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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 03.04.2002
Aktenzeichen: 4 U 236/01
Rechtsgebiete: AGBG


Vorschriften:

AGBG § 9 a.F.
Die dem Mieter eines Gaststättenlokals formularvertraglich auferlegte "Betreibungspflicht während der gesetzlichen Öffnungszeiten" ist nicht nach § 9 AGBG a.F. unwirksam, auch nicht bei gleichzeitigem Ausschluss von Konkurrenzschutz.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 236/01

Verkündet am: 3. April 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 4. Zivilsenat, durch die Richter Dr. Raben, Ruhe, Dr. Bischoff nach der am 3. April 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 11, vom 27.11.2001 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, das in den Räumen in Hamburg betriebene Restaurant an Werktagen mit Ausnahme von Dienstags und Samstags in derzeit von 12.00 bis 15.00 Uhr und von 18.00 bis 20.00 Uhr, am Dienstag und Samstag in der Zeit von 18.00 bis 20.00 Uhr geöffnet zu halten und zu betreiben, mit Ausnahme eines wöchentlichen Ruhetags, der von der Beklagten zu bestimmen ist.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden der Klägerin 20 %, dem Beklagten 80 % auferlegt. Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten werden der Klägerin zu 20 %, dem Nebenintervenienten zu 80 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung des Hauptanspruchs abwenden durch Sicherheitsleistung von 25.000,-- € und des Kostenerstattungsanspruchs durch Sicherheitsleistung von 5.000,-- €, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung von 1.200,-- € und die Vollstreckung des Nebenintervenienten durch Sicherheitsleistung von 300,-- € abwenden, wenn der Beklagte bzw. der Nebenintervenient nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin vermietete dem Beklagten Gewerberäume zum Betrieb eines Restaurants. Die als Anlage 3 in den Mietvertrag vom 29. Oktober 1993 (Anlage K 1) einbezogenen "Allgemeine Vertragsvereinbarungen Gewerbemietvertrag (AVG)" lauten in § 2 Ziffer 3: "Bei Ladenlokalen und Gaststätten obliegt dem Mieter die Betreibungspflicht während der gesetzlichen Öffnungszeiten." §16 Satz 1 der AVG lautet: "Der Vermieter gewährt keinen Konkurrenz- und Sortimentsschutz."

Der Restaurantbetrieb ist vor Monaten vom Beklagten bzw. seinem Untermieter, dem Nebenintervenienten, eingestellt worden. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Betriebspflicht-Vereinbarung im Hinblick auf § 9 AGBG a.F..

Mit Urteil vom 27. November 2001, auf das zur weiteren Sachdarstellung verwiesen wird, hat das Landgericht den Klagantrag zur Verurteilung des Beklagten, das Restaurant zu im Einzelnen bestimmten Zeiten geöffnet zu halten und zu betreiben, abgewiesen. Nach Zustellung des Urteils an die Klägerin am 05. Dezember 2001 hat diese am 13. Dezember 2001 Berufung eingelegt und die Berufung am 14. Januar 2001 (Montag) begründet.

Sie hält die Klausel nach wie vor für wirksam. Auf Anregung des Senats hat sie den zunächst unverändert weiter verfolgten Klagantrag im Hinblick auf die täglichen Öffnungszeiten des Restaurants eingeschränkt und die weitergehende Berufung zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

wie erkannt. Der Beklagte und der Nebenintervenient betragen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie meinen, die Betriebspflicht-Vereinbarung sei auch wegen ihres Zusammenhangs mit der vereinbarten Sortimentsbindung und dem Ausschluss von Konkurrenzschutz nichtig.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist mit dem jetzt eingeschränkten Antrag begründet. Die Vertragsklausel zur Betriebspflicht gemäß §2 Ziffer 3 der AVG ist wirksam vereinbart worden.

1. Vorrangig vor der Inhaltskontrolle gemäß § 9 AGBG a.F. ist die Auslegung der Klausel. Das Landgericht hat sie im Sinne einer Pflicht verstanden, jederzeit im Rahmen der gesetzlichen Öffnungszeiten das Restaurant zu betreiben, ohne dass Ruhetage, Betriebsferien oder ähnliche Betriebsunterbrechungen erlaubt hätten sein sollen.

a. Hinsichtlich der Öffnungszeiten würde diese Auslegung bedeuten, dass das Restaurant täglich an 22 bzw. sogar an 24 Stunden betrieben werden solle (vgl. S. 2 der Klagerwiderung, Bl. 9 d.A.). Dies kann aber bei der gebotenen Berücksichtigung der typischen beiderseitigen Interessen sowie nach Sinn und Zweck der Klausel in aller Regel nicht gemeint gewesen sein (vgl. zu diesen Auslegungskriterien Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 5 AGBG Rdn. 7; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG-Gesetz, 4. Aufl., § 5 Rdn. 7). Nur in extremen Ausnahmefällen würden solche Öffnungszeiten den Interessen zumindest eines der Beteiligten entsprechen. Bei Einbeziehung auch der individual-vertraglichen Umstände (vgl. dazu Palandt/Heinrichs a.a.O. Rdn. 6; Wolf/Horn/Lindacher a.a.O. Rdn. 17) kommt eine solche Auslegung erst recht nicht in Betracht, da das Mietobjekt zu einem kleineren Geschäfts- und Dienstleistungszentrum in B , also einer ländlichen Stadtrandgemeinde gehört.

Einen Sinn macht die Betreibungspflicht "während der gesetzlichen Öffnungszeiten" für die in die Klausel einbezogenen Ladenlokale, zumal in einem Einkaufszentrum, zu dem das Restaurant zumindest nach der Vorstellung der Parteien gehörte (vgl. Ziffer 7 der Anl. 2 zum Mietvertrag). Insoweit liegt das Interesse des Vermieters an einer vollen Ausschöpfung der gesetzlich zulässigen Öffnungszeiten zur Erhaltung der Anziehungskraft und der Wettbewerbsfähigkeit der Gesamtanlage auf der Hand (Peters/Welkerling ZMR 1999, 369; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl., Rdn. 650). Dass es sich hier um ein vergleichsweise kleines Geschäftszentrum handelt (vgl. Anl. K 10, K 11), ist insoweit unerheblich.

Die Öffnungszeiten für die Ladenlokale bilden nach diesem Sinn der Klausel auch den Rahmen für Gaststätten wie die des Beklagten. Dass im Hinblick auf den für die Auslegung einzubeziehenden individuellen Betriebszweck (Pizzeria) eine volle Ausschöpfung jener gesetzlichen Öffnungszeiten, insbesondere in den Vormittagszeiten, offensichtlich nicht in Betracht kommt, ist bei der Auslegung ebenfalls zu berücksichtigen.

Anders haben auch die Parteien bezeichnenderweise die vereinbarte Betreibungspflicht seit Vertragsbeginn im Jahre 1993 nicht verstanden, wie sich aus den von der Klägerin mitgeteilten bisherigen Öffnungszeiten ergibt.

b. Hinsichtlich zeitweiliger Betriebsunterbrechungen wegen Betriebsferien, Ruhetagen, Reparaturen und ähnlichem geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass solche in der Regel durch AGB nicht ausgeschlossen werden dürfen (vgl. Bub/Treier/Kraemer, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III Rdn. 938). Seiner Ansicht, dass dies hier geschehen sei, ist aber nicht zu folgen. Ausdrücklich ist ein Ausschluss kurzfristiger Betriebsunterbrechungen durch entsprechende Formulierungen (z.B. "jederzeit", "ununterbrochen", vgl. z.B. OLG Stuttgart NJW-RR 1993, 654, 655) in der vorliegenden Klausel nicht enthalten. Die ganz herrschende Meinung nimmt deshalb zu Recht an, dass in diesem Falle schon die Auslegung in der Regel zur Zulassung derartiger Unterbrechungen führt (OLG Düsseldorf ZMR 1999, 171 [anderenfalls wäre eine genauere Eingrenzung der Betriebspflicht entbehrlich gewesen]; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., II Rdn. 274; Wolf/Eckert/Ball Rdn. 653; Hamann ZMR 2001, 582). Eine einschränkende und damit geltungserhaltende Auslegung von AGB im Hinblick auf seltenere Sondertatbestände ist auch in vergleichbaren Fällen anerkannt worden (vgl. Wolf/Horn/Lindacher § 5 Rdn. 20 mit Rechtsprechungsnachweisen).

2. Die Festlegung einer Betriebspflicht ist auch nicht deshalb unwirksam, weil daneben in § 16 der Anlage 3 zum Mietvertrag der Konkurrenzschutz ausgeschlossen und im individuellen Mietvertrag ein beschränkter Nutzungszweck vereinbart ist. Zwar hat das OLG Schleswig im Anschluss an Sternel (a.a.O. II Rdn. 274) die Kumulation dieser Bestimmungen als unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG a.F. bewertet (NZM 2000, 1008), anders dagegen mit unterschiedlicher Begründung die ganz herrschende Meinung, die nur im Einzelfall eine Berufung des Vermieters auf die Betriebspflicht im Falle der Ertragsminderung durch einen Konkurrenz betrieb für rechtsmissbräuchlich hält (Bub/Treier II Rdn. 511; Hamann ZMR 2001, 581 f., 584; Jendrek NZM 2000, 529; von Westphalen/Drettmann, Vertragsrecht und AG B-Klauselwerke, Abschnitt "Geschäftsraummiete" Rdn. 92).

Für eine Gesamtwürdigung der AGB betreffend Betriebspflicht und Konkurrenzschutz im Rahmen des § 9 AGBG a.F. dürfte es schon an einer engen sachlichen Zusammengehörigkeit fehlen, da Probleme bezüglich bei der Bestimmungen in der konkreten Anwendung nur selten zusammenfallen. Bedenklich im Sinne von § 9 kann die wechselseitige Verstärkung sein (vgl. Wolf/Horn/Lindacher § 9 Rdn. 132, 133). Ein regelmäßiger Verstärkereffekt des Konkurrenzschutzausschlusses auf die Betriebspflicht ist nicht feststellbar (Hamann a.a.O.).

3. Selbst wenn die Auslegung von § 2 Ziffer 3 der hier verwendeten AGB zu einem anderen Ergebnis, nämlich einer übermäßigen Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Mieters im Sinne von § 9 AGBG a.F. führen würde oder die Anordnung der Betriebspflicht wegen des Ausschlusses von Konkurrenzschutz unwirksam wäre, würde eine Betriebspflicht des Beklagten nicht völlig entfallen. Das nach § 6 Abs. 2 AGBG a.F. dann anwendbare dispositive Recht sieht zwar eine Betriebspflicht nicht vor, im Falle einer durch die Nichtigkeit entstandenen Regelungslücke kommt aber auch eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Eine Lücke liegt vor, wenn ein für den konkreten Vertragstyp regelungsbedürftiger Punkt wegen der Unwirksamkeit einer Bestimmung nicht geregelt ist (vgl. Palandt/Heinrichs § 6 AGBG Rdn. 6, 6 a; Wolf/Horn/Lindacher § 6 Rdn. 15-22) Für den hier vorliegenden Realtypus "Miete im Einkaufszentrum" ist die Betriebspflicht der Mieter typisch (vgl. Hamann a.a.O. S. 582; Jendrek a.a.O. S. 526; Peters/Welkerling ZMR 1999, 369; Wolf/Eckert/Ball Rdn. 650; vgl. auch Sternel II Rdn. 273, der hier sogar eine konkludent vereinbarte Betriebspflicht annimmt). Wenn das hier streitgegenständliche Lokal auch nicht in einem der üblichen größeren Einkaufszentren mit umfassendem Branchenangebot liegt, so doch in einem als Einheit angelegten Gebäudekomplex, dessen Attraktivität ebenfalls von der Vielseitigkeit seiner Waren- und Dienstleistungsangebote abhängt. Der gänzliche Wegfall der vereinbarten Betriebspflicht könnte auch hier nicht als interessengerechte Lösung angesehen werden.

Bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen (vgl. zu diesem Maßstab: Palandt/Heinrichs § 6 AGBG Rdn. 6; Wolf/Horn/Lindacher § 6 Rdn. 18) hätten die Parteien zumindest die übliche Betriebspflicht vereinbart, die eine längerfristige Schließung des Lokals oder auch eine gänzliche Einstellung des Geschäftsbetriebs untersagt, ohne die täglichen Betriebszeiten im einzelnen festzulegen (so auch das von der Klägerin eingereichte Mietvertrags-Formular, Anl. Bf 1, § 3 Ziffer 1).

4. Die hier vereinbarte zeitliche Einschränkung der Betriebspflicht auf die Ladenöffnungszeiten (vgl. oben zu 1. a.) bleibt allerdings in jedem Falle wirksam, unbeschadet der Dispositionsfreiheit des Mieters hinsichtlich längerer Öffnungszeiten. Die entsprechende Anpassung des Berufungsantrags war als ohne Weiteres zulässige Einschränkung gemäß §264 Ziff. 2 ZPO zu bewerten. Eine weitere Einschränkung des Berufungsantrags im Hinblick auf zulässige Betriebsunterbrechungen aus besonderen Gründen war nicht erforderlich. Derartige Sonderfälle bedürfen auch bei einer formularvertraglich vereinbarten Betriebspflicht keiner ausdrücklichen Erwähnung (vgl. oben zu Ziffer 1. b.). Der Beklagte beruft sich auch nicht auf das Vorliegen eines derartigen Sonderfalls.

5. Angesichts des Ergebnisses der Berufung ergibt sich die Kostenentscheidung aus §§ 91, 92 Abs. 1, 101 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO. Wegen der Abweichung von dem Beschluss des OLG Schleswig vom 02. August 1999 (a.a.O.) war die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 ZPO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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