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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: 5 U 79/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 116 Satz 1 Nr. 1
1. Für die Frage, ob den "wirtschaftlich Beteiligten" die Aufbringung der Prozesskosten zugemutet werden kann, bedarf es einer Gesamtschau unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände.

2. Bei einer Nebenintervention des Insolvenzverwalters ist deshalb nicht nur auf den gegenwärtig anhängigen Hauptprozess, sondern auch auf die Befriedigungsaussichten in einem möglichen Nachfolgeverfahren abzustellen, das der Insolvenzverwalter als Aktivprozess zu führen anstrebt, wenn es im Hinblick auf das Ergebnis des Hauptprozesses nicht zu einer außergerichtlichen Einigung mit der unterstützten Partei kommt.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluß

5 U 79/01

In dem Rechtsstreit

PKH für Insolvenzverwalter

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, am 08.11.2001 durch die Richter Gärtner, Rieger, Dr. Koch

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Nebenintervenienten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Nebenintervenient ist Insolvenzverwalter der Firma I., die mit Christbaumschmuck handelt. Sie verkaufte 1998 an die Beklagte verschiedene Weihnachtsbaumkugeln. Die Beklagte hielt aus diesem Geschäft 1.400.000 DM zurück mit der Begründung, die Ware sei nicht frei von Rechten Dritter gewesen. Diese Rechte sind Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, in welchem der Nebenintervenient der Beklagten beigetreten ist.

Über das Vermögen der Firma I. ist bereits vor dem Beitritt des Nebenintervenienten das Insolvenzverfahren eröffnet worden. In erster Instanz hat der Nebenintervenient keine Prozesskostenhilfe beantragt. Die Firma I. verfügt derzeit über 1.744 DM an liquiden Mitteln. Aus der von dem Nebenintervenienten vorgelegten Gläubigerzusammenfassung ergibt sich, dass sich die Verbindlichkeiten der Firma I. insgesamt auf 1,7 Millionen DM belaufen. Insbesondere schuldet sie der H. Handelsgesellschaft mbH insgesamt 519.564 DM, sowie dem Finanzamt Hagen 485.532 DM.

II.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Der Nebenintervenient hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe aus § 116 S.1 Nr.1 ZPO. Hierzu ist erforderlich, dass die Prozesskosten nicht aus der verwalteten Vermögensmasse aufgebracht werden können und es den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen.

Zwar können aufgrund der geringen liquiden Mittel der Firma I. die Kosten des Prozesses nicht aus der verwalteten Vermögensmasse aufgebracht werden. Dem steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass in erster Instanz keine Prozesskostenhilfe beantragt wurde. Denn abzustellen ist auf die aktuelle finanzielle Situation der Firma I..

Den wirtschaftlich Beteiligten ist es aber zuzumuten, die Kosten aufzubringen.

1. Wirtschaftlich Beteiligte sind hier die Gläubiger der Firma I.. Hierzu ist im Normalfall erforderlich, dass sich die Befriedigungsaussichten der Gläubiger durch ein Obsiegen des Insolvenzverwalters konkret verbessern (BGH ZIP 1990, 490).

a. Im vorliegenden Fall ist für die Befriedigungsaussichten jedoch nicht nur isoliert auf den anhängigen Prozess, sondern auch auf den möglichen Folgeprozess gegen die Beklagte abzustellen. Im Falle der Nebenintervention durch den Insolvenzverwalter sind die Gläubiger dann wirtschaftlich beteiligt, wenn sie bei positivem Ausgang des anhängigen Rechtsstreits und des Nachfolgerechtsstreits zumindest mit teilweiser Befriedigung rechnen können und durch den anhängigen Prozess die Erfolgsaussichten im Nachfolgeprozess erhöht werden.

Die vorliegende Kostellation der Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter als Nebenintervenienten ist - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung bislang nicht entschieden. Im Sinne der o.g. Definition ist aber darauf abzustellen, ob die Rechtsverfolgung durch den Insolvenzverwalter insgesamt zu einem Kapitalzufluss für die insolvente Gesellschaft führt. Das liegt hier zwar isoliert betrachtet nicht vor - der vorliegende Rechtsstreit führt auch bei Obsiegen zu keinem derartigen Kapitalzufluss. Er schafft aber entscheidende Voraussetzungen für einen solchen Zufluss - erforderlichenfalls nach einem zu führenden Folgeprozess - und ist daher aus Gläubigersicht als unselbstständige Vorbereitungshandlung dieses u.U. notwendigen Folgeprozesses anzusehen. Der Beitritt als Nebenintervenient auf Beklagtenseite ist aus prozesstaktischer Sicht eine Vorbereitungshandlung der eigentlich gewollten Folgeverhandlungen mit bzw. des eigentlich gewollten Nachfolgeprozesses gegen die Beklagte.

Demgegenüber scheidet ein isoliertes Abstellen auf den Zufluss an Geldmitteln bei positivem Ausgang des anhängigen Rechtsstreites aus. Denn demnach wäre generell Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn ein Insolvenzverwalter als Nebenintervenient am Rechtsstreit beteiligt ist. Selbst wenn der Folgeprozess bei positivem Ausgange den Gläubigern eine volle Befriedigung ermöglicht, könnte der Insolvenzverwalter diese Sonderform der Sozialhilfe beanspruchen. Derartige Ergebnisse sollen aber gerade vermieden werden - Gesetzeszweck des § 116 Abs.1 Nr.1 ZPO ist es, die Staatskasse dadurch zu entlasten, dass diejenigen, die aus dem Prozess einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen, auch die Risiken in Form der Kosten tragen müssen (vgl. amtliche Begründung BT-Drucks. 8/3068, S.26).

b) Die Gläubiger der Firma I. können bei positivem Ausgang des anhängigen Prozesses und des Folgeprozesses zumindest mit teilweiser Befriedigung rechnen. Denn aus dem Folgeprozess kann sich ein Zahlungstitel zugunsten der Firma I. i.H.v. 1.4 Millionen DM ergeben. Angesichts der Summe der Verbindlichkeiten der Firma I. i.H.v. 1.7 Millionen DM kann hierdurch ein erheblicher Teil der Forderungen der Gläubiger beglichen werden.

c) Die Erfolgsaussichten im Folgeprozess werden durch den anhängigen Prozess auch gefördert. Denn bei positivem Ausgang des anhängigen Prozesses entfallen die Voraussetzungen des Einredetatbestandes, mit dem die Beklagte die Zahlung an die Firma I. bislang verweigert. Zwar steht es der Beklagten unbenommen, sich in einem eventuellen Folgeprozess auf weitere Gegenrechte zu berufen. Dennoch wird zumindest ein Gegenrecht der Beklagten durch den anhängigen Rechtsstreit aus dem Weg geräumt.

2. Den Gläubigern ist es auch zuzumuten, die Kosten der Rechtsverfolgung bzw. - verteidigung aufzubringen.

a. Zur negativen Bestimmung der Zumutbarkeit haben sich in diesem Zusammenhang dieverse Kriterien herausgebildet. So sind zunächst gesetzliche Wertungen wie die generelle Kostenfreistellung des fiskus in § 2 Abs. 1 GKG zu berücksichtigen (BGH MDR 1998, S.737; OLG Hamburg, ZIP 1994, S. 221). Weiterhin ist die individuelle Situation des einzelnen Gläubigers zu betrachten: Eine Kostentragung ist nicht zumutbar für Gläubiger, deren Ansprüche durch den Insolvenzverwalter bestritten werden (Zöller-Philippi, ZPO, 22. Auslage, § 116. Rdn. 7), ferner dann nicht, wenn der Kostenaufwand im Verhältnis zu der zu erwartenden Befriedigung unangemessen hoch ist (Münchener-Kommentar-Wax, ZPO, § 116, Rdn. 18). Angesichts der Freiwilligkeit der Nebenintervention ist die Prozessführung des Insolvenzverwalters im Rahmen der Zumutbarkeitsbetrachtung wie ein Aktivprozess zu beurteilen.

b. Keiner der genannten Ausschlussgründe liegt vor. Im vorliegenden Fall ist zumindest bei der Firma H. Handelsgesellschaft mbH ein vertretbares Verhältnis zwischen Kosten und Befriedigung bei Erfolg gegeben. Bei der derzeitigen Summe der Verbindlichkeiten i.H.v. 1,7 Millionen DM kann bei einer Zahlung der Beklagten i.H.v. 1,4 Millionen DM zumindest von einer Quote von 1:2 ausgegangen werden. Hieraus ergibt sich eine Befriedigung der Firma H. in Höhe von ca. 260.000 DM.

aa. Die Kosten für die Rechtsverfolgung im anhängigen Verfahren und einem eventuellen Nachfolgeverfahren können zwar (auch ohne Revisionsverfahren und ohne Reiseauslagen) bei zwei verlorenen Instanzen einen erheblichen Betrag von über 108.700 DM erreichen, für den zweifelhaft sein könnte, ob er noch in einem angemessenen Verhältnis zu der zu realisierenden Insolvenzforderung steht. Allerdings kann nach dem zu erwartenden Lauf der Dinge von einem solchen Kostenvolumen (bei einem Folgeprozess über einen Streitwert mit 1,4 Mio. DM) nicht ausgegangen werden. Verliert nämlich die Beklagte trotz der Streithilfe des Nebenintervenienten den vorliegenden Rechtsstreit, so kann sich der Nebenintervenient im Verhältnis zu der Beklagten wegen § 68 1. Hs. ZPO nicht darauf berufen, der Rechsstreit sei unrichtig entschieden worden. In diesem Fall stünde fest, dass die Streithelferin rechtsmängelbehaftet geliefert hat, so dass ein Anspruch auf Auskehrung der einbehaltenen 1,4 Mio. DM voraussichtlich nicht bestünde und ein Folgerechtsstreit schon deshalb aussichtlos wäre. Ob zumindest ein Teilzahlungsanspruch aus diesem Einbehalt in einer wesentlich geringeren Höhe zu realisieren wäre, kann nach Sachlage nicht verlässlich beurteilt und kann deshalb den Kostenbelastungsberechnungen nicht zugrunde gelegt werden. Obsiegt die Beklagte hingegen im vorliegenden Rechtsstreit auch in zweiter Instanz (und in einer etwaigen Revisionsinstanz), entfällt jedenfalls insoweit die Berechtigung der Beklagten für einen weiteren Einbehalt der 1,4 Mio. DM, so dass auch deshalb die Führung eines Folgeprozesses in diesem Umfang nicht zu erwarten ist. Allerdings könnte theoretisch die Situation eintreten, dass die Beklagte einen vergleichsweise geringen Teilbetrag unter Schadensersatzgesichtspunkten wegen weiterer mit dem Rechtsstreit unmittelbar bzw. mittelbar zusammenhängenden Kosten (Kosten für Lagerung, Änderung der Werbung, vorprozessuale Abwehr von Beschlagnahmemassnahmen o.ä.) einbehält und die Streithelferin insoweit einen Folgeprozess anstrengen muss. Konkrete Anhaltspunkte sind hierfür nach Sachlage aber nicht ersichtlich. In keinem Fall dürfte die mögliche Kostenlast des Nebenintervenienten (die bei Verlust des vorliegenden Rechtsstreits bei ca. 17.000 DM liegt) aber maßgeblich einen Betrag von 30.000 DM überschreiten. Ein solcher Betrag steht zumindest für den Gläubiger H. Handelsgesellschaft mbH ohne weiteres in einem angemessenen Verhältnis zu der Quote der zu realisierenden Hauptforderung in Höhe von ca. 260.000 DM. Deshalb ist zumindest diesem Gläubiger zuzumuten, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen.

bb. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sämtliche Gläubiger zur Vorfinanzierung in der Lage sind (Münchener-Kommentar-Wax, ZPO, § 116, Rdn. 16). Denn die Notwendigkeit der staatlichen Unterstützung entfällt bereits dann, wenn die Kosten durch die wirtschaftlich Beteiligten überhaupt aufgebracht werden können.

cc. Sofern dem Nebenintervenienten daran gelegen ist, das Streitverhältnis zu der Beklagten über die einbehaltenen 1,4 Mio. DM im Interesse der Masse möglichst kurzfristig zu klären und er deshalb erwägt, einen kostenträchtigen Folgeprozess über diesen Betrag schon vor dem rechtskräftigem - und nach § 68 1. Hs. ZPO bindenden - Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits zu führen, ist ein solches Interesse zumindest bei der PKH-Bewilligung auf der Grundlage von § 116 Nr. 1 ZPO im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits nicht schutzwürdig und rechtfertigt deshalb kein anweichendes Ergebnis.

c. Es kann offen bleiben, ob auf Seiten der Gläubiger überhaupt die Bereitschaft zur Finanzierung der Rechtsverfolgung besteht. Denn die Zumutbarkeit hängt nicht von der Bereitschaft der Gläubiger zur Finanzierung des Rechtsstreits ab, sondern davon, ob sie hierzu in der Lage sind (OLG Hamburg MDR 1974, S. 939; Stein-Jonas-Bork, ZPO, 21. Auflage 1994, § 116 II, Rd,. 16). Sobald ausreichende Mittel zur Führung des Prozesses vorhanden sind, entfällt die Rechtfertigung für die staatliche Unterstützung.

d. Deshalb kann weiterhin auch offen bleiben, ob dem Finanzamt Hagen ebenfalls die Kostentragung zumutbar ist - insbesondere braucht nicht entschieden zu werden, ob die Wertung des § 2 Abs. 1 GKG auch für zu erwartende Rechtsanwaltsgebühren gilt (str., vgl. BGH ZIP 1998, S.789 ff. m.w.N.).

3. Es ist daher letztlich auch ohne entscheidende Bedeutung, ob die Rechtsverteidigung Aussicht auf Erfolg hat oder mutwillig erscheint und insbesondere die Frage, ob § 119 Abs. 1 S.2 ZPO auch für Nebenintervenienten eine Ausnahme von §§ 116 S.2, 114, 2. Halbsatz ZPO enthält.

Ende der Entscheidung

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