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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 14.09.2007
Aktenzeichen: 6 W 46/07
Rechtsgebiete: ZPO, AVAG


Vorschriften:

ZPO § 178
ZPO § 178 Abs. 1
ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 189
ZPO §§ 348 ff.
ZPO § 418
ZPO § 568
AVAG § 3 Abs. 3
AVAG § 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluss

Geschäftszeichen: 6 W 46/07

In dem Rechtsstreit

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 6. Zivilsenat, am 14. September 2007 durch die Richter B., A., H.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20.3.2007 (Geschäfts-Nr. 327 O 6/07) aufgehoben.

Der Antrag der Antragstellerin, den Mahnbescheid Nr. 31096 des Gerichts zu Mailand vom 18.10.2005 (Nummer der Urkundsrolle: 57516/2005) für vollstreckbar zu erklären und mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.

Der Streitwert wird auf EUR 30.815,96 festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin beantragte am 13.7.2005 beim Tribunale di Milano gegen die Antragsgegnerin den Erlass eines Mahnbescheids hinsichtlich eines Anwaltshonorars in Höhe von EUR 30.815,96 zuzüglich Zinsen und Kosten. Der Mahnbescheid (Nr. 31096) wurde am 26.9./18.10.2005 erlassen. Gemäß Zustellungsurkunde vom 27.12.2005 wurde der Mahnbescheid unter der Anschrift W. in Hamburg Herrn R. als "employee" übergeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Anlage 5 Bezug genommen.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 19.12.2006 beantragt, den Mahnbescheid für vollstreckbar zu erklären und mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Nach Teilrücknahme hinsichtlich eines Teils der Kosten wurde der Mahnbescheid hinsichtlich der Verpflichtung, EUR 30.815,96 nebst Verzugszinsen seit dem 4.9.2003 sowie Verfahrenskosten in Höhe von EUR 1.336,- zu zahlen, für vollstreckbar erklärt und mit einer Vollstreckungsklausel versehen (Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20.3.2007, 327 O 6/07). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss (Bl. 14 ff. d.A.) Bezug genommen.

Der Beschluss ist der Antragsgegnerin am 30. 3. 2007 zugestellt worden. Sie hat durch Schriftsatz vom 27.4.2007 (Eingang bei Gericht per Telefax am selben Tag) Beschwerde eingelegt.

Die Antragsgegnerin trägt vor, dass die Zustellung des Mahnbescheids unwirksam sei, da Herr R., der den Mahnbescheid entgegengenommen habe, zwar Beschäftigter der Antragsgegnerin sei, sich während der Betriebsferien in den Geschäftsräumen W. in Hamburg aber nur zufällig aufgehalten habe, um 2 Computer zu installieren, ansonsten aber als Lagerleiter in Henstedt-Ulzburg arbeite.

Im Übrigen sei der geltend gemachte Anspruch bereits durch Herrn Rechtsanwalt S. (der ebenso wie die Antragstellerin Rechtsanwalt bei der Kanzlei S. in Mailand sei) tituliert und vollstreckt worden. Es handele sich bei Herrn S. und der Antragstellerin um ein und denselben Anspruchsteller, da es um ein und denselben Honoraranspruch aus einem der Kanzlei S. erteilten Auftrag ginge. Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet, denselben Anspruch zweimal zu bezahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. den Beschluss vom 20. 3. 2007 zu Az. 327 O 6/07 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung des Mahnbescheids Nr. 31096 des Gerichts zu Mailand vom 18. 10. 2005 Nr. der Urkundenrolle 57516/2005 zurückzuweisen,

2. die erteilte Vollstreckungsklausel nach § 4 Anerkennnungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes - AVAG vom 19. 2. 2001 (BGBl. I 288, 436) aufzuheben,

3. hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Antragstellerin stellt keinen ausdrücklichen Antrag, hält die Beschwerde aber für unbegründet.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass der Mahnbescheid wirksam zugestellt worden sei. Herr R. sei in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin mit der Installation von 2 Computern befasst und somit dort beschäftigt gewesen. Er genieße als Lagerleiter auch eine Vertrauensstellung. Jedenfalls seien Zustellungsmängel geheilt, weil Herr R. den Mahnbescheid auf einen Schreibtisch gelegt und der Mahnbescheid somit in den Machtbereich der Antragsgegnerin gelangt sei.

Es bestehe keine Parteiidentität zwischen Rechtsanwalt S. und der Antragstellerin. Unabhängig von dem Zusammenschluss zu einer Sozietät würden nach italienischem Recht Honoraransprüche bei jedem Rechtsanwalt einzeln entstehen. Es bestehe auch keine Anspruchsidentität.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vortrags beider Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die Entscheidung erfolgt durch den voll besetzten Senat, weil § 568 ZPO vorliegend nicht anwendbar ist. Der gemäß Art. 39 i.V.m. Anhang II EuGVVO, § 3 Abs. 3 AVAG zuständige Vorsitzende einer Kammer des Landgerichts ist nicht Einzelrichter aufgrund der §§ 348 ff. ZPO und damit nicht Einzelrichter im Sinne von § 568 ZPO (vgl. OLGR Köln 2002, 344; Zöller/Geimer, ZPO, 26. Aufl., Anh III, § 13 AVAG, Rn. 1).

Die gemäß Art. 43 EuGVVO, § 11 AVAG zulässige und insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.

Die Vollstreckbarerklärung verstößt gegen Art. 34 Nr. 2 EuGVVO. Die Antragsgegnerin hat sich auf das Verfahren nicht eingelassen. Das verfahrenseinleitende Schriftstück ist der Antragsgegnerin auch nicht vor Erlass des Mahnbescheids zugestellt worden, so dass sie sich vor Erlass des Mahnbescheides nicht verteidigen konnte. Entscheidend ist daher, ob die Antragsgegnerin die Möglichkeit hatte, (trotzdem) einen Rechtsbehelf einzulegen. Bei wirksamer Zustellung des Mahnbescheides (mit der Rechtsmittelbelehrung, dass innerhalb von 40 Tagen ab Zustellung des Mahnbescheids Einspruch eingelegt werden könne, anderenfalls der Bescheid vollstreckbar werden würde) hätte diese Möglichkeit bestanden. Tatsächlich ist der Mahnbescheid aber nicht wirksam zugestellt worden.

Die Zustellung sollte gemäß Art. 7 der Verordnung 1348/2000 (EG) entsprechend den Vorschriften des Empfängermitgliedstaates vorgenommen werden. Ihre Wirksamkeit ist daher nach den Vorschriften der ZPO zu beurteilen.

Die Antragstellerin hat nach Hinweis des Landgerichts eine Zustellungsurkunde vom 27.12.2005 vorgelegt (Anlage 5) betreffend die Zustellung des streitgegenständlichen Mahnbescheids. Wie sich im Beschwerdeverfahren nach dem Vortrag der Antragsgegnerin (die gemäß Art. 41 Satz 2 EuGVVO, § 6 Abs. 1 AVAG zunächst nicht angehört worden war) herausgestellt hat, ist die Zustellung nicht wirksam.

Die Beweiskraft einer Zustellungsurkunde im Sinne von § 418 ZPO bezieht sich nur auf die Umstände, die der Zusteller wahrnehmen kann, also etwa darauf, dass der Zusteller unter der angegebenen Anschrift den Adressaten persönlich nicht angetroffen hat. Dafür, dass der Empfänger eine nach § 178 Abs. 1 ZPO berechtigte Ersatzperson ist, begründet die Zustellungsurkunde keinen (vollen) Beweis; insoweit besteht lediglich ein erhebliches Beweisanzeichen, das der Adressat durch eine plausible und schlüssige Darstellung von Tatsachen entkräften kann (BGH NJW 2004, 2387). Dies hat die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall getan. Sie hat vorgetragen, dass Herr R., dem das zuzustellende Schriftstück übergeben worden ist, zwar ihr Mitarbeiter sei. Seine Arbeitsstelle sei jedoch nicht das Geschäftslokal, in dem die Zustellung erfolgt ist (W. in Hamburg); vielmehr sei er im Lager der Antragsgegnerin (A., Henstedt-Ulzburg) tätig. Im Geschäftsraum W. in Hamburg habe er sich nur ausnahmsweise während der Betriebsferien der Antragsgegnerin aufgehalten, um 2 Computer anzuschließen. Dieser Vortrag der Antragsgegnerin ist von der Antragstellerin nicht bestritten worden (vgl. Seite 2 des Schriftsatzes vom 19. 6. 2007 = Bl. 59 d.A.). Die Parteien streiten lediglich um die rechtlichen Folgen dieses (unstreitigen) Sachvortrags.

Eine Ersatzzustellung ist gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nur wirksam, wenn eine Übergabe im Geschäftsraum an eine "dort beschäftigte" Person erfolgt. Dass es sich bei den Räumen unter der Anschrift W. in Hamburg grundsätzlich um einen Geschäftsraum der Antragsgegnerin handelt, ist nicht zweifelhaft. Herr R. ist aber nicht eine "dort beschäftigte Person" gewesen. Herr R. ist zwar unstreitig bei der Antragsgegnerin beschäftigt. Er ist aber nicht "dort" (also im Geschäftsraum, in dem er angetroffen worden ist) beschäftigt gewesen. Nicht zugestellt werden darf an zufällig in den Geschäftsräumen anwesende Beschäftigte wie Monteure oder Außendienstmitarbeiter (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 178, Rn. 24; MünchKomm/Wenzel, ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 178, Rn. 20), d. h. an Personen, die nur zu Arbeiten ohne inneren Bezug zum Bürobetrieb anwesend sind (vgl. Wieczorek/Rohe, ZPO, 3. Aufl., § 178, Rn. 53).

Herr R. war im vorliegenden Fall nur zufällig und kurzfristig im Geschäftsraum der Antragsgegnerin tätig, nämlich nur zur Installation von 2 Computern (insofern liegt eine ähnliche Situation vor wie bei Monteuren, vgl. dazu die zitierten Kommentarstellen). Eine solche bloße Tätigkeit ist etwas anderes als eine Beschäftigung. Seiner eigentlichen Beschäftigung ging Herr R. woanders nach, nämlich im Lager in Henstedt-Ulzburg (insofern liegt eine ähnliche Situation vor wie bei Außendienstmitarbeitern, vgl. auch dazu die zitierten Kommentarstellen).

Die Vorschrift des § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO hat den Sinn, dass die Weitergabe der Zustellungssendung über die mit dem Posteingang oder Geschäftsbetrieb befasste Person an den Zustellungsadressaten verlässlich gewährleistet wird. Eine Ersatzzustellung an Bedienstete, die in anderen Räumen des Büro- oder Dienstgebäudes tätig sind, ist daher ausgeschlossen (Zöller/Stöber, a.a.O., § 178, Rn. 18). Hier ist Herr R. nicht nur in anderen Räumen desselben Gebäudes, sondern sogar in einem Lager in einem anderen Ort beschäftigt gewesen.

Unabhängig davon, wie die persönliche Zuverlässigkeit und das persönliche Vertrauensverhältnis eingeschätzt werden (die Antragsgegnerin bringt Herrn R. offensichtlich persönlich erhebliches Vertrauen entgegen), ist dies allein für eine verlässliche Weitergabe des zuzustellenden Schriftstücks an den Zustelladressaten nicht ausreichend. Eine zuverlässige Weiterleitung kann zum einen davon abhängen, in welchem Umfang der Empfänger der Sendung mit den Gepflogenheiten im Geschäftsraum vertraut ist. Vor allem ist eine zuverlässige Weiterleitung des zuzustellenden Schriftstücks nur gewährleistet, wenn sich der Empfänger der Sendung mehr oder weniger regelmäßig (aufgrund seiner "Beschäftigung") im Geschäftsraum aufhält und aus diesem Grunde den "eigentlichen" Zustelladressaten (der vom Geschäftsraum aus seiner Erwerbstätigkeit nachgehen muss, vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., § 178, Rn. 16) einigermaßen zuverlässig trifft, um das zuzustellende Schriftstück zu übergeben. Dies ist nicht gewährleistet, wenn sich der Empfänger nur zufällig (evtl. nur einmalig) im Geschäftsraum aufhält (weil er eben nicht "dort", sondern woanders beschäftigt ist). Er muss das Schriftstück dann irgendwo hinterlegen (wobei er mangels regelmäßiger Beschäftigung im Geschäftsraum nicht wissen muss, wie Empfang und Weiterleitung wichtiger Post geregelt sind) oder mitnehmen und mit der Hauspost oder der allgemeinen Post in den Geschäftsraum zurückschicken. Dass das letztgenannte Verhalten keine Zustellung ersetzen kann, ergibt sich schon daraus, dass - wie aus den Zustellungsvorschriften hervorgeht - eine bloße Versendung mit der Post eben nicht ausreicht.

Aus den genannten Gründen ist die Vorschrift, dass für eine wirksame Ersatzzustellung der Empfänger dort (also im Geschäftsraum) beschäftigt sein muss, eng auszulegen.

Es ist auch keine Heilung dadurch eingetreten, dass Herr R. den zuzustellenden Mahnbescheid auf einen Schreibtisch gelegt hat. Es ist schon unsicher (und eine bloße Vermutung von Herrn R.), ob er den Mahnbescheid überhaupt auf einen Schreibtisch gelegt hat. Selbst wenn man davon ausgeht, ist unklar, auf welchen Schreibtisch Herr R. den Mahnbescheid gelegt hat. Es ist jedenfalls nicht festzustellen, dass der eigentliche Zustellungsempfänger (das ist gemäß § 170 Abs. 2 ZPO der "Leiter" der Antragsgegnerin) den Mahnbescheid "in die Hand bekommen hat". Die bloße Ablage des Schriftstücks an einer Stelle, an der auch andere Personen Zugriff haben, erfüllt diese Voraussetzung nicht (vgl. BGH NJW 2001, 1946, 1948). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es nicht ausreichend, dass der Mahnbescheid in den Machtbereich der Antragsgegnerin gelangt ist. Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme seitens des Adressaten führt nach der zitierten Rechtsprechung des BGH nicht zu einer Heilung nach § 189 ZPO. Bei einer Heilung nach § 189 ZPO ist es im Übrigen erforderlich, dass der Zugang gerade beim Adressaten (hier dem "Leiter" der Antragsgegnerin) und nicht bei einer Ersatzperson im Sinne von § 178 ZPO erfolgt. Dies gilt auch bei einer fehlerhaften Ersatzzustellung nach § 178 ZPO (vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., § 189, Rn. 4).

Da die Antragsgegnerin mangels wirksamer Zustellung des Mahnbescheids keine Möglichkeit hatte, gegen die Entscheidung einen Rechtsbehelf einzulegen, kann die Entscheidung des Tribunale di Milano gemäß Art. 34 Nr. 2 EuGVVO nicht anerkannt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Bei der Streitwertfestsetzung bleiben Zinsen und Kosten außer Betracht, wenn es sich um Nebenforderungen handelt (vgl. BGH WM 1956, 1506; dies ergibt sich auch aus neueren Beschlüssen des BGH vom 30. 3. 2006, IX ZB 102/04, sowie vom 8. 12. 2005, IX ZB 28/04, in denen - ohne weitere Begründung - der Gegenstandswert in Höhe der titulierten Hauptforderungen ohne Zinsen und Kosten festgesetzt wurde). Der BGH hat allerdings entschieden, dass die ausländische Entscheidung die Kosten ggf. dann nicht als Nebenforderung behandelt, wenn der Betrag der Kosten in der ausländischen Entscheidung neben der Hauptsumme ziffernmäßig besonders angegeben ist (wie hier in Höhe von EUR 1.336,-). Dieses Indiz ist aber nach Auffassung des Senats nicht in jedem Fall zwingend. Nach deutschem Recht werden im Mahnbescheid auch Nebenforderungen gesondert und einzeln angegeben (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), ohne dass die Nebenforderungen deshalb zu Hauptforderungen werden. Im Mahnbescheidsantrag ist der Streitwert mit EUR 30.815,96 angegeben worden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass vorliegend auch die ziffernmäßig bezeichneten Kosten im Mahnbescheid nur Nebenforderungen sind.

Ende der Entscheidung

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