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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 08.02.2005
Aktenzeichen: 3 Vollz(Ws) 6/05
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 10 Abs. 1
StVollzG § 113 Abs. 1
StVollzG § 115 Abs. 4 S. 1
Zu den Anforderungen an eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Entscheidung über die Verlegung in den offenen Vollzug.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT

3. Strafsenat Beschluss

3 Vollz (Ws) 6/05

In der Strafvollzugssache des

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 08.02.05 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Rühle, Richter am Oberlandesgericht Dr. Mohr Richter am Oberlandesgericht Sakuth beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg - Grosse Strafkammer 7 - vom 21.12.04 wird als unzulässig verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdegegners.

Der Gegenstandswert wird auf 8.000,- € festgesetzt.

Der Aussetzungsbeschluss des Senats vom 13.01.05 ist gegenstandslos.

Gründe:

I.

Durch Beschluss vom 21.12.04 hat die Strafvollstreckungskammer die Justizvollzugsanstalt F. (JVA) verpflichtet, den Beschwerdegegner in eine Anstalt des offenen Vollzugs zu verlegen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1. Der Beschwerdegegner ist Insasse der JVA der Beschwerdeführerin. Er verbüßt gegenwärtig eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Ausüben der tatsächlichen Gewalt und Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe aus dem Urteil des Landgerichts Trier aus dem Jahre 1991. Der Zweidrittelzeitpunkt in dieser Sache war am 14.06.01 erreicht. Das Strafende ist für den 14.06.05 notiert.

Im Anschluss ist die Verbüßung des restlichen Drittels einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren wegen besonders schweren Raubes, schweren Raubes in Tateinheit mit fahrlässige Körperverletzung, versuchten schweren Raubes, schwerer räuberischer Erpressung, Diebstahls in vier Fällen und versuchten Diebstahls in zwei Fällen aus einem Urteil des Landgerichts Hamburg aus dem Jahre 1971 vorgesehen. Das Strafende ist für den 15.06.2010 notiert.

Letztlich ist die Verbüßung des restlichen Drittels aus einer Verurteilung des Landgerichts Hamburg aus dem Jahre 1976 wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten vorgesehen. Das Strafende ist für den 15.08.2013 notiert.

Wegen der Tat, die zur Verurteilung im Jahre 1971 führte, wurde der Beschwerdegegner am 03.03.1969 festgenommen. Seitdem verbüßt er die aufgeführten Freiheitsstrafen mit Unterbrechungen in der JVA der Beschwerdeführerin. Nach anfangs positivem Vollzugsverlauf flüchtete der Beschwerdegegner erstmals am 25.08.1975 während einer Ausführung und beging während der Flucht die Taten, die zu seiner Verurteilung im Jahre 1976 führten. Am 10.12.1975 konnte der Beschwerdegegner wieder festgenommen werden.

Während der anschließenden Haft begann sich der Beschwerdegegner für Yoga zu interessieren und absolvierte eine Ausbildung zum Yogatherapeuten. 1982 flüchtete der Beschwerdegegner erneut. Die Flucht dauerte bis ins Jahr 1990. Der Beschwerdegegner wurde am 05.07.1990 wegen der Tat, die zur Verurteilung im Jahre 1991 führte, wieder festgenommen. Der Beschwerdegegner hat angegeben, während der Flucht erfolgreich als Yogatherapeut gearbeitet zu haben. Die Tat im Jahre 1990 habe er begangen, weil er von dritter Seite erpresst worden sei. Der Erpresser habe von seiner Flucht gewusst und gedroht, ihn zu verraten, wenn er nicht zahle. Während der Zeit seiner Flucht hat der Beschwerdegegner seine jetzige Ehefrau kennen gelernt.

Der Beschwerdegegner befindet sich nunmehr seit über 14 Jahren unter den Bedingungen des geschlossenen Vollzuges ohne Vollzugslockerungen ununterbrochen in Haft. Er ist seit 1998 verheiratet. Seine Yogakenntnisse hat er weiter vertieft, insbesondere nun auch in Bezug auf die hinter der körperlichen Ausübung stehenden Philosophie und Weltanschauung. Nach seiner Entlassung will er wieder als Yogatherapeut arbeiten. Seine Pläne werden von Personen aus seinem Bekanntenkreis, die ebenfalls in diesem Bereich tätig sind, unterstützt.

2. Im Februar 1998 wurde auf Veranlassung der JVA erstmals ein psychiatrisches Prognosegutachten über den Beschwerdegegner erstattet. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hatte der Beschwerdegegner die Straftaten aus einer narzisstischen Wut heraus begangen. Er habe sich mit diesen Taten an der Justiz rächen wollen. Damit habe er sein Selbstwertgefühl retten oder wiederherstellen wollen. Seine negative Einstellung zur Justiz habe sich seitdem nicht geändert. Die Beschäftigung mit Yoga helfe dem Beschwerdeführer aber seine Ausbrüche besser zu kanalisieren. Er werde dadurch auch selbstsicherer. Die Entwicklung sei positiv. Inwieweit dieses Mittel geeignet sei, auch tief greifende Enttäuschungen zu verarbeiten, sei nur im Rahmen einer therapeutisch orientierten Beziehung feststellbar. Für den Fall eines positiven Verlaufs dieser therapeutischen Beziehung empfahl der Sachverständige die Verlegung des Beschwerdegegners in eine sozialtherapeutische Anstalt.

Die Anregung des Sachverständigen nahm die JVA im Oktober 1998 auf und veranlasste die Anstaltspsychologin Frau G. therapeutische Gespräche mit dem Beschwerdegegner zu führen. Auf der Basis dieser Gespräche gelangte die Anstaltspsychologin im April 1999 zu dem Ergebnis, dass eine Verlegung des Beschwerdegegners in eine sozialtherapeutische Anstalt angezeigt sei. Zwar sei es wenig wahrscheinlich, dass sich die Persönlichkeitszüge des Beschwerdegegners noch weiter verändern könnten. Wegen der langen Haftzeit und der Notwendigkeit einer längerfristigen Vorbereitung der Entlassung sei die Verlegung trotz der Fraglichkeit der weiteren Aufarbeitung geboten.

Im September 1999 lehnte die Strafvollstreckungskammer einen Antrag des Beschwerdegegners auf bedingte Entlassung mit der Begründung ab, dass es für eine günstige Prognoseentscheidung an einer Erprobung unter gelockerten Vollzugsbedingungen fehle. Die JVA sei im Hinblick auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet, zur Vorbereitung einer möglichen Entlassung zum 2/3-Zeitpunkt ernsthaft Vollzugslockerungen zu erwägen. Auch die Strafvollstreckungskammer sprach sich in diesem Zusammenhang für eine Verlegung des Beschwerdegegners in eine sozialtherapeutische Anstalt aus.

Auch die JVA befürwortete nun eine Verlegung des Beschwerdegegners in eine sozialtherapeutische Anstalt, dem M.-Haus, einer Anstalt des offenen Vollzuges. Die Auswahlkommission des M.-Hauses lehnte jedoch eine Aufnahme des Beschwerdegegners ab, weil dieser an einer Aufarbeitung seiner Vergangenheit nicht interessiert sei.

Der Beschwerdegegner beantragte daraufhin, in den regulären offenen Vollzug verlegt zu werden. Die Vollzugsplankonferenz der JVA befürwortete am 16.06.00 diesen Antrag, wies aber darauf hin, dass eine Verlegung der Zustimmung der Aufsichtsbehörde, also der Beschwerdeführerin bedürfe. Im Gegensatz zu dieser positiven Einschätzung teilte die JVA dem Beschwerdegegner am 23.08.00 mit, dass eine Verlegung in den offenen Vollzug nicht befürwortet werden könne. Die tatsächliche Situation hatte sich in diesen beiden Monaten nicht verändert. Es wurde nun darauf abgestellt, dass es keine ausreichenden Erkenntnisse über eine Gefährlichkeitsprognose gäbe.

Deshalb veranlasste die JVA ein neues psychiatrisches Gutachten zur Gefährlichkeitsprognose, das am 04.05.01 vorgelegt wurde. Der Sachverständige gelangte dabei im Wesentlichen zu den gleichen Erkenntnissen wie sein Kollege im Jahre 1998. Er stellte eine weitere positive Entwicklung durch die Beschäftigung mit Yoga fest, ging aber nach wie vor von einer fortbestehenden Gefahr durch den Beschwerdegegner aus. Diese sei allerdings gering, solange es Strukturen gebe. Er empfahl weitere therapeutische Maßnahmen.

Gegen die ablehnende Entscheidung der JVA legte der Beschwerdegegner erfolglos Widerspruch ein und beantragte die gerichtliche Entscheidung. Die Strafvollstreckungskammer hob mit Beschluss vom 28.01.03 den Widerspruchsbescheid auf und verpflichtete die JVA, den Beschwerdegegner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die Strafvollstreckungskammer wies in ihrer Entscheidung auf das widersprüchliche Verhalten der JVA hin, bemängelte, dass die JVA bei ihrer Entscheidung auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB statt auf die des § 10 StVollzG abgestellt habe, und stellte zahlreiche weitere Mängel des Widerspruchsbescheides fest. Außerdem wies die Strafvollstreckungskammer darauf hin, dass eine Erprobung unter Vollzugslockerungen im Hinblick auf den bereits verstrichenen 2/3-Zeitpunkt und die in diesem Zusammenhang relevante Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer drängender werde.

An der Vollzugssituation des Beschwerdegegners änderte sich gleichwohl nichts.

Die JVA veranlasste nun eine weitere psychologische Stellungnahme, diesmal durch die Anstaltspsychologin R. Diese gelangte am 30.09.03 zu dem Ergebnis, dass die Flucht- und Missbrauchsgefahr des Beschwerdegegners im offenen Vollzug als gering einzuschätzen sei.

Als die JVA gleichwohl ihrer Verpflichtung zur Neubescheidung nicht nachkam, stellte der Beschwerdegegner mit Schriftsatz vom 16.02.04 einen Vornahmeantrag gemäß § 113 Abs. 1 StVollzG mit dem Ziel, die JVA zu verpflichten, ihn in eine Anstalt des offenen Vollzugs zu verlegen.

Aufgrund der Neustrukturierung in einen Stufenvollzug hat die JVA den Beschwerdegegner im September 2004 in die höchste Stufe, die sog. "Bewährungsgruppe" eingestuft. Nach einer verwaltungsinternen Anweisung sollen in diese Kategorie nur Insassen eingestuft werden, die Mitarbeitsbereitschaft über einen längeren Zeitraum gezeigt haben, für die ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten festgestellt werden kann und die gewährte Freiräume verantwortungsvoll wahrnehmen.

Zu dem Vornahmeantrag des Beschwerdegegners hat die JVA letztmalig im April 2004 Stellung genommen und geltend gemacht, dass zur Einschätzung der Missbrauchsgefahr nunmehr ein externes Gutachten eingeholt werden solle. Da sich der Beschwerdegegner aber nunmehr weigere, sich erneut begutachten zu lassen, sei eine Neubescheidung gegenwärtig nicht möglich.

Am 21.12.04 hat die Strafvollstreckungskammer daraufhin die Verpflichtung der JVA ausgesprochen, den Beschwerdegegner in den offenen Vollzug zu verlegen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen des § 116 Abs. 1 StVollzG.

Eine Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung ist nicht zur Fortbildung des Rechts geboten. Die Voraussetzungen unter denen eine Verlegung eines Strafgefangenen in den offenen Vollzug in Frage kommt, sind in der Rechtsprechung grundlegend geklärt. Der vorliegende Fall liefert keine Anhaltspunkte für Rechtsfragen, die in diesem Zusammenhang noch auslegungsbedürftig sind.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist eine Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung nicht geboten, da die Entscheidung des Landgerichts mit der ständigen Rechtsprechung in Einklang steht.

1. Die Strafvollstreckungskammer war nicht im Hinblick auf § 113 Abs. 2 StVollzG gehindert, in der Sache zu entscheiden. Die Strafvollstreckungskammer hatte die JVA bereits im Januar 2003 zu Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet. Der JVA waren in dieser Entscheidung weit reichende Entscheidungshilfen an die Hand gegeben worden, vor deren Hintergrund es unerklärlich ist, dass die JVA bis heute keine erneute Entscheidung in der Sache getroffen hat. Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer darauf hingewiesen, dass gegenwärtig ein nicht hinnehmbares Entscheidungsvakuum besteht, da die JVA das "Ob" ihrer Entscheidung offenbar davon abhängig machen will, dass sich der Beschwerdegegner zu einer weiteren, mittlerweile fünften Begutachtung bereiterklärt. Es liegt auf der Hand, dass die fehlenden weiteren Erkenntnismöglichkeiten eines weiteren Gutachtens die JVA nicht von ihrer Entscheidungspflicht entbinden können.

2. Es kann auch nicht beanstandet werden, dass die Strafvollstreckungskammer an Stelle der JVA in der Sache entschieden hat.

Ausweislich der Entscheidungsgründe war sich die Strafvollstreckungskammer bewusst, dass die Verlegung eines Strafgefangenen in den offenen Vollzug von Voraussetzungen abhängig ist, die der JVA einen Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Einschätzung einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr gemäß § 10 Abs. 1 StVollzG zubilligen (vgl. BGHSt 30, 320 ff) und in der Rechtsfolge eine Entscheidung vorsieht, die im Ermessen der JVA steht.

Die Annahme der Strafvollstreckungskammer, dass Beurteilungs- und Ermessensspielraum vorliegend auf Null reduziert sind und die Sache deshalb spruchreif ist, ist nicht zu beanstanden.

a) Die Strafvollstreckungskammer ist mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass der Sachverhalt vollständig ermittelt ist. Es ist gut vertretbar, dass die Strafvollstreckungskammer ein weiteres Gutachten für nicht erforderlich erachtet hat. Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, die unterschiedlichen Gutachten würden sich widersprechen und die gutachterliche Stellungnahme der Anstaltspsychologin sei in sich widersprüchlich, verkennt die Beschwerdeführerin, dass sich die unterschiedlichen gutachterlichen Stellungnahmen auf unterschiedliche Entwicklungsstadien beziehen und deshalb nicht in Widerspruch stehen müssen. Demgemäß hat die Anstaltspsychologin R. ihre Einschätzung auch nicht als Widerspruch zu den vorherigen Einschätzungen eingestuft, sondern auf der Basis der vorherigen Einschätzungen eine Fortentwicklung der Persönlichkeit und der sozialen Beziehungen des Beschwerdegegners konstatiert. Das Gutachten der Anstaltspsychologin ist auch nicht in sich widersprüchlich. Die Anstaltspsychologin hat in ihrer Stellungnahme durchaus ausgeführt, dass es Umstände gibt, die für eine fortbestehende Gefährlichkeitsprognose sprechen. Diese Umstände hat sie jedoch nicht beziehungslos neben ihre Einschätzung gestellt, sondern in die gebotene Abwägung einbezogen.

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer angesichts der Weigerung des Beschwerdegegners sich noch einmal begutachten zu lassen, davon ausgegangen ist, dass weitere Erkenntnisse in dieser Hinsicht nicht mehr zu erwarten sind.

b) Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn die Strafvollstreckungskammer angesichts der obigen Einschätzungen dem Umstand, dass der Beschwerdegegner die Teilnahme an therapeutischen Gesprächen zur Erreichung des Vollzugsziels verweigert, nicht auf das Vorliegen einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr zu schließen vermag. Die Strafvollstreckungskammer bewegt sich damit auf der Basis der ständigen Rechtsprechung des Senats und der anderer Oberlandesgerichte (z. B. Beschluss des Senats vom 10.01.02 - 3 Vollz (Ws) 101/01; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 318 f; OLG Celle, ZfStrVoSH 1985, 374).

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung die eigene Einschätzung der JVA aus dem Jahre 2000 herangezogen hat. Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer darauf hingewiesen, dass die fehlende Zustimmung der Aufsichtsbehörde, also der Beschwerdeführerin, nur dann relevant sein kann, wenn diese ihrerseits auf eine sachbezogene Argumentation gestützt wird (vgl. KG, ZStrVo 2002, 310 f), was ausweislich der Beschlussbegründung aber offenbar nicht der Fall gewesen ist.

Schließlich durfte die Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose auch das fortgeschrittene Alter des Beschwerdegegners, von mittlerweile über 60 Jahren einbeziehen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer auf der Basis der Einschätzung der Anstaltspsychologin davon ausgegangen ist, dass die letzte durch narzisstische Wut geprägte Tat des Beschwerdegegners bereits rund 30 Jahre zurückliegt. In diesem Zusammenhang konnte auch berücksichtigt werden, dass sich die Konstellation, die zu einer Erpressbarkeit des Beschwerdegegners geführt hatte, hochwahrscheinlich nicht wiederholen wird. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass einbezogen wurde, dass der Beschwerdegegner sich mittlerweile über 14 Jahre ununterbrochen beanstandungsfrei im Strafvollzug geführt hat. Die Strafvollstreckungskammer hat bei ihrer Entscheidung auch einbezogen, dass der Beschwerdegegner trotz positiver Prognose zweimal aus der Haft geflohen ist und währenddessen schwerwiegende Straftaten begangen hat. Es wurde auch einbezogen, dass das Strafende erst im Jahre 2013 erreicht sein wird.

Nach allem lässt die landgerichtliche Entscheidung keine Abwägungsdefizite erkennen.

c) Bei der Prüfung einer Ermessensreduzierung durfte die Strafvollstreckungskammer zudem einbeziehen, dass das Resozialisierungsinteresse des Beschwerdegegners mit der fortschreitenden Haftdauer immer stärker zu berücksichtigen ist. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass der 2/3-Zeitpunkt bereits seit knapp drei Jahren überschritten ist, ohne dass Vollzugslockerungen angeordnet wurden. Die Strafvollstreckungskammer folgt mit dieser Argumentation den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts bei Verbüßung langjähriger Haftstrafen (vgl. BVerfG, NJW 1998, 1133 f; ZfStrVo 1998, 180 ff).

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade angesichts von Fallkonstellationen der vorliegenden Art klargestellt, dass die Bewährung unter gewährten Vollzugslockerungen bei langjährigen Freiheitsstrafen für einen Strafgefangenen oft die einzige Möglichkeit ist, die Voraussetzungen für eine spätere günstige Sozialprognose zu begründen. Da die Gewährung von Vollzugslockerungen in einem vom Bundesverfassungsgericht akzeptierten Beurteilungsspielraum der Verwaltung liegt, hat das Bundesverfassungsgericht eine hohe Kontrolldichte dieser Entscheidungen der Verwaltung durch die Gerichte gefordert, damit der späteren von den Gerichten zu treffenden Prognoseentscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB nicht von vornherein der Boden entzogen werden kann (BVerfG, NJW a. a. O., S. 1134).

Der vorliegende Fall ist ein exemplarisches Beispiel für die vom Bundesverfassungsgericht skizzierte Gefahr.

d) Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, dass auch eine geringe Flucht- oder Missbrauchsgefahr nicht in Kauf genommen werden dürfe, verkennt sie die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Resozialisierungsgebots. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass mit jeder Vollzugslockerung naturgemäß ein Risiko der Entweichung aus der Haft und eines Missbrauchs verbunden ist. Entscheidend ist vielmehr, ob dieses Risiko unvertretbar erscheint (BVerfG, NJW, a. a. O., S. 1134 m. w. N.; NStZ 1998, 430).

e) Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, dass sie gegenüber der Bevölkerung die Verantwortung zu tragen habe, wenn sie einer Verlegung in den offenen Vollzug zustimme und diese später fehlgeschlage, merkt der Senat an, dass die JVA und die Beschwerdeführerin ihrer Verantwortung für die Verwirklichung der Ziele des Strafvollzuges durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht enthoben sind.

Nach § 2 StVollzG soll der Gefangene durch den Vollzug der Freiheitsstrafe befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Strafen zu führen (Resozialisierungsgebot). Außerdem soll der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dienen.

Es ist zwar nicht zu verkennen, dass das Resozialisierungsgebot und der Schutz der Allgemeinheit in einem Spannungsverhältnis stehen (BVerfG, a. a. O). Dabei handelt es sich aber nicht immer um einen unauflösbaren Widerspruch. Bereits der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass dem Schutz der Allgemeinheit durch eine gelungene Resozialisierung eines Strafgefangenen am Besten Rechnung getragen werden kann (BT Drucks. 7/3998 S. 5 f; 7/918, S. 45). Auch die Rechtsprechung hat die Vereinbarkeit dieser beiden Ziele des § 2 StVollzG stets betont (BVerGE 45, 187, 239 f; 98, 196, 200 f; OLG Karlsruhe ZfStrVoSH 1978, 9, 12).

Demnach wird die Verantwortung einer JVA und einer Aufsichtsbehörde für den Schutz der Allgemeinheit nicht erst dann relevant, wenn ein Strafgefangener im Rahmen von Vollzugslockerungen wieder unmittelbaren Kontakt zur Allgemeinheit erhält, sondern gewinnt bereits in der Ausgestaltung des Vollzuges im Hinblick auf die einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlich relevanten Vorgaben des Resozialisierungsgebots Bedeutung. Vermeidbare Gefährdungen der Allgemeinheit können nicht nur durch eine zu frühzeitige Gewährung von Vollzugslockerungen, sondern beispielsweise auch durch unzureichende Resozialisierungsbemühungen der Vollzugsbehörden entstehehen.

f) Schließlich hat die Beschwerdeführerin behauptet, eine Verlegung des Beschwerdeführers müsse aus Gründen der Fürsorge gegenüber dem Beschwerdegegner unterbleiben. Die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ihr werde durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer jegliche Möglichkeit genommen, den Beschwerdegegner auf die Verlegung in den offenen Vollzug vorzubereiten, es drohe deshalb von vornherein eine Überforderung des Beschwerdeführers und schon aus diesem Grunde ein Scheitern.

Dem Senat erschließt sich diese Argumentation nicht. Zum einen datiert die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer bereits vom 21.12.04, so dass die Beschwerdeführerin angesichts der Aussetzungsentscheidung des Senats die inzwischen verstrichene Zeit zur Vorbereitung des Beschwerdegegners nutzen konnte. Zum anderen bedeutet eine Verlegung in den offenen Vollzug nicht, dass ein Strafgefangener von vornherein ohne jegliche Kontrolle ist. Der Übergang in weitergehende Freiheiten erfolgt auch dort schrittweise.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 121 Abs. 4 StVollzG, 467 Abs. 1 StPO. Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf §§ 52, 60 GKG.



Ende der Entscheidung

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