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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: 5 U 17/03
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 1
Das Prämiensystem eines Autovermieters, mit dem den Angestellten von Reisebüros für jede Buchung eines Mietwagens Punkte gutgeschrieben werden, die in Sachprämien und Bargeld eingetauscht werden können, verstößt gegen § 1 UWG.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftszeichen: 5 U 17/03

Verkündet am: 23. Oktober 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, durch die Richter

Gärtner, Rieger, Dr. Koch

nach der am 25. September 2003 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg - Kammer 16 für Handelssachen - vom 29.11.2002 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich der Autovermietung. Die Antragsgegnerin führte im Juni 2002 unter der Internet-Adresse "www.sixperts.de" ein Prämiensystem für die Mitarbeiter von Reisebüros ein. Danach erhalten die Mitarbeiter für jede Buchung eines Mietwagens der Antragsgegnerin entsprechend dem anwendbaren Tarif zwischen 10 und 40 Punkte im Wert von € 0,1 pro Punkt, also im Ergebnis eine Gutschrift im Wert zwischen 1 € und 4 €. Die Punkte können in Sachprämien, Wochenendnutzungen von Mietfahrzeugen oder in Bargeld eingetauscht werden. Bei längerer Ansammlung von Punkten sind z.B. Prämien wie eine Fotokamera ( 2550 Punkte ), ein Fahrrad ( 3550 Punkte ) oder ein Wochenende mit einem Mercedes-Sportcoupe erreichbar (1200 Punkte ). Die Berechtigung zur Teilnahme an dem Punktsystem wird durch die Eingabe einer online erhältlichen Identifikationsnummer erlangt, die auf nahezu allen in der Praxis eingesetzten Reisebüro-Software-Systemen vorgesehen ist.

Die Antragstellerin erwirkte mit Antrag vom 23.10.2002 eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg, mit der der Antragsgegnerin die Auslobung von Punkten und die Gewährung von Prämien an Reisebüromitarbeiter in der oben geschilderten Weise verboten worden ist. Nach Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht diese einstweilige Verfügung mit Urteil vom 29.11.2002 bestätigt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin.

II.

Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht die einstweilige Verfügung in dem angefochtenen Urteil bestätigt.

Es besteht ein Verfügungsgrund ( Ziff.1 ) und ein Verfügungsanspruch jedenfalls aus § 1 UWG ( Ziff.2 ).

1. Zwischen der Einführung des Prämiensystems "sixperts" und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung lagen ca. 4 1/2 Monate, so dass ein Verfügungsgrund wohl verneint werden müsste, wenn die Antragstellerin bereits im Juni 2002 - und nicht erst im Oktober 2002, wie sie vorträgt - hiervon Kenntnis erlangt hätte. Für die Antragstellerin streitet die Vorschrift des § 25 UWG, wonach die Dringlichkeit für die Verfolgung von Ansprüchen aus diesem Gesetz vermutet wird. Diese Vermutung kann zwar von dem Antragsgegner des Verfügungsverfahrens erschüttert werden, doch muss er dazu Tatsachen vortragen, aus denen sich eine frühere positive Kenntnis des Antragstellers ergibt, und zwar positive Kenntnis der für die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zuständigen Mitarbeiter ( OLG Köln WRP 99,222 ). Wenigstens muss der Antragsgegner Umstände vortragen, dass dem Antragsteller nach Lage der Dinge ( z.B. Unternehmensgröße und -bedeutung des Verletzers, Dauer des Wettbewerbsverstoßes, Fachkenntnis des Antragstellers ) der Wettbewerbsverstoß nicht verborgen geblieben sein kann ( OLG Hamburg WRP 99, 683, 684; OLG Oldenburg WRP 96, 461, 464 ), womit sodann die Glaubhaftmachungslast für den Zeitpunkt der ersten Kenntnisnahme wieder bei dem Verletzten läge. Eine fahrlässige Unkenntnis reicht jedoch nicht, da es keine Marktbeobachtungspflicht gibt ( OLG Hamburg a.a.O; Köhler-Piper, UWG, 2.Aufl., § 25 Rn.15 m.w.N.). Erst wenn dem Antragsgegner die Erschütterung der Dringlichkeitsvermutung gelungen ist, muss die Dringlichkeit vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden.

a) Die Antragsgegnerin hat schon nicht genügend Tatsachen zur Erschütterung der Dringlichkeitsvermutung vorgetragen.

Die Presseerklärung vom 6.6.2002 (Anlage Ag 6) richtet sich nicht an die Wettbewerber. Die Antragsgegnerin trägt auch nicht vor, in welcher Weise diese Erklärung bekannt gemacht worden ist und dass sie notwendigerweise von der Antragstellerin hätte zur Kenntnis genommen werden müssen.

Bei dem Artikel der Fachzeitschrift "touristikaktuell" ( Anlage Ag 7 ) lässt sich schon nicht erkennen, wann das Heft 43/02 erschienen ist.

Die "Sign-In-Message" ( Anlage Ag 8 ) ist nur 5 Tage lang vom 10.-14.6.2002 beim Start des sog. Amadeus-Programms, eines zentralen Reservierungssystems, erschienen, das auch bei der Antragstellerin genutzt werden soll. Ob die für die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zuständigen Mitarbeiter der Antragstellerin täglich mit diesem Programm arbeiten, ist nicht näher dargelegt und wenig wahrscheinlich. Der kurzen Ankündigung ist im übrigen auch nur zu entnehmen, dass durch Buchungen Punkte zu erwerben sind, was für sich genommen noch nicht wettbewerbswidrig ist.

Die Zeitungsanzeige, mit der die Antragsgegnerin nach ihrem Vortrag ihr System beworben hat ( Anlage Ag 9 ), soll am 18.6., 12.7. und 23.8.2002 in zwei verschiedenen Fachzeitschriften der Reisebranche erschienen sein. Von einer massiven Medienpräsenz, die der Antragstellerin als Wettbewerberin nicht verborgen geblieben sein könnte, kann also nicht die Rede sein. Die Behauptung der Antragsgegnerin, dass diese Zeitschriften von der Antragstellerin regelmäßig ausgewertet würden, bestreitet diese. Eine Glaubhaftmachung durch die Antragsgegnerin ist insoweit nicht erfolgt.

b) Selbst wenn man den Tatsachenvortrag der Antragsgegnerin für ausreichend hielte, die Dringlichkeitsvermutung zu widerlegen, hat die Antragstellerin zusätzlich durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen ihrer leitenden Mitarbeiter hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie erst Anfang Oktober 2002 von dem Prämiensystem "sixperts" erfahren hat ( Anlagen Ast.5-8 ). Dann war aber der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 23.10.2002 rechtzeitig gestellt. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass diese Erklärungen in - richtig sein könnten, liegen nicht vor. Die verschiedenen Bekanntmachungen des Systems "sixperts", die vorstehend unter Ziff.a erörtert worden sind, lassen jedenfalls nicht den Schluss zu, dass den Personen, die die eidesstattlichen Versicherungen abgegeben haben, das Prämiensystem entgegen ihren Erklärungen zur Kenntnis gelangt sein muss, diese Versicherungen also unrichtig sein könnten. Der Vortrag der Antragsgegnerin, man müsse davon ausgehen, dass in Wahrheit jedenfalls andere maßgeblichen Personen der Antragstellerin Bescheid gewusst hätten, erschöpft sich in bloßen Vermutungen und ist nicht geeignet, darzutun, dass andere zu einer Entscheidung über ein Vorgehen gegen die Antragsgegnerin befugte Mitarbeiter der Antragstellerin früher Kenntnis gehabt haben müssten.

2. Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 1 UWG.

Schon nach bisheriger Rechtsprechung wurde die Gewährung von geldwerten Vorteilen an die Angestellten des Abnehmers einer Ware als Verstoß gegen die guten Sitten gewertet. Denn das Publikum werde in seiner berechtigten Erwartung getäuscht, sachlich und objektiv beraten zu werden ( BGH GRUR 71,223 "clix-Mann"; GRUR 74,394,395 "Verschlusskapsel-Prämie"; OLG Stuttgart Betriebsberater 74,1265 ). Das OLG Düsseldorf hat in einer neueren Entscheidung diese Rechtsprechung wiederum bestätigt, und zwar für die Auslobung von Parfümerie-Gutscheinen im Wert von DM 25.- an Reisebüros für die Vermittlung von Flugreisen. Das OLG Düsseldorf ging davon aus, dass diese Gutscheine jedenfalls bei größeren Reisebüros auch an die Angestellten verteilt würden und die Beratung der Kunden nicht mehr sachlich nach Preis und Qualität erfolgen würde. Damit verstoße die Aktion gegen § 1 UWG ( WRP 99, 1197 ). In einer noch neueren Entscheidung hatte das Landgericht Frankfurt die Zulässigkeit der Gewährung von Kinogutscheinen an Reisebüromitarbeiter für die Vermittlung von Flugreisen zu beurteilen und außerdem die Auslobung mehrerer "Club-Klasse" - Flugtickets im Wert von ca. DM 1000.- an die vier Reisebüromitarbeiter mit den meisten Buchungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Die Kinogutscheine hielt das LG Frankfurt für unbedenklich, weil es sich um ein Alltagsgeschenk unter DM 20.-handele; der Fall des OLG Düsseldorf liege anders, weil mit einem Parfümerie-Warengutschein Bedürfnisse des täglichen Gebrauchs abgedeckt werden könnten, er leichter einlösbar sei und eher den Charakter einer geldwerten Zuwendung habe. Die Gewährung des "Club-Klasse"- Flugtickets sei hingegen als wettbewerbswidrig einzustufen, weil bei einer so attraktiven Prämie die Gefahr bestehe, dass der Angestellte die Kunden nicht mehr sachlich, sondern so berate, dass er hiervon persönliche Vorteile habe ( GRUR-RR 2002, 204 ).

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung und mit dem Landgericht hält der Senat das Prämiensystem "sixperts" der Antragsgegnerin ebenfalls für wettbewerbswidrig und unzulässig. Soweit die Antragsgegnerin mit den zwischenzeitlichen Lockerungen im Recht der Wertreklame ( insbesondere Aufhebung von ZugabeVO und Rabatte ) argumentiert, ferner anerkannte Kundenbindungssysteme wie "miles and more" der Lufthansa ins Feld führt, liegt dies von vornherein neben der Sache. In all diesen Fällen werden direkt gegenüber dem Kunden Zusatzleistungen zu einer Hauptleistung ausgelobt, die auch offen gelegt werden, und der Kunde entscheidet dann für sich, ob die Zusatzleistung so attraktiv ist, dass er zu ihrer Erlangung auch die Hauptleistung in Anspruch nehmen will.

Vorliegend geht es jedoch darum, dass nicht dem Endverbraucher, sondern dem Angestellten des ihn beratenden Verkäufers eine Vergünstigung gewährt wird, und zwar ohne dass dies offenbart wird. Der Kunde weiß zwar, dass ein Reisebüro Provisionen für die Vermittlung von Reiseleistungen erhält und wird auch in Rechnung stellen, dass diese bei verschiedenen Reiseveranstaltern differieren können, so dass er keine im strengen Sinne gänzlich objektive Beratung erwartet. Dieses allgemeine kaufmännische Interesse des Inhabers eines Reisebüros an möglichst hoher Gewinnerzielung hat aber nicht de Qualität von Einzelvergünstigungen an die einzelnen Angestellten. Denn während der Inhaber eines Reisebüros als der verantwortliche Unternehmer "über den Tellerrand" schauen muss und auch einmal eine weniger hohe Provision in Kauf nehmen wird, um den Kunden zufrieden zu stellen und längerfristig an sich zu binden, besteht bei den Angestellten viel eher die Gefahr, dass sie den kurzfristigen Vorteil für sich anstreben und den Kunden einseitig beraten. Dem Landgericht ist auch darin zu folgen, dass die Anlockwirkung des Prämiensystems der Antragsgegnerin keineswegs als unerheblich angesehen werden kann. Die Antragstellerin hat unbestritten vorgetragen und auch glaubhaft gemacht, dass in großen Implant-Reisebüros - also Reisebüros innerhalb großer Firmen, die deren Geschäftsreisen vermitteln - die einzelnen Mitarbeiter zwischen 50-70 Fahrzeuge pro Tag vermitteln ( Eidesstattliche Versicherung Führer, Anlage Ast.5 ). Da nach dem System der Antragsgegnerin pro gebuchtem Fahrzeug 10-40 Punkte im Wert von € 0,10 gutgeschrieben werden, ergibt sich im Extremfall - wenn also alle Buchungen über die Antragsgegnerin laufen - eine geldwerte Zuwendung zwischen € 50.- ( 50 Buchungen zu 10 Punkten ) und € 280.- ( 70 Buchungen zu 40 Punkten ). Selbst wenn diese Rechnung eher theoretisch ist und in der Praxis sicher nicht alle Buchungen an die Antragsgegnerin gelangen, weil sie Prämien gewährt, zeigen diese Zahlen doch, dass schon mit einer gewissen Verschiebung des Buchungsverhaltens keine geringen Nebeneinkünfte zu erzielen sind.

Auch für größere Reisebüros hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass die Angestellten pro Tag 15-20 Fahrzeuge vermitteln. Bei alleiniger Vermittlung von Fahrzeugen der Antragsgegnerin sind dann immerhin noch tägliche Gutschriften im Wert zwischen € 15.- ( 15 Buchungen zu 10 Punkten ) und € 80.- ( 20 Buchungen zu 40 Punkten ) erreichbar. Da die Gutschriften sogar in bar ausgezahlt werden können, geht sowohl von der Höhe als auch von der Art der Zuwendung eine nicht mehr hinnehmbare Anlockwirkung aus, die mit den Kino-Gutscheinen aus der Entscheidung des LG Frankfurts nicht vergleichbar ist.

Zutreffend hat das Landgericht auch auf den Spiel- und Sammeltrieb der Mitarbeiter von Reisebüros abgestellt. Dass dieser durch ein Punktesystem angesprochen wird, das mit attraktiven Prämien und Bargeld wirbt und ohne nennenswerten Aufwand online mit der Buchung zu bedienen ist, liegt auch nach Auffassung des Senats auf der Hand.

Der Einwand der Antragsgegnerin, dass die Reisebüro-Mitarbeiter wegen allgemein üblicher Vergünstigungen der Reiseveranstalter durch das System von "sixperts" nicht unsachlich beeinflusst würden, greift ebenfalls nicht durch. Insofern ist ihr Vortrag schon nicht hinreichend substantiiert. Als Beispiele nennt die Antragsgegnerin zwar vergünstigte Expedienten-Tarife und Flugtickets, nennt aber keine Zahlen oder Prozente und legt vor allem nicht dar, inwieweit diese Vergünstigungen in Abhängigkeit zu einem bestimmten Buchungsverhalten gewährt werden. Gerade um diese Abhängigkeit, die den Wettbewerb zu Lasten des Kunden verzerrt, geht es hier aber. Im übrigen geht von einer bloßen Vergünstigung für ein Reiseticket nicht dieselbe Anlockwirkung aus wie von einer Prämie, die aus attraktiven Produkten oder Bargeld besteht, und die ohne eigenen finanziellen Einsatz und ohne Mühe und Risiko erlangt werden kann.

Soweit die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 24.9.2003 schließlich noch vorträgt, dass sich in den drei Monaten bis zur Zustellung der einstweiligen Verfügung "nur" 3004 Nutzer hätten registrieren lassen und insgesamt 48.341 Buchungen über "sixperts" erfolgt seien, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Die von der Antragsgegnerin errechnete durchschnittliche Tagesgutschrift von € 0,18-0,72 pro Nutzer mag für sich genommen gering erscheinen, doch ist hier zu berücksichtigen, dass sich das System noch in der Anfangsphase befand, als es durch die einstweilige Verfügung gestoppt wurde. Das Buchungsvolumen hatte sich von August bis Oktober 2002 bereits erheblich gesteigert ( eidesstattliche Versicherung des Jürgen Kohlert, Anlage Ag 10 ). Aber auch von dem von der Antragsgegnerin aufgrund dieser Zahlen errechneten monatlichen Durchschnittswert zwischen € 5,37 und 21,48 geht eine keineswegs unerhebliche Anlockwirkung aus, wenn diese Einkommensquelle regelmäßig und ohne Aufwand mit jeder Buchung genutzt werden kann.

Da der Verfügungsanspruch bereits aus § 1 UWG begründet ist, erübrigt sich die Erörterung weiterer Anspruchsgrundlagen aus § 3 UWG und § 299 StGB i.V.m. § 1 UWG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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