeiten für Maßregelvollzugssachen.

II.

Das als sofortige Beschwerde nach §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 120 Abs. 1 StVollzG, 28 Abs. 2, 311 StPO aufzufassende Rechtsmittel des Beschwerdeführers ist im Hinblick auf den Kammervorsitzenden unzulässig (1.). Hinsichtlich der übrigen abgelehnten Richter ist es zwar zulässig, aber unbegründet (2.).

1. Die sofortige Beschwerde ist hinsichtlich des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer nach §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 120 Abs. 1 StVollzG, 28 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeschlossen.

In Straf- und Maßregelvollzugssachen ist § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend anwendbar (§§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 120 Abs. 1 StVollzG). Diesbezüglich hat sich der Senat (ZfStrVO 2005, 245) der herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. OLG Celle ZfStrVO 1999, 56; KG ZfStrVO 2001, 370 m.w.N.) sowie der einhelligen Auffassung in der Literatur (vgl. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 116 Rn. 5, § 120 Rn. 2; Kamann/Volckart in AK-StVollzG, 5. Aufl. 2006, § 118 Rn. 9, § 120 Rn. 4, jeweils m.w.N.) angeschlossen.

Die in Bezug auf das Hauptsacheverfahren nach §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 109, 115 StVollzG für eine entsprechende Anwendung des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgebrachten Argumente finden ebenso im Hinblick auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 114 Abs. 2 StVollzG ihre Berechtigung. So hat auch im Rahmen dieses Verfahrens die Strafvollstreckungskammer ähnlich dem Vorgehen des Tatrichters im gerichtlichen Erkenntnisverfahren die für die Entscheidung bedeutsamen Umstände in eigener Verantwortung zu ermitteln und ist deshalb erkennendes Gericht. Darüber hinaus ist der gesetzgeberische Grundgedanke des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO, es ausreichen zu lassen, die Endentscheidung zu überprüfen und den Tatrichter während seines Erkenntnisprozesses im Sinne einer raschen Aufklärung des Sachverhalts von störenden Einflüssen möglichst freizuhalten, auch und gerade im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 114 Abs. 2 StVollzG fruchtbar zu machen. Denn dieses Verfahren ist auf eine vorläufige und daher besonders rasche Klärung der Haftsituation des Antragstellers ausgerichtet.

Einer entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO steht dabei nicht entgegen, dass gegen die Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 114 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 StVollzG kein Rechtsmittel statthaft ist. Zwar folgt daraus, dass im Rahmen dieses Verfahrens auch gegen die Verwerfung eines Ablehnungsgesuches keine Anfechtungsmöglichkeit besteht. Darin liegt jedoch kein Verstoß gegen die aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgende verfassungsrechtliche Garantie eines unabhängigen und unparteilichen Richters. Denn die materiellen Anforderungen dieser Verfassungsgarantie gebieten lediglich Verfahrensregelungen, die es überhaupt ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, abzulehnen oder von der Ausübung seines Amtes auszuschließen (vgl. BVerfG [Kammer] NJW 2007, 1670 [1671 m.w.N.]). Dabei ist es Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können. Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen auch vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG nicht garantiert (vgl. BVerfGE 107, 395 [402 m.w.N.]).

Der Eigenschaft des Vorsitzenden als eines "erkennenden Richter(s)" im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO widerspricht vorliegend nicht, dass ein den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweiligen Rechtsschutz ablehnender Beschluss bereits gefasst worden ist. Denn gemäß §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 114 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 StVollzG kann diese Entscheidung jederzeit vom Gericht geändert oder aufgehoben werden. Die Strafvollstreckungskammer in der Besetzung des Vorsitzenden als Einzelrichter (§ 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG) bleibt also als erkennender Richter mit der Sache befasst.

2. In Bezug auf die übrigen vom Beschwerdeführer abgelehnten Richter ist die sofortige Beschwerde gegen die Verwerfung des Ablehnungsgesuches gemäß §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 120 Abs. 1 StVollzG, 28 Abs. 2 Satz 1 StPO zwar zulässig, aber nicht begründet.

Das Rechtsmittel ist gemäß §§ 299 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO formgerecht erhoben. Die Frist des § 311 Abs. 2 StPO war mangels förmlicher Zustellung noch nicht in Lauf gesetzt. Der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde steht insoweit auch § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen. Denn die übrigen Mitglieder der Strafkammer sind keine "erkennenden Richter" im Sinne der Vorschrift. Die nach § 27 Abs. 1 StPO für das gegen den Vorsitzenden gerichtete Ablehnungsverfahren zuständig gewesene beisitzende Richterin ist mit Abschluss dieses Verfahrens nicht mehr mit der Sache befasst, die übrigen Mitglieder der Kammer waren und sind es (noch) gar nicht. Zwar ist auch der Richter, der nach § 27 StPO dazu berufen ist, über ein Ablehnungsgesuch zu entscheiden, erkennender Richter im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO. Diese Eigenschaft entfällt jedoch, wenn mit der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch die sachliche Befassung endet (vgl. BGH NStZ 2007, 719; HansOLG NStZ 1999, 50). Der Zweck des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO, Verfahrensverzögerungen vorzubeugen, erfordert in dieser Konstellation keine Fortwirkung der Sperrwirkung. Denn eine solche Verzögerungsgefahr ist bei Beschwerden gegen Beschlüsse, durch die Ablehnungsgesuche gegen überhaupt nicht (mehr) mit der Sache befasste Richter zurückgewiesen werden, nicht gegeben (HansOLG, a.a.O.).

Im Übrigen besteht für die Anwendung des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO auch kein praktisches Bedürfnis. Ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter, der mit der Sache von vornherein nicht oder nicht mehr befasst ist, ist nämlich in entsprechender Anwendung des § 26a StPO unzulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 24 Rn. 2, § 25 Rn. 11 und § 26a Rn. 1, jeweils m.w.N.) mit der Folge, dass die sofortige Beschwerde gegen einen entsprechenden Beschluss als unbegründet abzuweisen ist. So liegt der Fall hier: Mit der Bescheidung des gegen den Vorsitzenden gerichteten Ablehnungsgesuches durch die nach § 27 Abs. 1 StPO zuständige Richterin schied diese - wie dargelegt - aus dem Verfahren aus. Die übrigen Mitglieder der Strafkammer waren und sind (noch) überhaupt nicht mit der Sache befasst. Die Strafvollstreckungskammer hat das Ablehnungsgesuch mithin in entsprechender Anwendung des § 26a StPO zu Recht als unzulässig verworfen.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, der kammerinterne Geschäftsverteilungsplan weise keine Zuständigkeiten speziell für Maßregelvollzugssachen aus, schon vor dem Hintergrund der §§ 1, 131 Nr. 3 HmbStVollzG, 110 Satz 1 StVollzG, wonach die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat, auch in Maßregelvollzugssachen entscheidet, zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuches völlig ungeeignet ist.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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