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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 01.04.2008
Aktenzeichen: 3 Vollz (Ws) 6/08
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 43 Abs. 2 Satz 1
Übt ein Gefangener auf Anordnung der JVA Arbeiten oder Bereitschaftsdienste über die übliche Arbeitszeit, für die das Entgelt nach Tagessätzen bemessen wird, hinaus aus, so hat er auch hierfür einen Anspruch auf Arbeitsentgelt.
Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss

3 Vollz (Ws) 6/08

In der Strafvollzugssache

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 1. April 2008 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Rühle, Richter am Oberlandesgericht Pesch, Richterin am Landgericht Prange-Stoll

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers werden der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Große Strafkammer 9 als Strafvollstreckungskammer - vom 14. Dezember 2007 sowie der Bescheid der Untersuchungshaftanstalt Hamburg vom 11. Oktober 2005 in Form des Widerspruchsbescheids vom 5. Dezember 2005 aufgehoben. Die Beschwerdegegnerin wird zur erneuten Bescheidung des Antrags des Beschwerdeführers vom 6. September 2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats verpflichtet.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens, jedoch wird die Gebühr um 1/2 ermäßigt. Die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse zu 1/2.

Der Gegenstandswert wird auf 356,36 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer verlangt von der Untersuchungshaftanstalt Hamburg Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen er außerhalb der üblichen Arbeitszeiten arbeiten bzw. sich für anfallende Arbeiten bereit halten musste.

Er war vom 16.11.2004 bis zum 16.06.2005 als Strafgefangener in der Untersuchungshaftanstalt auf freiwilliger Basis als Hausarbeiter beschäftigt. Gemeinsam mit den anderen Insassen wurde er um 6.45 Uhr ausgeschlossen und um 18.00 Uhr eingeschlossen. Während der Aufschlusszeit verrichtete er zusammen mit anderen Hausarbeitern die ihm zugewiesenen Tätigkeiten bei der Zubereitung und Ausgabe von Mahlzeiten sowie je nach Anfall andere Hausarbeiten wie Reinigungsarbeiten und Wäscheausgabe. Wenn keine Arbeit anfiel, musste er sich in der Nähe der Kammer aufhalten, um bei Bedarf schnell zur Verfügung zu stehen. Während dieser Zeit konnte er nicht in seinen Haftraum zurückkehren. Er musste - Frühstücks- und Mittagspause sowie Freistunde ausgenommen - täglich 9,5 Stunden arbeiten bzw. sich für Arbeiten bereit halten, und zwar an sieben Tagen in der Woche. Die Untersuchungshaftanstalt berechnete sein Entgelt nach der Lohnstufe I der Strafvollzugsvergütungsordnung mit einem Tagesatz von 7,82 €, den sie unter Zugrundelegung einer täglichen Arbeitszeit von 7,7 Stunden ermittelte. Für Arbeiten am Wochenende berechnete sie Zuschläge. Den sich auf Grund ihrer Berechnungen für insgesamt 189 Arbeitstage ergebenden Gesamtbetrag von 1.619,83 € zahlte sie aus.

Mit Schreiben vom 06.09.2005 stellte der Beschwerdeführer Lohnnachforderungen in Höhe von 356,36 € für seine 7,7 Stunden täglich übersteigende Tätigkeit. Die Untersuchungshaftanstalt lehnte diese Lohnnachforderung mit Bescheid vom 11.10.2005 ab. Sein Widerspruch wurde mit Bescheid vom 05.12.2005 zurückgewiesen. Hiergegen wandte er sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er die Zahlung weiterer 356,36 € nebst Zinsen begehrte.

Die Untersuchungshaftanstalt hat sich zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags im landgerichtlichen Verfahren auf den Standpunkt gestellt, sein Entgeltanspruch sei durch Zahlung erloschen. Denn seine Tätigkeit sei als atypischer Bereitschaftsdienst mit einer regelmäßigen Bereitschaftszeit von 462 Minuten (= 7,7 Stunden) ausgestaltet gewesen, in denen er während der Aufschlusszeit die anfallenden Arbeiten habe erledigen müssen. Dieser Dienst sei durch die Zahlung abgegolten.

Das Landgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 14.12.2007 mit der Begründung zurück, der Entgeltanspruch sei mit der auf Grund der Tagessatzpauschale berechneten Vergütung erfüllt, selbst wenn der Beschwerdeführer an den 189 Arbeitstagen jeweils mehr als 7,7 Arbeitsstunden erbracht haben sollte.

Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Landgerichts aufzuheben sowie die Untersuchungshaftanstalt unter Aufhebung des Bescheids vom 11.10.2005 in Form des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2005 zu verpflichten, ihm 356,36 € nebst Zinsen zu zahlen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.

Die Beschwerdegegnerin ist der Rechtsbeschwerde insoweit nicht entgegengetreten, als sie nunmehr die Auffassung vertritt, dass die volle Arbeitszeit, also auch die Bereitschaftszeit, zu vergüten sei. Deren Vergütung dürfe aber der Vergütung der Arbeitsstunde nicht in voller Höhe entsprechen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und erfüllt auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Die Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung dient der Fortbildung des Rechts, nämlich der Frage, ob und wie ein über die übliche Arbeitszeit hinausgehender Bereitschaftsdienst Gefangener zu vergüten ist.

2. Die Rechtsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist sie unbegründet. Dem Beschwerdeführer steht gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 StVollzG ein Entgelt auch für die über die übliche Arbeitszeit von 7,7 Stunden täglich hinaus gehenden Tätigkeitszeiten von jeweils 1,8 Stunden zu, dessen Höhe die Beschwerdegegnerin noch festzusetzen hat.

Zu Unrecht hat das Landgericht einen über die bisher geleistete Lohnvergütung hinaus bestehenden Zahlungsanspruch verneint.

Nach § 43 Abs. 2 S. 1 StVollzG erhält ein Gefangener, der eine zugewiesene Arbeit oder Hilfstätigkeit ausübt, ein Arbeitsentgelt.

Im Ausgangspunkt zutreffend bemaß die Untersuchungshaftanstalt das Entgelt, das dem Beschwerdeführer für seine als Hilfstätigkeit im Sinne des § 41 Abs. 1 S. 2 StVollzG eingestufte Arbeit gem. § 43 Abs. 2 S. 3 StVollzG zustand, nach Tagesätzen. Sie legte entsprechend den im Tarifrecht des Öffentlichen Dienstes geltenden Regeln eine tägliche Arbeitszeit von 7,7 Stunden, das entspricht einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden (vgl. § 15 Abs. 1 BAT), zu Grunde.

Über diese, durch die Zahlung der Untersuchungshaftanstalt abgegoltene Arbeitszeit hinaus musste der Beschwerdeführer aber täglich jeweils weitere 1,8 Stunden arbeiten bzw. sich in der Nähe seines Arbeitsplatzes für anfallende Arbeiten bereit halten. Für diese Zeiten steht ihm ein zusätzliches Entgelt zu, und zwar unabhängig davon, ob er in dieser Zeit gearbeitet hat oder sich lediglich auf Weisung der Untersuchungshaftanstalt in der Nähe seines Arbeitsplatzes aufhalten musste, um jederzeit kurzfristig für anfallende Arbeiten mit vollem Arbeitseinsatz zur Verfügung zu stehen (Bereitschaftsdienst). Die Auffassung des Landgerichts, mit der Zahlung der üblichen Tagesvergütung sei die Arbeit des Gefangenen für diesen Tag in jedem Fall abgegolten, unabhängig davon, wie viele Stunden er pro Tag gearbeitet hat, ist in dieser Allgemeinheit nicht vertretbar und wird auch vom OLG Dresden (NStZ 2000, 391 f.), auf das sich das Landgericht bezieht, nicht vertreten. Denn vorliegend wurde dem Gefangenen nicht etwa ein Tagespensum zugewiesen, das in der üblichen Arbeitszeit von 7,7 Stunden zu bewältigen war, der Gefangene war vielmehr verpflichtet, jeden Tag 9,5 Stunden zu arbeiten bzw. sich für anfallende Arbeit am Arbeitsplatz bereit zu halten.

Nach dem Grundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG soll das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden. In der freien Wirtschaft wie auch im Öffentlichen Dienst sind Überstunden, aber auch Bereitschaftsdienste, wie sich etwa aus § 15 Abs. 6a BAT ergibt, zusätzlich zu vergüten.

Die Behandlung der Bereitschaftsdienstzeiten der Gefangenen wie Arbeitszeiten im Rahmen eines normalen Arbeitverhältnisses gebietet auch das Vollzugsziel der Resozialisierung (§ 2 S. 1 StVollzG). Auch für die Arbeit im Rahmen des Bereitschaftsdienstes gilt der allgemeine Grundsatz, dass sie eine angemessene Anerkennung finden muss, die geeignet ist, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortliches Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen (vgl. BVerfG in NJW 1998, 3338). Gegen die Vergütungspflicht eines Bereitschaftsdienstes lässt sich demgegenüber auch nicht einwenden, der Aufenthalt am oder in der Nähe des Arbeitsplatzes sei für den Gefangenen möglicherweise angenehmer gewesen als der in seiner Zelle im Untersuchungsgefängnis. Denn die Tätigkeit im Zusammenhang mit der Arbeit ist - wie im Leben in Freiheit - unabhängig davon zu vergüten, ob sie als angenehm empfunden wird oder nicht.

Wegen dieses Fehlers ist der Beschluss des Landgerichts aufzuheben.

3. Der Senat entscheidet anstelle der Strafvollstreckungskammer, § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG. Der Bescheid der Untersuchungshaftanstalt vom 11.10.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 05.12.2005 sind gemäß § 115 Abs. 2 S. 1 StVollzG aufzuheben, weil sie unter demselben Rechtsmangel wie der landgerichtliche Beschluss leiden. Die Beschwerdegegnerin ist verpflichtet, den Antrag des Beschwerdeführers vom 06.09.2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Beschwerdegegnerin wird zunächst festzulegen haben, ob und inwieweit über die übliche Arbeitszeit von täglich 7,7 Stunden hinaus Mehrarbeit oder Bereitschaftsdienst angeordnet war. Lassen sich die Bereitschaftsdienstzeiten nicht mehr klären, wird von Mehrarbeit auszugehen sein. Mehrarbeit ist mit den für Überstunden zusätzlichen Aufschlägen als Arbeit voll zu vergüten. Für die Dauer des Bereitschaftsdienstes hat die Beschwerdegegnerin die Höhe der Vergütung zu bestimmen. Da sie entsprechend Nr. 4 der VV zu § 37 StVollzG und der entsprechenden AV der Justizbehörde bei der Bemessung der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit auf die tarifrechtlichen Bestimmungen des Öffentlichen Dienstes zurückgegriffen hat, liegt insoweit die entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 6a BAT nahe. Danach wird zum Zwecke der Vergütungsabrechnung die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit entsprechend dem Anteil der erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Zeit der Arbeitsleistung als Arbeitszeit gewertet und mit der Überstundenvergütung vergütet; die Bewertung darf 15 v.H., vom 8. Bereitschaftsdienst im Monat an 25 v.H. nicht unterschreiten.

4. An einer eigenen Festsetzung der Vergütung ist der Senat gehindert, weil die Sache, wie sich aus Vorstehendem ergibt, insoweit nicht spruchreif ist. Der im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellte Zahlungsantrag war daher abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 1, Abs. 4 StVollzG und § 473 Abs. 4 StPO in entsprechender Anwendung. Den von der Beschwerdeführerin erzielten Erfolg hat der Senat als hälftig beurteilt. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 60 GKG.

Ende der Entscheidung

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