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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 03.03.2004
Aktenzeichen: 5 U 102/03
Rechtsgebiete: LMBG, UWG


Vorschriften:

LMBG § 17 Abs. 1 Nr. 5
UWG § 1
UWG § 3
1. Nimmt ein Hersteller für sein Produkt die Verwendung bestimmter Zutaten in Anspruch und legt ein Wettbewerber zum Beweis des Gegenteils wissenschaftliche Analyseergebnisse vor, kann sich der Angegriffene nicht darauf beschränken, die Validität der Untersuchungsmethoden in Zweifel zu ziehen, sondern muss den festgestellten Ergebnissen eigenen substanziierten Sachvortrag entgegensetzen.

2. Die als Bestandteil der "Leitsätze" 2002" in das Deutsche Lebensmittelbuch aufgenommenen "Leitsätze für Puddinge, andere süße Desserts und verwandte Erzeugnisse" bilden die in § 17 Abs. 1 Nr. 2.b. LMBG zu Grunde zu legende "Verkehrsauffassung" zutreffend ab und sollen diese nicht erst zukunftsorientiert gestalten.

3. Zu den Voraussetzungen, unter denen für ein Produkt die Bezeichnung "Vanillesoße" verwendet werden darf.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

5 U 102/03

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 3. März 2004

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, durch die Richter Betz, Rieger, Dr. Koch nach der am 11. Februar 2004 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 06 für Handelssachen, vom 06.06.2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Begriffe "Vanillesoße" und "Feine" im Verbotstenor zu Ziff.1 mit den Worten "mit/ohne der Angabe" (anstelle von: "und/oder mit der Angabe") verbunden sind.

Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe eines Betrages von € 170.000.- abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf € 150.000.- festgesetzt. Hiervon entfallen € 125.000.- auf den Unterlassungsanspruch und jeweils € 12.500.- auf die Ansprüche auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht.

Gründe:

I.

Die Parteien sind Wettbewerber bei Herstellung und Handel mit Dessertsoßen, u.a. in der Geschmacksrichtung "Vanille". Die Beklagte bietet eine solche Dessertsoße in der aus dem Klageantrag zu 1. ersichtlichen Ausstattung an. Den hierbei verwendeten Begriff "Vanillesoße" sowie weitere Merkmale der Produktbeschreibung beanstandet die Klägerin wegen eines Verstoßes u.a. gegen lebensmittelrechtliche Kennzeichnungsvorschriften als wettbewerbswidrig. Sie steht auf dem Standpunkt, der Beklagten sei die Bezeichnung "Vanillesoße" für ihr Produkt verwehrt. Unter diesem Begriff erwarteten die angesprochenen Verkehrskreise eine Soße, die ausschließlich unter Verwendung natürlichen Vanille-Aromas bzw. Vanille-Schoten (Pulver oder Extrakt) hergestellt sei. Demgegenüber enthalte die von der Beklagten vertriebene Soße in erheblichem Umfang - zumindest auch - naturidentisches (synthetisches) Vanillin. Der Zusatz dieses Inhaltsstoffs sei durch die abweichende Bezeichnung "Soße mit Vanille-Geschmack" kenntlich zu machen.

Dieser Auffassung sind die Beklagten entgegengetreten. Die Parteien streiten hierbei sowohl über die in dem Produkt der Beklagten enthaltenen Zutaten als auch über die sowie die für deren Feststellung anzuwendenden wissenschaftlichen Analysemethoden als auch über die maßgebliche Verkehrsauffassung sowie deren Entwicklung und Prägung.

Die Klägerin hatte beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel - Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten zu 1. und 2. bzw. dem Beklagten zu 3. - zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken eine verzehrfertige Dessertsoße der Geschmacksrichtung Vanille unter der Bezeichnung:

"Vanillesoße"

und/oder mit der Angabe

"Feine"

und/oder mit der Angabe

"Meine Lieblingssoße Vanille"

und/oder mit der Angabe

"Spitzenqualität"

insbesondere wie nachfolgend wiedergeben, anzubieten und/oder zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen sowie anbieten zu lassen und/oder bewerben zu lassen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen, sofern dieser Dessertsoße Aroma mit naturidentischen synthetischen Aromastoffen mit Vanillegeschmack zugesetzt ist. 2. die Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die in Ziffer 1. bezeichneten Dessertsoßen in den Verkehr gebracht worden sind, und zwar unter Vorlage von Verkaufsrechnungen.

3. festzustellen, dass die Beklagten wie Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der dieser durch die Handlungen gemäß Ziffer 1 entstanden ist und/oder entstehen wird.

Das Landgericht hat die Beklagten mit Urteil vom 06.06.2003 entsprechend verurteilt. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten. Die Beklagten verfolgen in zweiter Instanz unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags ihr Klagabweisungsbegehren weiter. Die Kläger verteidigen auf der Grundlage der bereits erstinstanzlich gestellten Anträge mit der aus dem Tenor des Senatsurteil ersichtlichen Modifikation das landgerichtliche Urteil.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Beklagten zu Recht und mit zutreffender Begründung zur Unterlassung auf der Grundlage von § 1 UWG i.V.m. §§ 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG, 3 UWG verurteilt. Ihr Berufungsvorbringen rechtfertigt keine abweichende Entscheidung. Es gibt dem Senat Anlass zu folgenden ergänzenden Anmerkungen:

1. Auf der Grundlage des Parteivortrags steht auch für den Senat fest, dass die Beklagte bei der Produktion ihrer Dessertsoße neben natürlicher Vanille (Aromen bzw. Extrakte) in erheblichem Umfang auch naturidentisches (synthetisches) Vanillin verwendet. Die Beklagten haben den schlüssigen Klagevortrag insoweit weder ernsthaft bestritten noch zu widerlegen vermocht.

a. Die Beklagte hatte sich in der Berufungsbegründung erneut nachhaltig gegen die Validität der von der Klägerin angewandten Untersuchungsmethoden zur Feststellung des Vanillin-Gehalts gewandt. Die Frage, ob diese wissenschaftlichen Bedenken im Ergebnis begründet sind oder nicht, kann der Senat - ebenso wie es zutreffend bereits das Landgericht getan hat - indessen dahin stehen lassen. Denn die Beklagte geht insoweit bereits von einem unzutreffenden prozessualen Ausgangspunkt aus. Sie steht auf dem Standpunkt, die Klage sei unschlüssig (und unterliege deshalb ohne weiteres der Abweisung), wenn die von der Klägerin zur Grundlage ihres Unterlassungsbegehrens gemachte Tatsachenbehauptung wissenschaftlich nicht hinreichend fundiert oder fehlerhaft sei. Damit stelle sich eine gleichwohl erhobene Klage als unzulässige Ausforschung dar. Diese Ansicht ist nach Auffassung des Senats rechtlich unzutreffend. Die Klägerin genügt den Anforderungen an eine schlüssige Klage, wenn sie nachvollziehbar und im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vollständig darlegt, worauf sie ihre Überzeugung von der gesetzeswidrigen Zusammensetzung des Produkts der Beklagten stützt. Da die Klägerin die Rezeptur der Beklagten nicht kennt, kann sie letztlich nur versuchen, durch wissenschaftliche Methoden aus dem Endprodukt die von ihr vermuteten Inhaltsstoffe nach Art und Konzentration herauszurechnen. Die Frage, ob die dabei angewendeten wissenschaftlichen Methoden zutreffen und/oder fachlich unumstritten sind, stellt sich nicht als Frage der Schlüssigkeit der Klage, sondern ihrer Begründetheit dar. Denn letztlich entscheidet im Streitfall das Ergebnis einer sachverständigen Beweisaufnahme über die Frage, ob der fachliche Ausgangspunkt der Klägerin zutreffend gewesen ist. Möglicherweise liegt dem insoweit bestreitenden Sachvortrag der Beklagten aber auch ein Missverständnis anderer Art zugrunde. Derjenige Kläger, der für sein Produkt z.B. einen Qualitätsvorsprung in Anspruch nimmt, muss diesen im Streitfall selbstverständlich schlüssig belegen. Im Arzneimittel-/Heilmittelwerberecht gilt etwa der Grundsatz, dass nur derjenige - ohne einen entsprechenden Vorbehalt - mit einem Vorsprung werben darf, wenn dieser fachlich unumstritten ist. Diese Voraussetzungen gelten hingegen nicht gleichermaßen für die Fälle, in denen der Angreifer dem Produkt eines Konkurrenten die behauptete Qualität abspricht. In diesem Fall reicht nach Auffassung des Senats die auf Tatsachen gegründete und unter Beweis gestellte nachvollziehbare Behauptung für die Schlüssigkeit der Klage aus. Angesichts der Untersuchungsergebnisse zweier (offenbar namhafter) Institute (Anlagen K2 und K3) erfüllt der Sachvortrag der Klägerin diese Voraussetzungen ohne weiteres.

b. Deshalb kann es für eine erfolgversprechende Klageverteidigung nicht ausreichen, wenn die Beklagten zwar ausführlich die wissenschaftlichen Ermittlungsmethoden kommentieren, sich hingegen nicht näher mit den hieraus abgeleiteten Ergebnissen beschäftigen. Und diese sind - bei allen Zweifeln zu der Methodik im Einzelnen - auch aus Sicht des Senats eindeutig. Selbst wenn die Auffassung der Beklagten zutreffen sollte, dass die von den Klägern angewandten Analysemethoden (HPLC-Methode und Isotopenanalyse) nur für die Bestimmung des Vanillin im unveränderten Ausgangspunkt (z.B. zermahlene Vanilleschote), nicht aber für die Bestimmung im Endprodukt der Beklagten, das einen Ultrahocherhitzungsprozess durchlaufen hat, zuverlässige Ergebnisse liefern, ergibt sich kein abweichendes Bild. Dabei mag mit den Beklagten unterstellt werden, dass die Ultrahocherhitzung gegenüber dem Ausgangsprodukt einen höheren Anteil an Vanillin "freisetzt". Selbst dieser chemische Prozess erklärt nach Auffassung des Senats aber noch nicht einmal in Ansätzen den unstreitig in dem Produkt der Beklagten festgestellten Vanillingehalt. Die Beklagten selbst behauptet, ihr Produkt enthalte - entsprechend Ziff. I.C. der Leitsätze - 0,4 g/500g Vanilleschoten bzw. natürliches Vanillearoma. Hierzu haben sie u.a. eine Bestätigung einer für die Qualitätssicherung zuständigen Mitarbeiterin vorgelegt (Anlage B1), woraus sich ergibt, dass auf 10.000 l Vanillesoße 8,0 kg gemahlene Bourbon-Vanilleschoten zugesetzt werden, also 0,8g/kg. Unstreitig ist dabei zwischen den Parteien, dass Vanilleschoten nur zu 2 % Vanillin enthalten. Dies ergibt 16 mg/kg. Die Beklagten selbst führen ein Untersuchungsergebnis (HPCL-Analyse) ihres Produkts durch das LEFO-Institut (Ahrensburg) - und zwar aus der selben Charge, die die Klägerin untersucht hat - an, das am 13.08.2002 immerhin einen ausgesprochen hohen Gehalt 302 mg/kg Vanillin festgestellt hat. Zu der Frage, wie dieser augenfällige Unterschied erklärbar sein soll, nehmen die Beklagten auch in zweiter Instanz keine Stellung, obwohl sie keinem Zweifel unterliegen konnten, dass eine Auflösung des (vermeintlichen) Widerspruchs durch sie erforderlich ist. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass durch die Ultrahocherhitzung eine bessere "Erschließung" des enthaltenen Vanillinanteils zu erreichen ist, kann dies für sich genommen auch nach Auffassung des Senats nicht einen Multiplikator von 18,87 gegenüber dem Rohstoff erklären. Deshalb erscheint die Darstellung der Klägerin, die eigene Analyse der Beklagten belege den Zusatz von künstlichem Vanillin, und zwar ohne dass es überhaupt auf die Einzelheiten der streitigen Analysemethoden ankommt, auch dem Senat als schlüssig. Zu diesem Widerspruch in ihrer Argumentation schweigen sich die Beklagten aus, obwohl die Klägerin sie schriftsätzlich mehrfach zur Erläuterung aufgefordert hat. Dieses prozessuale Verhalten lässt sich aus Sicht des Senats allenfalls mit der Sorge der Beklagten erklären, sich durch eindeutige schriftsätzliche Angaben wegen der Strafbarkeit bzw. Ordnungswidrigkeit von Falschbezeichnungen nach § 51 ff LMBG möglicherweise zu präjudizieren. Auf die schwierige und streitige Rückrechnung des Anteils natürlichen Vanillins zu künstlich zugesetztem Vanillin aus dem Endprodukt kann es im übrigen auch nur ankommen, wenn beide Parameter unbekannt sind. Das ist aber vorliegend gerade nicht der Fall. Denn die "Bestätigung" der Qualitätssicherung der Beklagten (Frau A.Z., Anlage B1) bezieht sich mit den Mengenangaben ausdrücklich auf die Produktcharge mit Mindesthaltbarkeitsdatum 05.09.02, die sowohl durch die Klägerin (Institut Dr. Wiertz, Anlage K3) als auch durch die Beklagten (LEFO) untersucht worden ist und bei der Vanillin-Anteile von 302 mg/kg (LEFO) bzw. 389 mg/kg (Dr. Wiertz) festgestellt worden sind. Die Beklagten haben auch zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass neben den von Frau Z. benannten Vanilleschoten etwa noch andere natürliche Vanillearomen zugesetzt worden sind, die diesen hohen Wert erklärlich machen. Deshalb teilt der Senat den Standpunkt des Landgerichts, dass der wissenschaftliche Streit um die richtige Analysemethode für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen kann.

2. Die als Anlage K4 eingereichten aktuellen "Leitsätze für Puddinge, andere süße Dessert und verwandte Erzeugnisse" (im Folgenden: Leitsätze), die Bestandteil der "Leitsätze 2002" des Deutschen Lebensmittelbuchs sind, sehen unter Ziffer I.C. ausdrücklich vor, dass ein Erzeugnis, das (ausschließlich oder) zusätzlich (zu den unter Ziffer II.6 beschriebenen Zutaten von "mindestens 0,4g Vanilleschoten oder eine geschmacklich entsprechende Menge natürliches Vanillearoma") Aromen mit naturidentischen und/oder künstlichen Aromastoffen mit Vanillegeschmackseigenschaft verwendet, mit dem Zusatz "Vanille-Geschmack" kenntlich zu machen ist. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass diese aktuellen Leitsätze die gegenwärtige Verkehrsauffassung bzw. Verbrauchererwartung zutreffend abbilden.

a. Bei den Leitsätzen handelt es sich nicht um Rechtssätze (BVerwG ZLR 1988, 556 ff - Jägerburger/Snackburger) und sie sind daher nicht rechtsverbindlich (BVerwG ZLR1986, 333 ff - Verkauf von Diät-Wurstwaren). Sie werden aber insbesondere zur Feststellung der Verkehrsauffassung i.S. des § 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b und des § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG herangezogen (Zipfel, § 33 LMBG Rdn. 13). Zwar "werden die Gerichte zu prüfen haben, ob die Leitsätze die herrschende Verkehrsauffassung, die im Rahmen des § 17 LMBG allein entscheidend ist, richtig widerspiegeln oder ob sie diese erst gestalten wollen" (Zipfel a.a.O., Rdn. 13). Nach der Auffassung des BVerwG (a.a.O.) begründen die Leitsätze aber als "Sachverständigengutachten von besonderer Qualität" eine Vermutungswirkung dafür, was der Verbraucher von einem nach Herstellung, Beschaffenheit und sonstigen Merkmalen in den Leitsätzen beschriebenen Lebensmittel erwartet (Zipfel a.a.O., Rdn. 16).

b. Den Beklagten ist es nicht gelungen, diese Vermutungswirkung zu widerlegen. Soweit sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. einer Verkehrsbefragung beantragen, hat der Senat keine Veranlassung, diesem Antrag nachzukommen.

aa. Die geltenden Leitsätze aus dem Deutschen Lebensmittelbuch - das in § 33 Eingang in das LMBG gefunden hat - bilden die in § 17 Abs. 1 Nr. 2.b. LMBG zu Grunde zu legende "Verkehrsauffassung" zutreffend ab und sollen diese nicht nur - zukunftsorientiert - erst formen und ausgestalten. Allerdings sind die aktuellen Leitsätze erst am 26.01.1999 beschlossen worden sind. Die vorherigen Leitsätze vom 20.12.1968 enthalten einen Passus entsprechend Ziffer I.C. noch nicht (Anlage B3). Hierauf haben die Beklagten zutreffend hingewiesen. Dies bedeutet indessen nicht, dass die von der Klägerin in Anspruch genommene Verkehrsauffassung noch nicht besteht, sondern erst seit kurzem ausgebildet werden soll.

bb. Zwar haben die Beklagten unter Bezugnahme auf die Anlagen B4 bis B6 zutreffend dargelegt, dass die Änderungen der Leitsätze zwischen 1968 und 1999 ausschließlich andere Fragen betroffen haben. Dieser Umstand scheint auf den ersten Blick dafür zu sprechen, dass die Bezeichnungspflicht bei der (zusätzlichen) Verwendung von synthetischem Vanillin (neben natürlichem Vanille-Aroma) eine "Neuerung" aus dem Jahr 1999 gegenüber den Leitsätzen aus dem Jahr 1968 ist, die sich damit - so meinen die Beklagten - bis heute noch nicht hat im Verständnis der Verkehrskreise durchsetzen können, so dass die Leitsätze nicht geeignet sind, ein solches Verbraucherverständnis abzubilden. Damit erliegen die Beklagten jedoch einem Fehlschluss. Die Klägerin hat mit der Anlage K8 die sog. ALAG-Richtlinien für "Puddingpulver und ähnliche Zubereitungen" und damit - so stellt es sich dem Senat dar - den Vorgänger der heutigen Leitsätze vorgelegt. Bereits diese Richtlinien, die nach eigener Zweckbestimmung im Jahr 1958 "als Beurteilungsgrundlage bei der Feststellung des Handelsbrauchs und der Verbrauchererwartung im Rahmen des § 4 LMBG" empfohlen und im Jahr 1962 neu gefasst worden sind, enthalten in § 3 Abs. 2 Satz 2 folgende Regelung: "Erzeugnisse, die unter Verwendung von natürlichen und/oder künstlichen Aromen (Essenzen) hergestellt sind, unbeschadet der Verwendung von ... Vanille-Extrakt oder von geringen Mengen Vanillin zur Geschmacksabrundung, werden als ausreichend kenntlich gemacht angesehen, wenn die Geschmacksrichtung auf der Schauseite der Packung durch die Angabe z.B. "Himbeer-Geschmack" oder "Zitronen-Geschmack" oder gleichsinnig erfolgt." Diese Richtlinien enthielten demnach noch wesentlich strengere Voraussetzungen, denn die Verwendung aller anderen Substanzen als des Originalprodukts - also auch bei Zusatz natürlicher Aromen - unterlag einer entsprechenden Kennzeichnungspflicht als "....-Geschmack". Damit ist die Verkehrsauffassung seit Jahrzehnten durch diesbezügliche Gewohnheiten geprägt. Entsprechendes ergibt sich aus den sog. BLL-Richtlinien für "Puddingpulver und verwandte Erzeugnisse" aus dem Jahr 1962 (Anlage K9). Dort heißt es in § 3 Abs. 4: "Puddingpulver und verwandte Erzeugnisse, die ohne oder nicht mit den in § 2 Nr. 1 (Anmerkung: Das sind die Fruchtpuddingpulver) vorgesehenen Mengen der dort angeführten Zutaten hergestellt sind und einen Zusatz von natürlichen Essenzen oder Essenzen mit natürlichen Geruchs- oder Geschmacksstoffen oder von künstlichen Essenzen oder künstlichen Essenzen mit Aromastoff enthalten, werden auf der Schauseite der Packung nach ihrer Geschmacksrichtung wie "Vanille-Geschmack" oder "Zitronen-Geschmack" bezeichnet" (Unterstreichung nicht im Original). Im Hinblick auf diese - über 40 Jahre (!) zurückreichenden - Materialien kann es nach Auffassung des Senats keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass sich die Verkehrsauffassung in der von der Klägerin in Anspruch genommenen Art und Weise bereits herausgeprägt hat und nicht erst durch die Leitsätze aus 1999 erstmalig abweichend ausgebildet werden sollte.

cc. Aus den vorstehenden Gründen bedarf es keiner abschließenden Stellungnahme des Senats zu der weiteren Frage, ob die für "Fruchtpuddingpulver" geltenden Leitsätze Erzeugnisse aus Vanille bereits umfassen. Die Klägerin hatte - unbestritten - und unter Hinweis auf die Begriffsbestimmung im Römpp "Lexikon Lebensmittelchemie" (Anlage K10) vorgetragen, dass es sich bei Vanille ebenfalls um eine "Frucht" i.S.d. Leitsätze handelt. Für "Fruchtpuddingpulver" sahen bereits die Leitsätze von 1968 unter Ziff. I.C.2. die von der Klägerin verlangte Kennzeichnungsalternative vor: "Sind diesen Puddingpulvern und verwandten Erzeugnissen jedoch künstliche Essenzen oder Essenzen mit Aromastoffen zugesetzt, werden sie auf der Schauseite der Packung mit Angaben wie "Zitronen-Geschmack" kenntlich gemacht.". Allerdings enthalten diese Leitsätzen nicht nur unter Ziff. I.C.3., sondern auch unter Ziff. II.E. und F. Sonderregelungen gerade für Vanille-Erzeugnisse. Entsprechendes ergibt sich aus den sog. BLL-Richtlinien für "Puddingpulver und verwandte Erzeugnisse" aus dem Jahr 1962 (Anlage K9). Diese enthalten aufgrund einer Differenzierung in § 3 Abs. 2 und 3 Hinweise darauf, dass die Fachkreise Vanille trotz der gleichen biologischen Zuordnung des Ausgangsstoffs gleichwohl nicht der Gattung der "Fruchtpuddinge" zurechnen. Andernfalls wäre die in den Richtlinien stets herausgehobene und gesonderte Behandlung auch nicht erklärlich. Angesichts der bereits unabhängig hiervon für Vanille-Erzeugnisse seit Jahrzehnten ausgeprägten Verbrauchererwartungen, bedarf es insoweit aber keiner Aufklärung etwaiger Ungereimtheiten.

dd. Soweit die Beklagten bei der gegebenen Sachlage die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer Verkehrsbefragung fordern, hätte der Senat selbst dann keine Veranlassung, diesem Verlangen nachzukommen, wenn die Leitsätze tatsächlich nicht ausreichend geeignet gewesen sein sollten, eine Verkehrsauffassung in dem klägerischen Sinne bereits auszuprägen. Auf der Grundlage der neueren EuGH- und BGH-Rechtsprechung stellt sich die Feststellung der Verkehrsauffassung aufgrund eigener Sachkunde des Gerichts als Regelfall dar. Die Einholung einer Verkehrsbefragung ist nur noch in Ausnahmefällen ("besondere Umstände", vgl. EuGH WRP 848, 851 - 6-Korn-Eier - Gut Springenheide) geboten. Eine solche Situation liegt hier nicht vor, da es sich um weithin verbreitete Produkte des täglichen Bedarfs handelt. Zudem gehören die Mitglieder des Senats zu den angesprochenen Verkehrskreisen der Konsumenten von Vanillesoßen. Aufgrund eigener Wahrnehmung seiner Mitgliedern kann der Senat selbst beurteilen, dass den einschlägigen Verkehrskreise auch bereits vor dem Inkrafttreten der Leitsätze 1999 die Unterscheidung zwischen "Vanillesoße" und "Soße mit Vanillegeschmack", insbesondere die Verpflichtung des Herstellers geläufig waren, die Verwendung von künstlichem Vanillearoma auf der Produktpackung entsprechend unmissverständlich kenntlich zu machen war.

3. Der Hinweis der Beklagten auf die Ungleichbehandlung der Kennzeichnungspflicht bei Vanillearoma einerseits und andere Aromen andererseits verhilft ihnen im vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls nicht zum Erfolg. Da die Leitsätze keine Rechtssatzqualität haben, sondern nur eine - widerlegbare - Vermutung für die Erwartung der Verbraucher haben, kommt ein unmittelbarer, normvernichtender Angriff nicht in Betracht. Zwar mag es auf den ersten Blick nicht einleuchten, warum die Verkehrsauffassung gerade bei Vanille anders ausgestaltet sein soll, als bei Schokolade, Erdbeere oder Banane. Denn bei letzteren Inhaltsstoffen ist eine Kennzeichnung mit dem Zusatz "Geschmack" nur dann erforderlich, wenn die Mindestmenge der gem. Ziff. II. zuzusetzenden natürlichen Aromen nicht erreicht ist. Bei Vanille bedarf es dieses Zusatzes hingegen auch dann, wenn - obwohl die Mindesterforderungen erfüllt sind - zusätzlich künstliche Aromen verwendet werden. Gleichwohl sind nach Sachlage objektive Gründe für eine derartige Unterscheidung vorstellbar. Die Differenzierung dürfte nach Auffassung des Senats wesentlich in grundlegend unterschiedlichen tatsächlichen Umständen ihre Begründung finden. Vanille ist - wie z.B. auch Safran - ein ausgesprochen teurer Rohstoff. Die Klägerin hat dargelegt, dass 500 g echte Bourbon-Vanille aus Madagaskar auf dem Weltmarkt zur Zeit $ 218.- kosten (Anlage K12). Da künstliches Vanillin sogar naturidentisch, d.h. in seiner chemischen Formel dem natürlichen Aroma gleich - und deshalb schwer nachweisbar - ist, spricht einiges für die Annahme, Teile des produzierenden Gewerbes könnten eher versucht sein, zur Geschmacksverstärkung auf den natürlichen Rohstoff zu verzichten und synthetisches Vanillin einzusetzen, der zudem deutlich preisgünstiger ist. Entsprechende Gefahren bestehen bei anderen relevanten Aromen nicht bzw. nicht in diesem Ausmaß. Kaffee, Kakao, Zitronen, Erdbeeren, Bananen etc. sind im Rohstoff vergleichsweise günstig zu erhalten, so dass es wirtschaftlich kaum Sinn macht, in nennenswertem Umfang künstliche Aromen herzustellen und diese zur Geschmacksverstärkung einzusetzen.

4. Aus den zuletzt genannten Erwägungen sind auch die von den Beklagten vorgelegten positiven Verbraucherbeurteilungen und DLG-Prämierungen für den hier zur Entscheidung stehenden Sachverhalt ohne Bedeutung. Denn im Rahmen von § 17 Abs. 1 Nr. 2. b. LMBG liegt der Beurteilung letztlich ein normativ bestimmter Begriff der "Verkehrsauffassung" zu Grunde, der sich an den Leitsätzen orientiert und nicht in erster Linie auf das subjektive Geschmackserleben des Konsumenten abstellt. Der - behauptete - Umstand, dass die Vanillesoße der Beklagten besser schmeckt, als das vergleichbare Produkt der Klägerin, stellt sich in diesem Zusammenhang nicht als das entscheidende Qualitätsmerkmal dar. Denn dieses Geschmackserlebnis kann ohne weiteres auch darauf beruhen, dass der Anteil an synthetischem Vanillin, der das Aroma bestimmt, deutlich höher ist. Die Leitsätze des "Deutschen Lebensmittelbuchs" gehen demgegenüber von der Prämisse aus, der Verbraucher habe (auch) ein Interesse daran, die Geschmackseindrücke "natürlich" aromatisierter und "künstlich" aromatisierter Produkte gesondert zu erleben, zu bewerten und diese Unterscheidung zum Gegenstand seiner Kaufentscheidung zu machen. Und hier verschaffen sich die Beklagten Wettbewerbsvorteile, selbst wenn ihr Produkt im Ergebnis durch den Zusatz naturidentischen (synthetischen) Vanillins "besser" (weil intensiver) schmeckt als ein Konkurrenzprodukt, welches die Vorgaben der Leitsätze einhält. Die Klägerin hat im Senatstermin nochmals hervorgehoben, dass sich alle übrigen Hersteller derartiger Produkte - mit Ausnahme der Beklagten - an diese Vorgaben halten.

5. Der Unterlassungsantrag ist auf der in zweiter Instanz - kostenneutral - klarstellend leicht veränderten Formulierung zu allen Handlungsalternativen begründet. Dies bedarf zu der Wendung "Meine Lieblingssoße Vanille" keiner näheren Erläuterung. Gleiches gilt für den Zusatz "Spitzenqualität". Zwar verwenden die Beklagten diesen Zusatz auf der Produktausstattung zum einen in dem Zusammenhang "Mecklenburger Spitzenqualität", zum anderen unter Hinweis auf "über 60 Jahre Erfahrung und ständige Qualitätskontrolle". Auf der Grundlage des geänderten Antrages ist dieser Zusatz ausschließlich bei einer Verwendung im Zusammenhang mit der Bezeichnung "Vanillesoße" untersagt. Insoweit besteht auch ein eigenes Irreführungspotenzial i.S.v. § 17 Abs. 1 Nr. 5. b. LMBG. Denn nicht unerhebliche Kreise des angesprochenen Verkehrs werden den Hinweis auf "Spitzenqualität" im Zusammenhang mit der Bezeichnung eines Lebensmittels auch bzw. insbesondere auf die Qualität der für die Herstellung verwendeten Zutaten beziehen. In den Fällen, in denen vergleichbare Produkte sowohl aus "natürlichen" als auch aus "synthetischen" Rohstoffen hergestellt werden, verstärkt der Hinweis auf eine "Spitzenqualität" die ohnehin durch die Falschbezeichnung "Vanillesoße" für eine "Soße mit Vanille-Geschmack" eingetretene Fehlvorstellung in nicht unerheblichem Maße. Entsprechendes gilt für den Zusatz "Feine", den die Beklagten der Bezeichnung "Vanillesoße" unmittelbar voranstellen.

6. Die Beklagten zu 2. und 3. sind neben der Beklagten zu 1. ebenfalls für den Wettbewerbsverstoß verantwortlich. Das Landgericht hat alle drei Beklagten zu Recht auch zur Auskunftserteilung verurteilt. Ein Anspruch auf Auskunftserteilung nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB besteht im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes grundsätzlich in jedem Rechtsverhältnis, in dem der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang eines Rechts im Ungewissen und der Verpflichtete unschwer zur Auskunftserteilung in der Lage ist (BGH WRP 02, 715, 716 - Musikfragment; BGH GRUR 01, 841, 842 - Entfernung der Herstellungsnummer II; BGHZ 10, 385, 387). Erforderlich ist weiterhin, dass sich der Berechtigte die zur Vorbereitung und Durchführung seines Zahlungsanspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und dass ein Eingriff in die Rechte des Auskunftsberechtigten bereits stattgefunden hat (BGH GRUR 02, 238, 242 - Nachbau-Auskunftspflicht). So verhält es sich im vorliegenden Fall. Gleiches gilt für den Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht. Voraussetzung hierfür ist nach allgemeinen Grundsätzen lediglich, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens dargelegt wird (BGH WRP 99, 530 - Cefallone). An diese Darlegungen werden in der Rechtsprechung grundsätzlich keine hohen Anforderungen gestellt. Es genügt, dass nach der Lebenserfahrung der Eintritt eines Schadens in der Zukunft mit einiger Sicherheit zu erwarten ist; einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür bedarf es nicht (BGH GRUR 00, 907, 911 - Filialleiterfehler; BGH GRUR 95, 744 - Feuer, Eis & Dynamit). Da die Klägerin ihrerseits eine (echte) Vanillesoße vertreibt, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass ihr durch das wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten Umsatzausfälle und damit Schäden entstanden sein können.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Rechtsstreit bietet dem Senat keine Veranlassung, gem. § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung, sondern beschränkt sich auf die Anwendung feststehender Rechtsgrundsätze auf den konkreten Einzelfall. Einer Entscheidung des Revisionsgerichts bedarf es auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.



Ende der Entscheidung

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