Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 11.11.2004
Aktenzeichen: 5 U 3/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234 Abs. 1
ZPO § 517 2. Alt
ZPO § 520 Abs. 2
1. Die nach der Einlegung eines Rechtsmittels innerhalb der absoluten Berufungsfrist des § 517 2. Alt ZPO veranlasste Berechnung weiterer Fristen ist erkennbar vorläufiger Natur. Wird den Parteien innerhalb der 5 Monatsfrist noch ein vollständig begründetes Urteil zugestellt, so kommt es für die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist ausschließlich auf den Zeitpunkt der Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an. Dementsprechend sind die zuvor notierten (vorläufigen) Fristen zu löschen und durch neu berechnete Fristen zu ersetzen.

2. Eine Organisation von Geschäftsabläufen in einer Rechtsanwaltskanzlei, die diesem Umstand nicht durch eindeutige Anweisungen Rechnung trägt, beruht auf einem anwaltlich zu vertretenden Mangel.

3. Dieses Organisationsverschulden wird nicht gegenstandslos, selbst wenn eine Kanzleimitarbeiterin bei einer späteren Fristenkontrolle nicht erkennt, dass die eingetragene Frist unzutreffend lang bemessen ist.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluss

Geschäftszeichen: 5 U 3/04

In dem Rechtsstreit

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, am 11.11.2004 durch die Richter Betz, Rieger, Dr. Koch

Tenor:

Der Antrag vom 12.10.04 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Antragsgegnerin vom 12.01.04 gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19.08.03 wird verworfen.

Die Kosten der Berufung sowie des Wiedereinsetzungsantrags fallen der Antragsgegnerin zur Last.

Der Streitwert wird auch für die Berufungsinstanz auf € 50.000.- festgesetzt.

Gründe:

1. Gegen das am 19.08.03 am Schluss der Sitzung mündlich verkündete Urteil des Landgerichts Hamburg hatte die Antragsgegnerin zur Wahrung der 5-Monatsfrist aus § 517 (2. Alt.) ZPO am 12.01.04 Berufung eingelegt, nachdem ihr zu diesem Zeitpunkt eine vollständige Ausfertigung des begründeten Urteils - das ihr am 04.11.03 zunächst nur in Kurzfassung übermittelt worden ist - noch nicht zugegangen war. Die Zustellung des vollständig begründeten Urteils an die Antragsgegnerin ist sodann am 16.01.04 erfolgt.

Innerhalb der mit dem 16.03.04 ablaufenden Berufungsbegründungsfrist gem. § 520 Abs. 2 ZPO hat die Antragsgegnerin ihr Rechtsmittel nicht begründet. Ihr Berufungsbegründungsschriftsatz vom 19.03.04 ist vielmehr erst am selben Tag per Telefax - und damit verspätet - bei Gericht eingegangen.

Gegen die Rechtsfolgen dieser Fristversäumung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO richtet sich ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 12.10.04. Die Antragsgegnerin macht geltend, die verspätete Vorlage beruhe nicht auf ihrem bzw. dem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, sondern auf einem individuellen Fehler einer ansonsten zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten.

2. Der zulässige Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Denn die Antragsgegnerin war nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die Fristversäumung beruht im Wesentlichen nicht auf einem individuellen Versagen einer Mitarbeiterin, sondern auf einem Organisationsmangel bei der Notierung von Rechtsmittelfristen im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten. Dieses Versagen hat sich die Antragsgegnerin wie eigenes Verschulden zurechnen zu lassen.

a. Der Wiedereinsetzungsantrag ist allerdings zulässig. Er ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO bei Gericht eingegangen. Hiervon geht der Senat zumindest zu Gunsten der Antragsgegnerin aus, obwohl die Antragsgegnerin weder ausdrücklich behauptet noch glaubhaft gemacht hat, dass sie erst aufgrund der am 04.10.04 zugestellten Mitteilung des Senats vom 28./29.09.04 über die beabsichtigte Verwerfung von dem verspäteten Eingang der Berufungsbegründung erfahren hat. Der am 12.10.04 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag liegt somit innerhalb der gesetzlichen Frist (§ 234 Abs. 2 ZPO).

b. Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedoch unbegründet. Das von der Antragsgegnerin für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geltend gemachte individuelle Versagen der ansonsten zuverlässigen Kanzlei-Mitarbeiterin Y.R. hat nicht die entscheidende Ursache für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gesetzt. Diese liegt vielmehr in einem Organisationsmangel bei der Notierung von Rechtsmittelfristen im Büro der Antragsgegner-Vertreter

aa. Allerdings war im Büro der Antragsgegner-Vertreter zunächst zutreffend und ordnungsgemäß eine am 19.03.04 ablaufende Berufungsbegründungsfrist im Anwendungsbereich von § 517 (2. Alt.) ZPO notiert worden. Denn das landgerichtliche Urteil war am 19.08.03 verkündet, aber zunächst nicht in vollständiger Form zugestellt worden. Demgemäß begann die 5-Monatsfrist gem. § 517 (2. Alt.) ZPO zur Einlegung der Berufung am 19.01.2004, sie lief ab am 19.02.2004. Entsprechend endete die Berufungsbegründungsfrist am 19.03.2004. Diese ist von der Kanzlei-Mitarbeiterin ebenfalls notiert worden, obwohl in diesem Zeitpunkt ohne Kenntnis der Urteilsgründe im Regelfall noch nicht verlässlich beurteilt werden kann, ob das Rechtsmittel tatsächlich durchgeführt werden soll. Ein solche Handhabung kann gleichwohl Grundsätzen anwaltlicher Vorsorge entsprechen und ist deshalb nicht zu beanstanden.

bb. Allerdings darf bei der Notierung der Fristen im Zusammenhang mit der absoluten Berufungsfrist des § 517 (2. Alt.) ZPO nicht aus dem Auge verloren werden, dass es sich hierbei dann nur um eine vorläufige Fristberechnung handelt, wenn der Partei noch vor Ablauf der 5-Monatsfrist ein vollständig begründetes Urteil zugestellt wird. In diesem Fall kommt ausschließlich § 517 (1. Alt.) ZPO zum Tragen. Die für den Fall der gerichtlichen Fristüberschreitung vorsorglich notierten 5-Monats- und Folgefristen können keine Rechtswirkungen mehr entfalten. Denn es gilt nur noch die Monatsfrist nach Zustellung des begründeten Urteils.

Diese Rechtslage erfordert zwingend eine anwaltliche Organisation bzw. Anweisung dergestalt, dass nach Zustellung des begründeten Urteils vor Ablauf der 5-Monatsfrist die zu diesem Zeitpunkt bereits vorsorglich notierten Fristen zum Ablauf der absoluten Berufungs- bzw. Berufungsbegründungsfristen zu löschen und aktualisierte Fristen nach Zustellung des begründeten Urteils auf der Grundlage von §§ 517 (1. Alt.), 520 Abs. 2 ZPO zu berechnen sowie neu einzutragen sind. Jede abweichende Handhabung birgt die unmittelbare Gefahr von nicht mehr behebbaren - weil anwaltlich verschuldeten - Fristversäumnissen in sich, wie der vorliegende Fall besonders deutlich zeigt.

Gegen diesen Organisationsgrundsatz haben die Antragsgegner-Vertreter verstoßen. Zumindest haben sie zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags nichts dafür vorgetragen, dass sie ihre Fristenberechnung und -notierung entsprechend gestaltet haben und entsprechende Anweisungen bestanden.

cc. Durch diesen Organisationsmangel hat sich im vorliegenden Fall die Fristversäumung realisiert. Allerdings hatte eine Kanzlei-Mitarbeiterin zutreffend nach Zustellung des begründeten Urteils am 16.01.04 zunächst die Frist zur Berufungseinlegung auf den 16.02.04 notiert. Soweit Frau Y.R. in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 11.10.04 auf S. 2 (erster Satz, "für diesen Tag") anführt, die Berufungsbegründungsfrist sei auf diesen Tag notiert worden, ist dies nicht nachvollziehbar und möglicherweise eine Fehldarstellung. Sie hat zugleich bei Ablauf der Einlegungsfrist im Fristenkalender eine auf den 19.03.04 notierte - und nicht gelöschte - Berufungsbegründungsfrist vorgefunden. Sie hat auf die Richtigkeit dieser Eintragung vertraut. Zwar beruht es auf einem individuellen Fehler der Mitarbeiterin, wenn diese nicht bemerkt, dass der zwischen den Fristen liegende Zeitraum - ohne besondere Feiertage etc. - zu lang ist und deshalb nicht zutreffend berechnet sein kann. Dieses Fehlverhalten hat aber nicht die entscheidende Ursache für die Fristversäumung gesetzt. Diese lag vielmehr darin, dass die zunächst vorsorglich auf den 19.03.04 notierte Begründungsfrist im Fristenkalender nicht gelöscht worden ist und hierfür im Kanzleibetrieb auch keine bindenden Anweisungen bestanden. Die Antragsgegner-Vertreter haben jedenfalls nichts dafür vorgetragen, dass dieser Fehler entgegen ihrer ausdrücklich und unmissverständlich erteilten Weisung ebenfalls Ergebnis eines individuellen Fehlverhaltens ist. Dementsprechend liegt ein Organisationsverschulden ihrer Rechtsanwälte vor, für das die Antragsgegnerin einzustehen hat.

dd. Soweit die die Antragsgegner-Vertreter in ihrem Schriftsatz vom 03.11.04 Ausführungen dazu machen, ob es notwendig bzw. zur Vermeidung von "Missverständnissen und Verwechslungen" zweckmäßig ist, sogleich mit der Berufungseinlegungsfrist eine Berufungsbegründungsfrist zu notieren, hat der Senat hierüber nicht allgemein zu befinden. Allerdings belegt auch dieser Sachvortrag die fehlende Konsequenz der Organisation bei der Fristeneintragung im Büro der Antragsgegner-Vertreter. Denn die Mitarbeiterin der Antragsgegner-Vertreter hatte bei der Einlegung der Berufung am 12.01.04 innerhalb der 5-Monatsfrist vorsorglich eine Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender notiert, bei der es nahe lag, dass sie nicht letztverbindlich sein würde. Denn mit der Zustellung eines begründeten Urteils vor Ablauf der 5-Monatsfrist begann gem. § 517 ZPO nicht nur eine neue Einlegungsfrist, sondern auch eine neue Berufungsbegründungsfrist zu laufen, die vorrangig und deshalb allein maßgeblich war. Dies ergibt sich aus der Zusammenschau der beiden Alternativen des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO (arg. "spätestens"; vgl. auch Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 520 Rdn. 11 a.E.). Wenn dies nicht eigenmächtig - hierfür ist nichts vorgetragen -, sondern auf Anweisung der Antragsgegner-Vertreter geschah, ist nicht nachvollziehbar, warum nach der Zustellung des vollständig begründeten Urteils für die Notierung der endgültigen Berufungsbegründungsfrist nicht in gleicher Weise verfahren wird. Gerade diese unterschiedliche Handhabung, hat zu den Missverständnissen und Fehlern geführt, die es nach Auffassung der Antragsgegner gerade zu vermeiden gilt. Dementsprechend hätte in einem ordnungsgemäß organisierten Büro zumindest dafür Sorge getragen werden müssen, dass hinsichtlich der Berufungseinlegungsfrist mit der Zustellung des vollständig begründeten Urteils in gleicher Weise verfahren wird, wie bei der Fristennotierung im Hinblick auf die 5-Monatsfrist. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre die nicht erfolgte Löschung der vorsorglichen Fristen aufgefallen. Es hätte die Möglichkeit bestanden, das frühere Versäumnis auszugleichen.

ee. Schließlich hat die Antragsgegnerin nichts dazu vorgetragen, ob zur Fertigung der Berufungsbegründung Vorfristen notiert worden sind und aus welchen Gründen die fehlerhafte Fristberechnung der Kanzlei-Mitarbeiterin bzw. dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt nicht zumindest nach Vorlage der Akte innerhalb dieser Vorfrist noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist aufgefallen ist, so dass ein Fristverlängerungsantrag hätte gestellt werden können. Da die fehlerhaft notierte Frist nur 3 Tage vor der zutreffenden Berufungsbegründungsfrist lag, liegt es nahe, dass die Akte dem Sachbearbeiter noch vor Fristablauf am 16.03.04 zur Fertigung der Berufungsbegründungsschrift vorgelegt worden ist. Ohne dass der Senat darüber zu entscheiden hat, ob und durch wen aus diesem Anlass eine erneute Fristenkontrolle zu erfolgen hat, fehlt es aber auch insoweit an einem hinreichenden Sachvortrag der Antragsgegnerin zu einer sachgerechten Organisation im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten, die - unbeschadet der vielfältigen, aus der Anlage WE 3 ersichtlichen Regelungen - eine konsequente und verlässliche Fristenkontrolle sicherstellen kann. Auch dieser Umstand steht unabhängig von der vorstehenden Begründung dem von der Antragsgegnerin behaupteten individuellen Fehlverhalten einer Kanzlei-Mitarbeiterin entgegen.

3. Die Berufung der Antragsgegnerin vom 12.01.04 gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19.08.03 wird aus den bereits näher ausgeführten Gründen gem. § 522 Abs. 1 ZPO verworfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist, sondern verspätet begründet worden ist.

Ende der Entscheidung

Zurück