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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 08.06.2006
Aktenzeichen: 5 W 77/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 3
1. Die Gerichte haben bei der Streitwertfestsetzung grundsätzlich keine Veranlassung, von übereinstimmenden Wertangaben der Parteien abzuweichen, wenn diese angemessen sind.

2. Diese Grundsätze gelten nicht bei einer - übereinstimmenden - unangemessen niedrigen Streitwertangabe der Parteien. Andernfalls würden die Prozessparteien in die Lage gesetzt würden, zu Lasten der Staatskasse berechtigte Gebührenforderungen zu verkürzen oder die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegen, zu beschneiden.

3. Erachten die Parteien demgegenüber übereinstimmend einen unangemessen hohen Streitwert für angemessen, so sind die das Gerichte grundsätzlich nicht gehindert, die Vorstellungen der Beteiligten, die diese im Rahmen der zivilprozessualen Privatautonomie, der Wertfestsetzung zu Grunde zu legen. Will sich in diesem Fall allerdings eine der Parteien an der übereinstimmenden Streitwertbemessung nicht mehr festhalten lassen und stellt sich die Streitwertangabe als so offensichtlich überhöht dar, dass Sachgründe eine Wertfestsetzung in dieser Höhe nicht rechtfertigen könnten, so hat die Wertfestsetzung auch in diesen Fällen in der Regel abweichend von den übereinstimmenden Angaben der Parteien zu erfolgen.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluss

Geschäftszeichen: 5 W 77/06

In dem Rechtsstreit

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, am 08. Juni 2006 durch die Richter Betz, Rieger, Dr. Koch: Tenor:

Auf die aus eigenem Recht eingelegte Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Streitwert in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts Hamburg vom 23.09.03 auf € 150.000.- festgesetzt.

Gründe:

Die gem. § 32 Abs. 2 RVG i.V.m. § 68 Abs. 1 GKG zulässige Streitwertbeschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist auch begründet. Der Streitwert ist - wie von der Klägerin in der Klageschrift angegeben - auf € 150.000.- festzusetzen. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts teilt der Senat nicht.

1. Allerdings hat sich das Landgericht bei der abweichenden Wertfestsetzung im Rahmen des Urteils vom 04.05.06 sowie des Nichtabhilfebeschlusses vom 30.05.06 eingehend und zutreffend mit denjenigen Kriterien und Rechtsgrundsätzen auseinander gesetzt, die im Regelfall für die Streitwertbemessung gemäß § 3 ZPO ausschlaggebend sind. Die Kammer hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass der Senat in anderen Fällen einer Werbung mit unzutreffenden Herstellerpreisempfehlungen (deutlich) niedrigere Streitwerte festgesetzt hat. Hieran ist für den Regelfall auch festzuhalten.

2. Die dafür maßgeblichen Erwägungen können hier jedoch keine ausschlaggebende Berücksichtigung finden. Denn der vorliegende Fall ist durch Besonderheiten geprägt, die eine Streitwertfestsetzung in der von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin beantragten Umfang rechtfertigen.

a. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die einseitige Wertangabe der antragstellenden Partei zur Höhe des Streitwerts in der Antrags- bzw. Klageschrift zwar ein maßgebliches Indiz darstellt, jedoch keine bindende Wirkung entfaltet und das zur Wertfestsetzung berufene Gericht nicht gehindert ist, den Streitwert abweichend von den Angaben der klagenden Partei festzusetzen. In vielen Fällen ist eine derartige abweichende Festsetzung sogar unausweichlich geboten.

b. Diese Grundsätze gelten indessen nicht in gleicher Weise, wenn beide Prozessparteien übereinstimmend einen bestimmten Streitwert für angemessen erachten und dies ausdrücklich erklären.

aa. In diesem Fall spricht eine wesentlich höhere, zumeist weit überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Prozessparteien - die ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und das Gefährdungspotenzial selbst am besten beurteilen können - die für die Wertbemessung relevanten Umstände zutreffend erfasst und ihrer übereinstimmenden Wertbestimmung zu Grunde gelegt haben. Die Gerichte werden in derartigen Fällen in der Regel keine Veranlassung haben, die übereinstimmende Wertangabe der Prozessparteien zu korrigieren, sofern hierfür keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich sind.

bb. Allerdings steht es nicht zur Disposition der Prozessparteien, den Streitwert übereinstimmend in einer beliebigen, ihnen angemessenen Höhe zu bestimmen. Insbesondere kann eine unangemessen niedrige Streitwertbemessung der Parteien keine Indizwirkung für die gerichtliche Wertbemessung haben, weil die Prozessparteien hierdurch andernfalls in die Lage gesetzt würden, zu Lasten der Staatskasse berechtigte Gebührenforderungen zu verkürzen oder die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegen, zu beschneiden. Hierauf beziehen sich nach dem Verständnis des Senats im wesentlichen die Ausführungen des 5. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in der von dem Landgericht zitierten Entscheidung vom 08.05.90.

cc. Entsprechende Gefahren bestehen indessen nicht, wenn die Prozessparteien übereinstimmend einen nach Sachlage zu hohen Streitwert als angemessen erachten. In diesem Fall sind keine Umstände ersichtlich, aus welchen Gründen die zur Entscheidung berufenen Gerichte gehindert sein sollten, die Vorstellungen der Beteiligten, die diese im Rahmen der zivilprozessualen Privatautonomie dem Gericht unterbreiten, der Wertfestsetzung zu Grunde zu legen.

dd. Auch insoweit bedarf es allerdings eines Korrektivs. Will sich eine der Parteien an der übereinstimmenden Streitwertbemessung nicht mehr festhalten lassen und stellt sich die Streitwertangabe als so offensichtlich überhöht dar, dass Sachgründe eine Wertfestsetzung in dieser Höhe nicht rechtfertigen könnten, so sind die zur Wertfestsetzung berufenen Gerichte in der Regel gehalten, den Streitwert abweichend von den übereinstimmenden Angaben der Parteien festzusetzen.

c. Eine derartige Situation liegt im vorliegenden Fall jedoch nicht vor.

aa. Die anwaltlich vertretene Beklagte selbst hatte in ihrem Abmahnschreiben vom 27.01.06 den Gegenstandswert mit € 150.000.- angegeben und damit ihr Wertinteresse sowie ihre Einschätzung von der Gefährlichkeit des angegriffenen Verhaltens konkretisiert. Die Beklagte hat auch im Verlaufe des Rechtsstreits keine konkreten Angaben dazu gemacht, auf Grundlage welcher konkreten Umstände ihre Prozessbevollmächtigten bei dieser Streitwertfestsetzung möglicherweise einer relevanten Fehlvorstellung erlegen sind. Die Klägerin hat in der Klagschrift diese Streitwertangabe ausdrücklich aufgegriffen und sich zu Eigen gemacht. Dem ist die Beklagte auch in der Klageerwiderung vom 08.03.06 nicht entgegengetreten. Damit bestand bis zu diesem Zeitpunkt ein ausdrückliches Einverständnis der Parteien über die Angemessenheit eines Streitwerts in Höhe von € 150.000.-.

bb. Erst im Anschluss an die Erörterungen über die Aussicht der Klage im Rahmen der Kammersitzung am 13.04.06 ist die Beklagte sodann von ihrer (übereinstimmenden) Wertangabe abgerückt. Diese abweichende Beurteilung des Wertinteresses steht offensichtlich im Zusammenhang damit, dass der Beklagten in diesem Termin - wie aus dem Protokoll ersichtlich - durch die Kammer eröffnet worden ist, dass ihre Klagverteidigung keine ausreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dieser Umstand ist indes nicht geeignet, die bis dahin übereinstimmende Bewertung der Streitwert durch die Parteien gegenstandslos zu machen und das Gericht zu einer abweichenden Wertfestsetzung zu veranlassen.

cc. Die von der Beklagten in dem Abmahnschreiben vom 27.01.06 selbst angegebenen Höhe des Gegenstandswerts stellt sich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Sachverhalts auch nicht als so unangemessen dar, dass eine gerichtliche Korrektur trotz der übereinstimmenden Willensbekundung beider Parteien geboten wäre. Mit ihrer Abmahnung greift die Beklagte zwar die irreführende Werbung mit einer unverbindlichen Preisempfehlung in Bezug auf ein einzelnes Produkt (Toshiba-Notebook) an. Die von ihr vorformulierte Unterlassungserklärung verallgemeinert jedoch in dem weitest nur denkbaren Umfang, indem sich die Klägerin verpflichten soll, in Bezug auf jedweden "Artikel" ihres Sortiments nicht in der beanstandeten Weise zu werben. Damit ist der gesamte Geschäftsbetrieb der Klägerin quer durch alle Sortimentsbereiche von der Unterlassungsverpflichtung betroffen. Beide Parteien wickeln ihre Geschäfte bundesweit über das Internet ab. Die Beklagte hat nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Klägerin in der Klagschrift im Jahr 2003 einen Umsatz von € 118 Millionen erzielt. Nach den ebenfalls unwidersprochen gebliebenen Angaben der Klägerin in der Beschwerdeschrift handelt es sich auch bei ihr um einen Anbieter mit Umsätzen im dreistelligen Millionenbereich. Vor diesem Hintergrund ist nichts dafür ersichtlich, dass die von der Beklagten selbst gewählte Wertfestsetzung in einer Weise unzutreffend ist und den Besonderheiten des Streitfalls nicht gerecht wird, dass trotz der zunächst übereinstimmenden Beurteilung durch beide Parteien eine Abänderung durch das Gericht geboten oder sachgerecht ist. Der von der Beklagten selbst angegebene Streitwert von € 150.000.- liegt nicht offensichtlich außerhalb des angemessenen Wertrahmens bei einem derart weit gefassten Unterlassungsverlangen gegenüber einem umsatzstarken Internetanbieter. Dementsprechend hat es nach Auffassung des Senats bei der zunächst von beiden Parteien angenommenen Wertfestsetzung zu bleiben. Die aus eigenem Recht eingelegte Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin erweist sich als begründet.

Ende der Entscheidung

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